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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Erstes Buch
[Spaltenumbruch] wann sie es nicht vorhin wüste: daß er nicht
lange in Deutschland gewesen seyn müste/ al-
wo dieser Schertz gar ungewöhnlich wäre.
Der von den Begierden gantz verblendete Va-
rus gab nur ein Lachen darein/ meldende:
die Römer wären gewohnt insgemein Schertz
und Ernst mit einander zu vermählen; und
möchte sie glauben: seine gegen ihr entglom-
mene Liebe wäre schon zu einem solchen Feu-
er worden: daß sie sich mit denen erstern
Schalen nicht sättigte. Walpurgis zähmte
sich noch und versetzte: Sie könte sich seine
angegebene Meinung nicht bereden lassen/
weil er nichts minder von denen Deutschen/ als
sie von Römern wüste: daß beyderseits zwey-
fache Ehen verdammlich wären. Varus fuhr
alsogleich fort und fing an: Jch bejammere
die Einfalt der Deutschen/ welche der Him-
mel mit übermäßiger Schönheit begabt/ a-
ber mit gebrechender Wissenschafft selbte zu
brauchen gestrafft hat. Sie Römer aber
wüsten: daß die Ehen nicht unaufflößlich;
ein Ehweib auch nur ein Wort der Wür-
de/ nicht der Vergnügung wäre; welche al-
sofort mehr als die Helffte verschwinde/ oder
gar erstickte/ wenn man die Liebe in die Schran-
cken des Ehbettes als in einen Kercker ver-
sperrete; Sintemahl einem für dem leicht
eckelte/ dessen Genüß man täglich in seiner
Gewalt hätte. Die tugendhaffte Walpur-
gis färbte sich über so unverschämtem Gegen-
satze/ und wolte sich des Varus entbrechen;
welcher aber ihr die Hand loß zu lassen wei-
gerte/ und sie also ihm zu sagen nöthigte:
Deutschland hätte ihm so sehr über seiner
Einfalt Glück zu wünschen/ als die wollüsti-
gen Ausländer über ihrer gerühmten Wis-
senschafft sich zu betrüben. Sintemahl kei-
ne reinere Unschuld seyn könte/ als die La-
ster nicht kennen; welchen so viel Gifft an-
klebte: daß ihr Nahme gleichsam anfällig/
wie der Basilisten Auge tödtlich wäre. Da-
[Spaltenumbruch] hero sie ihn ersuchte: daß er ihre als einer
Jungfrauen Ohren mit so ärgerlichen Belei-
digungen verschonen und erwegen solte: wie
in Deutschland auch nur die Versehrung
der Schamhafftigkeit eine ärgere Verletzung
als der Tod/ sie aber/ mit der er redete/ nichts
minder im Gemüthe/ als von Ankunfft ei-
ne Fürstin wäre. Eben dieses/ antworte-
te Varus/ ist alleine erheblich genug/ ihr an-
dere Gedancken einzureden. Denn die Ge-
setze/ welche der Natur und ihren Neigungen
Zwang anthun/ sind für den Pöfel gemacht.
Die blosse Wilkühr der Fürsten aber ist eine
Richtschnur/ welche Gutes und Böses unter-
scheidet. Und der Glantz ihres Ansehens ist
so vermögend einer Schwachheit die Farbe der
Tugend/ als die Sonne einer trüben Wolcke
des Purpers und Goldes anzustreichen. Nie-
drige Gestirne würden nur von andern verfin-
stert/ an die aber/ welche in den obersten Kreissen
stünden/ reichten weder Schatten noch Flecken.
