Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Vor die Empfindsamen.
net hier die Absicht der Natur deutlich; Flachs geranft,
Garben gebunden, und die Hitze, welche das Geblüt in
Wallung setzt, ausgedampft. -- Hierüber wurde sie so
empfindsam, daß wir ihr Tücher mit Wein auf den Puls
binden mußten, um die arme Seele von der Ohnmacht zu-
rück zu halten.

Der Magister darf ihr nicht mehr vor Augen kommen,
seitdem er unlängst gegen die empfindsamen Bücher gepre-
digt, und gezeigt hat, daß sie die ganze menschliche Natur
verstimmten; und eine schleichende Schwäche durch alle Ner-
ven verbreiteten. Anstatt einer wahren starken Natur ent-
stünde eine gemachte und gekünstelte; eine kranke Einbildung
träte an die Stelle einer richtigen Vorstellung; wo die Re-
ligion Freude und Muth geböte, da winselte das weichflies-
sende Herzgen; die Hülfe die man von ihnen erwartete,
bestünde in unfruchtbaren Thränen, und wo sie mit Rath
und That erscheinen sollten, da verwirreten sie nur andere
mit Stöhnen und Aechzen, und wären zu aller Entschlossen-
heit die in tausend Fällen des menschlichen Lebens erfordert
würde, schlechterdings ungeschickt ....

Ihre Tante, die jüngst eine von unsern Viehmägden,
die sich das Bein auf dem Felde zerbrach, auf den Rücken
nach Hause trug, und während der Zeit, ich zu dem Wund-
arzt gieng, ihr alle Hülfe leistete, schrie vergebens dem zärt-
lichen Kinde zu, ihr doch nur ein bisgen Wein aus dem
Keller zu bringen: ich fand sie ganz steif vor Schrecken,
wie ich wieder kam.

Nun sagen Sie mir aber, mein Herr, was man mit
einem solchen Milchmüsgen anfangen soll?



Ant-

Vor die Empfindſamen.
net hier die Abſicht der Natur deutlich; Flachs geranft,
Garben gebunden, und die Hitze, welche das Gebluͤt in
Wallung ſetzt, ausgedampft. — Hieruͤber wurde ſie ſo
empfindſam, daß wir ihr Tuͤcher mit Wein auf den Puls
binden mußten, um die arme Seele von der Ohnmacht zu-
ruͤck zu halten.

Der Magiſter darf ihr nicht mehr vor Augen kommen,
ſeitdem er unlaͤngſt gegen die empfindſamen Buͤcher gepre-
digt, und gezeigt hat, daß ſie die ganze menſchliche Natur
verſtimmten; und eine ſchleichende Schwaͤche durch alle Ner-
ven verbreiteten. Anſtatt einer wahren ſtarken Natur ent-
ſtuͤnde eine gemachte und gekuͤnſtelte; eine kranke Einbildung
traͤte an die Stelle einer richtigen Vorſtellung; wo die Re-
ligion Freude und Muth geboͤte, da winſelte das weichflieſ-
ſende Herzgen; die Huͤlfe die man von ihnen erwartete,
beſtuͤnde in unfruchtbaren Thraͤnen, und wo ſie mit Rath
und That erſcheinen ſollten, da verwirreten ſie nur andere
mit Stoͤhnen und Aechzen, und waͤren zu aller Entſchloſſen-
heit die in tauſend Faͤllen des menſchlichen Lebens erfordert
wuͤrde, ſchlechterdings ungeſchickt ....

Ihre Tante, die juͤngſt eine von unſern Viehmaͤgden,
die ſich das Bein auf dem Felde zerbrach, auf den Ruͤcken
nach Hauſe trug, und waͤhrend der Zeit, ich zu dem Wund-
arzt gieng, ihr alle Huͤlfe leiſtete, ſchrie vergebens dem zaͤrt-
lichen Kinde zu, ihr doch nur ein bisgen Wein aus dem
Keller zu bringen: ich fand ſie ganz ſteif vor Schrecken,
wie ich wieder kam.

Nun ſagen Sie mir aber, mein Herr, was man mit
einem ſolchen Milchmuͤsgen anfangen ſoll?



