Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

vor Kypselus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er
schon als seefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver-
band er sich mit einer Etruskerinn, und gab den Söhnen
die ihm gebohren wurden mit einheimischen Nahmen ein-
heimische Erziehung. Aber den Fremden, falls sie auch
das Bürgerrecht erhielten, war doch jede Aussicht des
Ehrgeizes verschlossen. Lucumo, durch früheren Tod
Aruns, des älteren, einziger Erbe des großen Reichthums,
fand dies unerträglich, und nahm, ermuntert von seinem
Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las,
den Entschluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium
gab ihr, ehe sie Rom betraten die Zuversicht daß sie das
höchste hoffen dürften. Als sie vom Janiculum herab zur
Tiber fuhren, ließ sich ein Adler herab, ergriff den Hut
des Lucumo, entführte ihn mit sich in die Höhe, senkte
sich dann wieder herab und setzte den Hut als Krone auf
sein Haupt. Mit dieser Zuversicht galt dem Fremden sein
Reichthum nicht als ein zu schonender Besitz, sondern nur
als Mittel zur höchsten Macht und Größe. Ancus ertheilte
ihm das Bürgerrecht, damals den Wenigen die es wün-
schen mochten leicht geschenkt, weil es Tausenden aufge-
drungen ward. Cr nannte sich Lucius Tarquinius: die
Späteren haben ihm den Beynahmen Priscus gegeben,
um ihn von dem Tyrannen seinem Enkel zu unterscheiden,
nicht er selbst kann sich so genannt haben, wie es Livius
erzählt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch
Klugheit und Muth die Gunst und das ganze Vertrauen
des Königs; die Nation durch Freygebigkeit und große
Eigenschaften. Ancus, der seinen Söhnen den Thron

vor Kypſelus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er
ſchon als ſeefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver-
band er ſich mit einer Etruskerinn, und gab den Soͤhnen
die ihm gebohren wurden mit einheimiſchen Nahmen ein-
heimiſche Erziehung. Aber den Fremden, falls ſie auch
das Buͤrgerrecht erhielten, war doch jede Ausſicht des
Ehrgeizes verſchloſſen. Lucumo, durch fruͤheren Tod
Aruns, des aͤlteren, einziger Erbe des großen Reichthums,
fand dies unertraͤglich, und nahm, ermuntert von ſeinem
Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las,
den Entſchluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium
gab ihr, ehe ſie Rom betraten die Zuverſicht daß ſie das
hoͤchſte hoffen duͤrften. Als ſie vom Janiculum herab zur
Tiber fuhren, ließ ſich ein Adler herab, ergriff den Hut
des Lucumo, entfuͤhrte ihn mit ſich in die Hoͤhe, ſenkte
ſich dann wieder herab und ſetzte den Hut als Krone auf
ſein Haupt. Mit dieſer Zuverſicht galt dem Fremden ſein
Reichthum nicht als ein zu ſchonender Beſitz, ſondern nur
als Mittel zur hoͤchſten Macht und Groͤße. Ancus ertheilte
ihm das Buͤrgerrecht, damals den Wenigen die es wuͤn-
ſchen mochten leicht geſchenkt, weil es Tauſenden aufge-
drungen ward. Cr nannte ſich Lucius Tarquinius: die
Spaͤteren haben ihm den Beynahmen Priſcus gegeben,
um ihn von dem Tyrannen ſeinem Enkel zu unterſcheiden,
nicht er ſelbſt kann ſich ſo genannt haben, wie es Livius
erzaͤhlt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch
Klugheit und Muth die Gunſt und das ganze Vertrauen
des Koͤnigs; die Nation durch Freygebigkeit und große
Eigenſchaften. Ancus, der ſeinen Soͤhnen den Thron

