Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Dauer des Weltsystems.
mit einiger Vollständigkeit zu erforschen. Auch kann, was innere
Kräfte nicht vermögen, dereinst von äußern herbeigeführt werden.
Endlich, wenn die vorhergehenden Betrachtungen auf eine Absicht
der Natur, ihr Werk zu erhalten, deuten, wie viele andere Er-
scheinungen ließen sich dagegen aufführen, die diesen unseren Wün-
schen und Hoffnungen widersprechen.

Wir sehen, daß allen Dingen dieser Erde nur eine, oft sehr
kurze Periode ihres Daseyns angewiesen ist, nach welcher sie alle
verschwinden, und, wenigstens in dieser Gestalt, nicht mehr wieder
kommen. Jeder kommende Winter zerstört die schönen Gebilde
unserer Fluren. Zahlreiche Familien und ganze Geschlechter von
Thieren sind bis auf die letzten Reste derselben verschwunden, und
selbst ganze Völkerschaften, weltbeherrschende Nationen ziehen
vor uns vorüber wie die Bilder eines Schattenspieles an der
Wand, und Alles, Alles was uns hier unten umgibt, wird von
dem Strome der Zeit fortgerissen, und eilt unaufhaltsam seinem
Endzustande der Auflösung und Zerstörung entgegen. Die Erde, die
wir betreten, ist mit den Ruinen der Vorzeit und mit dem Staube
von Pflanzen und Thieren bedeckt, und es wird eine Zeit kom-
men, wo man über die Pyramiden, wie jetzt über Karthago, hin-
gehen wird, ohne eine Spur derselben zu erblicken.

Von diesem, wie es scheint, nicht minder allgemeinen Gesetze
der Natur, deren zerstörende Wirkungen uns von allen Seiten
in der Nähe umgeben -- soll davon diese Erde selbst und der
über sie ausgespannte Himmel eine Ausnahme machen? Welches
Recht hätten sie zu solchen Ansprüchen? Oder welches Recht
haben wir, selbst nur von gestern her, und morgen schon nicht
mehr, die ewige Existenz dieses unseres Wohnortes zu fordern?
Haben wir nicht Sterne am Himmel verschwinden, und ganze
Sonnensysteme daselbst auflodern sehen? -- Welche schreckliche Schau-
spiele, gegen die unsere Wasserfluthen und Erdbeben, gegen die
der Tod von Tausenden in einer wüthenden Schlacht nur als
Possenspiele erscheinen. Der Untergang einer Sonne mit allen ihren
Planeten und Kometen! Dieß erregt unser Entsetzen. -- Aber der
bloß uns so groß erscheinende Unfall kann keine Ausnahme von
einem allgemeinen Naturgesetze begründen. Er scheint uns nur
groß, weil wir selbst so klein sind. Dort oben wird mit einem

Dauer des Weltſyſtems.
mit einiger Vollſtändigkeit zu erforſchen. Auch kann, was innere
Kräfte nicht vermögen, dereinſt von äußern herbeigeführt werden.
Endlich, wenn die vorhergehenden Betrachtungen auf eine Abſicht
der Natur, ihr Werk zu erhalten, deuten, wie viele andere Er-
ſcheinungen ließen ſich dagegen aufführen, die dieſen unſeren Wün-
ſchen und Hoffnungen widerſprechen.

Wir ſehen, daß allen Dingen dieſer Erde nur eine, oft ſehr
kurze Periode ihres Daſeyns angewieſen iſt, nach welcher ſie alle
verſchwinden, und, wenigſtens in dieſer Geſtalt, nicht mehr wieder
kommen. Jeder kommende Winter zerſtört die ſchönen Gebilde
unſerer Fluren. Zahlreiche Familien und ganze Geſchlechter von
Thieren ſind bis auf die letzten Reſte derſelben verſchwunden, und
ſelbſt ganze Völkerſchaften, weltbeherrſchende Nationen ziehen
vor uns vorüber wie die Bilder eines Schattenſpieles an der
Wand, und Alles, Alles was uns hier unten umgibt, wird von
dem Strome der Zeit fortgeriſſen, und eilt unaufhaltſam ſeinem
Endzuſtande der Auflöſung und Zerſtörung entgegen. Die Erde, die
wir betreten, iſt mit den Ruinen der Vorzeit und mit dem Staube
von Pflanzen und Thieren bedeckt, und es wird eine Zeit kom-
men, wo man über die Pyramiden, wie jetzt über Karthago, hin-
gehen wird, ohne eine Spur derſelben zu erblicken.

