Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Dieß war das erste wirkliche Unrecht, was er tief empfand, und was ihm nie aus dem Sinne gekommen ist; seit der Zeit hielt er auch seine Mutter für ungerecht, und bei jeder neuen Züchtigung fiel ihm dieser Umstand ein. Jch habe schon erwähnt, wie ihm der Tod in seiner Kindheit lächerlich vorgekommen sey. Dieß dauerte bis in sein zehntes Jahr, als einmal eine Nachbarinn seine Eltern besuchte, und erzählte, wie ihr Vetter, der ein Bergmann war, von der Leiter hinunter in die Grube gefallen sey, und sich den Kopf zerschmettert habe. Anton hörte aufmerksam zu, und bei dieser Kopfzerschmetterung dachte er sich auf einmal ein gänzliches Aufhören vom Denken und Empfinden, und eine Art von Vernichtung und Ermanglung seiner selbst, die ihn mit Grauen und Entsetzen erfüllte, so oft er wieder lebhaft daran dachte. Seit der Zeit hatte er auch eine starke Furcht vor dem Tode, die ihm manche traurige Stunde machte. Noch muß ich etwas von seinen ersten Vorstellungen, die er sich ebenfalls ohngefähr im zehnten Jahre von Gott und der Welt machte, sagen.
Dieß war das erste wirkliche Unrecht, was er tief empfand, und was ihm nie aus dem Sinne gekommen ist; seit der Zeit hielt er auch seine Mutter fuͤr ungerecht, und bei jeder neuen Zuͤchtigung fiel ihm dieser Umstand ein. Jch habe schon erwaͤhnt, wie ihm der Tod in seiner Kindheit laͤcherlich vorgekommen sey. Dieß dauerte bis in sein zehntes Jahr, als einmal eine Nachbarinn seine Eltern besuchte, und erzaͤhlte, wie ihr Vetter, der ein Bergmann war, von der Leiter hinunter in die Grube gefallen sey, und sich den Kopf zerschmettert habe. Anton hoͤrte aufmerksam zu, und bei dieser Kopfzerschmetterung dachte er sich auf einmal ein gaͤnzliches Aufhoͤren vom Denken und Empfinden, und eine Art von Vernichtung und Ermanglung seiner selbst, die ihn mit Grauen und Entsetzen erfuͤllte, so oft er wieder lebhaft daran dachte. Seit der Zeit hatte er auch eine starke Furcht vor dem Tode, die ihm manche traurige Stunde machte. Noch muß ich etwas von seinen ersten Vorstellungen, die er sich ebenfalls ohngefaͤhr im zehnten Jahre von Gott und der Welt machte, sagen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0085" n="83"/><lb/> Unart schalt; indem er sich nun grade auszog, fuͤgte es sich, daß eines seiner Kleidungsstuͤcke mit einigem Geraͤusch auf den Stuhl fiel: seine Mutter glaubte, er habe es aus Trotz hingeworfen, und zuͤchtigte ihn hart. </p> <p>Dieß war das erste wirkliche Unrecht, was er tief empfand, und was ihm nie aus dem Sinne gekommen ist; seit der Zeit hielt er auch seine Mutter fuͤr ungerecht, und bei jeder neuen Zuͤchtigung fiel ihm dieser Umstand ein. </p> <p>Jch habe schon erwaͤhnt, wie ihm der Tod in seiner Kindheit laͤcherlich vorgekommen sey. Dieß dauerte bis in sein zehntes Jahr, als einmal eine Nachbarinn seine Eltern besuchte, und erzaͤhlte, wie ihr Vetter, der ein Bergmann war, von der Leiter hinunter in die Grube gefallen sey, und sich den Kopf zerschmettert habe. </p> <p>Anton hoͤrte aufmerksam zu, und bei dieser Kopfzerschmetterung dachte er sich auf einmal ein gaͤnzliches Aufhoͤren vom Denken und Empfinden, und eine Art von Vernichtung und Ermanglung seiner selbst, die ihn mit Grauen und Entsetzen erfuͤllte, so oft er wieder lebhaft daran dachte. Seit der Zeit hatte er auch eine starke Furcht vor dem Tode, die ihm manche traurige Stunde machte. </p> <p>Noch muß ich etwas von seinen ersten Vorstellungen, die er sich ebenfalls ohngefaͤhr im zehnten Jahre von Gott und der Welt machte, sagen. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0085]
Unart schalt; indem er sich nun grade auszog, fuͤgte es sich, daß eines seiner Kleidungsstuͤcke mit einigem Geraͤusch auf den Stuhl fiel: seine Mutter glaubte, er habe es aus Trotz hingeworfen, und zuͤchtigte ihn hart.
Dieß war das erste wirkliche Unrecht, was er tief empfand, und was ihm nie aus dem Sinne gekommen ist; seit der Zeit hielt er auch seine Mutter fuͤr ungerecht, und bei jeder neuen Zuͤchtigung fiel ihm dieser Umstand ein.
Jch habe schon erwaͤhnt, wie ihm der Tod in seiner Kindheit laͤcherlich vorgekommen sey. Dieß dauerte bis in sein zehntes Jahr, als einmal eine Nachbarinn seine Eltern besuchte, und erzaͤhlte, wie ihr Vetter, der ein Bergmann war, von der Leiter hinunter in die Grube gefallen sey, und sich den Kopf zerschmettert habe.
Anton hoͤrte aufmerksam zu, und bei dieser Kopfzerschmetterung dachte er sich auf einmal ein gaͤnzliches Aufhoͤren vom Denken und Empfinden, und eine Art von Vernichtung und Ermanglung seiner selbst, die ihn mit Grauen und Entsetzen erfuͤllte, so oft er wieder lebhaft daran dachte. Seit der Zeit hatte er auch eine starke Furcht vor dem Tode, die ihm manche traurige Stunde machte.
Noch muß ich etwas von seinen ersten Vorstellungen, die er sich ebenfalls ohngefaͤhr im zehnten Jahre von Gott und der Welt machte, sagen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/85>, abgerufen am 18.06.2024. |