Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr
meine Tugend in ihrem Glauben.

Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer
hin: flugs stellte eure "Frömmigkeit" ihre fetteren
Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch
mein Heiligstes erstickte.

Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch
tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da
überredetet ihr meinen liebsten Sänger.

Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise
an; ach, er tutete mir, wie ein düsteres Horn, zu
Ohren!

Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Un¬
schuldigster! Schon stand ich bereit zum besten
Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine Ver¬
zückung!

Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge
Gleichniss zu reden: -- und nun blieb mir mein
höchstes Gleichniss ungeredet in meinen Gliedern!

Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste
Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und
Tröstungen meiner Jugend!

Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand
ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder
aus diesen Gräbern?

Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an
mir, ein Felsensprengendes: das heisst mein Wille.
Schweigsam schreitet es und unverändert durch die
Jahre.

Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein

immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr
meine Tugend in ihrem Glauben.

Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer
hin: flugs stellte eure „Frömmigkeit“ ihre fetteren
Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch
mein Heiligstes erstickte.

Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch
tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da
überredetet ihr meinen liebsten Sänger.

Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise
an; ach, er tutete mir, wie ein düsteres Horn, zu
Ohren!

Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Un¬
schuldigster! Schon stand ich bereit zum besten
Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine Ver¬
zückung!

Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge
Gleichniss zu reden: — und nun blieb mir mein
höchstes Gleichniss ungeredet in meinen Gliedern!

Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste
Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und
Tröstungen meiner Jugend!

Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand
ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder
aus diesen Gräbern?

Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an
mir, ein Felsensprengendes: das heisst mein Wille.
Schweigsam schreitet es und unverändert durch die
Jahre.

Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="45"/>
immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr<lb/>
meine Tugend in ihrem Glauben.</p><lb/>
        <p>Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer<lb/>
hin: flugs stellte eure &#x201E;Frömmigkeit&#x201C; ihre fetteren<lb/>
Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch<lb/>
mein Heiligstes erstickte.</p><lb/>
        <p>Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch<lb/>
tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da<lb/>
überredetet ihr meinen liebsten Sänger.</p><lb/>
        <p>Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise<lb/>
an; ach, er tutete mir, wie ein düsteres Horn, zu<lb/>
Ohren!</p><lb/>
        <p>Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Un¬<lb/>
schuldigster! Schon stand ich bereit zum besten<lb/>
Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine Ver¬<lb/>
zückung!</p><lb/>
        <p>Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge<lb/>
Gleichniss zu reden: &#x2014; und nun blieb mir mein<lb/>
höchstes Gleichniss ungeredet in meinen Gliedern!</p><lb/>
        <p>Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste<lb/>
Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und<lb/>
Tröstungen meiner Jugend!</p><lb/>
        <p>Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand<lb/>
ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder<lb/>
aus diesen Gräbern?</p><lb/>
        <p>Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an<lb/>
mir, ein Felsensprengendes: das heisst <hi rendition="#g">mein Wille</hi>.<lb/>
Schweigsam schreitet es und unverändert durch die<lb/>
Jahre.</p><lb/>
        <p>Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0055] immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben. Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure „Frömmigkeit“ ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch mein Heiligstes erstickte. Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger. Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie ein düsteres Horn, zu Ohren! Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Un¬ schuldigster! Schon stand ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine Ver¬ zückung! Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden: — und nun blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in meinen Gliedern! Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und Tröstungen meiner Jugend! Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern? Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das heisst mein Wille. Schweigsam schreitet es und unverändert durch die Jahre. Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/55
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/55>, abgerufen am 31.10.2024.