Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Politik im Unglück.
genblick, den ich mir zu Nutze mache, verschafft mir dieselbe,
und ich lasse nicht viele ungenutzt vorüber. Die Ordnung,
diese edle Freundin des Fleisses, macht alle diese kleinen
Gewinne beständig sichtbar, und ich gefalle darin mir selbst
und meinem Manne so sehr, daß wir uns nicht begegnen,
ohne einander darüber etwas verbindliches zu sagen. Es
war eine Zeit, wo ich mich wunderte, wie die Leute in nie-
drigen Ständen, ohne Gesellschaft und Spiel, ohne Ope-
ra und Comödie, ohne Lustfahrten und Lectüre einen Tag
wie den andern zubringen könnten, da man doch bey jenen
grossen Lustbarkeiten oft die gröste Langeweile hätte, und
ein herzliches Vergnügen sehr oft vergeblich suchte. Ich
finde aber, daß der häusliche Trieb etwas zu ersparen und
zu gewinnen, und von diesem Gewinnste mit Ordnung wohl
zu thun, die Quelle des reinsten, stillesten und dauerhafte-
sten Vergnügens sey. Er erhält einen in beständiger Be-
schäftigung, verbannet auch die kleinste Langeweile, führet
seine Belohnung fast immer mit sich, versüßt jede Mühe,
erweckt und befriediget wahre Bedürfnisse, schmeichelt ei-
nem auf die unschuldigste Art, und macht jeden Morgen
nach einem sorgenfreyen Schlafe heiter. Ein schöner Ap-
fel und ein frisch gelegtes weisses Ey ergötzet mich länger,
als alle Schönheiten der Natur aus dem Kasten der Dich-
ter; und eine Nadel, die ich finde, macht mir eine kleine
obgleich unvermerkte Freude. Jede Nath, die ich fertig
gemacht habe, ist für mich eine Frühlingsblume, und der
Beyfall, den ich darüber von meinem Manne erhalte, ist
die süsseste Schmeicheley. Nützliche Arbeiten geben zugleich
mehr Stof zu Unterredungen, als alle Thorheiten der Stadt,
und das unschuldige Spiel meiner Kinder nährt meine Seele
mehr, als die beste Operette. Habe ich vollends ein Brät-
gen mit einem Freunde zu theilen: so verachte ich alle Ta-
feln unsrer fürstlichen Verschwender ...

Was
C 5

Die Politik im Ungluͤck.
genblick, den ich mir zu Nutze mache, verſchafft mir dieſelbe,
und ich laſſe nicht viele ungenutzt voruͤber. Die Ordnung,
dieſe edle Freundin des Fleiſſes, macht alle dieſe kleinen
Gewinne beſtaͤndig ſichtbar, und ich gefalle darin mir ſelbſt
und meinem Manne ſo ſehr, daß wir uns nicht begegnen,
ohne einander daruͤber etwas verbindliches zu ſagen. Es
war eine Zeit, wo ich mich wunderte, wie die Leute in nie-
drigen Staͤnden, ohne Geſellſchaft und Spiel, ohne Ope-
ra und Comoͤdie, ohne Luſtfahrten und Lectuͤre einen Tag
wie den andern zubringen koͤnnten, da man doch bey jenen
groſſen Luſtbarkeiten oft die groͤſte Langeweile haͤtte, und
ein herzliches Vergnuͤgen ſehr oft vergeblich ſuchte. Ich
finde aber, daß der haͤusliche Trieb etwas zu erſparen und
zu gewinnen, und von dieſem Gewinnſte mit Ordnung wohl
zu thun, die Quelle des reinſten, ſtilleſten und dauerhafte-
ſten Vergnuͤgens ſey. Er erhaͤlt einen in beſtaͤndiger Be-
ſchaͤftigung, verbannet auch die kleinſte Langeweile, fuͤhret
ſeine Belohnung faſt immer mit ſich, verſuͤßt jede Muͤhe,
