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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

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Allgemeine Schwere.
er das große Gesetz der Natur, daß nämlich alle Körper sich wie
verkehrt das Quadrat ihrer Entfernungen anziehen, gefunden, und
durch die Erscheinungen der Natur selbst nachgewiesen hatte, ging
er mit neuer Kraft an alle die früheren Versuche, die er über
diesen wichtigen Gegenstand von Zeit zu Zeit angestellt hatte.
Er suchte sie unter einander zu verbinden, und aus ihnen die
Erklärungen aller übrigen Phänomene des Himmels abzuleiten.
Er sah bald, daß sich aus der Anwendung des von ihm entdeckten
Gesetzes nicht nur die elliptische Bewegung der Himmelskörper,
sondern auch noch eine große Anzahl von andern Erscheinungen
derselben, von welchen man bisher keinen Grund angeben konnte,
würden ableiten lassen. Allein diese Ableitung, diese weitere Ent-
wicklung jenes obersten Naturgesetzes erforderte einen noch viel
höheren Aufwand von geistiger Kraft, als selbst jene Entdeckung,
und sie ist es eigentlich, wodurch er seine wahre Größe beur-
kundet hat.

Vier Jahre beschäftigte er sich unablässig mit diesen wichti-
gen und schwierigen Entwickelungen, deren Resultate er endlich im
Jahre 1686, also erst zwanzig Jahre nach seiner ersten Idee, in
seinem unsterblichen Werke: Principia philosophiae naturalis
mathematica,
bekannt machte.

§. 39. (Kurze Inhaltsanzeige der Principien.) Dieses größte
Werk von allen, die der menschliche Geist hervorgebracht hat,
handelt zuerst von den krummen Linien, welche die Körper be-
schreiben, wenn sie von gegebenen Kräften getrieben werden.
Unter diesen Problemen wird der Fall der Natur, wo die Central-
kraft sich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung verhält, mit
der ihm gebührenden Umständlichkeit besonders betrachtet. Ferner
wird gezeigt, daß bei diesem Naturgesetze die Anziehung der Ku-
geln auf äußere Punkte sich so verhalte, als wäre ihre anziehende
Kraft, die doch jedem Elemente ihrer Masse zukommen muß, in
dem Mittelpunkte dieser Kugeln vereiniget. Dadurch wird es
erlaubt, die himmlischen Körper, so groß sie auch an sich seyn
mögen, in der Rechnung nur als Punkte zu betrachten, und sich
daher die dabei vorkommenden, sonst unübersteiglichen Schwierig-
keiten ungemein abzukürzen. Da jene anziehende Kraft nicht nur
der Sonne, sondern überhaupt allen Körpern zukömmt, so werden

Allgemeine Schwere.
er das große Geſetz der Natur, daß nämlich alle Körper ſich wie
verkehrt das Quadrat ihrer Entfernungen anziehen, gefunden, und
durch die Erſcheinungen der Natur ſelbſt nachgewieſen hatte, ging
er mit neuer Kraft an alle die früheren Verſuche, die er über
dieſen wichtigen Gegenſtand von Zeit zu Zeit angeſtellt hatte.
Er ſuchte ſie unter einander zu verbinden, und aus ihnen die
Erklärungen aller übrigen Phänomene des Himmels abzuleiten.
Er ſah bald, daß ſich aus der Anwendung des von ihm entdeckten
Geſetzes nicht nur die elliptiſche Bewegung der Himmelskörper,
ſondern auch noch eine große Anzahl von andern Erſcheinungen
derſelben, von welchen man bisher keinen Grund angeben konnte,
würden ableiten laſſen. Allein dieſe Ableitung, dieſe weitere Ent-
wicklung jenes oberſten Naturgeſetzes erforderte einen noch viel
höheren Aufwand von geiſtiger Kraft, als ſelbſt jene Entdeckung,
und ſie iſt es eigentlich, wodurch er ſeine wahre Größe beur-
kundet hat.

Vier Jahre beſchäftigte er ſich unabläſſig mit dieſen wichti-
gen und ſchwierigen Entwickelungen, deren Reſultate er endlich im
Jahre 1686, alſo erſt zwanzig Jahre nach ſeiner erſten Idee, in
ſeinem unſterblichen Werke: Principia philosophiae naturalis
mathematica,
bekannt machte.

