Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieser Schrift- steller, die wir als patriotisch, gründlich, scharfblickend, beredt, vielseitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen Verhältnisse, welche Gäste jeder Art nahe angehen und derent- willen allein Viele den Punkt aufsuchen, gar nicht oder nur oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu sein, so daß jeder Windhauch erfüllt ist von würzigem Athem; ein anderer genießt des seltenen Vorzugs, daß viele seiner Privathäuser villaartig gebaut und mit Gärten umgeben sind; ein dritter streckt sich einem Park entlang, daß die Insassen von Gast- und Privathäusern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen- pflaster zu setzen brauchen, sondern im vertrautesten Umgang mit einer durch Kunst veredelten Natur leben; ein vierter hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von alledem ist entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit nichtssagenden Floskeln abgefertigt, wie "herrliche Wald- spaziergänge", "freundlicher Ort", "Comfort aller Art", tief vergraben in einem Wust geschichtlicher und topographischer Notizen. Ist es Geringschätzung oder im Gegentheil Furcht vor der steigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft, von dem Sie, meine Herren Verfasser, Ihre mineralischen Schützlinge nicht verdunkeln lassen wollen, daß Sie so wenig Nachrichten aus dessen Reich geben? -- Nein, ich errathe, Sie wollen "auch den Schein der Parteilichkeit meiden". Im Interesse der Sache lassen Sie sich beschwören, werfen Sie das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein- gehend über Alles, was zu Gunsten Ihres Curorts spricht.
Oft sucht man in einer dicken Monographie vergebens nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen, ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er ist, ob dieser aus Nadel- oder Laubholz besteht, ob es ausgedehnte Reviere oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beschaffen, ob sie schattig, staubfrei sind u. s. w. Es will uns bedünken, daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet ist, nicht
V. Laienwünſche.
Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieſer Schrift- ſteller, die wir als patriotiſch, gründlich, ſcharfblickend, beredt, vielſeitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen Verhältniſſe, welche Gäſte jeder Art nahe angehen und derent- willen allein Viele den Punkt aufſuchen, gar nicht oder nur oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu ſein, ſo daß jeder Windhauch erfüllt iſt von würzigem Athem; ein anderer genießt des ſeltenen Vorzugs, daß viele ſeiner Privathäuſer villaartig gebaut und mit Gärten umgeben ſind; ein dritter ſtreckt ſich einem Park entlang, daß die Inſaſſen von Gaſt- und Privathäuſern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen- pflaſter zu ſetzen brauchen, ſondern im vertrauteſten Umgang mit einer durch Kunſt veredelten Natur leben; ein vierter hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von alledem iſt entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit nichtsſagenden Floskeln abgefertigt, wie „herrliche Wald- ſpaziergänge“, „freundlicher Ort“, „Comfort aller Art“, tief vergraben in einem Wuſt geſchichtlicher und topographiſcher Notizen. Iſt es Geringſchätzung oder im Gegentheil Furcht vor der ſteigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft, von dem Sie, meine Herren Verfaſſer, Ihre mineraliſchen Schützlinge nicht verdunkeln laſſen wollen, daß Sie ſo wenig Nachrichten aus deſſen Reich geben? — Nein, ich errathe, Sie wollen „auch den Schein der Parteilichkeit meiden“. Im Intereſſe der Sache laſſen Sie ſich beſchwören, werfen Sie das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein- gehend über Alles, was zu Gunſten Ihres Curorts ſpricht.
Oft ſucht man in einer dicken Monographie vergebens nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen, ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er iſt, ob dieſer aus Nadel- oder Laubholz beſteht, ob es ausgedehnte Reviere oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beſchaffen, ob ſie ſchattig, ſtaubfrei ſind u. ſ. w. Es will uns bedünken, daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet iſt, nicht
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V. Laienwünſche.
Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieſer Schrift-
ſteller, die wir als patriotiſch, gründlich, ſcharfblickend, beredt,
vielſeitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen
Verhältniſſe, welche Gäſte jeder Art nahe angehen und derent-
willen allein Viele den Punkt aufſuchen, gar nicht oder nur
oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in
weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu ſein, ſo daß
jeder Windhauch erfüllt iſt von würzigem Athem; ein anderer
genießt des ſeltenen Vorzugs, daß viele ſeiner Privathäuſer
villaartig gebaut und mit Gärten umgeben ſind; ein dritter
ſtreckt ſich einem Park entlang, daß die Inſaſſen von Gaſt-
und Privathäuſern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen-
pflaſter zu ſetzen brauchen, ſondern im vertrauteſten Umgang
mit einer durch Kunſt veredelten Natur leben; ein vierter
hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von
alledem iſt entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit
nichtsſagenden Floskeln abgefertigt, wie „herrliche Wald-
ſpaziergänge“, „freundlicher Ort“, „Comfort aller Art“,
tief vergraben in einem Wuſt geſchichtlicher und topographiſcher
Notizen. Iſt es Geringſchätzung oder im Gegentheil Furcht
vor der ſteigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft,
von dem Sie, meine Herren Verfaſſer, Ihre mineraliſchen
Schützlinge nicht verdunkeln laſſen wollen, daß Sie ſo wenig
Nachrichten aus deſſen Reich geben? — Nein, ich errathe,
Sie wollen „auch den Schein der Parteilichkeit meiden“. Im
Intereſſe der Sache laſſen Sie ſich beſchwören, werfen Sie
das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein-
gehend über Alles, was zu Gunſten Ihres Curorts ſpricht.
Oft ſucht man in einer dicken Monographie vergebens
nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen,
ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er iſt, ob dieſer
aus Nadel- oder Laubholz beſteht, ob es ausgedehnte Reviere
oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beſchaffen, ob
ſie ſchattig, ſtaubfrei ſind u. ſ. w. Es will uns bedünken,
daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet iſt, nicht
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/151>, abgerufen am 17.06.2024.
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