Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849.Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849. [Spaltenumbruch] Die dringende Lage des Vaterlandes. . Frankfurt a. M., 6 April.Selten ist in einem Parlamente Was aber nun? Ist noch eine Rettung der deutschen Einheit möglich? Die jüngsten Adreßdebatten der zweiten preußischen Berlin, 6 April.Kammer. Von den Rednern der gestrigen Sitzung muß Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849. [Spaltenumbruch] Die dringende Lage des Vaterlandes. . Frankfurt a. M., 6 April.Selten iſt in einem Parlamente Was aber nun? Iſt noch eine Rettung der deutſchen Einheit möglich? Die jüngſten Adreßdebatten der zweiten preußiſchen ☿ Berlin, 6 April.Kammer. Von den Rednern der geſtrigen Sitzung muß <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849.</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die dringende Lage des Vaterlandes.</hi> </head><lb/> <dateline>. <hi rendition="#b">Frankfurt a. M.,</hi> 6 April.</dateline><lb/> <p>Selten iſt in einem Parlamente<lb/> ſo anhaltend und mit ſolcher äußerſten Anſtrengung aller Kräfte um die<lb/> Mehrheit gerungen, Mann um Mann, Seele um Seele erkämpft, eine<lb/> Stellung erſtürmt, verloren, wieder erſtürmt und noch einmal verloren<lb/> worden, wie hier in der deutſchen Oberhauptsfrage. Fühlte doch jeder<lb/> daß es um das Schickſal unſeres armen, ſeit Jahrhunderten zerriſſenen<lb/> und neuer Zerreißung ausgeſetzten Vaterlandes ſich handle. Wer, wie<lb/> Ihr Briefſteller, mitten im Gefechte ſtand und, keiner extremen politiſchen<lb/> Partei, keinem der Hauptſtämme angehörend, in der Lage war den Kampf<lb/> leichter zu überſehen, als ſolche welche ausſchließlich nur mit der eigenen<lb/> Partei in Berührung find, der wird und muß namentlich der Linken, und<lb/> ganz beſonders den öſterreichiſchen Mitgliedern derſelben das Zeugniß ge-<lb/> ben daß ſie mit der reinſten, aufopferndſten Treue und Vaterlandsliebe<lb/> die Einheit ganz Deutſchlands unverrückt in dieſer großen Frage im Auge<lb/> hatten und unerſchütterlich verfochten. Mit der innigſten Hochachtung<lb/> mußte die Ausdauer erfüllen mit welcher Berger, Kollaczek, Giskra und<lb/> andere öſterreichiſche Mitglieder der Linken und des linken Centrums für<lb/> die Einheit Oeſterreichs mit dem übrigen Deutſchland in den Parteiver-<lb/> ſammlungen der Linken und der Oeſterreicher wirkten, die Aufrichtigkeit,<lb/> Redlichkeit und Beiſeitſetzung jeder pedantiſchen Principienreiterei, mit<lb/> welchen ſie dem oberſten Zwecke der Vermittlung der Parteien und der<lb/> Stämme zu Rettung der Einheit ſich widmeten und dieſelbe durch eine<lb/> Directorialſpitze zu erreichen hofften. Leider war ihr Bemühen, wie das<lb/> der übrigen Süddeutſchen und das der Linken, hiefür vergeblich. 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Bei Gott, wenn in Wien eine ſolche Unkenntniß deſſen<lb/> was die deutſche Nation <hi rendition="#g">aller</hi> Parteien, <hi rendition="#g">einmüthig,</hi> wie <hi rendition="#g">ein</hi> Mann<lb/> will, woran ſie Gut und Blut zu ſetzen bereit iſt, um was ſie wie eine Lö-<lb/> win um ihre Jungen kämpfen würde, eine ſolche Verkennung der Elemen-<lb/> tarbegriffe unſeres deutſchen Wollens herrſchen könnten, dann ja dann<lb/> freilich hätten die Kleindeutſchen gewonnen Spiel. 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Denn Deutſchland iſt in ſein Man-<lb/> nesalter getreten, und Männer laſſen ſich nicht mehr wie Kinder gängeln.