erweckt und befriediget wahre Beduͤrfniſſe, ſchmeichelt ei-
nem auf die unſchuldigſte Art, und macht jeden Morgen
nach einem ſorgenfreyen Schlafe heiter. Ein ſchoͤner Ap-
fel und ein friſch gelegtes weiſſes Ey ergoͤtzet mich laͤnger,
als alle Schoͤnheiten der Natur aus dem Kaſten der Dich-
ter; und eine Nadel, die ich finde, macht mir eine kleine
obgleich unvermerkte Freude. Jede Nath, die ich fertig
gemacht habe, iſt fuͤr mich eine Fruͤhlingsblume, und der
Beyfall, den ich daruͤber von meinem Manne erhalte, iſt
die ſuͤſſeſte Schmeicheley. Nuͤtzliche Arbeiten geben zugleich
mehr Stof zu Unterredungen, als alle Thorheiten der Stadt,
und das unſchuldige Spiel meiner Kinder naͤhrt meine Seele
mehr, als die beſte Operette. Habe ich vollends ein Braͤt-
gen mit einem Freunde zu theilen: ſo verachte ich alle Ta-
feln unſrer fuͤrſtlichen Verſchwender …

Was
C 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="41"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Politik im Unglu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
genblick, den ich mir zu Nutze mache, ver&#x017F;chafft mir die&#x017F;elbe,<lb/>
und ich la&#x017F;&#x017F;e nicht viele ungenutzt voru&#x0364;ber. Die Ordnung,<lb/>
die&#x017F;e edle Freundin des Flei&#x017F;&#x017F;es, macht alle die&#x017F;e kleinen<lb/>
Gewinne be&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;ichtbar, und ich gefalle darin mir &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und meinem Manne &#x017F;o &#x017F;ehr, daß wir uns nicht begegnen,<lb/>
ohne einander daru&#x0364;ber etwas verbindliches zu &#x017F;agen. Es<lb/>
war eine Zeit, wo ich mich wunderte, wie die Leute in nie-<lb/>
drigen Sta&#x0364;nden, ohne Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und Spiel, ohne Ope-<lb/>
ra und Como&#x0364;die, ohne Lu&#x017F;tfahrten und Lectu&#x0364;re einen Tag<lb/>
wie den andern zubringen ko&#x0364;nnten, da man doch bey jenen<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Lu&#x017F;tbarkeiten oft die gro&#x0364;&#x017F;te Langeweile ha&#x0364;tte, und<lb/>
ein herzliches Vergnu&#x0364;gen &#x017F;ehr oft vergeblich &#x017F;uchte. Ich<lb/>
finde aber, daß der ha&#x0364;usliche Trieb etwas zu er&#x017F;paren und<lb/>
zu gewinnen, und von die&#x017F;em Gewinn&#x017F;te mit Ordnung wohl<lb/>
zu thun, die Quelle des rein&#x017F;ten, &#x017F;tille&#x017F;ten und dauerhafte-<lb/>
&#x017F;ten Vergnu&#x0364;gens &#x017F;ey. Er erha&#x0364;lt einen in be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigung, verbannet auch die klein&#x017F;te Langeweile, fu&#x0364;hret<lb/>
&#x017F;eine Belohnung fa&#x017F;t immer mit &#x017F;ich, ver&#x017F;u&#x0364;ßt jede Mu&#x0364;he,<lb/>
erweckt und befriediget wahre Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;chmeichelt ei-<lb/>
nem auf die un&#x017F;chuldig&#x017F;te Art, und macht jeden Morgen<lb/>
nach einem &#x017F;orgenfreyen Schlafe heiter. Ein &#x017F;cho&#x0364;ner Ap-<lb/>
fel und ein fri&#x017F;ch gelegtes wei&#x017F;&#x017F;es Ey ergo&#x0364;tzet mich la&#x0364;nger,<lb/>
