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Allgemeine Zeitung, Nr. 103, 13. April 1849.

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Beilage zu Nr. 103 der Allgemeinen Zeitung vom 13 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Vischers Aesthetik.

D. Da wir jetzt einen Kaiser gemacht haben, wird es auch wieder
erlaubt seyn um dessen Bart zu streiten, d. h. über Kunst, Wissenschaft,
Litteratur und was sonst zu des Lebens Nothdurft nicht gehört, sich und
andere zu unterhalten. Doch fürchten Sie nicht ich werde in der Zügel-
losigkeit gleich so weit gehen Ihnen etwa vom Theater zu schreiben: nein,
es ist ein Buch über das ich Ihnen berichten will -- ein Buch der Wissen-
schaft freilich, und zwar einer Luxuswissenschaft; doch kann ich Ihnen
auch Politik daraus ziehen, wenn Sie's durchaus haben wollen: sitzt ja
sein Verfasser in der Paulskirche, linker Hand, und dieser linke Zug ist
auch in seinem Buche, das er natürlich vor dem Heilsjahr 1848 geschrieben
hat, schon deutlich zu bemerken.

Zwar die Form seines Buches -- das muß ihm seitdem schwer aufs
Herz gefallen seyn -- ist eben nicht sehr demokratisch, im Gegentheil noch
ziemlich exclusiv. Die enggeschnürten Paragraphen und die von ihnen
commandirten Erläuterungen marschiren so stramm wie Wrangel'sche oder
Radetzky'sche Regimenter, und gar nicht wie eine gemüthliche Bürgerwehr
an uns vorüber. Etwas mehr Annäherung an den gemeinen Mann
möchte selbst derjenige wünschen der von rohem Fraternisiren der Wissen-
schaft mit dem Haufen nicht gerade ein Freund ist. Doch ist hierin ein
Unterschied zwischen den beiden bis jetzt erschienenen Bänden, ein erfreu-
licher Fortschritt, nicht zu verkennen. Zum Theil lag er in der Natur
der Gegenstände. Der erste Band enthielt gleichsam den Unterbau des
Systems, die tiefgegrabenen Fundamente, wo nicht selten das Grubenlicht
der Philosophie zu Hülfe genommen werden mußte, bei dem bekanntlich
manchem Auge das Sehen vergeht. Doch wer die Geduld hat dem Bau-
meister in diesen unterirdischen Regionen zur Seite zu bleiben, sich von
ihm in den wohlgesprengten Gewölben, um die festgefugten Pfeiler herum-
führen zu lassen, der wird allmählich die Gegenstände unterscheiden lernen
und die Kunst und Solidität des Baues bewundern. Es darf mit Be-
stimmtheit ausgesprochen werden daß die ästhetischen Grundbegriffe, die
täglich jeder so zuversichtlich handhabt, und doch nur wenige richtig zu
fassen wissen, die Begriffe des Schönen und Häßlichen, des Erhabenen
und Lächerlichen, des Tragischen und Komischen, und in allen diesen wie-
der des Verhältnisses von Bild und Idee, Inhalt und Form, noch nir-
gends so tief zugleich und so scharf und umfassend entwickelt worden sind.