<lb/> Gerade diejenigen denen es am aufrichtigſten und ehrlichſten um die deutſche<lb/> Einheit zu thun iſt, die am bitterſten den Tag einer Trennung von unſern öſter-<lb/> reichiſchen Brüdern verfluchen würden, und am ſtandhafteſten der Confisca-<lb/> tion der deutſchen Bewegung für das preußiſche Sonderintereſſe widerſte-<lb/> hen — gerade dieſe werden auch die deutſchen Volks- und nationalen Ver-<lb/> faſſungsrechte am hartnäckigſten vertheidigen, und die Regierungen wür-<lb/> den ſich bitter täuſchen, welche unter dem Vorwande der Erhaltung der<lb/> deutſchen Einheit dieſe Volks- und Verfaſſungsrechte antaſten und dabei<lb/> auf Sympathien in Deutſchland, anſtatt auf beſtändigen Widerſtand<lb/> rechnen wollten. 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Der letzte ſey der<lb/> ſeine, und ihn habe auch das Miniſterium in ſeiner geſtrigen Erklärung<lb/> eingenommen; deßhalb ſtimme er für einfache Tagesordnung. Mit tie-<lb/> fem Bedauern müſſe er ſagen daß er der motivirten Tagesordnung Vincke’s<lb/> auf keinen Fall ſich anſchließen könne, weil darin eine unrichtige Vor-<lb/> ausſetzung enthalten ſey. Dieſe Tagesordnung ſpreche von einer <hi rendition="#g">Ableh-<lb/> nung</hi> des Königs; eine ſolche ſey aber <hi rendition="#g">nicht</hi> erfolgt. Der Abgeordnete<lb/> Moritz bekämpfte den Antrag. Sein Hauptgrund war: die Kammer muß<lb/> eine Erklärung abgeben, man muß erfahren ob ſie deutſch oder nicht deutſch<lb/> geſinnt iſt. Er erinnerte daran daß der Vorredner im März zum Auf-<lb/> pflanzen der deutſchen Fahnen gerathen. Schwerin: das könnte ich noch<lb/> heute. Moritz: ja, wenn es der General Wrangel erlaubte! (Geläch-<lb/> ter). Nach Verleſung der Anträge auf Tagesordnung ergreift der Be-<lb/> richterſtatter Vincke das Wort. 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Es war nicht möglich daß<lb/> das Miniſterium den Panzer der Reaction, den es von ſeinen Vorgängern<lb/> empfangen und ſelber ſoviel als möglich befeſtigt hat, in einer Nacht ab-<lb/> warf; und was nicht möglich iſt, ſoll man auch von niemand verlangen.<lb/> (Lachen). Die Regierung will die deutſche Verfaſſung mit den Fürſten<lb/> vereinbaren; dieſe wird mithin ſo werden wie ſie die Fürſten wollen, nicht<lb/> wie ſie das Volk will. Man wird die freiſinnigen Beſtimmungen heraus-<lb/> nehmen, man wird einen §. 105 hineinbringen, dann wird man ſie anneh-<lb/> men. Die Fürſten ſollen frei ſeyn, darum will man mit ihnen vereinba-<lb/> ren. Aber frei iſt nur der Fürſt der als erſter Diener des Volks den<lb/> durch die Vertreter erklärten Willen des Volks frei erfüllt, nicht der ab-<lb/> ſolute Monarch der in Abhängigkeit ſteht von ſeinem Beichtvater, von ſei-<lb/> nen Hofräthen, von der Camarilla. (Beifall links). Das Volk will er-<lb/> löst ſeyn von dem Druck der Büreaukratie, es will ſeine Angelegenheiten<lb/> ſelbſt beſorgen, es verabſcheut die Attentate auf die freie Preſſe und das<lb/> Verſammlungsrecht. Das Volk will nicht ein Heer, welchem man den<lb/> Geiſt blinden Gehorſams einfuchtelt (der Kriegsminiſter lächelt) damit<lb/> man mit ihm das Volk unterdrücken könne; es will nicht daß man die<lb/> edeln Italiener und Polen bekämpfe — es will ein Volksheer, das freudig die<lb/> Fahne der Demokratie erhebt, um gegen äußere und innere Feinde zu ziehen;<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849.