Von dieſem, wie es ſcheint, nicht minder allgemeinen Geſetze
der Natur, deren zerſtörende Wirkungen uns von allen Seiten
in der Nähe umgeben — ſoll davon dieſe Erde ſelbſt und der
über ſie ausgeſpannte Himmel eine Ausnahme machen? Welches
Recht hätten ſie zu ſolchen Anſprüchen? Oder welches Recht
haben wir, ſelbſt nur von geſtern her, und morgen ſchon nicht
mehr, die ewige Exiſtenz dieſes unſeres Wohnortes zu fordern?
Haben wir nicht Sterne am Himmel verſchwinden, und ganze
Sonnenſyſteme daſelbſt auflodern ſehen? — Welche ſchreckliche Schau-
ſpiele, gegen die unſere Waſſerfluthen und Erdbeben, gegen die
der Tod von Tauſenden in einer wüthenden Schlacht nur als
Poſſenſpiele erſcheinen. Der Untergang einer Sonne mit allen ihren
Planeten und Kometen! Dieß erregt unſer Entſetzen. — Aber der
bloß uns ſo groß erſcheinende Unfall kann keine Ausnahme von
einem allgemeinen Naturgeſetze begründen. Er ſcheint uns nur
groß, weil wir ſelbſt ſo klein ſind. Dort oben wird mit einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0228" n="216"/><fw place="top" type="header">Dauer des Welt&#x017F;y&#x017F;tems.</fw><lb/>
mit einiger Voll&#x017F;tändigkeit zu erfor&#x017F;chen. Auch kann, was innere<lb/>
Kräfte nicht vermögen, derein&#x017F;t von äußern herbeigeführt werden.<lb/>
Endlich, wenn die vorhergehenden Betrachtungen auf eine Ab&#x017F;icht<lb/>
der Natur, ihr Werk zu erhalten, deuten, wie viele andere Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen ließen &#x017F;ich dagegen aufführen, die die&#x017F;en un&#x017F;eren Wün-<lb/>
&#x017F;chen und Hoffnungen wider&#x017F;prechen.</p><lb/>
              <p>Wir &#x017F;ehen, daß allen Dingen die&#x017F;er Erde nur eine, oft &#x017F;ehr<lb/>
kurze Periode ihres Da&#x017F;eyns angewie&#x017F;en i&#x017F;t, nach welcher &#x017F;ie alle<lb/>
ver&#x017F;chwinden, und, wenig&#x017F;tens in die&#x017F;er Ge&#x017F;talt, nicht mehr wieder<lb/>
kommen. Jeder kommende Winter zer&#x017F;tört die &#x017F;chönen Gebilde<lb/>
un&#x017F;erer Fluren. Zahlreiche Familien und ganze Ge&#x017F;chlechter von<lb/>
Thieren &#x017F;ind bis auf die letzten Re&#x017F;te der&#x017F;elben ver&#x017F;chwunden, und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ganze Völker&#x017F;chaften, weltbeherr&#x017F;chende Nationen ziehen<lb/>
vor uns vorüber wie die Bilder eines Schatten&#x017F;pieles an der<lb/>
Wand, und Alles, Alles was uns hier unten umgibt, wird von<lb/>
dem Strome der Zeit fortgeri&#x017F;&#x017F;en, und eilt unaufhalt&#x017F;am &#x017F;einem<lb/>
Endzu&#x017F;tande der Auflö&#x017F;ung und Zer&#x017F;törung entgegen. Die Erde, die<lb/>
wir betreten, i&#x017F;t mit den Ruinen der Vorzeit und mit dem Staube<lb/>
von Pflanzen und Thieren bedeckt, und es wird eine Zeit kom-<lb/>
men, wo man über die Pyramiden, wie jetzt über Karthago, hin-<lb/>
gehen wird, ohne eine Spur der&#x017F;elben zu erblicken.</p><lb/>
              <p>Von die&#x017F;em, wie es &#x017F;cheint, nicht minder allgemeinen Ge&#x017F;etze<lb/>
der Natur, deren zer&#x017F;törende Wirkungen uns von allen Seiten<lb/>
in der Nähe umgeben &#x2014; &#x017F;oll davon die&#x017F;e Erde &#x017F;elb&#x017F;t und der<lb/>
über &#x017F;ie ausge&#x017F;pannte Himmel eine Ausnahme machen? Welches<lb/>
Recht hätten &#x017F;ie zu &#x017F;olchen An&#x017F;prüchen? Oder welches Recht<lb/>
haben wir, &#x017F;elb&#x017F;t nur von ge&#x017F;tern her, und morgen &#x017F;chon nicht<lb/>