Doch Glückauf! ruft man sich und dem Verfasser zu, wenn man im
zweiten Bande mit ihm aus dem Schattenreiche des Begriffs zum Tag der
Wirklichkeit emporsteigt. Die Wurzeln birgt sie im Schooße der Nacht,
aber ihres Kelches Farbenpracht und Duft kann die Blume des Schönen
nur im lebendigen Licht entfalten. Hier nun erst fühlt sich auch unser
Führer ganz er selbst, hier ist er in seinem Elemente, die Arbeit wird ihm
Spiel, und indem er mit scharfem Auge die Gegenstände ringsumher
mustert, führt er uns rasch und sicher am nie abreißenden Faden des Be-
griffs durch das bunte, sinnverwirrende Gedränge. Hatte sich im ersten
Theile Vischer, obwohl in wesentlichen Stücken ihn berichtigend, an Hegel
angeschlossen, so ist dieser zweite im strengsten Sinn sein Eigenthum.
Schon die Eintheilung, die ganze Oekonomie desselben ist ein Meister-
stück. Was ist das Schöne? hatte der erste Theil gefragt; was ist es
wodurch das ästhetisch Wohlgefällige uns wohlgefällt, und worauf beruhen
die verschiedenen Arten dieses Wohlgefallens? Gut, nun wissen wir also
wann und warum etwas schön, erhaben, lächerlich ist; wenn es etwas
schönes u. s. f. gibt, so muß es so und so beschaffen seyn; um so begie-
riger sind wir jetzt dem Schönen wirklich zu begegnen: wo sinden wir es?
fragen wir nun, und ist es überhaupt irgendwo schon fertig vorhanden,
oder muß es immer erst durch menschliches Zuthun hervorgebracht werden?
Hierauf beruht die Eintheilung des zweiten Theiles der Vischer'schen
Aesthetik: in die Lehre vom Naturschönen und von der Phantasie.
Das Schöne suchend durchwandern wir mit ihm die weiten Reiche der
Natur und Geschichte (beide begreift er unter dem Ausdruck Natur, den
er als Aesthetiker befugt ist nur im Gegensatz gegen die Kunst zu nehmen),
wir betrachten die Umrisse der Berge, die Zauber des Lichtes, blicken vom
Strand auf das unendliche Meer hinaus; wir bewundern die üppige Fülle
der tropischen Pflanzenwelt, Aug' und Sinn steigt himmelwärts mit dem
schlanken Wuchs der Tanne, und ruht in den Schatten- und Laubmassen
der mächtigen Eiche, der sanfteren Linde. Sofort läßt das Thierreich,
wie auf Tamino's Flötenton, seine Riesen und seine Zwerge, seine Zier-
den und seine Fratzen an uns vorüberziehen, und hiebei besonders ent-
wickelt Vischer eine Fülle der sinnigsten Beobachtungen und gibt eine Reihe
allerliebster Thierstücke zum Besten. Daß er in dem artigen Doppelbilde,
wo er Hund und Katze "wie Biedermann und Diplomat" einander gegen-
[Spaltenumbruch] überstellt, den letztern, beziehungsweise die Katze, mit sichtlicher Ungunst
behandelt, darin zeigt sich bereits der Mann der Frankfurter Linken; daß
er aber sofort dem Esel seine Dummheit ins Gewissen schiebt, das muß
wohl auf früheren Erfahrungen beruhen. Seinen Gipfel erreicht das
Thierreich und die sichtbare Natur überhaupt in der menschlichen Gestalt;
und in demjenigen was Vischer über sie, ihre einzelnen Theile, den Cha-
rakter der Geschlechter etc. sagt, beurkundet er sich als gebornen Aesthetiker.
Dieses ganze so vor uns aufgerollte Naturgemälde ist ein würdiges Seiten-
stück zu demjenigen welches A. v. Humboldt im ersten Theile seines Kos-
mos entwirft, nur jenes aus dem ästhetischen, wie dieses vom Standpunkte
des Naturforschers aufgenommen. Hat sich uns nun das Schöne im Be-
reiche der sichtbaren Natur gezeigt? Schönes haben wir wohl in Fülle,
doch das Schöne nirgends gefunden, oder, genauer ausgedrückt, nichts
was ganz, nach allen Theilen und in allen Beziehungen, rein und unge-
trübt schön wäre. Keine wirkliche Landschaft ist ganz ohne unbedeutende
oder störende Partien; kein noch so schöner Leib ist an allen Gliedern
tadellos.