Nichts minder wären die Heldinnen an eine
solche Höhe gesetzet: daß ihre Flamme der Liebe
entweder gar ohne einigen Rauch der Schande
loderten/ oder zum minsten selbte kein irrdisches
Auge zu erkiesen vermöchte. Diese ungebunde-
ne Freyheit nach ihrem Belieben zu leben/ und
von dem andern verbotenen Baume zu essen/
wäre das einige Vorrecht und Vortheil/ die das
Glück ihnen für so viel Sorgen und Schweiß/
womit der Pöfel verschonet würde/ zugeschantzt
hätte. Worinnen die Sitten der Deutschen auch
selbst übereinstimmeten; welche dem gemeinen
Volcke nur eines/ den Fürsten aber mehr Wei-
ber zu heyrathen erlaubten. Die Fürstin Wal-
pur gis unterbrach mit einer nicht geringen Un-
gedult die allen Fürstlichen Häusern verkleiner-
liche Lehre; welche er nach seinen unreinen Ge-
müthsregungen zu erhärten bemühet war. Jst
die Keuschheit/ sagte sie/ nicht das edelste Kleinod
des gantzen weiblichen Geschlechts/ warumb soll
denn der Pöfel sich mit dieser köstlichen Perle

zu

Erſtes Buch
[Spaltenumbruch] wann ſie es nicht vorhin wuͤſte: daß er nicht
lange in Deutſchland geweſen ſeyn muͤſte/ al-
wo dieſer Schertz gar ungewoͤhnlich waͤre.
Der von den Begierden gantz verblendete Va-
rus gab nur ein Lachen darein/ meldende:
die Roͤmer waͤren gewohnt insgemein Schertz
und Ernſt mit einander zu vermaͤhlen; und
moͤchte ſie glauben: ſeine gegen ihr entglom-
mene Liebe waͤre ſchon zu einem ſolchen Feu-
er worden: daß ſie ſich mit denen erſtern
Schalen nicht ſaͤttigte. Walpurgis zaͤhmte
ſich noch und verſetzte: Sie koͤnte ſich ſeine
angegebene Meinung nicht bereden laſſen/
weil er nichts minder von denen Deutſchen/ als
ſie von Roͤmern wuͤſte: daß beyderſeits zwey-
fache Ehen verdammlich waͤren. Varus fuhr
alſogleich fort und fing an: Jch bejammere
die Einfalt der Deutſchen/ welche der Him-
mel mit uͤbermaͤßiger Schoͤnheit begabt/ a-
ber mit gebrechender Wiſſenſchafft ſelbte zu
brauchen geſtrafft hat. Sie Roͤmer aber
wuͤſten: daß die Ehen nicht unauffloͤßlich;
ein Ehweib auch nur ein Wort der Wuͤr-
de/ nicht der Vergnuͤgung waͤre; welche al-
ſofort mehr als die Helffte verſchwinde/ oder
gar erſtickte/ wenn man die Liebe in die Schran-
cken des Ehbettes als in einen Kercker ver-
ſperrete; Sintemahl einem fuͤr dem leicht
eckelte/ deſſen Genuͤß man taͤglich in ſeiner
Gewalt haͤtte. Die tugendhaffte Walpur-
gis faͤrbte ſich uͤber ſo unverſchaͤmtem Gegen-
ſatze/ und wolte ſich des Varus entbrechen;
welcher aber ihr die Hand loß zu laſſen wei-
gerte/ und ſie alſo ihm zu ſagen noͤthigte:
Deutſchland haͤtte ihm ſo ſehr uͤber ſeiner
Einfalt Gluͤck zu wuͤnſchen/ als die wolluͤſti-
gen Auslaͤnder uͤber ihrer geruͤhmten Wiſ-
ſenſchafft ſich zu betruͤben. Sintemahl kei-
ne reinere Unſchuld ſeyn koͤnte/ als die La-
ſter nicht kennen; welchen ſo viel Gifft an-
klebte: daß ihr Nahme gleichſam anfaͤllig/
wie der Baſiliſten Auge toͤdtlich waͤre. Da-
[Spaltenumbruch] hero ſie ihn erſuchte: daß er ihre als einer
Jungfrauen Ohren mit ſo aͤrgerlichen Belei-
digungen verſchonen und erwegen ſolte: wie
in Deutſchland auch nur die Verſehrung
der Schamhafftigkeit eine aͤrgere Verletzung
als der Tod/ ſie aber/ mit der er redete/ nichts
minder im Gemuͤthe/ als von Ankunfft ei-
ne Fuͤrſtin waͤre. Eben dieſes/ antworte-
te Varus/ iſt alleine erheblich genug/ ihr an-
dere Gedancken einzureden. Denn die Ge-
ſetze/ welche der Natur und ihren Neigungen
Zwang anthun/ ſind fuͤr den Poͤfel gemacht.