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="214"/>
vor Kyp&#x017F;elus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er<lb/>
&#x017F;chon als &#x017F;eefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver-<lb/>
band er &#x017F;ich mit einer Etruskerinn, und gab den So&#x0364;hnen<lb/>
die ihm gebohren wurden mit einheimi&#x017F;chen Nahmen ein-<lb/>
heimi&#x017F;che Erziehung. Aber den Fremden, falls &#x017F;ie auch<lb/>
das Bu&#x0364;rgerrecht erhielten, war doch jede Aus&#x017F;icht des<lb/>
Ehrgeizes ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Lucumo, durch fru&#x0364;heren Tod<lb/>
Aruns, des a&#x0364;lteren, einziger Erbe des großen Reichthums,<lb/>
fand dies unertra&#x0364;glich, und nahm, ermuntert von &#x017F;einem<lb/>
Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las,<lb/>
den Ent&#x017F;chluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium<lb/>
gab ihr, ehe &#x017F;ie Rom betraten die Zuver&#x017F;icht daß &#x017F;ie das<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;te hoffen du&#x0364;rften. Als &#x017F;ie vom Janiculum herab zur<lb/>
Tiber fuhren, ließ &#x017F;ich ein Adler herab, ergriff den Hut<lb/>
des Lucumo, entfu&#x0364;hrte ihn mit &#x017F;ich in die Ho&#x0364;he, &#x017F;enkte<lb/>
&#x017F;ich dann wieder herab und &#x017F;etzte den Hut als Krone auf<lb/>
&#x017F;ein Haupt. Mit die&#x017F;er Zuver&#x017F;icht galt dem Fremden &#x017F;ein<lb/>
Reichthum nicht als ein zu &#x017F;chonender Be&#x017F;itz, &#x017F;ondern nur<lb/>
als Mittel zur ho&#x0364;ch&#x017F;ten Macht und Gro&#x0364;ße. Ancus ertheilte<lb/>
ihm das Bu&#x0364;rgerrecht, damals den Wenigen die es wu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;chen mochten leicht ge&#x017F;chenkt, weil es Tau&#x017F;enden aufge-<lb/>
drungen ward. Cr nannte &#x017F;ich Lucius Tarquinius: die<lb/>
Spa&#x0364;teren haben ihm den Beynahmen Pri&#x017F;cus gegeben,<lb/>
um ihn von dem Tyrannen &#x017F;einem Enkel zu unter&#x017F;cheiden,<lb/>
nicht er &#x017F;elb&#x017F;t kann &#x017F;ich &#x017F;o genannt haben, wie es Livius<lb/>
erza&#x0364;hlt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch<lb/>
Klugheit und Muth die Gun&#x017F;t und das ganze Vertrauen<lb/>
des Ko&#x0364;nigs; die Nation durch Freygebigkeit und große<lb/>
Eigen&#x017F;chaften. Ancus, der &#x017F;einen So&#x0364;hnen den Thron<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0236] vor Kypſelus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er ſchon als ſeefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver- band er ſich mit einer Etruskerinn, und gab den Soͤhnen die ihm gebohren wurden mit einheimiſchen Nahmen ein- heimiſche Erziehung. Aber den Fremden, falls ſie auch das Buͤrgerrecht erhielten, war doch jede Ausſicht des Ehrgeizes verſchloſſen. Lucumo, durch fruͤheren Tod Aruns, des aͤlteren, einziger Erbe des großen Reichthums, fand dies unertraͤglich, und nahm, ermuntert von ſeinem Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las, den Entſchluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium gab ihr, ehe ſie Rom betraten die Zuverſicht daß ſie das hoͤchſte hoffen duͤrften. Als ſie vom Janiculum herab zur Tiber fuhren, ließ ſich ein Adler herab, ergriff den Hut des Lucumo, entfuͤhrte ihn mit ſich in die Hoͤhe, ſenkte ſich dann wieder herab und ſetzte den Hut als Krone auf ſein Haupt. Mit dieſer Zuverſicht galt dem Fremden ſein Reichthum nicht als ein zu ſchonender Beſitz, ſondern nur als Mittel zur hoͤchſten Macht und Groͤße. Ancus ertheilte ihm das Buͤrgerrecht, damals den Wenigen die es wuͤn- ſchen mochten leicht geſchenkt, weil es Tauſenden aufge- drungen ward. Cr nannte ſich Lucius Tarquinius: die Spaͤteren haben ihm den Beynahmen Priſcus gegeben, um ihn von dem Tyrannen ſeinem Enkel zu unterſcheiden, nicht er ſelbſt kann ſich ſo genannt haben, wie es Livius erzaͤhlt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch Klugheit und Muth die Gunſt und das ganze Vertrauen des Koͤnigs; die Nation durch Freygebigkeit und große Eigenſchaften. Ancus, der ſeinen Soͤhnen den Thron

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/236
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/236>, abgerufen am 31.10.2024.