Ludwig, Otto: Der Erbförster. Band 1: Dramatische Werke. Leipzig, 1853.Der Erbförster. (Nachdem er schon einigemal angesetzt, gedrückt und leise, indem er sievorführt.) Erschrick' nicht. -- Der Robert hat unsern Andres er- schossen und ich -- ich hab' ihn gerichtet. Försterin. Ach Gott! (Sie kann sich kaum mehr halten; sie will nach dem Stuhl; er hält sie fest.) Förster. Ich hab' ihn gerichtet. Wie's dort steht, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich hab' ihn gerichtet, weil die Gerichte nicht recht richten. Sie haben zweierlei Recht und hier steht's: Ihr sollt einerlei Recht haben. Ich hab' ihn nicht gemordet; ich hab' ihn gerichtet. (Er macht Schritte, versinkt; dann wieder an der Stelle, wo er die Försterin noch glaubt, die nach dem Stuhle schleicht.) Aber ich weiß nicht, ob's auch geschehen ist -- das, was geschehen ist. Im Kopf ist mir's so wild und wüst -- (besinnt sich mühsam) aber es ist doch wohl geschehen -- was geschehen ist -- und wie's geschehen sollte -- was ge- schehen ist -- da kommt mir die Marie in die Augen, als stellte sie sich vor ihn und winkte mir zurück und schrie: es ist ja der -- nun der, den Du weißt. Es war dummes Zeug; es war nur in meinen Augen. Auf den Wein geht mir's allemal so, daß ich Dinge seh', die nicht da sind. Und wenn sie's gewesen wär' -- der Schuß war schon nicht mehr in meiner Hand. Försterin. Allmächtiger Gott! (Sie schleppt sich mühsam in Mariens Kammer.) Der Erbförſter. (Nachdem er ſchon einigemal angeſetzt, gedrückt und leiſe, indem er ſievorführt.) Erſchrick’ nicht. — Der Robert hat unſern Andres er- ſchoſſen und ich — ich hab’ ihn gerichtet. Förſterin. Ach Gott! (Sie kann ſich kaum mehr halten; ſie will nach dem Stuhl; er hält ſie feſt.) Förſter. Ich hab’ ihn gerichtet. Wie’s dort ſteht, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich hab’ ihn gerichtet, weil die Gerichte nicht recht richten. Sie haben zweierlei Recht und hier ſteht’s: Ihr ſollt einerlei Recht haben. Ich hab’ ihn nicht gemordet; ich hab’ ihn gerichtet. (Er macht Schritte, verſinkt; dann wieder an der Stelle, wo er die Förſterin noch glaubt, die nach dem Stuhle ſchleicht.) Aber ich weiß nicht, ob’s auch geſchehen iſt — das, was geſchehen iſt. Im Kopf iſt mir’s ſo wild und wüſt — (beſinnt ſich mühſam) aber es iſt doch wohl geſchehen — was geſchehen iſt — und wie’s geſchehen ſollte — was ge- ſchehen iſt — da kommt mir die Marie in die Augen, als ſtellte ſie ſich vor ihn und winkte mir zurück und ſchrie: es iſt ja der — nun der, den Du weißt. Es war dummes Zeug; es war nur in meinen Augen. Auf den Wein geht mir’s allemal ſo, daß ich Dinge ſeh’, die nicht da ſind. Und wenn ſie’s geweſen wär’ — der Schuß war ſchon nicht mehr in meiner Hand. Förſterin. Allmächtiger Gott! (Sie ſchleppt ſich mühſam in Mariens Kammer.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#CHR"> <pb facs="#f0174" n="160"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Erbförſter</hi>.</fw><lb/> <stage>(Nachdem er ſchon einigemal angeſetzt, gedrückt und leiſe, indem er ſie<lb/> vorführt.)</stage><lb/> <p>Erſchrick’ nicht. — Der Robert hat unſern Andres er-<lb/> ſchoſſen und ich — ich hab’ ihn gerichtet.