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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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von seinem bösen Leben zu bekehren, weil er die
bisherige Heuchelei nicht länger mehr vor sich
selbst verdecken konnte.

Allein nun fielen ihm die Jahre ein, die er
von der Zeit seiner vormaligen wirklichen Be¬
kehrung an versäumt hatte, und wie weit er
nun schon seyn könnte, wenn er das nicht gethan
hätte. Dies machte ihn äußerst mißvergnügt
und traurig.

Ueberdem las er bei dem alten Manne ein
Buch, worinn der Proceß der ganzen Heils¬
ordnung durch Buße, Glauben, und gottselig
Leben, mit allen Zeichen und Symptomen aus¬
führlich beschrieben war.

Bei der Buße mußten Thränen, Reue,
Traurigkeit und Mißvergnügen seyn: dies alles
war bei ihm da.

Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte
Heiterkeit und Zuversicht zu Gott in der Seele
seyn: dies kam auch.

Und nun mußte sich drittens das gottselige
Leben von selber finden: aber dies fand sich nicht
so leicht.

von ſeinem boͤſen Leben zu bekehren, weil er die
bisherige Heuchelei nicht laͤnger mehr vor ſich
ſelbſt verdecken konnte.

Allein nun fielen ihm die Jahre ein, die er
von der Zeit ſeiner vormaligen wirklichen Be¬
kehrung an verſaͤumt hatte, und wie weit er
nun ſchon ſeyn koͤnnte, wenn er das nicht gethan
haͤtte. Dies machte ihn aͤußerſt mißvergnuͤgt
und traurig.

Ueberdem las er bei dem alten Manne ein
Buch, worinn der Proceß der ganzen Heils¬
ordnung durch Buße, Glauben, und gottſelig
Leben, mit allen Zeichen und Symptomen aus¬
fuͤhrlich beſchrieben war.

Bei der Buße mußten Thraͤnen, Reue,
Traurigkeit und Mißvergnuͤgen ſeyn: dies alles
war bei ihm da.

Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte
Heiterkeit und Zuverſicht zu Gott in der Seele
ſeyn: dies kam auch.

Und nun mußte ſich drittens das gottſelige
Leben von ſelber finden: aber dies fand ſich nicht
ſo leicht.

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[72/0082] von ſeinem boͤſen Leben zu bekehren, weil er die bisherige Heuchelei nicht laͤnger mehr vor ſich ſelbſt verdecken konnte. Allein nun fielen ihm die Jahre ein, die er von der Zeit ſeiner vormaligen wirklichen Be¬ kehrung an verſaͤumt hatte, und wie weit er nun ſchon ſeyn koͤnnte, wenn er das nicht gethan haͤtte. Dies machte ihn aͤußerſt mißvergnuͤgt und traurig. Ueberdem las er bei dem alten Manne ein Buch, worinn der Proceß der ganzen Heils¬ ordnung durch Buße, Glauben, und gottſelig Leben, mit allen Zeichen und Symptomen aus¬ fuͤhrlich beſchrieben war. Bei der Buße mußten Thraͤnen, Reue, Traurigkeit und Mißvergnuͤgen ſeyn: dies alles war bei ihm da. Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte Heiterkeit und Zuverſicht zu Gott in der Seele ſeyn: dies kam auch. Und nun mußte ſich drittens das gottſelige Leben von ſelber finden: aber dies fand ſich nicht ſo leicht.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/82>, abgerufen am 14.06.2024.