Die dringende Lage des Vaterlandes.
. Frankfurt a. M., 6 April.
Selten iſt in einem Parlamente
ſo anhaltend und mit ſolcher äußerſten Anſtrengung aller Kräfte um die
Mehrheit gerungen, Mann um Mann, Seele um Seele erkämpft, eine
Stellung erſtürmt, verloren, wieder erſtürmt und noch einmal verloren
worden, wie hier in der deutſchen Oberhauptsfrage. Fühlte doch jeder
daß es um das Schickſal unſeres armen, ſeit Jahrhunderten zerriſſenen
und neuer Zerreißung ausgeſetzten Vaterlandes ſich handle. Wer, wie
Ihr Briefſteller, mitten im Gefechte ſtand und, keiner extremen politiſchen
Partei, keinem der Hauptſtämme angehörend, in der Lage war den Kampf
leichter zu überſehen, als ſolche welche ausſchließlich nur mit der eigenen
Partei in Berührung find, der wird und muß namentlich der Linken, und
ganz beſonders den öſterreichiſchen Mitgliedern derſelben das Zeugniß ge-
ben daß ſie mit der reinſten, aufopferndſten Treue und Vaterlandsliebe
die Einheit ganz Deutſchlands unverrückt in dieſer großen Frage im Auge
hatten und unerſchütterlich verfochten. Mit der innigſten Hochachtung
mußte die Ausdauer erfüllen mit welcher Berger, Kollaczek, Giskra und
andere öſterreichiſche Mitglieder der Linken und des linken Centrums für
die Einheit Oeſterreichs mit dem übrigen Deutſchland in den Parteiver-
ſammlungen der Linken und der Oeſterreicher wirkten, die Aufrichtigkeit,
Redlichkeit und Beiſeitſetzung jeder pedantiſchen Principienreiterei, mit
welchen ſie dem oberſten Zwecke der Vermittlung der Parteien und der
Stämme zu Rettung der Einheit ſich widmeten und dieſelbe durch eine
Directorialſpitze zu erreichen hofften. Leider war ihr Bemühen, wie das
der übrigen Süddeutſchen und das der Linken, hiefür vergeblich. Die
Wahrheit und Unparteilichkeit erheiſchen übrigens zu ſagen daß hieran
keineswegs allein die allerdings unſäglichen Bemühungen der preußi-
ſchen Partei die Schuld trugen, ſondern eben ſo ſehr der Mangel eines
irgend befriedigenden Entgegenkommens von Seiten der öſterreichiſchen
Regierung. Denn dieſer Mangel war es unzweifelhaft welcher die
Schwankenden und Zweifelhaften ins preußiſche Lager hinübertrieb oder
hinübergeleiten half.
Was aber nun? Iſt noch eine Rettung der deutſchen Einheit möglich?
