Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.Wir sind weit entfernt, Männern die so scharf de- monstrirte Theorien der Geschichte zusammensetzen kön- nen, im geringsten zu widersprechen, nur haben wir uns unterstanden zu muthmaßen, daß ob man gleich in der Geschichte lauter wahre Begebenheiten erzeh- len solle, man doch auch lieber den grösten Theil der wahren Begebenheiten können unerzählt laßen. Es sind funfzigtausend Bände voll Wahrheit über die Geschichte Deutschlands zusammengetragen worden, so daß der schon ein gelehrter Geschichtskundiger heißet, der nur den funfzigsten Theil dieser Wahrheiten gelesen hat. Dieser Ueberfluß von Wahrheit, hat manchen braven Deutschen zu dem angenehmen Lügner Voltaire ge- führet, der uns ein halbes Jahrhundert in wenigen Blättern übersehen läßt, aber dafür auch oft unver- antwortlicherweise eine Hildegardis hinsetzt, wo eine Mathildis stehen solte, oder die Jahrzahl funfzig angiebt, wo die Jahrzahl sechzig solte angegeben wer- den. Der Unterschied zwischen unsern deutschen wahr- haften Geschichtschreibern, und den oft lügenhasten Franzosen, (woraus auch zu erklären ist, warum Hä- berlins Auszug der deutschen Geschichte un- gleich corpulenter gerathen ist, als Voltairens al- gemeine Weltgeschichte,) besteht darin: Der ge- lehrte Deutsche verschweigt dem Leser nichts, was er
Wir ſind weit entfernt, Maͤnnern die ſo ſcharf de- monſtrirte Theorien der Geſchichte zuſammenſetzen koͤn- nen, im geringſten zu widerſprechen, nur haben wir uns unterſtanden zu muthmaßen, daß ob man gleich in der Geſchichte lauter wahre Begebenheiten erzeh- len ſolle, man doch auch lieber den groͤſten Theil der wahren Begebenheiten koͤnnen unerzaͤhlt laßen. Es ſind funfzigtauſend Baͤnde voll Wahrheit uͤber die Geſchichte Deutſchlands zuſammengetragen worden, ſo daß der ſchon ein gelehrter Geſchichtskundiger heißet, der nur den funfzigſten Theil dieſer Wahrheiten geleſen hat. Dieſer Ueberfluß von Wahrheit, hat manchen braven Deutſchen zu dem angenehmen Luͤgner Voltaire ge- fuͤhret, der uns ein halbes Jahrhundert in wenigen Blaͤttern uͤberſehen laͤßt, aber dafuͤr auch oft unver- antwortlicherweiſe eine Hildegardis hinſetzt, wo eine Mathildis ſtehen ſolte, oder die Jahrzahl funfzig angiebt, wo die Jahrzahl ſechzig ſolte angegeben wer- den. Der Unterſchied zwiſchen unſern deutſchen wahr- haften Geſchichtſchreibern, und den oft luͤgenhaſten Franzoſen, (woraus auch zu erklaͤren iſt, warum Haͤ- berlins Auszug der deutſchen Geſchichte un- gleich corpulenter gerathen iſt, als Voltairens al- gemeine Weltgeſchichte,) beſteht darin: Der ge- lehrte Deutſche verſchweigt dem Leſer nichts, was er
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nen, im geringſten zu widerſprechen, nur haben wir
uns unterſtanden zu muthmaßen, daß ob man gleich
in der Geſchichte lauter wahre Begebenheiten erzeh-
len ſolle, man doch auch lieber den groͤſten Theil der
wahren Begebenheiten koͤnnen unerzaͤhlt laßen. Es
ſind funfzigtauſend Baͤnde voll Wahrheit uͤber die
Geſchichte Deutſchlands zuſammengetragen worden, ſo
daß der ſchon ein gelehrter Geſchichtskundiger heißet, der
nur den funfzigſten Theil dieſer Wahrheiten geleſen hat.
Dieſer Ueberfluß von Wahrheit, hat manchen braven
Deutſchen zu dem angenehmen Luͤgner Voltaire ge-
fuͤhret, der uns ein halbes Jahrhundert in wenigen
Blaͤttern uͤberſehen laͤßt, aber dafuͤr auch oft unver-
antwortlicherweiſe eine Hildegardis hinſetzt, wo eine
Mathildis ſtehen ſolte, oder die Jahrzahl funfzig
angiebt, wo die Jahrzahl ſechzig ſolte angegeben wer-
den. Der Unterſchied zwiſchen unſern deutſchen wahr-
haften Geſchichtſchreibern, und den oft luͤgenhaſten
Franzoſen, (woraus auch zu erklaͤren iſt, warum Haͤ-
berlins Auszug der deutſchen Geſchichte un-
gleich corpulenter gerathen iſt, als Voltairens al-
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