</p> </sp><lb/> <sp who="#SOPH"> <speaker> <hi rendition="#b">Förſterin.</hi> </speaker><lb/> <p>Ach Gott!</p> <stage>(Sie kann ſich kaum mehr halten; ſie will nach<lb/> dem Stuhl; er hält ſie feſt.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#CHR"> <speaker> <hi rendition="#b">Förſter.</hi> </speaker><lb/> <p>Ich hab’ ihn gerichtet. Wie’s dort ſteht, Auge um<lb/> Auge, Zahn um Zahn. Ich hab’ ihn gerichtet, weil die<lb/> Gerichte nicht recht richten. Sie haben zweierlei Recht<lb/> und hier ſteht’s: Ihr ſollt einerlei Recht haben. Ich hab’<lb/> ihn nicht gemordet; ich hab’ ihn gerichtet.</p><lb/> <stage>(Er macht Schritte, verſinkt; dann wieder an der Stelle, wo er die<lb/> Förſterin noch glaubt, die nach dem Stuhle ſchleicht.)</stage><lb/> <p>Aber ich weiß nicht, ob’s auch geſchehen iſt — das, was<lb/> geſchehen iſt. Im Kopf iſt mir’s ſo wild und wüſt —</p><lb/> <stage>(beſinnt ſich mühſam)</stage> <p>aber es iſt doch wohl geſchehen — was<lb/> geſchehen iſt — und wie’s geſchehen ſollte — was ge-<lb/> ſchehen iſt — da kommt mir die Marie in die Augen,<lb/> als ſtellte ſie ſich vor ihn und winkte mir zurück und<lb/> ſchrie: es iſt ja der — nun der, den Du weißt. Es war<lb/> dummes Zeug; es war nur in meinen Augen. Auf den<lb/> Wein geht mir’s allemal ſo, daß ich Dinge ſeh’, die nicht<lb/> da ſind. Und wenn ſie’s geweſen wär’ — der Schuß war<lb/> ſchon nicht mehr in meiner Hand.</p> </sp><lb/> <sp who="#SOPH"> <speaker> <hi rendition="#b">Förſterin.</hi> </speaker><lb/> <p>Allmächtiger Gott!</p> <stage>(Sie ſchleppt ſich mühſam in Mariens<lb/> Kammer.)</stage> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [160/0174]
Der Erbförſter.
(Nachdem er ſchon einigemal angeſetzt, gedrückt und leiſe, indem er ſie
vorführt.)
Erſchrick’ nicht. — Der Robert hat unſern Andres er-
ſchoſſen und ich — ich hab’ ihn gerichtet.
Förſterin.
Ach Gott! (Sie kann ſich kaum mehr halten; ſie will nach
dem Stuhl; er hält ſie feſt.)
Förſter.
Ich hab’ ihn gerichtet. Wie’s dort ſteht, Auge um
Auge, Zahn um Zahn. Ich hab’ ihn gerichtet, weil die
Gerichte nicht recht richten. Sie haben zweierlei Recht
und hier ſteht’s: Ihr ſollt einerlei Recht haben. Ich hab’
ihn nicht gemordet; ich hab’ ihn gerichtet.
(Er macht Schritte, verſinkt; dann wieder an der Stelle, wo er die
Förſterin noch glaubt, die nach dem Stuhle ſchleicht.)
Aber ich weiß nicht, ob’s auch geſchehen iſt — das, was
geſchehen iſt. Im Kopf iſt mir’s ſo wild und wüſt —
(beſinnt ſich mühſam) aber es iſt doch wohl geſchehen — was
geſchehen iſt — und wie’s geſchehen ſollte — was ge-
ſchehen iſt — da kommt mir die Marie in die Augen,
als ſtellte ſie ſich vor ihn und winkte mir zurück und
ſchrie: es iſt ja der — nun der, den Du weißt. Es war
dummes Zeug; es war nur in meinen Augen. Auf den
Wein geht mir’s allemal ſo, daß ich Dinge ſeh’, die nicht
da ſind. Und wenn ſie’s geweſen wär’ — der Schuß war
ſchon nicht mehr in meiner Hand.
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Allmächtiger Gott! (Sie ſchleppt ſich mühſam in Mariens
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