verlust, mit der möglichsten Ersparung überflüßiger Hände und mit der größten Ordnung geschehen konnten; und die Spinnstube war in ihrer Anlage so vollkommen, daß man durch dieselben auf einmal so viele Absichten erreichte, als möglicher Weise erreichet werden konnten.
Nicht weit von dieser glücklichen Familie lebte Arist; der einzige Sohn seiner Eltern, und der frühe Erbe eines ziemlichen Vermögens. Als ein Knabe und hübscher Junge war er oft zu Selinden in die Spinnstube gekommen, und hatte manche schöne Birn darinn gegessen, welche sie ihm ge- schälet hatte. Nach seiner Eltern Tode aber war er auf Rei- sen gegangen, und hatte die große Welt in ihrer ganzen Pracht betrachtet. Er verstand die Baukunst, hatte Ge- schmack und einen natürlichen Hang zum Ueberflüßigen, wel- chen er in seiner ersten Jugend nicht verbergen konnte, da er schon nicht anders als mit einem Federhute in die Kirche ge- hen wollte. Man wird daher leicht schliessen, daß er bey seiner Wiederkunft jene eingeschränkte Wirthschaft nicht von ihrer besten Seite betrachtet und die Spinnstube seiner Mut- ter in einen Vorsaal verändert habe. Jedoch war er nichts weniger als verderbt. Er war ein billiger und vernünftiger Mann geworden, und sein einziger Fehler schien zu seyn, daß er die edle Einfalt als etwas niedriges betrachtete und sich ei- nes braunen Tuchs schämte, wenn andre in goldgesticktem Scharlach über ihn triumphirten.
Seine Eltern hatten seine frühe Neigung zu Selinden gern gesehen, und die ihrigen wünschten ebenfalls eine Ver- bindung, welche allen Theilen eine vollkommene Zufrieden- heit versprach. Seinen Wünschen setzte sich also nichts entge- gen; und so viele Schönheiten als er auch auswärts gesehen hatte, so war ihm doch nichts vorgekommen, welches ihre
Rei-
Die Spinnſtube,
verluſt, mit der moͤglichſten Erſparung uͤberfluͤßiger Haͤnde und mit der groͤßten Ordnung geſchehen konnten; und die Spinnſtube war in ihrer Anlage ſo vollkommen, daß man durch dieſelben auf einmal ſo viele Abſichten erreichte, als moͤglicher Weiſe erreichet werden konnten.
Nicht weit von dieſer gluͤcklichen Familie lebte Ariſt; der einzige Sohn ſeiner Eltern, und der fruͤhe Erbe eines ziemlichen Vermoͤgens. Als ein Knabe und huͤbſcher Junge war er oft zu Selinden in die Spinnſtube gekommen, und hatte manche ſchoͤne Birn darinn gegeſſen, welche ſie ihm ge- ſchaͤlet hatte. Nach ſeiner Eltern Tode aber war er auf Rei- ſen gegangen, und hatte die große Welt in ihrer ganzen Pracht betrachtet. Er verſtand die Baukunſt, hatte Ge- ſchmack und einen natuͤrlichen Hang zum Ueberfluͤßigen, wel- chen er in ſeiner erſten Jugend nicht verbergen konnte, da er ſchon nicht anders als mit einem Federhute in die Kirche ge- hen wollte. Man wird daher leicht ſchlieſſen, daß er bey ſeiner Wiederkunft jene eingeſchraͤnkte Wirthſchaft nicht von ihrer beſten Seite betrachtet und die Spinnſtube ſeiner Mut- ter in einen Vorſaal veraͤndert habe. Jedoch war er nichts weniger als verderbt. Er war ein billiger und vernuͤnftiger Mann geworden, und ſein einziger Fehler ſchien zu ſeyn, daß er die edle Einfalt als etwas niedriges betrachtete und ſich ei- nes braunen Tuchs ſchaͤmte, wenn andre in goldgeſticktem Scharlach uͤber ihn triumphirten.
Seine Eltern hatten ſeine fruͤhe Neigung zu Selinden gern geſehen, und die ihrigen wuͤnſchten ebenfalls eine Ver- bindung, welche allen Theilen eine vollkommene Zufrieden- heit verſprach. Seinen Wuͤnſchen ſetzte ſich alſo nichts entge- gen; und ſo viele Schoͤnheiten als er auch auswaͤrts geſehen hatte, ſo war ihm doch nichts vorgekommen, welches ihre
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[44/0062]
Die Spinnſtube,
verluſt, mit der moͤglichſten Erſparung uͤberfluͤßiger Haͤnde
und mit der groͤßten Ordnung geſchehen konnten; und die
Spinnſtube war in ihrer Anlage ſo vollkommen, daß man
durch dieſelben auf einmal ſo viele Abſichten erreichte, als
moͤglicher Weiſe erreichet werden konnten.
Nicht weit von dieſer gluͤcklichen Familie lebte Ariſt;
der einzige Sohn ſeiner Eltern, und der fruͤhe Erbe eines
ziemlichen Vermoͤgens. Als ein Knabe und huͤbſcher Junge
war er oft zu Selinden in die Spinnſtube gekommen, und
hatte manche ſchoͤne Birn darinn gegeſſen, welche ſie ihm ge-
ſchaͤlet hatte. Nach ſeiner Eltern Tode aber war er auf Rei-
ſen gegangen, und hatte die große Welt in ihrer ganzen
Pracht betrachtet. Er verſtand die Baukunſt, hatte Ge-
ſchmack und einen natuͤrlichen Hang zum Ueberfluͤßigen, wel-
chen er in ſeiner erſten Jugend nicht verbergen konnte, da er
ſchon nicht anders als mit einem Federhute in die Kirche ge-
hen wollte. Man wird daher leicht ſchlieſſen, daß er bey
ſeiner Wiederkunft jene eingeſchraͤnkte Wirthſchaft nicht von
ihrer beſten Seite betrachtet und die Spinnſtube ſeiner Mut-
ter in einen Vorſaal veraͤndert habe. Jedoch war er nichts
weniger als verderbt. Er war ein billiger und vernuͤnftiger
Mann geworden, und ſein einziger Fehler ſchien zu ſeyn, daß
er die edle Einfalt als etwas niedriges betrachtete und ſich ei-
nes braunen Tuchs ſchaͤmte, wenn andre in goldgeſticktem
Scharlach uͤber ihn triumphirten.
Seine Eltern hatten ſeine fruͤhe Neigung zu Selinden
gern geſehen, und die ihrigen wuͤnſchten ebenfalls eine Ver-
bindung, welche allen Theilen eine vollkommene Zufrieden-
heit verſprach. Seinen Wuͤnſchen ſetzte ſich alſo nichts entge-
gen; und ſo viele Schoͤnheiten als er auch auswaͤrts geſehen
hatte, ſo war ihm doch nichts vorgekommen, welches ihre
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/62>, abgerufen am 17.06.2024.
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