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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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nigstens so leicht auf den Füßen wie Asahel,
hab ihn nicht wieder mit Augen gesehn.
Den ganzen Tag thät mir die Gesellschaft
des seltsamen Wanderers leid, und wie's zu
geschehn pflegt, daß einem immer das vor-
schwebt, wornach das Gemüth trachtet,
glaubt ich all' Augenblick, in iedem einzel-
nen Menschen, den ich in der Fern sah, den
Sempronius wieder zu erblicken. Die öf-
tern Täuschungen versezten mein Gemüth in
üble Laun' und nun begann die Langeweil,
die mich seit Jahresfrist nicht angefochten
hatte, erbärmlich mit ihrer Schlangengeis-
sel mich zu peinigen.

Ein Verdienst, dacht ich, kan doch sicher-
lich der Physiognomik nicht abgestritten wer-
den, was auch die Afterredner davon sagen
mögen, ihren guten Leumund zu vernichten.
Kein Mensch kan in Abrede seyn, daß sie
dem Geiste eine befriedigende Unterhaltung
gewähre, die darum desto interessanter ist,

weil

nigſtens ſo leicht auf den Fuͤßen wie Aſahel,
hab ihn nicht wieder mit Augen geſehn.
Den ganzen Tag thaͤt mir die Geſellſchaft
des ſeltſamen Wanderers leid, und wie’s zu
geſchehn pflegt, daß einem immer das vor-
ſchwebt, wornach das Gemuͤth trachtet,
glaubt ich all’ Augenblick, in iedem einzel-
nen Menſchen, den ich in der Fern ſah, den
Sempronius wieder zu erblicken. Die oͤf-
tern Taͤuſchungen verſezten mein Gemuͤth in
uͤble Laun’ und nun begann die Langeweil,
die mich ſeit Jahresfriſt nicht angefochten
hatte, erbaͤrmlich mit ihrer Schlangengeiſ-
ſel mich zu peinigen.

Ein Verdienſt, dacht ich, kan doch ſicher-
lich der Phyſiognomik nicht abgeſtritten wer-
den, was auch die Afterredner davon ſagen
moͤgen, ihren guten Leumund zu vernichten.
Kein Menſch kan in Abrede ſeyn, daß ſie
dem Geiſte eine befriedigende Unterhaltung
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[116/0116] nigſtens ſo leicht auf den Fuͤßen wie Aſahel, hab ihn nicht wieder mit Augen geſehn. Den ganzen Tag thaͤt mir die Geſellſchaft des ſeltſamen Wanderers leid, und wie’s zu geſchehn pflegt, daß einem immer das vor- ſchwebt, wornach das Gemuͤth trachtet, glaubt ich all’ Augenblick, in iedem einzel- nen Menſchen, den ich in der Fern ſah, den Sempronius wieder zu erblicken. Die oͤf- tern Taͤuſchungen verſezten mein Gemuͤth in uͤble Laun’ und nun begann die Langeweil, die mich ſeit Jahresfriſt nicht angefochten hatte, erbaͤrmlich mit ihrer Schlangengeiſ- ſel mich zu peinigen. Ein Verdienſt, dacht ich, kan doch ſicher- lich der Phyſiognomik nicht abgeſtritten wer- den, was auch die Afterredner davon ſagen moͤgen, ihren guten Leumund zu vernichten. Kein Menſch kan in Abrede ſeyn, daß ſie dem Geiſte eine befriedigende Unterhaltung gewaͤhre, die darum deſto intereſſanter iſt, weil

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/116>, abgerufen am 20.05.2024.