über die Straßen ging, und ein paar Jungen sich balgen sahe, nicht unterlassen konnte, im Geiste die Worte des Pastor P... zu wiederho¬ len, und die ruchlose Stadt vor ihrem Verderben zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend in die Höhe hob. -- Wo er ging und stand, haranguirte er in Gedanken für sich selber, und wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth, so hielt er die Predigt gegen den Meineid.
So schwebte er eine Zeitlang in diesen ange¬ nehmen Phantasien hin, die ihn das Wollekra¬ tzen in der kalten Stube, das Hütewaschen im Eise, und den Mangel des Schlafs, wenn er oft mehrere Nächte hindurch wachen mußte, fast ganz vergessen ließen. -- Die Stunden entflo¬ hen ihm zuweilen während der Arbeit wie Mi¬ nuten, wenn es ihm gelang, sich in den Charak¬ ter eines öffentlichen Redners hinein zu phan¬ tasiren.
Allein, sey es nun, daß diese unnatürliche Ueberspannung seiner Seelenkräfte, oder die für seine Jahre zu große Anstrengung seines Kör¬ pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬ te -- er ward gefährlich krank. Seine Pflege
war
J 2
uͤber die Straßen ging, und ein paar Jungen ſich balgen ſahe, nicht unterlaſſen konnte, im Geiſte die Worte des Paſtor P... zu wiederho¬ len, und die ruchloſe Stadt vor ihrem Verderben zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend in die Hoͤhe hob. — Wo er ging und ſtand, haranguirte er in Gedanken fuͤr ſich ſelber, und wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth, ſo hielt er die Predigt gegen den Meineid.
So ſchwebte er eine Zeitlang in dieſen ange¬ nehmen Phantaſien hin, die ihn das Wollekra¬ tzen in der kalten Stube, das Huͤtewaſchen im Eiſe, und den Mangel des Schlafs, wenn er oft mehrere Naͤchte hindurch wachen mußte, faſt ganz vergeſſen ließen. — Die Stunden entflo¬ hen ihm zuweilen waͤhrend der Arbeit wie Mi¬ nuten, wenn es ihm gelang, ſich in den Charak¬ ter eines oͤffentlichen Redners hinein zu phan¬ taſiren.
Allein, ſey es nun, daß dieſe unnatuͤrliche Ueberſpannung ſeiner Seelenkraͤfte, oder die fuͤr ſeine Jahre zu große Anſtrengung ſeines Koͤr¬ pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬ te — er ward gefaͤhrlich krank. Seine Pflege
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uͤber die Straßen ging, und ein paar Jungen
ſich balgen ſahe, nicht unterlaſſen konnte, im
Geiſte die Worte des Paſtor P... zu wiederho¬
len, und die ruchloſe Stadt vor ihrem Verderben
zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend
in die Hoͤhe hob. — Wo er ging und ſtand,
haranguirte er in Gedanken fuͤr ſich ſelber, und
wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth,
ſo hielt er die Predigt gegen den Meineid.
So ſchwebte er eine Zeitlang in dieſen ange¬
nehmen Phantaſien hin, die ihn das Wollekra¬
tzen in der kalten Stube, das Huͤtewaſchen im
Eiſe, und den Mangel des Schlafs, wenn er
oft mehrere Naͤchte hindurch wachen mußte, faſt
ganz vergeſſen ließen. — Die Stunden entflo¬
hen ihm zuweilen waͤhrend der Arbeit wie Mi¬
nuten, wenn es ihm gelang, ſich in den Charak¬
ter eines oͤffentlichen Redners hinein zu phan¬
taſiren.
Allein, ſey es nun, daß dieſe unnatuͤrliche
Ueberſpannung ſeiner Seelenkraͤfte, oder die fuͤr
ſeine Jahre zu große Anſtrengung ſeines Koͤr¬
pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/141>, abgerufen am 13.06.2024.
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