mehr, die ewige Exi&#x017F;tenz die&#x017F;es un&#x017F;eres Wohnortes zu fordern?<lb/>
Haben wir nicht Sterne am Himmel ver&#x017F;chwinden, und ganze<lb/>
Sonnen&#x017F;y&#x017F;teme da&#x017F;elb&#x017F;t auflodern &#x017F;ehen? &#x2014; Welche &#x017F;chreckliche Schau-<lb/>
&#x017F;piele, gegen die un&#x017F;ere Wa&#x017F;&#x017F;erfluthen und Erdbeben, gegen die<lb/>
der Tod von Tau&#x017F;enden in einer wüthenden Schlacht nur als<lb/>
Po&#x017F;&#x017F;en&#x017F;piele er&#x017F;cheinen. Der Untergang einer Sonne mit allen ihren<lb/>
Planeten und Kometen! Dieß erregt un&#x017F;er Ent&#x017F;etzen. &#x2014; Aber der<lb/>
bloß uns &#x017F;o groß er&#x017F;cheinende Unfall kann keine Ausnahme von<lb/>
einem allgemeinen Naturge&#x017F;etze begründen. Er &#x017F;cheint uns nur<lb/>
groß, weil wir &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o klein &#x017F;ind. Dort oben wird mit einem<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0228] Dauer des Weltſyſtems. mit einiger Vollſtändigkeit zu erforſchen. Auch kann, was innere Kräfte nicht vermögen, dereinſt von äußern herbeigeführt werden. Endlich, wenn die vorhergehenden Betrachtungen auf eine Abſicht der Natur, ihr Werk zu erhalten, deuten, wie viele andere Er- ſcheinungen ließen ſich dagegen aufführen, die dieſen unſeren Wün- ſchen und Hoffnungen widerſprechen. Wir ſehen, daß allen Dingen dieſer Erde nur eine, oft ſehr kurze Periode ihres Daſeyns angewieſen iſt, nach welcher ſie alle verſchwinden, und, wenigſtens in dieſer Geſtalt, nicht mehr wieder kommen. Jeder kommende Winter zerſtört die ſchönen Gebilde unſerer Fluren. Zahlreiche Familien und ganze Geſchlechter von Thieren ſind bis auf die letzten Reſte derſelben verſchwunden, und ſelbſt ganze Völkerſchaften, weltbeherrſchende Nationen ziehen vor uns vorüber wie die Bilder eines Schattenſpieles an der Wand, und Alles, Alles was uns hier unten umgibt, wird von dem Strome der Zeit fortgeriſſen, und eilt unaufhaltſam ſeinem Endzuſtande der Auflöſung und Zerſtörung entgegen. Die Erde, die wir betreten, iſt mit den Ruinen der Vorzeit und mit dem Staube von Pflanzen und Thieren bedeckt, und es wird eine Zeit kom- men, wo man über die Pyramiden, wie jetzt über Karthago, hin- gehen wird, ohne eine Spur derſelben zu erblicken. Von dieſem, wie es ſcheint, nicht minder allgemeinen Geſetze der Natur, deren zerſtörende Wirkungen uns von allen Seiten in der Nähe umgeben — ſoll davon dieſe Erde ſelbſt und der über ſie ausgeſpannte Himmel eine Ausnahme machen? Welches Recht hätten ſie zu ſolchen Anſprüchen? Oder welches Recht haben wir, ſelbſt nur von geſtern her, und morgen ſchon nicht mehr, die ewige Exiſtenz dieſes unſeres Wohnortes zu fordern? Haben wir nicht Sterne am Himmel verſchwinden, und ganze Sonnenſyſteme daſelbſt auflodern ſehen? — Welche ſchreckliche Schau- ſpiele, gegen die unſere Waſſerfluthen und Erdbeben, gegen die der Tod von Tauſenden in einer wüthenden Schlacht nur als Poſſenſpiele erſcheinen. Der Untergang einer Sonne mit allen ihren Planeten und Kometen! Dieß erregt unſer Entſetzen. — Aber der bloß uns ſo groß erſcheinende Unfall kann keine Ausnahme von einem allgemeinen Naturgeſetze begründen. Er ſcheint uns nur groß, weil wir ſelbſt ſo klein ſind. Dort oben wird mit einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/228
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/228>, abgerufen am 31.10.2024.