Die bloſſe Wilkuͤhr der Fuͤrſten aber iſt eine
Richtſchnur/ welche Gutes und Boͤſes unter-
ſcheidet. Und der Glantz ihres Anſehens iſt
ſo vermoͤgend einer Schwachheit die Farbe der
Tugend/ als die Sonne einer truͤben Wolcke
des Purpers und Goldes anzuſtreichen. Nie-
drige Geſtirne wuͤrden nur von andern verfin-
ſtert/ an die aber/ welche in den oberſten Kreiſſen
ſtuͤnden/ reichten weder Schatten noch Flecken.
Nichts minder waͤren die Heldinnen an eine
ſolche Hoͤhe geſetzet: daß ihre Flamme der Liebe
entweder gar ohne einigen Rauch der Schande
loderten/ oder zum minſten ſelbte kein irrdiſches
Auge zu erkieſen vermoͤchte. Dieſe ungebunde-
ne Freyheit nach ihrem Belieben zu leben/ und
von dem andern verbotenen Baume zu eſſen/
waͤre das einige Vorrecht und Vortheil/ die das
Gluͤck ihnen fuͤr ſo viel Sorgen und Schweiß/
womit der Poͤfel verſchonet wuͤrde/ zugeſchantzt
haͤtte. Woriñen die Sitten der Deutſchen auch
ſelbſt uͤbereinſtimmeten; welche dem gemeinen
Volcke nur eines/ den Fuͤrſten aber mehr Wei-
ber zu heyrathen erlaubten. Die Fuͤrſtin Wal-
pur gis unterbrach mit einer nicht geringen Un-
gedult die allen Fuͤrſtlichen Haͤuſern verkleiner-
liche Lehre; welche er nach ſeinen unreinen Ge-
muͤthsregungen zu erhaͤrten bemuͤhet war. Jſt
die Keuſchheit/ ſagte ſie/ nicht das edelſte Kleinod
des gantzen weiblichen Geſchlechts/ warumb ſoll
denn der Poͤfel ſich mit dieſer koͤſtlichen Perle

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[14/0062] Erſtes Buch wann ſie es nicht vorhin wuͤſte: daß er nicht lange in Deutſchland geweſen ſeyn muͤſte/ al- wo dieſer Schertz gar ungewoͤhnlich waͤre. Der von den Begierden gantz verblendete Va- rus gab nur ein Lachen darein/ meldende: die Roͤmer waͤren gewohnt insgemein Schertz und Ernſt mit einander zu vermaͤhlen; und moͤchte ſie glauben: ſeine gegen ihr entglom- mene Liebe waͤre ſchon zu einem ſolchen Feu- er worden: daß ſie ſich mit denen erſtern Schalen nicht ſaͤttigte. Walpurgis zaͤhmte ſich noch und verſetzte: Sie koͤnte ſich ſeine angegebene Meinung nicht bereden laſſen/ weil er nichts minder von denen Deutſchen/ als ſie von Roͤmern wuͤſte: daß beyderſeits zwey- fache Ehen verdammlich waͤren. Varus fuhr alſogleich fort und fing an: Jch bejammere die Einfalt der Deutſchen/ welche der Him- mel mit uͤbermaͤßiger Schoͤnheit begabt/ a- ber mit gebrechender Wiſſenſchafft ſelbte zu brauchen geſtrafft hat. Sie Roͤmer aber wuͤſten: daß die Ehen nicht unauffloͤßlich; ein Ehweib auch nur ein Wort der Wuͤr- de/ nicht der Vergnuͤgung waͤre; welche al- ſofort mehr als die Helffte verſchwinde/ oder gar erſtickte/ wenn man die Liebe in die Schran- cken des Ehbettes als in einen Kercker