VI. Gegenseitigkeit -- positiver und negativer Pol -- Scorpione.
Ueber den Inhalt der Archive legt ihm sein Interesse Ver- schwiegenheit auf. Ich fürchte, der Mann wird nur solche Collegen empfehlen, die ihm den gleichen Liebesdienst erweisen, mögen sie es verdienen oder nicht.
-- Fürchten Sie nichts, Zögling, verlassen Sie sich vielmehr darauf, daß gerade die Rücksicht auf Gegenseitigkeit Alles hinlänglich regulirt. Eben weil der Andere sich nicht in den Schatten stellen will, ist in jenem Falle von ihm keine Reciprocität zu erwarten und feurige Kohlen auf Häupter zu sammeln kommt im Geschäftsleben wenig vor. Nun will ich zwar nicht dafür bürgen, daß jeder Gelbschnabel, wenn er z. B. von Bremen zu Lande nach Neapel reisen und auf die beschriebene Weise sich nur von einer Wirthshand in die andere legen lassen wollte, ohne blaue Flecken dort ankommen würde, die überall gedruckte Lehre jedoch, nichts darauf zu geben, was ein Gastwirth über den andern sagt, ist grund- falsch, im Gegentheil das immer noch der beste Compaß, wenn nur sein positiver und negativer Pol gehörig unter- schieden, d. h. Empfehlungen, die von Leuten ausgehen, welche selbst keine verdienen, als Warnungen betrachtet werden. So pflege ich denn meinen jeweiligen Wirth stets nach Gasthof- adressen in mehren nächsten Rastpunkten zu fragen und davon Vormerkung zu nehmen; erweist sich bei der Abreise die Rechnung übertrieben, oder war ich unzufrieden mit der Be- wirthung, so setze ich zu seiner Firma ein , das Zeichen des Scorpions, und zu den von ihm genannten ein "?" -- dies ist das ABC meiner Steuermannskunst.
In Anlage und Ausstattung der Gasthöfe gibt sich nur zu oft dasselbe, den eigenen Vortheil verkennende Streben der Besitzer kund, wie in der Behandlung mancher Badeorte von Seiten der Vorstände: für leeren Schimmer werden Tausende geopfert, hingegen geknickert, wo es sich um Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit handelt. Ein großer Hotelier, mit dem ich einst darüber sprach, gestand mir unverhohlen, durch diese Eleganz wolle er "noble Herrschaften" anziehen, an "kleinen
VI. Gegenſeitigkeit — poſitiver und negativer Pol — Scorpione.
Ueber den Inhalt der Archive legt ihm ſein Intereſſe Ver- ſchwiegenheit auf. Ich fürchte, der Mann wird nur ſolche Collegen empfehlen, die ihm den gleichen Liebesdienſt erweiſen, mögen ſie es verdienen oder nicht.
— Fürchten Sie nichts, Zögling, verlaſſen Sie ſich vielmehr darauf, daß gerade die Rückſicht auf Gegenſeitigkeit Alles hinlänglich regulirt. Eben weil der Andere ſich nicht in den Schatten ſtellen will, iſt in jenem Falle von ihm keine Reciprocität zu erwarten und feurige Kohlen auf Häupter zu ſammeln kommt im Geſchäftsleben wenig vor. Nun will ich zwar nicht dafür bürgen, daß jeder Gelbſchnabel, wenn er z. B. von Bremen zu Lande nach Neapel reiſen und auf die beſchriebene Weiſe ſich nur von einer Wirthshand in die andere legen laſſen wollte, ohne blaue Flecken dort ankommen würde, die überall gedruckte Lehre jedoch, nichts darauf zu geben, was ein Gaſtwirth über den andern ſagt, iſt grund- falſch, im Gegentheil das immer noch der beſte Compaß, wenn nur ſein poſitiver und negativer Pol gehörig unter- ſchieden, d. h. Empfehlungen, die von Leuten ausgehen, welche ſelbſt keine verdienen, als Warnungen betrachtet werden. So pflege ich denn meinen jeweiligen Wirth ſtets nach Gaſthof- adreſſen in mehren nächſten Raſtpunkten zu fragen und davon Vormerkung zu nehmen; erweiſt ſich bei der Abreiſe die Rechnung übertrieben, oder war ich unzufrieden mit der Be- wirthung, ſo ſetze ich zu ſeiner Firma ein ♏, das Zeichen des Scorpions, und zu den von ihm genannten ein „?“ — dies iſt das ABC meiner Steuermannskunſt.
