Sie kamen in kurzem auf dem Gute der Gräfinn an. Mariane begab sich sogleich mit Hieronymus nach dem Schlosse. Sie hoffte von der Gräfinn mit Vergnügen empfangen zu werden; aber diese Dame war, besonders durch Rambolds tückische Einblasun- gen, so sehr wider die gute Mariane eingenommen, daß sie dieselbe sehr kalt bewillkommte. Jn der That war der äußerliche Auschein ganz wider Marianen. Auf die Frage der Gräfinn, wie die Entsührung ver- anlasset worden, konnte sie nichts mehr antworten, als daß sie von unbekannten Leuten auf einen unbe- kannten Weg geführet worden, ohne daß sie die ge- ringste Veranlassung dazu gegeben habe. Dieß war in der That unwahrscheinlich, und daß Mariane schien die Warheit verhehlen zu wollen, that ihr in dem Gemüthe der Gräfinn noch mehrern Schaden. Die Gräfinn erinnerte sie, wie vertraulich sie mit ihr umgegangen wäre, und daß sie ihr doch aus den Vor- fällen bey der Frau von Hohenauf, und aus ihrer Verbindung mit Säuglingen, ein Geheimniß ge- macht hätte. Sie zelgte ihr die gefundenen Briese von Säuglingen an sie, woraus genug erhellte, wie genau diese Verbindung gewesen, Sie erin- nerte sie an ihre und seine Verlegenheit, bey seiner Ankunft, und an viele andere kleine vorher nicht be-
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N 2
Sie kamen in kurzem auf dem Gute der Graͤfinn an. Mariane begab ſich ſogleich mit Hieronymus nach dem Schloſſe. Sie hoffte von der Graͤfinn mit Vergnuͤgen empfangen zu werden; aber dieſe Dame war, beſonders durch Rambolds tuͤckiſche Einblaſun- gen, ſo ſehr wider die gute Mariane eingenommen, daß ſie dieſelbe ſehr kalt bewillkommte. Jn der That war der aͤußerliche Auſchein ganz wider Marianen. Auf die Frage der Graͤfinn, wie die Entſuͤhrung ver- anlaſſet worden, konnte ſie nichts mehr antworten, als daß ſie von unbekannten Leuten auf einen unbe- kannten Weg gefuͤhret worden, ohne daß ſie die ge- ringſte Veranlaſſung dazu gegeben habe. Dieß war in der That unwahrſcheinlich, und daß Mariane ſchien die Warheit verhehlen zu wollen, that ihr in dem Gemuͤthe der Graͤfinn noch mehrern Schaden. Die Graͤfinn erinnerte ſie, wie vertraulich ſie mit ihr umgegangen waͤre, und daß ſie ihr doch aus den Vor- faͤllen bey der Frau von Hohenauf, und aus ihrer Verbindung mit Saͤuglingen, ein Geheimniß ge- macht haͤtte. Sie zelgte ihr die gefundenen Brieſe von Saͤuglingen an ſie, woraus genug erhellte, wie genau dieſe Verbindung geweſen, Sie erin- nerte ſie an ihre und ſeine Verlegenheit, bey ſeiner Ankunft, und an viele andere kleine vorher nicht be-
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Sie kamen in kurzem auf dem Gute der Graͤfinn
an. Mariane begab ſich ſogleich mit Hieronymus
nach dem Schloſſe. Sie hoffte von der Graͤfinn mit
Vergnuͤgen empfangen zu werden; aber dieſe Dame
war, beſonders durch Rambolds tuͤckiſche Einblaſun-
gen, ſo ſehr wider die gute Mariane eingenommen,
daß ſie dieſelbe ſehr kalt bewillkommte. Jn der That
war der aͤußerliche Auſchein ganz wider Marianen.
Auf die Frage der Graͤfinn, wie die Entſuͤhrung ver-
anlaſſet worden, konnte ſie nichts mehr antworten,
als daß ſie von unbekannten Leuten auf einen unbe-
kannten Weg gefuͤhret worden, ohne daß ſie die ge-
ringſte Veranlaſſung dazu gegeben habe. Dieß war
in der That unwahrſcheinlich, und daß Mariane
ſchien die Warheit verhehlen zu wollen, that ihr in
dem Gemuͤthe der Graͤfinn noch mehrern Schaden.
Die Graͤfinn erinnerte ſie, wie vertraulich ſie mit ihr
umgegangen waͤre, und daß ſie ihr doch aus den Vor-
faͤllen bey der Frau von Hohenauf, und aus ihrer
Verbindung mit Saͤuglingen, ein Geheimniß ge-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/203>, abgerufen am 14.06.2024.
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