Er hatte Theologie studirt, und war zuletzt Informator bei den Kindern eines reichen Kauf¬ manns in H., gewesen, in dessen Hause er noch lebte, und von dem gegenwärtigen Besitzer des¬ selben, der sein Eleve gewesen, und jetzt selber schon beinahe ein Greis geworden war, seinen Unterhalt bekam.
Seit seinem fünfzigsten Jahre war er taub, und wer mit ihm sprechen wollte, mußte bestän¬ dig Dinte und Feder bei der Hand haben, und ihm seine Gedanken schriftlich aufsetzen, die er denn sehr vernehmlich und deutlich mündlich beantwortete.
Dabei konnte er noch im hundert und fünf¬ ten Jahre sein kleingedruktes griechisches Testa¬ ment ohne Brille lesen, und redete beständig sehr wahr und zusammenhängend, obgleich oft etwas leiser, oder lauter, als nöthig war, weil er sich selber nicht hören konnte.
Im Hause war er nicht anders, als unter dem Namen, der alte Mann, bekannt. Man brachte ihm sein Essen, und sonstige Bequem¬ lichkeiten, übrigens bekümmerte man sich nicht viel um ihn.
Er hatte Theologie ſtudirt, und war zuletzt Informator bei den Kindern eines reichen Kauf¬ manns in H., geweſen, in deſſen Hauſe er noch lebte, und von dem gegenwaͤrtigen Beſitzer deſ¬ ſelben, der ſein Eleve geweſen, und jetzt ſelber ſchon beinahe ein Greis geworden war, ſeinen Unterhalt bekam.
Seit ſeinem fuͤnfzigſten Jahre war er taub, und wer mit ihm ſprechen wollte, mußte beſtaͤn¬ dig Dinte und Feder bei der Hand haben, und ihm ſeine Gedanken ſchriftlich aufſetzen, die er denn ſehr vernehmlich und deutlich muͤndlich beantwortete.
Dabei konnte er noch im hundert und fuͤnf¬ ten Jahre ſein kleingedruktes griechiſches Teſta¬ ment ohne Brille leſen, und redete beſtaͤndig ſehr wahr und zuſammenhaͤngend, obgleich oft etwas leiſer, oder lauter, als noͤthig war, weil er ſich ſelber nicht hoͤren konnte.
Im Hauſe war er nicht anders, als unter dem Namen, der alte Mann, bekannt. Man brachte ihm ſein Eſſen, und ſonſtige Bequem¬ lichkeiten, uͤbrigens bekuͤmmerte man ſich nicht viel um ihn.
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[62/0072]
Er hatte Theologie ſtudirt, und war zuletzt
Informator bei den Kindern eines reichen Kauf¬
manns in H., geweſen, in deſſen Hauſe er noch
lebte, und von dem gegenwaͤrtigen Beſitzer deſ¬
ſelben, der ſein Eleve geweſen, und jetzt ſelber
ſchon beinahe ein Greis geworden war, ſeinen
Unterhalt bekam.
Seit ſeinem fuͤnfzigſten Jahre war er taub,
und wer mit ihm ſprechen wollte, mußte beſtaͤn¬
dig Dinte und Feder bei der Hand haben, und
ihm ſeine Gedanken ſchriftlich aufſetzen, die er
denn ſehr vernehmlich und deutlich muͤndlich
beantwortete.
Dabei konnte er noch im hundert und fuͤnf¬
ten Jahre ſein kleingedruktes griechiſches Teſta¬
ment ohne Brille leſen, und redete beſtaͤndig
ſehr wahr und zuſammenhaͤngend, obgleich oft
etwas leiſer, oder lauter, als noͤthig war, weil er
ſich ſelber nicht hoͤren konnte.
Im Hauſe war er nicht anders, als unter
dem Namen, der alte Mann, bekannt. Man
brachte ihm ſein Eſſen, und ſonſtige Bequem¬
lichkeiten, uͤbrigens bekuͤmmerte man ſich nicht
viel um ihn.
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/72>, abgerufen am 13.06.2024.
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