In Anlage und Ausſtattung der Gaſthöfe gibt ſich nur zu oft daſſelbe, den eigenen Vortheil verkennende Streben der Beſitzer kund, wie in der Behandlung mancher Badeorte von Seiten der Vorſtände: für leeren Schimmer werden Tauſende geopfert, hingegen geknickert, wo es ſich um Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit handelt. Ein großer Hôtelier, mit dem ich einſt darüber ſprach, geſtand mir unverhohlen, durch dieſe Eleganz wolle er „noble Herrſchaften“ anziehen, an „kleinen
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VI. Gegenſeitigkeit — poſitiver und negativer Pol — Scorpione.
Ueber den Inhalt der Archive legt ihm ſein Intereſſe Ver-
ſchwiegenheit auf. Ich fürchte, der Mann wird nur ſolche
Collegen empfehlen, die ihm den gleichen Liebesdienſt erweiſen,
mögen ſie es verdienen oder nicht.
— Fürchten Sie nichts, Zögling, verlaſſen Sie ſich
vielmehr darauf, daß gerade die Rückſicht auf Gegenſeitigkeit
Alles hinlänglich regulirt. Eben weil der Andere ſich nicht
in den Schatten ſtellen will, iſt in jenem Falle von ihm keine
Reciprocität zu erwarten und feurige Kohlen auf Häupter
zu ſammeln kommt im Geſchäftsleben wenig vor. Nun will
ich zwar nicht dafür bürgen, daß jeder Gelbſchnabel, wenn
er z. B. von Bremen zu Lande nach Neapel reiſen und auf
die beſchriebene Weiſe ſich nur von einer Wirthshand in die
andere legen laſſen wollte, ohne blaue Flecken dort ankommen
würde, die überall gedruckte Lehre jedoch, nichts darauf zu
geben, was ein Gaſtwirth über den andern ſagt, iſt grund-
falſch, im Gegentheil das immer noch der beſte Compaß,
wenn nur ſein poſitiver und negativer Pol gehörig unter-
ſchieden, d. h. Empfehlungen, die von Leuten ausgehen, welche
ſelbſt keine verdienen, als Warnungen betrachtet werden. So
pflege ich denn meinen jeweiligen Wirth ſtets nach Gaſthof-
adreſſen in mehren nächſten Raſtpunkten zu fragen und davon
Vormerkung zu nehmen; erweiſt ſich bei der Abreiſe die
Rechnung übertrieben, oder war ich unzufrieden mit der Be-
wirthung, ſo ſetze ich zu ſeiner Firma ein ♏, das Zeichen
des Scorpions, und zu den von ihm genannten ein „?“ —
dies iſt das ABC meiner Steuermannskunſt.
In Anlage und Ausſtattung der Gaſthöfe gibt ſich nur
zu oft daſſelbe, den eigenen Vortheil verkennende Streben der
Beſitzer kund, wie in der Behandlung mancher Badeorte von
Seiten der Vorſtände: für leeren Schimmer werden Tauſende
geopfert, hingegen geknickert, wo es ſich um Zweckmäßigkeit
und Bequemlichkeit handelt. Ein großer Hôtelier, mit dem
ich einſt darüber ſprach, geſtand mir unverhohlen, durch dieſe
Eleganz wolle er „noble Herrſchaften“ anziehen, an „kleinen
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/183>, abgerufen am 17.06.2024.
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