Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

haben. Dies macht eine Analogie und Verwandtschaft
der allerdings verschiedenen Sprachen wahrscheinlich, wie
sie etwa zwischen dem Slavonischen und dem Litthauischen
besteht, wo wir auch ähnliche Folgen, eine allmähliche
Vertauschung dieser gegen jene Sprache, bemerken: und
zwar eine ähnliche Analogie bey den Siculern, welche
Oenotrer waren, wie bey den Epiroten. Der Nahme der
Choner, der nördlichen Oenotrer, scheint einerley mit dem
der Chaoner, des epirotischen Volks an dem Ceraunischen
Gebürg, gegenüber von Japygiens Cap; und ehe Victo-
rius bey Aristoteles änderte, las man bey ihm Chaoner
statt Choner. Wir können also in diesem Sinn mit der
alten Genealogie die drey Völker, Epiroten, Oenotrer
und Peuketier, für Zweige des Pelasgischen Stamms hal-
ten; aber solche Verbrüderung berechtigt nicht Auswan-
derung zu folgern. Diese Meinung wird durch den Trug-
schluß veranlaßt, Völker eines gemeinsamen Stammes
müßten einen gemeinschaftlichen Ursprung gehabt haben,
von dem sie genealogisch ausgingen. Eine Ansicht, die auch
bey den Alten herrschte, wenn gleich sie viele ursprünglich
verschiedene Geschlechter der Menschen anerkannten; und
die, wenn sie consequent bis zur Annahme der gemein-
schaftlichen Abstammung aller von einem Stammpaar ge-
führt ist, bey unbefangner Prüfung in ihrer Unhaltbarkeit
erscheint, sobald man das für diese Meinung ganz unent-
behrliche Wunder der Sprachverwirrung aufgiebt: ein
Wunder, welches freylich in Hinsicht der physisch nicht
auffallend verschiedenen Stämme hinreicht. Erkennt man
aber, daß aller Ursprung jenseits unsrer, nur Entwicke-

haben. Dies macht eine Analogie und Verwandtſchaft
der allerdings verſchiedenen Sprachen wahrſcheinlich, wie
ſie etwa zwiſchen dem Slavoniſchen und dem Litthauiſchen
beſteht, wo wir auch aͤhnliche Folgen, eine allmaͤhliche
Vertauſchung dieſer gegen jene Sprache, bemerken: und
zwar eine aͤhnliche Analogie bey den Siculern, welche
Oenotrer waren, wie bey den Epiroten. Der Nahme der
Choner, der noͤrdlichen Oenotrer, ſcheint einerley mit dem
der Chaoner, des epirotiſchen Volks an dem Cerauniſchen
Gebuͤrg, gegenuͤber von Japygiens Cap; und ehe Victo-
rius bey Ariſtoteles aͤnderte, las man bey ihm Chaoner
ſtatt Choner. Wir koͤnnen alſo in dieſem Sinn mit der
alten Genealogie die drey Voͤlker, Epiroten, Oenotrer
und Peuketier, fuͤr Zweige des Pelasgiſchen Stamms hal-
ten; aber ſolche Verbruͤderung berechtigt nicht Auswan-
derung zu folgern. Dieſe Meinung wird durch den Trug-
ſchluß veranlaßt, Voͤlker eines gemeinſamen Stammes
muͤßten einen gemeinſchaftlichen Urſprung gehabt haben,
von dem ſie genealogiſch ausgingen. Eine Anſicht, die auch
bey den Alten herrſchte, wenn gleich ſie viele urſpruͤnglich
verſchiedene Geſchlechter der Menſchen anerkannten; und
die, wenn ſie conſequent bis zur Annahme der gemein-
ſchaftlichen Abſtammung aller von einem Stammpaar ge-
fuͤhrt iſt, bey unbefangner Pruͤfung in ihrer Unhaltbarkeit
erſcheint, ſobald man das fuͤr dieſe Meinung ganz unent-
behrliche Wunder der Sprachverwirrung aufgiebt: ein
Wunder, welches freylich in Hinſicht der phyſiſch nicht
auffallend verſchiedenen Staͤmme hinreicht. Erkennt man
aber, daß aller Urſprung jenſeits unſrer, nur Entwicke-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="37"/>
haben. Dies macht eine Analogie und Verwandt&#x017F;chaft<lb/>
der allerdings ver&#x017F;chiedenen Sprachen wahr&#x017F;cheinlich, wie<lb/>
&#x017F;ie etwa zwi&#x017F;chen dem Slavoni&#x017F;chen und dem Litthaui&#x017F;chen<lb/>
be&#x017F;teht, wo wir auch a&#x0364;hnliche Folgen, eine allma&#x0364;hliche<lb/>
Vertau&#x017F;chung die&#x017F;er gegen jene Sprache, bemerken: und<lb/>