Ant-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="62"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vor die Empfind&#x017F;amen.</hi></fw><lb/>
net hier die Ab&#x017F;icht der Natur deutlich; Flachs geranft,<lb/>
Garben gebunden, und die Hitze, welche das Geblu&#x0364;t in<lb/>
Wallung &#x017F;etzt, ausgedampft. &#x2014; Hieru&#x0364;ber wurde &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
empfind&#x017F;am, daß wir ihr Tu&#x0364;cher mit Wein auf den Puls<lb/>
binden mußten, um die arme Seele von der Ohnmacht zu-<lb/>
ru&#x0364;ck zu halten.</p><lb/>
        <p>Der Magi&#x017F;ter darf ihr nicht mehr vor Augen kommen,<lb/>
&#x017F;eitdem er unla&#x0364;ng&#x017F;t gegen die empfind&#x017F;amen Bu&#x0364;cher gepre-<lb/>
digt, und gezeigt hat, daß &#x017F;ie die ganze men&#x017F;chliche Natur<lb/>
ver&#x017F;timmten; und eine &#x017F;chleichende Schwa&#x0364;che durch alle Ner-<lb/>
ven verbreiteten. An&#x017F;tatt einer wahren &#x017F;tarken Natur ent-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;nde eine gemachte und geku&#x0364;n&#x017F;telte; eine kranke Einbildung<lb/>
tra&#x0364;te an die Stelle einer richtigen Vor&#x017F;tellung; wo die Re-<lb/>
ligion Freude und Muth gebo&#x0364;te, da win&#x017F;elte das weichflie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ende Herzgen; die Hu&#x0364;lfe die man von ihnen erwartete,<lb/>
be&#x017F;tu&#x0364;nde in unfruchtbaren Thra&#x0364;nen, und wo &#x017F;ie mit Rath<lb/>
und That er&#x017F;cheinen &#x017F;ollten, da verwirreten &#x017F;ie nur andere<lb/>
mit Sto&#x0364;hnen und Aechzen, und wa&#x0364;ren zu aller Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit die in tau&#x017F;end Fa&#x0364;llen des men&#x017F;chlichen Lebens erfordert<lb/>
wu&#x0364;rde, &#x017F;chlechterdings unge&#x017F;chickt ....</p><lb/>
        <p>Ihre Tante, die ju&#x0364;ng&#x017F;t eine von un&#x017F;ern Viehma&#x0364;gden,<lb/>
die &#x017F;ich das Bein auf dem Felde zerbrach, auf den Ru&#x0364;cken<lb/>
nach Hau&#x017F;e trug, und wa&#x0364;hrend der Zeit, ich zu dem Wund-<lb/>
arzt gieng, ihr alle Hu&#x0364;lfe lei&#x017F;tete, &#x017F;chrie vergebens dem za&#x0364;rt-<lb/>
lichen Kinde zu, ihr doch nur ein bisgen Wein aus dem<lb/>
Keller zu bringen: ich fand &#x017F;ie ganz &#x017F;teif vor Schrecken,<lb/>
wie ich wieder kam.</p><lb/>
        <p>Nun &#x017F;agen Sie mir aber, mein Herr, was man mit<lb/>
einem &#x017F;olchen Milchmu&#x0364;sgen anfangen &#x017F;oll?</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ant-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0076] Vor die Empfindſamen. net hier die Abſicht der Natur deutlich; Flachs geranft, Garben gebunden, und die Hitze, welche das Gebluͤt in Wallung ſetzt, ausgedampft. — Hieruͤber wurde ſie ſo empfindſam, daß wir ihr Tuͤcher mit Wein auf den Puls binden mußten, um die arme Seele von der Ohnmacht zu- ruͤck zu halten. Der Magiſter darf ihr nicht mehr vor Augen kommen, ſeitdem er unlaͤngſt gegen die empfindſamen Buͤcher gepre- digt, und gezeigt hat, daß ſie die ganze menſchliche Natur verſtimmten; und eine ſchleichende Schwaͤche durch alle Ner- ven verbreiteten. Anſtatt einer wahren ſtarken Natur ent- ſtuͤnde eine gemachte und gekuͤnſtelte; eine kranke Einbildung traͤte an die Stelle einer richtigen Vorſtellung; wo die Re- ligion Freude und Muth geboͤte, da winſelte das weichflieſ- ſende Herzgen; die Huͤlfe die man von ihnen erwartete, beſtuͤnde in unfruchtbaren Thraͤnen, und wo ſie mit Rath und That erſcheinen ſollten, da verwirreten ſie nur andere mit Stoͤhnen und Aechzen, und waͤren zu aller Entſchloſſen- heit die in tauſend Faͤllen des menſchlichen Lebens erfordert wuͤrde, ſchlechterdings ungeſchickt .... Ihre Tante, die juͤngſt eine von unſern Viehmaͤgden, die ſich das Bein auf dem Felde zerbrach, auf den Ruͤcken nach Hauſe trug, und waͤhrend der Zeit, ich zu dem Wund- arzt gieng, ihr alle Huͤlfe leiſtete, ſchrie vergebens dem zaͤrt- lichen Kinde zu, ihr doch nur ein bisgen Wein aus dem Keller zu bringen: ich fand ſie ganz ſteif vor Schrecken, wie ich wieder kam. Nun ſagen Sie mir aber, mein Herr, was man mit einem ſolchen Milchmuͤsgen anfangen ſoll? Ant-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/76
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/76>, abgerufen am 01.11.2024.