nen. Klärchen sah von alle dem nicht viel. Um die Freuden der schönen Natur zu genießen, war sie nie gewohnt spazieren zu gehen, und in Kaffeegärten führte sie Günther nicht mehr; er schämte sich ihrer Schwer¬ fälligkeit und ging lieber allein seinem Vergnügen nach. Das war freilich auch anders, als sich Klärchen in romantischen Phantasien die Liebe ihres Mannes ge¬ dacht hatte; gerade in diesen Zuständen wollte sie mehr als je auf Händen getragen und vergöttert werden. Aber die gewöhnliche Flitterliebe ohne den wahren fe¬ sten Grund im Herzen hält nicht weiter hinaus.
Eines Sonnabends Abends --, es war Anfangs Mai --, da saß Klärchen am offnen Fenster und schaute auf die rein gekehrte Straße und sah dem fröhlichen Spiel der Kinder zu. Eine Nachbarin drüben kam eben mit zweien von einem Spaziergange zurück. Sie waren ganz mit Blumen beladen. Weißdorn, Primeln und Tulpen blühten lieblich in den kleinen Händen. Klärchen ward bewegt von diesem lieblichen Anblick. Wenn du erst ein Kind hast, dachte sie, gehst du auch mit ihm spazieren, pflückst ihm Blumen, machst ihm Kränze. Ihr Herz schlug froh bei diesen Bildern, und überhaupt hing das Glück ihrer Zukunft jetzt eben so leidenschaftlich an dem Kinde, das sie unter ihrem Herzen trug, als früher an anderen Phantasiegebil¬ den. -- Doch spazieren gehen könntest du zuweilen auch ohne Kind und dir so schöne Blumen holen! Ja, heute war es zu schön! sie nahm Hut und Umschla¬ getuch und wanderte zum Thore hinaus.
Ihr Weg führte sie zu einem Gärtner, einem weitläufigen Verwandten, den sie in ihrer Jugend,
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nen. Klärchen ſah von alle dem nicht viel. Um die Freuden der ſchönen Natur zu genießen, war ſie nie gewohnt ſpazieren zu gehen, und in Kaffeegärten führte ſie Günther nicht mehr; er ſchämte ſich ihrer Schwer¬ fälligkeit und ging lieber allein ſeinem Vergnügen nach. Das war freilich auch anders, als ſich Klärchen in romantiſchen Phantaſien die Liebe ihres Mannes ge¬ dacht hatte; gerade in dieſen Zuſtänden wollte ſie mehr als je auf Händen getragen und vergöttert werden. Aber die gewöhnliche Flitterliebe ohne den wahren fe¬ ſten Grund im Herzen hält nicht weiter hinaus.
Eines Sonnabends Abends —, es war Anfangs Mai —, da ſaß Klärchen am offnen Fenſter und ſchaute auf die rein gekehrte Straße und ſah dem fröhlichen Spiel der Kinder zu. Eine Nachbarin drüben kam eben mit zweien von einem Spaziergange zurück. Sie waren ganz mit Blumen beladen. Weißdorn, Primeln und Tulpen blühten lieblich in den kleinen Händen. Klärchen ward bewegt von dieſem lieblichen Anblick. Wenn du erſt ein Kind haſt, dachte ſie, gehſt du auch mit ihm ſpazieren, pflückſt ihm Blumen, machſt ihm Kränze. Ihr Herz ſchlug froh bei dieſen Bildern, und überhaupt hing das Glück ihrer Zukunft jetzt eben ſo leidenſchaftlich an dem Kinde, das ſie unter ihrem Herzen trug, als früher an anderen Phantaſiegebil¬ den. — Doch ſpazieren gehen könnteſt du zuweilen auch ohne Kind und dir ſo ſchöne Blumen holen! Ja, heute war es zu ſchön! ſie nahm Hut und Umſchla¬ getuch und wanderte zum Thore hinaus.
Ihr Weg führte ſie zu einem Gärtner, einem weitläufigen Verwandten, den ſie in ihrer Jugend,
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nen. Klärchen ſah von alle dem nicht viel. Um die
Freuden der ſchönen Natur zu genießen, war ſie nie
gewohnt ſpazieren zu gehen, und in Kaffeegärten führte
ſie Günther nicht mehr; er ſchämte ſich ihrer Schwer¬
fälligkeit und ging lieber allein ſeinem Vergnügen nach.
Das war freilich auch anders, als ſich Klärchen in
romantiſchen Phantaſien die Liebe ihres Mannes ge¬
dacht hatte; gerade in dieſen Zuſtänden wollte ſie mehr
als je auf Händen getragen und vergöttert werden.
Aber die gewöhnliche Flitterliebe ohne den wahren fe¬
ſten Grund im Herzen hält nicht weiter hinaus.
Eines Sonnabends Abends —, es war Anfangs
Mai —, da ſaß Klärchen am offnen Fenſter und ſchaute
auf die rein gekehrte Straße und ſah dem fröhlichen
Spiel der Kinder zu. Eine Nachbarin drüben kam
eben mit zweien von einem Spaziergange zurück. Sie
waren ganz mit Blumen beladen. Weißdorn, Primeln
und Tulpen blühten lieblich in den kleinen Händen.
Klärchen ward bewegt von dieſem lieblichen Anblick.
Wenn du erſt ein Kind haſt, dachte ſie, gehſt du auch
mit ihm ſpazieren, pflückſt ihm Blumen, machſt ihm
Kränze. Ihr Herz ſchlug froh bei dieſen Bildern, und
überhaupt hing das Glück ihrer Zukunft jetzt eben ſo
leidenſchaftlich an dem Kinde, das ſie unter ihrem
Herzen trug, als früher an anderen Phantaſiegebil¬
den. — Doch ſpazieren gehen könnteſt du zuweilen
auch ohne Kind und dir ſo ſchöne Blumen holen! Ja,
heute war es zu ſchön! ſie nahm Hut und Umſchla¬
getuch und wanderte zum Thore hinaus.
Ihr Weg führte ſie zu einem Gärtner, einem
weitläufigen Verwandten, den ſie in ihrer Jugend,
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/121>, abgerufen am 18.06.2024.
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