zwar eine a&#x0364;hnliche Analogie bey den Siculern, welche<lb/>
Oenotrer waren, wie bey den Epiroten. Der Nahme der<lb/>
Choner, der no&#x0364;rdlichen Oenotrer, &#x017F;cheint einerley mit dem<lb/>
der Chaoner, des epiroti&#x017F;chen Volks an dem Cerauni&#x017F;chen<lb/>
Gebu&#x0364;rg, gegenu&#x0364;ber von Japygiens Cap; und ehe Victo-<lb/>
rius bey Ari&#x017F;toteles a&#x0364;nderte, las man bey ihm Chaoner<lb/>
&#x017F;tatt Choner. Wir ko&#x0364;nnen al&#x017F;o in die&#x017F;em Sinn mit der<lb/>
alten Genealogie die drey Vo&#x0364;lker, Epiroten, Oenotrer<lb/>
und Peuketier, fu&#x0364;r Zweige des Pelasgi&#x017F;chen Stamms hal-<lb/>
ten; aber &#x017F;olche Verbru&#x0364;derung berechtigt nicht Auswan-<lb/>
derung zu folgern. Die&#x017F;e Meinung wird durch den Trug-<lb/>
&#x017F;chluß veranlaßt, Vo&#x0364;lker eines gemein&#x017F;amen Stammes<lb/>
mu&#x0364;ßten einen gemein&#x017F;chaftlichen Ur&#x017F;prung gehabt haben,<lb/>
von dem &#x017F;ie genealogi&#x017F;ch ausgingen. Eine An&#x017F;icht, die auch<lb/>
bey den Alten herr&#x017F;chte, wenn gleich &#x017F;ie viele ur&#x017F;pru&#x0364;nglich<lb/>
ver&#x017F;chiedene Ge&#x017F;chlechter der Men&#x017F;chen anerkannten; und<lb/>
die, wenn &#x017F;ie con&#x017F;equent bis zur Annahme der gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Ab&#x017F;tammung aller von einem Stammpaar ge-<lb/>
fu&#x0364;hrt i&#x017F;t, bey unbefangner Pru&#x0364;fung in ihrer Unhaltbarkeit<lb/>
er&#x017F;cheint, &#x017F;obald man das fu&#x0364;r die&#x017F;e Meinung ganz unent-<lb/>
behrliche Wunder der Sprachverwirrung aufgiebt: ein<lb/>
Wunder, welches freylich in Hin&#x017F;icht der phy&#x017F;i&#x017F;ch nicht<lb/>
auffallend ver&#x017F;chiedenen Sta&#x0364;mme hinreicht. Erkennt man<lb/>
aber, daß aller Ur&#x017F;prung jen&#x017F;eits un&#x017F;rer, nur Entwicke-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0059] haben. Dies macht eine Analogie und Verwandtſchaft der allerdings verſchiedenen Sprachen wahrſcheinlich, wie ſie etwa zwiſchen dem Slavoniſchen und dem Litthauiſchen beſteht, wo wir auch aͤhnliche Folgen, eine allmaͤhliche Vertauſchung dieſer gegen jene Sprache, bemerken: und zwar eine aͤhnliche Analogie bey den Siculern, welche Oenotrer waren, wie bey den Epiroten. Der Nahme der Choner, der noͤrdlichen Oenotrer, ſcheint einerley mit dem der Chaoner, des epirotiſchen Volks an dem Cerauniſchen Gebuͤrg, gegenuͤber von Japygiens Cap; und ehe Victo- rius bey Ariſtoteles aͤnderte, las man bey ihm Chaoner ſtatt Choner. Wir koͤnnen alſo in dieſem Sinn mit der alten Genealogie die drey Voͤlker, Epiroten, Oenotrer und Peuketier, fuͤr Zweige des Pelasgiſchen Stamms hal- ten; aber ſolche Verbruͤderung berechtigt nicht Auswan- derung zu folgern. Dieſe Meinung wird durch den Trug- ſchluß veranlaßt, Voͤlker eines gemeinſamen Stammes muͤßten einen gemeinſchaftlichen Urſprung gehabt haben, von dem ſie genealogiſch ausgingen. Eine Anſicht, die auch bey den Alten herrſchte, wenn gleich ſie viele urſpruͤnglich verſchiedene Geſchlechter der Menſchen anerkannten; und die, wenn ſie conſequent bis zur Annahme der gemein- ſchaftlichen Abſtammung aller von einem Stammpaar ge- fuͤhrt iſt, bey unbefangner Pruͤfung in ihrer Unhaltbarkeit erſcheint, ſobald man das fuͤr dieſe Meinung ganz unent- behrliche Wunder der Sprachverwirrung aufgiebt: ein Wunder, welches freylich in Hinſicht der phyſiſch nicht auffallend verſchiedenen Staͤmme hinreicht. Erkennt man aber, daß aller Urſprung jenſeits unſrer, nur Entwicke-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/59
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/59>, abgerufen am 31.10.2024.