Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Hat nun die Lage des Körpers bekanntermaaßen schon so großen Einfluß auf die Träume, so konnten auch bei diesem Mordentschluß meine Nerven, durch die anhaltend lebhafte Empfindung, unwiderstehlich gereitzt und erschüttert werden; das Blut so lange in den Adern heftig wallen, bis es durch die Bewegung des Körpers, da ich aus dem Bette stieg und nach dem Messer ging, wieder in gleichmäßigem Lauf*) kam, und sich die Hitze der Jmagination abkühlte, weil Zeit und Veränderung des Orts mehr Licht und Klarheit in meine Vorstel- *) Von solchen Unordnungen des Kreislaufs und den daraus entspringenden Erscheinungen scheint auch folgende Erscheinung zu zeugen: der schon erwehnte Knabe wird öfters, besonders in heißen Tagen, von den gräßlichsten Träumen beunruhigt, wo er durch sein fürchterliches Geschrey und Arbeiten mit Händen und Füßen, alle in der Nähe aufschreckt. Zureden hilft nichts, er antwortet aber ganz verwirrt, und sogleich tritt der Paroxismus wieder ein. Jch kann ihn nicht anders ermuntern, als wenn ich ihm kaltes Wasser zu trinken gebe und das Bette lüfte. Jm Besinnen weiß er gewöhnlich von nichts, als ein Geschrey gehört zu haben, wodurch er seine Betäubung ohne Zweifel selbst noch vermehrt hat: nur erst nach langem Nachdenken kann er seinen Traum angeben, der freylich so sonderbar und so ganz ausser dem Gleisse seiner vorgängigen Jdeen zu liegen scheint, daß wir beide ihn nicht zusammenreimen können.
Hat nun die Lage des Koͤrpers bekanntermaaßen schon so großen Einfluß auf die Traͤume, so konnten auch bei diesem Mordentschluß meine Nerven, durch die anhaltend lebhafte Empfindung, unwiderstehlich gereitzt und erschuͤttert werden; das Blut so lange in den Adern heftig wallen, bis es durch die Bewegung des Koͤrpers, da ich aus dem Bette stieg und nach dem Messer ging, wieder in gleichmaͤßigem Lauf*) kam, und sich die Hitze der Jmagination abkuͤhlte, weil Zeit und Veraͤnderung des Orts mehr Licht und Klarheit in meine Vorstel- *) Von solchen Unordnungen des Kreislaufs und den daraus entspringenden Erscheinungen scheint auch folgende Erscheinung zu zeugen: der schon erwehnte Knabe wird oͤfters, besonders in heißen Tagen, von den graͤßlichsten Traͤumen beunruhigt, wo er durch sein fuͤrchterliches Geschrey und Arbeiten mit Haͤnden und Fuͤßen, alle in der Naͤhe aufschreckt. Zureden hilft nichts, er antwortet aber ganz verwirrt, und sogleich tritt der Paroxismus wieder ein. Jch kann ihn nicht anders ermuntern, als wenn ich ihm kaltes Wasser zu trinken gebe und das Bette luͤfte. Jm Besinnen weiß er gewoͤhnlich von nichts, als ein Geschrey gehoͤrt zu haben, wodurch er seine Betaͤubung ohne Zweifel selbst noch vermehrt hat: nur erst nach langem Nachdenken kann er seinen Traum angeben, der freylich so sonderbar und so ganz ausser dem Gleisse seiner vorgaͤngigen Jdeen zu liegen scheint, daß wir beide ihn nicht zusammenreimen koͤnnen.
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einige auffallende Beispiele uͤberzeugt, die ich auch, ihrer Aehnlichkeit wegen mit dieser Selbsterfahrung, am Ende beyfuͤgen will.
Hat nun die Lage des Koͤrpers bekanntermaaßen schon so großen Einfluß auf die Traͤume, so konnten auch bei diesem Mordentschluß meine Nerven, durch die anhaltend lebhafte Empfindung, unwiderstehlich gereitzt und erschuͤttert werden; das Blut so lange in den Adern heftig wallen, bis es durch die Bewegung des Koͤrpers, da ich aus dem Bette stieg und nach dem Messer ging, wieder in gleichmaͤßigem Lauf*) kam, und sich die Hitze der Jmagination abkuͤhlte, weil Zeit und Veraͤnderung des Orts mehr Licht und Klarheit in meine Vorstel-
*) Von solchen Unordnungen des Kreislaufs und den daraus entspringenden Erscheinungen scheint auch folgende Erscheinung zu zeugen: der schon erwehnte Knabe wird oͤfters, besonders in heißen Tagen, von den graͤßlichsten Traͤumen beunruhigt, wo er durch sein fuͤrchterliches Geschrey und Arbeiten mit Haͤnden und Fuͤßen, alle in der Naͤhe aufschreckt. Zureden hilft nichts, er antwortet aber ganz verwirrt, und sogleich tritt der Paroxismus wieder ein. Jch kann ihn nicht anders ermuntern, als wenn ich ihm kaltes Wasser zu trinken gebe und das Bette luͤfte. Jm Besinnen weiß er gewoͤhnlich von nichts, als ein Geschrey gehoͤrt zu haben, wodurch er seine Betaͤubung ohne Zweifel selbst noch vermehrt hat: nur erst nach langem Nachdenken kann er seinen Traum angeben, der freylich so sonderbar und so ganz ausser dem Gleisse seiner vorgaͤngigen Jdeen zu liegen scheint, daß wir beide ihn nicht zusammenreimen koͤnnen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/75>, abgerufen am 18.06.2024. |