So fragen ſich mit ſchwermüthiger Erwägung alle welchen vor dem Ge-
danken graut das Vaterland zerriſſen und zerfleiſcht zu ſehen. Es iſt
leider nicht mehr die elfte ſondern die dreizehnte Stunde. Aber auch
in dieſer, und in ihr ſogar mehr als je, ſollte nur das Zweckmäßige ge-
ſchehen. Denn es iſt keine Zeit mehr zu verlieren. Als ich im öſter-
reichiſchen Lloyd noch in dieſen Tagen eine deutſche Politik in Ausſicht
ſtellen ſah, bei welcher die Gemeinſamkeit der Grundrechte, die gemein-
ſamen nationalen Einrichtungen, die gemeinſchaftliche Geſetzgebung, das
Volkshaus — mit einem Worte, alle großen Errungenſchaften der Nation
und ihrer Vertretung bekämpft, ja ſogar die Zolleinheit als ein nur künf-
tig Mögliches bezeichnet worden iſt — da, ich geſtehe es Ihnen — da
ſchwindelte es mir vor den Augen: ich faßte mich am Kopfe, ob ich wache
oder träume; ich fragte mich, ob ich Deutſch leſe, ob ich im Jahr 1849
mich befinde? Bei Gott, wenn in Wien eine ſolche Unkenntniß deſſen
was die deutſche Nation aller Parteien, einmüthig, wie ein Mann
will, woran ſie Gut und Blut zu ſetzen bereit iſt, um was ſie wie eine Lö-
win um ihre Jungen kämpfen würde, eine ſolche Verkennung der Elemen-
tarbegriffe unſeres deutſchen Wollens herrſchen könnten, dann ja dann
freilich hätten die Kleindeutſchen gewonnen Spiel. Wenn man jetzt
in Wien nicht einſehen ſollte daß die deutſche Einheit, daß die Verbindung
Oeſterreichs mit Deutſchland nur durch offene, unumwundene Aner-
kennung der von der Nationalverſammlung beſchloſſenen Verfaſſung mög-
lich, und daß nur die Oberhauptsfrage einer anderen Lö-
ſung fähig iſt, daß die Nation aber nun und nimmermehr die gemein-
ſamen, verfaſſungsmäßig für ganz Deutſchland feſtgeſtellten Grundrechte
und die übrige Verfaſſung ſich entreißen laſſen wird, daß alles Andere
nur die Drachenzähne der Umwälzung und des Bürgerkrieges ſäen hieße,
dann, müßte man ſich mit Verzweiflung geſtehen, wäre die Einheit Deutſch-
lands verloren. Eine ſolche Politik hieße in der That nur: travailler
pour le roi de Prusse. Möchte man ſich dabei nicht auf den Widerſtand
einzelner deutſcher Regierungen noch auf die Gewalt der Waffen verlaſſen.
Wer die Nation gegen ſich hat, wird auf die Dauer unterliegen. Deutſch-
land iſt zu aufgeklärt, es iſt ſich ſeiner Rechte und Intereſſen zu deutlich
bewußt geworden als daß eine neue Bundestagspolitik unter irgend-
einer Form möglich wäre. Es gibt ſicherlich — jeder, der Deutſchland
kennt wird dieß beſtätigen — es gibt ſicherlich nur ein Mittel Deutſch-
land dauernd zu einigen und zu beruhigen: die Achtung des National-
willens, welcher die Freiheit und die Einheit in der von der Nation
durch ihre Vertreter beſtimmten Weiſe fordert, und fie ſolange fordern und
erkämpfen wird, bis er ſie erlangt hat. Denn Deutſchland iſt in ſein Man-
nesalter getreten, und Männer laſſen ſich nicht mehr wie Kinder gängeln.
Gerade diejenigen denen es am aufrichtigſten und ehrlichſten um die deutſche
Einheit zu thun iſt, die am bitterſten den Tag einer Trennung von unſern öſter-
reichiſchen Brüdern verfluchen würden, und am ſtandhafteſten der Confisca-
tion der deutſchen Bewegung für das preußiſche Sonderintereſſe widerſte-
hen — gerade dieſe werden auch die deutſchen Volks- und nationalen Ver-
faſſungsrechte am hartnäckigſten vertheidigen, und die Regierungen wür-
den ſich bitter täuſchen, welche unter dem Vorwande der Erhaltung der
deutſchen Einheit dieſe Volks- und Verfaſſungsrechte antaſten und dabei
auf Sympathien in Deutſchland, anſtatt auf beſtändigen Widerſtand
rechnen wollten. Dieß die aufrichtigen Worte eines tief um die nächſten
Schickſale ſeines Vaterlandes, aber nicht um den endlichen Ausgang des
Kampfes Bekümmerten. Moriz Mohl.
Die jüngſten Adreßdebatten der zweiten preußiſchen
Kammer.
☿ Berlin, 6 April.
