XXIII. Ein neues Ziel für die deutschen Wochenschriften, von einem Frauenzimmer.
Ich weiß nicht woran es liegt allein mit der ewigen Sit- tenlehre, sie mag nun aus einem harten oder weichen Ton gesungen werden, wird doch in der That so vieles nicht ausgerichtet, als sich die Herru Verleger und ihre gelehrten Taglöhner vorstellen. Wenns recht hoch kommt: so ließt und lobt man sie, und duldet den neuen Noman so lange auf der Toilette, bis ihn ein neuerer verdringt. Es geht mir wenigstens damit wie mit vielen andern Dingen, wor- an die Vernunft den mehresten Antheil nimmt. Diese wärmt das Herz wohl ein bisgen in dem Augenblicke, wo- rin man ihr Gehör giebt; aber das geringste Lüftgen kühlt es auch wieder ab, und man genießt ihrer so nicht recht, wie es die Bedürfniß erfordert.
Der Mensch scheint mir eine mächtigere Reitzung zum Guten, als diese, zu erfordern, eine Reitzung die ihn in Bewegung setzt, ihn hebt, erhitzt, und zu grossen und kühnen Unternehmungen begeistert; eine Reitzung, die ei- ner grossen Gefahr, einem wichtigen Vortheile oder einer Entscheidung gleicht, wovon Ehre und Gut abhangt; die alle seine Kräfte aufbietet, und ihm in sich selbst Entde- ckungen von Eigenschaften machen läßt, wovon er in sei- ner vorigen Stille kaum eine Vermuthung hatte. Nie habe ich lebhafter gedacht und mächtiger empfundeu, als zu der Zeit, wie mein erster Geliebter, ein Officier, fürs Va-
terland
Ein neues Ziel,
XXIII. Ein neues Ziel fuͤr die deutſchen Wochenſchriften, von einem Frauenzimmer.
Ich weiß nicht woran es liegt allein mit der ewigen Sit- tenlehre, ſie mag nun aus einem harten oder weichen Ton geſungen werden, wird doch in der That ſo vieles nicht ausgerichtet, als ſich die Herru Verleger und ihre gelehrten Tagloͤhner vorſtellen. Wenns recht hoch kommt: ſo ließt und lobt man ſie, und duldet den neuen Noman ſo lange auf der Toilette, bis ihn ein neuerer verdringt. Es geht mir wenigſtens damit wie mit vielen andern Dingen, wor- an die Vernunft den mehreſten Antheil nimmt. Dieſe waͤrmt das Herz wohl ein bisgen in dem Augenblicke, wo- rin man ihr Gehoͤr giebt; aber das geringſte Luͤftgen kuͤhlt es auch wieder ab, und man genießt ihrer ſo nicht recht, wie es die Beduͤrfniß erfordert.
Der Menſch ſcheint mir eine maͤchtigere Reitzung zum Guten, als dieſe, zu erfordern, eine Reitzung die ihn in Bewegung ſetzt, ihn hebt, erhitzt, und zu groſſen und kuͤhnen Unternehmungen begeiſtert; eine Reitzung, die ei- ner groſſen Gefahr, einem wichtigen Vortheile oder einer Entſcheidung gleicht, wovon Ehre und Gut abhangt; die alle ſeine Kraͤfte aufbietet, und ihm in ſich ſelbſt Entde- ckungen von Eigenſchaften machen laͤßt, wovon er in ſei- ner vorigen Stille kaum eine Vermuthung hatte. Nie habe ich lebhafter gedacht und maͤchtiger empfundeu, als zu der Zeit, wie mein erſter Geliebter, ein Officier, fuͤrs Va-
terland
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Ein neues Ziel,
XXIII.
Ein neues Ziel
fuͤr die deutſchen Wochenſchriften,
von
einem Frauenzimmer.
Ich weiß nicht woran es liegt allein mit der ewigen Sit-
tenlehre, ſie mag nun aus einem harten oder weichen
Ton geſungen werden, wird doch in der That ſo vieles nicht
ausgerichtet, als ſich die Herru Verleger und ihre gelehrten
Tagloͤhner vorſtellen. Wenns recht hoch kommt: ſo ließt
und lobt man ſie, und duldet den neuen Noman ſo lange
auf der Toilette, bis ihn ein neuerer verdringt. Es geht
mir wenigſtens damit wie mit vielen andern Dingen, wor-
an die Vernunft den mehreſten Antheil nimmt. Dieſe
waͤrmt das Herz wohl ein bisgen in dem Augenblicke, wo-
rin man ihr Gehoͤr giebt; aber das geringſte Luͤftgen kuͤhlt
es auch wieder ab, und man genießt ihrer ſo nicht recht,
wie es die Beduͤrfniß erfordert.
Der Menſch ſcheint mir eine maͤchtigere Reitzung zum
Guten, als dieſe, zu erfordern, eine Reitzung die ihn in
Bewegung ſetzt, ihn hebt, erhitzt, und zu groſſen und
kuͤhnen Unternehmungen begeiſtert; eine Reitzung, die ei-
ner groſſen Gefahr, einem wichtigen Vortheile oder einer
Entſcheidung gleicht, wovon Ehre und Gut abhangt; die
alle ſeine Kraͤfte aufbietet, und ihm in ſich ſelbſt Entde-
ckungen von Eigenſchaften machen laͤßt, wovon er in ſei-
ner vorigen Stille kaum eine Vermuthung hatte. Nie habe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/100>, abgerufen am 31.10.2024.
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