Mit dem Menschen treten wir in die Geschichte ein, und nun kommt
das geschichtliche Leben der Menschheit in den verschiedenen Zonen und
Zeitaltern an die Reihe der Betrachtung. Des prächtigen Orients, des
schönen Griechenlands, des erhabenen Roms, des tieffinnig verworrenen
Mittelalters, der heller immer, doch auch kahler werdenden Neuzeit
Sitten, Verfassungen, Thaten und Schicksale werden nach ihren ästheti-
schen Umrissen gezeichnet, und hier führt der Verfasser gegen den wie
freiheits- so auch schönheitsfeindlichen Polizeistaat der damaligen Gegen-
wart im Interesse der lebendigeren Bewegung des Volks und des Einzelnen
eine Polemik, die ihm seiner Zeit Verdrießlichkeiten von der württember-
gischen Censur, kurz vor deren seligem Verscheiden, zuzog. Man sieht,
wie wunderlich der Herr die Seinen führt: hier ist einer einmal auf ästhe-
tischem Wege zum Demokraten geworden. Doch, wie steht es nun aber-
mals mit dem Schönen? Auch keine geschichtliche Figur, That oder Be-
gebenheit ist so wie sie ist schön zu nennen; nicht allein hat das geschicht-
liche Handeln ganz andere Zwecke als den der Schönheit, sondern auch
objectiv sind die Charaktere und Ereignisse der Geschichte so verschlungen
in physische Bedürftigkeit, prosaische Mittel, Vorbereitungen und Zusam-
menhänge, daß auch hier, wie bei der natürlich schönen Gestalt, von einer
Menge von Zügen erst abgesehen und die übrigen in sich zusammengezogen
werden müssen, um das Gegebene schön, erhaben oder auch lächerlich (denn
hier hindert die Verflechtung mit ernsthaften Interessen) zu finden.

Das Ergebniß ist also daß das Schöne überhaupt nicht als ein Ge-
gebenes, Fertiges außer uns vorhanden ist, sondern erst entsteht durch den
Zusammentritt eines Gegenstandes mit unserm Anschauungsvermögen,
aus der Vermählung der Welt mit dem menschlichen Innern. Wäre
denn eine Gegend, ein Körper schön, wenn nicht dem Auge? und zwar
dem so gebauten Auge, das sich in diese Entfernung stellt und in eine
solche Seele das empfangene Bild hinüberträgt? Dasjenige nun im
menschlichen Geiste was dem aus der Wirklichkeit in ihm reflectirten
Gegenstande den Schmelz der Schönheit ertheilt, ist die Phantasie.
Phantasie ist eine gemeine, oder auch eine höchst seltene Gabe. So viel
Phantasie, um von einem Gegenstande den ungefähren Eindruck des
Schönen zu bekommen, hat jeder nicht verwahrloste Mensch, d. h. er hat
die Fähigkeit zu einem geeigneten Gegenstande sich so zu stellen und von
dem was ihn daran stören könnte so weit abzusehen daß er von demselben
als von einem schönen angesprochen wird. Aber diesem so nur subjectiv
und unbestimmt vorhandenen Schönen bestimmtes objectives Daseyn zu
geben; den nach allen Theilen vollkommenen Körper, weil er in der Na-
tur sich nicht finden will, gleichsam als einen Auszug aller lebendig schö-
nen Leiber, in Marmor zu gestalten; den großen Charakter, das furcht-
bare Ereigniß aus der Verschlingung mit dem Geschleppe der gemeinen
Wirklichkeit zu lösen und als erhabene Tragödie vor uns aufzustellen --
dazu ist nur der Genius fähig dem Phantasie im höchsten Sinne, als
künstlerische Schöpferkraft, zu Theil geworden ist. Dieß und die Mittel-
stufen zwischen diesen beiden äußersten wird von Vischer als Lehre von der
subjectiven Phantasie abgehandelt: aber die Phantasie des Einzelnen,
des schöpferischen Genie's wie des gemeinen Mannes, ist bestimmt durch
die objective Phantasie des Volkes und der Zeit in welchen sein geistiges
wie leibliches Leben wurzelt. Die Phantasie des Indiers, des Aegypters
war eine andere, fand anderes schön und gestaltete das Schöne anders als
die der Hellenen; von der antiken Phantasie unterscheidet sich die des
christlichen und mohammedanischen Mittelalters, und von beiden wieder
die der modernen Welt durch die wesentlichsten Züge. Das erste gemein-
same Erzeugniß der Phantasie eines Volkes pflegt seine Religion zu seyn,

Beilage zu Nr. 103 der Allgemeinen Zeitung vom 13 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Viſchers Aeſthetik.