als alle Scho&#x0364;nheiten der Natur aus dem Ka&#x017F;ten der Dich-<lb/>
ter; und eine Nadel, die ich finde, macht mir eine kleine<lb/>
obgleich unvermerkte Freude. Jede Nath, die ich fertig<lb/>
gemacht habe, i&#x017F;t fu&#x0364;r mich eine Fru&#x0364;hlingsblume, und der<lb/>
Beyfall, den ich daru&#x0364;ber von meinem Manne erhalte, i&#x017F;t<lb/>
die &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te Schmeicheley. Nu&#x0364;tzliche Arbeiten geben zugleich<lb/>
mehr Stof zu Unterredungen, als alle Thorheiten der Stadt,<lb/>
und das un&#x017F;chuldige Spiel meiner Kinder na&#x0364;hrt meine Seele<lb/>
mehr, als die be&#x017F;te Operette. Habe ich vollends ein Bra&#x0364;t-<lb/>
gen mit einem Freunde zu theilen: &#x017F;o verachte ich alle Ta-<lb/>
feln un&#x017F;rer fu&#x0364;r&#x017F;tlichen Ver&#x017F;chwender &#x2026;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">C 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0055] Die Politik im Ungluͤck. genblick, den ich mir zu Nutze mache, verſchafft mir dieſelbe, und ich laſſe nicht viele ungenutzt voruͤber. Die Ordnung, dieſe edle Freundin des Fleiſſes, macht alle dieſe kleinen Gewinne beſtaͤndig ſichtbar, und ich gefalle darin mir ſelbſt und meinem Manne ſo ſehr, daß wir uns nicht begegnen, ohne einander daruͤber etwas verbindliches zu ſagen. Es war eine Zeit, wo ich mich wunderte, wie die Leute in nie- drigen Staͤnden, ohne Geſellſchaft und Spiel, ohne Ope- ra und Comoͤdie, ohne Luſtfahrten und Lectuͤre einen Tag wie den andern zubringen koͤnnten, da man doch bey jenen groſſen Luſtbarkeiten oft die groͤſte Langeweile haͤtte, und ein herzliches Vergnuͤgen ſehr oft vergeblich ſuchte. Ich finde aber, daß der haͤusliche Trieb etwas zu erſparen und zu gewinnen, und von dieſem Gewinnſte mit Ordnung wohl zu thun, die Quelle des reinſten, ſtilleſten und dauerhafte- ſten Vergnuͤgens ſey. Er erhaͤlt einen in beſtaͤndiger Be- ſchaͤftigung, verbannet auch die kleinſte Langeweile, fuͤhret ſeine Belohnung faſt immer mit ſich, verſuͤßt jede Muͤhe, erweckt und befriediget wahre Beduͤrfniſſe, ſchmeichelt ei- nem auf die unſchuldigſte Art, und macht jeden Morgen nach einem ſorgenfreyen Schlafe heiter. Ein ſchoͤner Ap- fel und ein friſch gelegtes weiſſes Ey ergoͤtzet mich laͤnger, als alle Schoͤnheiten der Natur aus dem Kaſten der Dich- ter; und eine Nadel, die ich finde, macht mir eine kleine obgleich unvermerkte Freude. Jede Nath, die ich fertig gemacht habe, iſt fuͤr mich eine Fruͤhlingsblume, und der Beyfall, den ich daruͤber von meinem Manne erhalte, iſt die ſuͤſſeſte Schmeicheley. Nuͤtzliche Arbeiten geben zugleich mehr Stof zu Unterredungen, als alle Thorheiten der Stadt, und das unſchuldige Spiel meiner Kinder naͤhrt meine Seele mehr, als die beſte Operette. Habe ich vollends ein Braͤt- gen mit einem Freunde zu theilen: ſo verachte ich alle Ta- feln unſrer fuͤrſtlichen Verſchwender … Was C 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/55
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/55>, abgerufen am 31.10.2024.