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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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dessen weißgelockten Scheitel er mit Küssen deckt. Auch
bei den Uebrigen war Freude und Verwunderung groß;
sie hatten den gnädigen Herrn noch hinter Berg und
Thal gedacht, und er erzählte nun, wie ein Ungefähr
ihn früher heimgeführt, wie man ihm gestern Abend
spät bei seiner Ankunft gesagt, daß der Maler ange-
kommen, und wie er denn kaum habe erwarten kön-
nen, denselben zu begrüßen.

Es macht bei solchen Veranlassungen eine beson-
ders angenehme Empfindung, zu bemerken, wie Freunde,
zumal ältere Personen, welche man geraume Zeit nicht
gesehn, gewisse äußerliche Eigenthümlichkeiten, gewohnte
Liebhabereien, unverändert beibehielten; dieß Beharren
gewährt uns eine Art von Versicherung für unser eignes
Daseyn, denn indem wir in den Alten das Leben,
das diese so eifrig festhalten, doppelt liebgewinnen,
finden wir Jüngere uns zugleich in unsern Ansprü-
chen darauf und in einem herzhaften Genusse dessel-
ben bestärkt. So hatte der Baron bei diesem Besuche
seinen gewohnten Morgenspaziergang, den er seit vie-
len Jahren immer zur selben Stunde machte, im Aug',
so stellte er sein Rohr noch wie sonst in die Ecke zwi-
schen den Ofen und den Gewehrschrank, noch immer
hatte er die unmodisch steifen Halsbinden, die an seine
frühere militärische Haltung erinnerten, nicht abge-
schafft. Aber zum peinlichen Mitleiden wird unsre
frohe Rührung umgestimmt, wenn man wahrnehmen
muß, daß dergleichen Alles nur noch der Schein des

deſſen weißgelockten Scheitel er mit Küſſen deckt. Auch
bei den Uebrigen war Freude und Verwunderung groß;
ſie hatten den gnädigen Herrn noch hinter Berg und
Thal gedacht, und er erzählte nun, wie ein Ungefähr
ihn früher heimgeführt, wie man ihm geſtern Abend
ſpät bei ſeiner Ankunft geſagt, daß der Maler ange-
kommen, und wie er denn kaum habe erwarten kön-
nen, denſelben zu begrüßen.

Es macht bei ſolchen Veranlaſſungen eine beſon-
ders angenehme Empfindung, zu bemerken, wie Freunde,
zumal ältere Perſonen, welche man geraume Zeit nicht
geſehn, gewiſſe äußerliche Eigenthümlichkeiten, gewohnte
Liebhabereien, unverändert beibehielten; dieß Beharren
gewährt uns eine Art von Verſicherung für unſer eignes
Daſeyn, denn indem wir in den Alten das Leben,
das dieſe ſo eifrig feſthalten, doppelt liebgewinnen,
finden wir Jüngere uns zugleich in unſern Anſprü-
chen darauf und in einem herzhaften Genuſſe deſſel-
ben beſtärkt. So hatte der Baron bei dieſem Beſuche
ſeinen gewohnten Morgenſpaziergang, den er ſeit vie-
len Jahren immer zur ſelben Stunde machte, im Aug’,
ſo ſtellte er ſein Rohr noch wie ſonſt in die Ecke zwi-
ſchen den Ofen und den Gewehrſchrank, noch immer
hatte er die unmodiſch ſteifen Halsbinden, die an ſeine
frühere militäriſche Haltung erinnerten, nicht abge-
ſchafft. Aber zum peinlichen Mitleiden wird unſre
frohe Rührung umgeſtimmt, wenn man wahrnehmen
muß, daß dergleichen Alles nur noch der Schein des

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[415/0101] deſſen weißgelockten Scheitel er mit Küſſen deckt. Auch bei den Uebrigen war Freude und Verwunderung groß; ſie hatten den gnädigen Herrn noch hinter Berg und Thal gedacht, und er erzählte nun, wie ein Ungefähr ihn früher heimgeführt, wie man ihm geſtern Abend ſpät bei ſeiner Ankunft geſagt, daß der Maler ange- kommen, und wie er denn kaum habe erwarten kön- nen, denſelben zu begrüßen. Es macht bei ſolchen Veranlaſſungen eine beſon- ders angenehme Empfindung, zu bemerken, wie Freunde, zumal ältere Perſonen, welche man geraume Zeit nicht geſehn, gewiſſe äußerliche Eigenthümlichkeiten, gewohnte Liebhabereien, unverändert beibehielten; dieß Beharren gewährt uns eine Art von Verſicherung für unſer eignes Daſeyn, denn indem wir in den Alten das Leben, das dieſe ſo eifrig feſthalten, doppelt liebgewinnen, finden wir Jüngere uns zugleich in unſern Anſprü- chen darauf und in einem herzhaften Genuſſe deſſel- ben beſtärkt. So hatte der Baron bei dieſem Beſuche ſeinen gewohnten Morgenſpaziergang, den er ſeit vie- len Jahren immer zur ſelben Stunde machte, im Aug’, ſo ſtellte er ſein Rohr noch wie ſonſt in die Ecke zwi- ſchen den Ofen und den Gewehrſchrank, noch immer hatte er die unmodiſch ſteifen Halsbinden, die an ſeine frühere militäriſche Haltung erinnerten, nicht abge- ſchafft. Aber zum peinlichen Mitleiden wird unſre frohe Rührung umgeſtimmt, wenn man wahrnehmen muß, daß dergleichen Alles nur noch der Schein des

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/101>, abgerufen am 20.05.2024.