Von den Rednern der geſtrigen Sitzung muß
ich zuerſt des Grafen Schwerin erwähnen, der in Folge der Circularnote
ſeinen Antrag auf motivirte Tagesordnung zurückgezogen hatte und für
einfache Tagesordnung ſprach. Er unterſchied drei politiſche Standpunkte:
den der Revolution, den der Contrerevolution, und denjenigen der die That-
ſachen nach ihrer innern Berechtigung zu würdigen, ſie mit dem Recht zu
vermitteln und ſo die Revolution zu ſchließen ſuche. Der letzte ſey der
ſeine, und ihn habe auch das Miniſterium in ſeiner geſtrigen Erklärung
eingenommen; deßhalb ſtimme er für einfache Tagesordnung. Mit tie-
fem Bedauern müſſe er ſagen daß er der motivirten Tagesordnung Vincke’s
auf keinen Fall ſich anſchließen könne, weil darin eine unrichtige Vor-
ausſetzung enthalten ſey. Dieſe Tagesordnung ſpreche von einer Ableh-
nung des Königs; eine ſolche ſey aber nicht erfolgt. Der Abgeordnete
Moritz bekämpfte den Antrag. Sein Hauptgrund war: die Kammer muß
eine Erklärung abgeben, man muß erfahren ob ſie deutſch oder nicht deutſch
geſinnt iſt. Er erinnerte daran daß der Vorredner im März zum Auf-
pflanzen der deutſchen Fahnen gerathen. Schwerin: das könnte ich noch
heute. Moritz: ja, wenn es der General Wrangel erlaubte! (Geläch-
ter). Nach Verleſung der Anträge auf Tagesordnung ergreift der Be-
richterſtatter Vincke das Wort. Er beleuchtet die beiden Adreßentwürfe
und erklärt warum er einen Antrag auf Tagesordnung geſtellt. Die Po-
litik des Miniſteriums halte er für verderblich, da nach derſelben nicht ab-
zuſehen ſey wann die geforderte Vereinbarung beginnen, und wann ſie auf-
hören ſolle. Nach Erlaß der Circularnote ſey aber die Regierung gebun-
den die Erklärungen der übrigen deutſchen Staaten abzuwarten, und man
dürfe daher nicht in einer Adreſſe darauf antragen vor Einlauf dieſer Er-
klärungen zu handeln. Löhr von der Linken vertheidigt die Adreſſe von
Kirchmann und greift das Miniſterium an. Ihm folgt Waldeck, der im
weſentlichen ſagt: nach Anhörung der Circularnote iſt von der rechten
Seite ein Antrag auf Erlaß einer Adreſſe geſtellt worden, weil die An-
tragſteller vom Miniſterium ſich getäuſcht ſahen. Wir ſind nicht getäuſcht
worden; wir haben nichts anderes erwartet. Es war nicht möglich daß
das Miniſterium den Panzer der Reaction, den es von ſeinen Vorgängern
empfangen und ſelber ſoviel als möglich befeſtigt hat, in einer Nacht ab-
warf; und was nicht möglich iſt, ſoll man auch von niemand verlangen.
(Lachen). Die Regierung will die deutſche Verfaſſung mit den Fürſten
vereinbaren; dieſe wird mithin ſo werden wie ſie die Fürſten wollen, nicht
wie ſie das Volk will. Man wird die freiſinnigen Beſtimmungen heraus-
nehmen, man wird einen §. 105 hineinbringen, dann wird man ſie anneh-
men. Die Fürſten ſollen frei ſeyn, darum will man mit ihnen vereinba-
ren. Aber frei iſt nur der Fürſt der als erſter Diener des Volks den
durch die Vertreter erklärten Willen des Volks frei erfüllt, nicht der ab-
ſolute Monarch der in Abhängigkeit ſteht von ſeinem Beichtvater, von ſei-
nen Hofräthen, von der Camarilla. (Beifall links). Das Volk will er-
löst ſeyn von dem Druck der Büreaukratie, es will ſeine Angelegenheiten
ſelbſt beſorgen, es verabſcheut die Attentate auf die freie Preſſe und das
Verſammlungsrecht. Das Volk will nicht ein Heer, welchem man den
Geiſt blinden Gehorſams einfuchtelt (der Kriegsminiſter lächelt) damit
man mit ihm das Volk unterdrücken könne; es will nicht daß man die
edeln Italiener und Polen bekämpfe — es will ein Volksheer, das freudig die
Fahne der Demokratie erhebt, um gegen äußere und innere Feinde zu ziehen;
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(2022-09-09T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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