Hier hatte ein heißer Kampf stattgefunden. Thür und Fenster waren zertrümmert; Kugelspuren an den Wänden. Gefallene Grenadiere, Schmerz und Wuth noch auf den Gesichtern, hatten mit ihrem Blut den Rasen gefärbt. Einer lehnte am Sockel der Diana. Sein Nacken war zurückge- bogen; die halb offenen Augen blickten zu ihr auf. Die altitalische Göttin hatte dem deutschen Krieger den Weg zur Walhalla gezeigt.
Einige Schritte vor seinen Soldaten, kurz vor der ein- geschlagenen Thür, lag ausgestreckt ein junger Offizier. Das blasse Antlitz war zur Seite geneigt. Unter dem Helm her- vor drängte sich zwischen die gebrochenen Augen eine dichte schwarze Locke. Seine Rechte hielt noch, wie im Leben, den Degen umfaßt. Die Linke lag auf dem Herzen. Nur ein einziger Blutstropfen war ihm aus der Wunde auf die Hand geträufelt, im Sternenlicht glänzend, als wäre er ein Rubin, der zu dem kleinen, den vierten Finger umschließenden Gold- reifen gehöre ....
Frühlingsfriede. Es war so still wie Stein auf Gräbern ruht. Ab und zu nur rauschte ein Windhauch durch die Zweige, klagend und gleichgültig zugleich: er rauschte das ewige Lied des Todes -- der Entsagung.
II.
Dieselbe Frühlingsnacht lag auch auf Wald und Feld, auf Stadt und Dorf im Norden unseres Vaterlandes. In dem kleinen Orte war alles schon zur Ruhe gegangen. Auch in dem großen, schloßartigen Hause des Amtmannes schien Alles still. Hinter den Fenstern waren die weißen Rouleaux hinuntergelassen. Nur nach der Gartenseite im Erdgeschoß, waren zwei Fenster weit geöffnet. Ein persischer Teppich bedeckte den Fußboden des Zimmers. Auf dem runden Tisch
Hier hatte ein heißer Kampf ſtattgefunden. Thür und Fenſter waren zertrümmert; Kugelſpuren an den Wänden. Gefallene Grenadiere, Schmerz und Wuth noch auf den Geſichtern, hatten mit ihrem Blut den Raſen gefärbt. Einer lehnte am Sockel der Diana. Sein Nacken war zurückge- bogen; die halb offenen Augen blickten zu ihr auf. Die altitaliſche Göttin hatte dem deutſchen Krieger den Weg zur Walhalla gezeigt.
Einige Schritte vor ſeinen Soldaten, kurz vor der ein- geſchlagenen Thür, lag ausgeſtreckt ein junger Offizier. Das blaſſe Antlitz war zur Seite geneigt. Unter dem Helm her- vor drängte ſich zwiſchen die gebrochenen Augen eine dichte ſchwarze Locke. Seine Rechte hielt noch, wie im Leben, den Degen umfaßt. Die Linke lag auf dem Herzen. Nur ein einziger Blutstropfen war ihm aus der Wunde auf die Hand geträufelt, im Sternenlicht glänzend, als wäre er ein Rubin, der zu dem kleinen, den vierten Finger umſchließenden Gold- reifen gehöre ....
Frühlingsfriede. Es war ſo ſtill wie Stein auf Gräbern ruht. Ab und zu nur rauſchte ein Windhauch durch die Zweige, klagend und gleichgültig zugleich: er rauſchte das ewige Lied des Todes — der Entſagung.
II.
Dieſelbe Frühlingsnacht lag auch auf Wald und Feld, auf Stadt und Dorf im Norden unſeres Vaterlandes. In dem kleinen Orte war alles ſchon zur Ruhe gegangen. Auch in dem großen, ſchloßartigen Hauſe des Amtmannes ſchien Alles ſtill. Hinter den Fenſtern waren die weißen Rouleaux hinuntergelaſſen. Nur nach der Gartenſeite im Erdgeſchoß, waren zwei Fenſter weit geöffnet. Ein perſiſcher Teppich bedeckte den Fußboden des Zimmers. Auf dem runden Tiſch
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Hier hatte ein heißer Kampf ſtattgefunden. Thür und
Fenſter waren zertrümmert; Kugelſpuren an den Wänden.
Gefallene Grenadiere, Schmerz und Wuth noch auf den
Geſichtern, hatten mit ihrem Blut den Raſen gefärbt. Einer
lehnte am Sockel der Diana. Sein Nacken war zurückge-
bogen; die halb offenen Augen blickten zu ihr auf. Die
altitaliſche Göttin hatte dem deutſchen Krieger den Weg zur
Walhalla gezeigt.
Einige Schritte vor ſeinen Soldaten, kurz vor der ein-
geſchlagenen Thür, lag ausgeſtreckt ein junger Offizier. Das
blaſſe Antlitz war zur Seite geneigt. Unter dem Helm her-
vor drängte ſich zwiſchen die gebrochenen Augen eine dichte
ſchwarze Locke. Seine Rechte hielt noch, wie im Leben, den
Degen umfaßt. Die Linke lag auf dem Herzen. Nur ein
einziger Blutstropfen war ihm aus der Wunde auf die Hand
geträufelt, im Sternenlicht glänzend, als wäre er ein Rubin,
der zu dem kleinen, den vierten Finger umſchließenden Gold-
reifen gehöre ....
Frühlingsfriede. Es war ſo ſtill wie Stein auf Gräbern
ruht. Ab und zu nur rauſchte ein Windhauch durch die
Zweige, klagend und gleichgültig zugleich: er rauſchte das
ewige Lied des Todes — der Entſagung.
II.
Dieſelbe Frühlingsnacht lag auch auf Wald und Feld,
auf Stadt und Dorf im Norden unſeres Vaterlandes. In
dem kleinen Orte war alles ſchon zur Ruhe gegangen. Auch
in dem großen, ſchloßartigen Hauſe des Amtmannes ſchien
Alles ſtill. Hinter den Fenſtern waren die weißen Rouleaux
hinuntergelaſſen. Nur nach der Gartenſeite im Erdgeſchoß,
waren zwei Fenſter weit geöffnet. Ein perſiſcher Teppich
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Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/148>, abgerufen am 17.06.2024.
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