D. Da wir jetzt einen Kaiſer gemacht haben, wird es auch wieder
erlaubt ſeyn um deſſen Bart zu ſtreiten, d. h. über Kunſt, Wiſſenſchaft,
Litteratur und was ſonſt zu des Lebens Nothdurft nicht gehört, ſich und
andere zu unterhalten. Doch fürchten Sie nicht ich werde in der Zügel-
loſigkeit gleich ſo weit gehen Ihnen etwa vom Theater zu ſchreiben: nein,
es iſt ein Buch über das ich Ihnen berichten will — ein Buch der Wiſſen-
ſchaft freilich, und zwar einer Luxuswiſſenſchaft; doch kann ich Ihnen
auch Politik daraus ziehen, wenn Sie’s durchaus haben wollen: ſitzt ja
ſein Verfaſſer in der Paulskirche, linker Hand, und dieſer linke Zug iſt
auch in ſeinem Buche, das er natürlich vor dem Heilsjahr 1848 geſchrieben
hat, ſchon deutlich zu bemerken.

Zwar die Form ſeines Buches — das muß ihm ſeitdem ſchwer aufs
Herz gefallen ſeyn — iſt eben nicht ſehr demokratiſch, im Gegentheil noch
ziemlich excluſiv. Die enggeſchnürten Paragraphen und die von ihnen
commandirten Erläuterungen marſchiren ſo ſtramm wie Wrangel’ſche oder
Radetzky’ſche Regimenter, und gar nicht wie eine gemüthliche Bürgerwehr
an uns vorüber. Etwas mehr Annäherung an den gemeinen Mann
möchte ſelbſt derjenige wünſchen der von rohem Fraterniſiren der Wiſſen-
ſchaft mit dem Haufen nicht gerade ein Freund iſt. Doch iſt hierin ein
Unterſchied zwiſchen den beiden bis jetzt erſchienenen Bänden, ein erfreu-
licher Fortſchritt, nicht zu verkennen. Zum Theil lag er in der Natur
der Gegenſtände. Der erſte Band enthielt gleichſam den Unterbau des
Syſtems, die tiefgegrabenen Fundamente, wo nicht ſelten das Grubenlicht
der Philoſophie zu Hülfe genommen werden mußte, bei dem bekanntlich
manchem Auge das Sehen vergeht. Doch wer die Geduld hat dem Bau-
meiſter in dieſen unterirdiſchen Regionen zur Seite zu bleiben, ſich von
ihm in den wohlgeſprengten Gewölben, um die feſtgefugten Pfeiler herum-
führen zu laſſen, der wird allmählich die Gegenſtände unterſcheiden lernen
und die Kunſt und Solidität des Baues bewundern. Es darf mit Be-
ſtimmtheit ausgeſprochen werden daß die äſthetiſchen Grundbegriffe, die
täglich jeder ſo zuverſichtlich handhabt, und doch nur wenige richtig zu
faſſen wiſſen, die Begriffe des Schönen und Häßlichen, des Erhabenen
und Lächerlichen, des Tragiſchen und Komiſchen, und in allen dieſen wie-
der des Verhältniſſes von Bild und Idee, Inhalt und Form, noch nir-
gends ſo tief zugleich und ſo ſcharf und umfaſſend entwickelt worden ſind.

