als nichts. Wenn ich eine Gattin suche, was hilfts, wenn mir das seelenvollste weib- liche Gesicht empfohlen wird, oder eins das aufgegangen ist wie Semmel in Milch, oder ein verschwebtes, geschmackvolles, poeti- sirendes? Wenn ich nicht weis, ob dieses Verschweben in platonische Buhlerey, oder in transcendentale Liebestreue; das Ge- schmackvolle in Pracht und Ueppigkeit, oder in weise häusliche Anordnung; das Poeti- sirende in Träumerey und Grillen, oder in gefühlvolles Entzücken der Liebe; das Milch- gesicht in Albernheit und Ziererey, oder in unschuldige sanguinische Fröhlichkeit; das Seelenvolle in ungestüme Herrschsucht, Starrsinn und Eigendünkel, oder in kluge Unterwürfigkeit, Nachgiebigkeit, Kunst, des Mannes Herz zu gewinnen und sich zu er- halten sich arten werde? Was sagen mir Gesichtscharaktere, dadurch ich eine Lais, Ju- lia, Cleopatra, Messalina, nicht von einer
Aspasia,
als nichts. Wenn ich eine Gattin ſuche, was hilfts, wenn mir das ſeelenvollſte weib- liche Geſicht empfohlen wird, oder eins das aufgegangen iſt wie Semmel in Milch, oder ein verſchwebtes, geſchmackvolles, poeti- ſirendes? Wenn ich nicht weis, ob dieſes Verſchweben in platoniſche Buhlerey, oder in tranſcendentale Liebestreue; das Ge- ſchmackvolle in Pracht und Ueppigkeit, oder in weiſe haͤusliche Anordnung; das Poeti- ſirende in Traͤumerey und Grillen, oder in gefuͤhlvolles Entzuͤcken der Liebe; das Milch- geſicht in Albernheit und Ziererey, oder in unſchuldige ſanguiniſche Froͤhlichkeit; das Seelenvolle in ungeſtuͤme Herrſchſucht, Starrſinn und Eigenduͤnkel, oder in kluge Unterwuͤrfigkeit, Nachgiebigkeit, Kunſt, des Mannes Herz zu gewinnen und ſich zu er- halten ſich arten werde? Was ſagen mir Geſichtscharaktere, dadurch ich eine Lais, Ju- lia, Cleopatra, Meſſalina, nicht von einer
Aſpaſia,
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als nichts. Wenn ich eine Gattin ſuche,
was hilfts, wenn mir das ſeelenvollſte weib-
liche Geſicht empfohlen wird, oder eins das
aufgegangen iſt wie Semmel in Milch, oder
ein verſchwebtes, geſchmackvolles, poeti-
ſirendes? Wenn ich nicht weis, ob dieſes
Verſchweben in platoniſche Buhlerey, oder
in tranſcendentale Liebestreue; das Ge-
ſchmackvolle in Pracht und Ueppigkeit, oder
in weiſe haͤusliche Anordnung; das Poeti-
ſirende in Traͤumerey und Grillen, oder in
gefuͤhlvolles Entzuͤcken der Liebe; das Milch-
geſicht in Albernheit und Ziererey, oder in
unſchuldige ſanguiniſche Froͤhlichkeit; das
Seelenvolle in ungeſtuͤme Herrſchſucht,
Starrſinn und Eigenduͤnkel, oder in kluge
Unterwuͤrfigkeit, Nachgiebigkeit, Kunſt, des
Mannes Herz zu gewinnen und ſich zu er-
halten ſich arten werde? Was ſagen mir
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/212>, abgerufen am 14.06.2024.
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