§. 39. (Kurze Inhaltsanzeige der Principien.) Dieſes größte
Werk von allen, die der menſchliche Geiſt hervorgebracht hat,
handelt zuerſt von den krummen Linien, welche die Körper be-
ſchreiben, wenn ſie von gegebenen Kräften getrieben werden.
Unter dieſen Problemen wird der Fall der Natur, wo die Central-
kraft ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung verhält, mit
der ihm gebührenden Umſtändlichkeit beſonders betrachtet. Ferner
wird gezeigt, daß bei dieſem Naturgeſetze die Anziehung der Ku-
geln auf äußere Punkte ſich ſo verhalte, als wäre ihre anziehende
Kraft, die doch jedem Elemente ihrer Maſſe zukommen muß, in
dem Mittelpunkte dieſer Kugeln vereiniget. Dadurch wird es
erlaubt, die himmliſchen Körper, ſo groß ſie auch an ſich ſeyn
mögen, in der Rechnung nur als Punkte zu betrachten, und ſich
daher die dabei vorkommenden, ſonſt unüberſteiglichen Schwierig-
keiten ungemein abzukürzen. Da jene anziehende Kraft nicht nur
der Sonne, ſondern überhaupt allen Körpern zukömmt, ſo werden

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[56/0068] Allgemeine Schwere. er das große Geſetz der Natur, daß nämlich alle Körper ſich wie verkehrt das Quadrat ihrer Entfernungen anziehen, gefunden, und durch die Erſcheinungen der Natur ſelbſt nachgewieſen hatte, ging er mit neuer Kraft an alle die früheren Verſuche, die er über dieſen wichtigen Gegenſtand von Zeit zu Zeit angeſtellt hatte. Er ſuchte ſie unter einander zu verbinden, und aus ihnen die Erklärungen aller übrigen Phänomene des Himmels abzuleiten. Er ſah bald, daß ſich aus der Anwendung des von ihm entdeckten Geſetzes nicht nur die elliptiſche Bewegung der Himmelskörper, ſondern auch noch eine große Anzahl von andern Erſcheinungen derſelben, von welchen man bisher keinen Grund angeben konnte, würden ableiten laſſen. Allein dieſe Ableitung, dieſe weitere Ent- wicklung jenes oberſten Naturgeſetzes erforderte einen noch viel höheren Aufwand von geiſtiger Kraft, als ſelbſt jene Entdeckung, und ſie iſt es eigentlich, wodurch er ſeine wahre Größe beur- kundet hat. Vier Jahre beſchäftigte er ſich unabläſſig mit dieſen wichti- gen und ſchwierigen Entwickelungen, deren Reſultate er endlich im Jahre 1686, alſo erſt zwanzig Jahre nach ſeiner erſten Idee, in ſeinem unſterblichen Werke: Principia philosophiae naturalis mathematica, bekannt machte. §. 39. (Kurze Inhaltsanzeige der Principien.) Dieſes größte Werk von allen, die der menſchliche Geiſt hervorgebracht hat, handelt zuerſt von den krummen Linien, welche die Körper be- ſchreiben, wenn ſie von gegebenen Kräften getrieben werden. Unter dieſen Problemen wird der Fall der Natur, wo die Central- kraft ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung verhält, mit der ihm gebührenden Umſtändlichkeit beſonders betrachtet. Ferner wird gezeigt, daß bei dieſem Naturgeſetze die Anziehung der Ku- geln auf äußere Punkte ſich ſo verhalte, als wäre ihre anziehende Kraft, die doch jedem Elemente ihrer Maſſe zukommen muß, in dem Mittelpunkte dieſer Kugeln vereiniget. Dadurch wird es erlaubt, die himmliſchen Körper, ſo groß ſie auch an ſich ſeyn mögen, in der Rechnung nur als Punkte zu betrachten, und ſich daher die dabei vorkommenden, ſonſt unüberſteiglichen Schwierig- keiten ungemein abzukürzen. Da jene anziehende Kraft nicht nur der Sonne, ſondern überhaupt allen Körpern zukömmt, ſo werden

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/68>, abgerufen am 31.10.2024.