Doch Glückauf! ruft man ſich und dem Verfaſſer zu, wenn man im
zweiten Bande mit ihm aus dem Schattenreiche des Begriffs zum Tag der
Wirklichkeit emporſteigt. Die Wurzeln birgt ſie im Schooße der Nacht,
aber ihres Kelches Farbenpracht und Duft kann die Blume des Schönen
nur im lebendigen Licht entfalten. Hier nun erſt fühlt ſich auch unſer
Führer ganz er ſelbſt, hier iſt er in ſeinem Elemente, die Arbeit wird ihm
Spiel, und indem er mit ſcharfem Auge die Gegenſtände ringsumher
muſtert, führt er uns raſch und ſicher am nie abreißenden Faden des Be-
griffs durch das bunte, ſinnverwirrende Gedränge. Hatte ſich im erſten
Theile Viſcher, obwohl in weſentlichen Stücken ihn berichtigend, an Hegel
angeſchloſſen, ſo iſt dieſer zweite im ſtrengſten Sinn ſein Eigenthum.
Schon die Eintheilung, die ganze Oekonomie desſelben iſt ein Meiſter-
ſtück. Was iſt das Schöne? hatte der erſte Theil gefragt; was iſt es
wodurch das äſthetiſch Wohlgefällige uns wohlgefällt, und worauf beruhen
die verſchiedenen Arten dieſes Wohlgefallens? Gut, nun wiſſen wir alſo
wann und warum etwas ſchön, erhaben, lächerlich iſt; wenn es etwas
ſchönes u. ſ. f. gibt, ſo muß es ſo und ſo beſchaffen ſeyn; um ſo begie-
riger ſind wir jetzt dem Schönen wirklich zu begegnen: wo ſinden wir es?
fragen wir nun, und iſt es überhaupt irgendwo ſchon fertig vorhanden,
oder muß es immer erſt durch menſchliches Zuthun hervorgebracht werden?
Hierauf beruht die Eintheilung des zweiten Theiles der Viſcher’ſchen
Aeſthetik: in die Lehre vom Naturſchönen und von der Phantaſie.
Das Schöne ſuchend durchwandern wir mit ihm die weiten Reiche der
Natur und Geſchichte (beide begreift er unter dem Ausdruck Natur, den
er als Aeſthetiker befugt iſt nur im Gegenſatz gegen die Kunſt zu nehmen),
wir betrachten die Umriſſe der Berge, die Zauber des Lichtes, blicken vom
Strand auf das unendliche Meer hinaus; wir bewundern die üppige Fülle
der tropiſchen Pflanzenwelt, Aug’ und Sinn ſteigt himmelwärts mit dem
ſchlanken Wuchs der Tanne, und ruht in den Schatten- und Laubmaſſen
der mächtigen Eiche, der ſanfteren Linde. Sofort läßt das Thierreich,
wie auf Tamino’s Flötenton, ſeine Rieſen und ſeine Zwerge, ſeine Zier-
den und ſeine Fratzen an uns vorüberziehen, und hiebei beſonders ent-
wickelt Viſcher eine Fülle der ſinnigſten Beobachtungen und gibt eine Reihe
allerliebſter Thierſtücke zum Beſten. Daß er in dem artigen Doppelbilde,
wo er Hund und Katze „wie Biedermann und Diplomat“ einander gegen-
[Spaltenumbruch] überſtellt, den letztern, beziehungsweiſe die Katze, mit ſichtlicher Ungunſt
behandelt, darin zeigt ſich bereits der Mann der Frankfurter Linken; daß
er aber ſofort dem Eſel ſeine Dummheit ins Gewiſſen ſchiebt, das muß
wohl auf früheren Erfahrungen beruhen. Seinen Gipfel erreicht das
Thierreich und die ſichtbare Natur überhaupt in der menſchlichen Geſtalt;
und in demjenigen was Viſcher über ſie, ihre einzelnen Theile, den Cha-
rakter der Geſchlechter ꝛc. ſagt, beurkundet er ſich als gebornen Aeſthetiker.
Dieſes ganze ſo vor uns aufgerollte Naturgemälde iſt ein würdiges Seiten-
ſtück zu demjenigen welches A. v. Humboldt im erſten Theile ſeines Kos-
mos entwirft, nur jenes aus dem äſthetiſchen, wie dieſes vom Standpunkte
des Naturforſchers aufgenommen. Hat ſich uns nun das Schöne im Be-
reiche der ſichtbaren Natur gezeigt? Schönes haben wir wohl in Fülle,
doch das Schöne nirgends gefunden, oder, genauer ausgedrückt, nichts
was ganz, nach allen Theilen und in allen Beziehungen, rein und unge-
trübt ſchön wäre. Keine wirkliche Landſchaft iſt ganz ohne unbedeutende
oder ſtörende Partien; kein noch ſo ſchöner Leib iſt an allen Gliedern
tadellos.