ver- ſperrete; Sintemahl einem fuͤr dem leicht eckelte/ deſſen Genuͤß man taͤglich in ſeiner Gewalt haͤtte. Die tugendhaffte Walpur- gis faͤrbte ſich uͤber ſo unverſchaͤmtem Gegen- ſatze/ und wolte ſich des Varus entbrechen; welcher aber ihr die Hand loß zu laſſen wei- gerte/ und ſie alſo ihm zu ſagen noͤthigte: Deutſchland haͤtte ihm ſo ſehr uͤber ſeiner Einfalt Gluͤck zu wuͤnſchen/ als die wolluͤſti- gen Auslaͤnder uͤber ihrer geruͤhmten Wiſ- ſenſchafft ſich zu betruͤben. Sintemahl kei- ne reinere Unſchuld ſeyn koͤnte/ als die La- ſter nicht kennen; welchen ſo viel Gifft an- klebte: daß ihr Nahme gleichſam anfaͤllig/ wie der Baſiliſten Auge toͤdtlich waͤre. Da- hero ſie ihn erſuchte: daß er ihre als einer Jungfrauen Ohren mit ſo aͤrgerlichen Belei- digungen verſchonen und erwegen ſolte: wie in Deutſchland auch nur die Verſehrung der Schamhafftigkeit eine aͤrgere Verletzung als der Tod/ ſie aber/ mit der er redete/ nichts minder im Gemuͤthe/ als von Ankunfft ei- ne Fuͤrſtin waͤre. Eben dieſes/ antworte- te Varus/ iſt alleine erheblich genug/ ihr an- dere Gedancken einzureden. Denn die Ge- ſetze/ welche der Natur und ihren Neigungen Zwang anthun/ ſind fuͤr den Poͤfel gemacht. Die bloſſe Wilkuͤhr der Fuͤrſten aber iſt eine Richtſchnur/ welche Gutes und Boͤſes unter- ſcheidet. Und der Glantz ihres Anſehens iſt ſo vermoͤgend einer Schwachheit die Farbe der Tugend/ als die Sonne einer truͤben Wolcke des Purpers und Goldes anzuſtreichen. Nie- drige Geſtirne wuͤrden nur von andern verfin- ſtert/ an die aber/ welche in den oberſten Kreiſſen ſtuͤnden/ reichten weder Schatten noch Flecken. Nichts minder waͤren die Heldinnen an eine ſolche Hoͤhe geſetzet: daß ihre Flamme der Liebe entweder gar ohne einigen Rauch der Schande loderten/ oder zum minſten ſelbte kein irrdiſches Auge zu erkieſen vermoͤchte. Dieſe ungebunde- ne Freyheit nach ihrem Belieben zu leben/ und von dem andern verbotenen Baume zu eſſen/ waͤre das einige Vorrecht und Vortheil/ die das Gluͤck ihnen fuͤr ſo viel Sorgen und Schweiß/ womit der Poͤfel verſchonet wuͤrde/ zugeſchantzt haͤtte. Woriñen die Sitten der Deutſchen auch ſelbſt uͤbereinſtimmeten; welche dem gemeinen Volcke nur eines/ den Fuͤrſten aber mehr Wei- ber zu heyrathen erlaubten. Die Fuͤrſtin Wal- pur gis unterbrach mit einer nicht geringen Un- gedult die allen Fuͤrſtlichen Haͤuſern verkleiner- liche Lehre; welche er nach ſeinen unreinen Ge- muͤthsregungen zu erhaͤrten bemuͤhet war. Jſt die Keuſchheit/ ſagte ſie/ nicht das edelſte Kleinod des gantzen weiblichen Geſchlechts/ warumb ſoll denn der Poͤfel ſich mit dieſer koͤſtlichen Perle zu

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/62>, abgerufen am 31.10.2024.