licher und eindrücklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden müsse, da sie wirklich einen festen, zuverläßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschüler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er läßt sich aber in keinem Stücke von ihnen übertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte fällt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzählung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: "Sie haben es wohl vergessen;" und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab.
Einmal hatte ihm einer seiner Mitschüler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den
licher und eindruͤcklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden muͤsse, da sie wirklich einen festen, zuverlaͤßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschuͤler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er laͤßt sich aber in keinem Stuͤcke von ihnen uͤbertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte faͤllt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzaͤhlung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: »Sie haben es wohl vergessen;« und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab.
Einmal hatte ihm einer seiner Mitschuͤler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0106"n="106"/><lb/>
licher und eindruͤcklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden muͤsse, da sie wirklich einen festen, zuverlaͤßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschuͤler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er laͤßt sich aber in keinem Stuͤcke von ihnen uͤbertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte faͤllt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzaͤhlung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: »Sie haben es wohl vergessen;« und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab. </p><p>Einmal hatte ihm einer seiner Mitschuͤler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[106/0106]
licher und eindruͤcklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden muͤsse, da sie wirklich einen festen, zuverlaͤßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschuͤler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er laͤßt sich aber in keinem Stuͤcke von ihnen uͤbertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte faͤllt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzaͤhlung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: »Sie haben es wohl vergessen;« und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab.
Einmal hatte ihm einer seiner Mitschuͤler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.
Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/106>, abgerufen am 14.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.