Mit dem Menſchen treten wir in die Geſchichte ein, und nun kommt
das geſchichtliche Leben der Menſchheit in den verſchiedenen Zonen und
Zeitaltern an die Reihe der Betrachtung. Des prächtigen Orients, des
ſchönen Griechenlands, des erhabenen Roms, des tieffinnig verworrenen
Mittelalters, der heller immer, doch auch kahler werdenden Neuzeit
Sitten, Verfaſſungen, Thaten und Schickſale werden nach ihren äſtheti-
ſchen Umriſſen gezeichnet, und hier führt der Verfaſſer gegen den wie
freiheits- ſo auch ſchönheitsfeindlichen Polizeiſtaat der damaligen Gegen-
wart im Intereſſe der lebendigeren Bewegung des Volks und des Einzelnen
eine Polemik, die ihm ſeiner Zeit Verdrießlichkeiten von der württember-
giſchen Cenſur, kurz vor deren ſeligem Verſcheiden, zuzog. Man ſieht,
wie wunderlich der Herr die Seinen führt: hier iſt einer einmal auf äſthe-
tiſchem Wege zum Demokraten geworden. Doch, wie ſteht es nun aber-
mals mit dem Schönen? Auch keine geſchichtliche Figur, That oder Be-
gebenheit iſt ſo wie ſie iſt ſchön zu nennen; nicht allein hat das geſchicht-
liche Handeln ganz andere Zwecke als den der Schönheit, ſondern auch
objectiv ſind die Charaktere und Ereigniſſe der Geſchichte ſo verſchlungen
in phyſiſche Bedürftigkeit, proſaiſche Mittel, Vorbereitungen und Zuſam-
menhänge, daß auch hier, wie bei der natürlich ſchönen Geſtalt, von einer
Menge von Zügen erſt abgeſehen und die übrigen in ſich zuſammengezogen
werden müſſen, um das Gegebene ſchön, erhaben oder auch lächerlich (denn
hier hindert die Verflechtung mit ernſthaften Intereſſen) zu finden.

Das Ergebniß iſt alſo daß das Schöne überhaupt nicht als ein Ge-
gebenes, Fertiges außer uns vorhanden iſt, ſondern erſt entſteht durch den
Zuſammentritt eines Gegenſtandes mit unſerm Anſchauungsvermögen,
aus der Vermählung der Welt mit dem menſchlichen Innern. Wäre
denn eine Gegend, ein Körper ſchön, wenn nicht dem Auge? und zwar
dem ſo gebauten Auge, das ſich in dieſe Entfernung ſtellt und in eine
ſolche Seele das empfangene Bild hinüberträgt? Dasjenige nun im
menſchlichen Geiſte was dem aus der Wirklichkeit in ihm reflectirten
Gegenſtande den Schmelz der Schönheit ertheilt, iſt die Phantaſie.
Phantaſie iſt eine gemeine, oder auch eine höchſt ſeltene Gabe. So viel
Phantaſie, um von einem Gegenſtande den ungefähren Eindruck des
Schönen zu bekommen, hat jeder nicht verwahrloste Menſch, d. h. er hat
die Fähigkeit zu einem geeigneten Gegenſtande ſich ſo zu ſtellen und von
dem was ihn daran ſtören könnte ſo weit abzuſehen daß er von demſelben
als von einem ſchönen angeſprochen wird. Aber dieſem ſo nur ſubjectiv
und unbeſtimmt vorhandenen Schönen beſtimmtes objectives Daſeyn zu
geben; den nach allen Theilen vollkommenen Körper, weil er in der Na-
tur ſich nicht finden will, gleichſam als einen Auszug aller lebendig ſchö-
nen Leiber, in Marmor zu geſtalten; den großen Charakter, das furcht-
bare Ereigniß aus der Verſchlingung mit dem Geſchleppe der gemeinen
Wirklichkeit zu löſen und als erhabene Tragödie vor uns aufzuſtellen —
dazu iſt nur der Genius fähig dem Phantaſie im höchſten Sinne, als
künſtleriſche Schöpferkraft, zu Theil geworden iſt. Dieß und die Mittel-
ſtufen zwiſchen dieſen beiden äußerſten wird von Viſcher als Lehre von der
ſubjectiven Phantaſie abgehandelt: aber die Phantaſie des Einzelnen,
des ſchöpferiſchen Genie’s wie des gemeinen Mannes, iſt beſtimmt durch
die objective Phantaſie des Volkes und der Zeit in welchen ſein geiſtiges
wie leibliches Leben wurzelt. Die Phantaſie des Indiers, des Aegypters
war eine andere, fand anderes ſchön und geſtaltete das Schöne anders als
die der Hellenen; von der antiken Phantaſie unterſcheidet ſich die des
chriſtlichen und mohammedaniſchen Mittelalters, und von beiden wieder
die der modernen Welt durch die weſentlichſten Züge. Das erſte gemein-
ſame Erzeugniß der Phantaſie eines Volkes pflegt ſeine Religion zu ſeyn,

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[0009] Beilage zu Nr. 103 der Allgemeinen Zeitung vom 13 April 1849. Viſchers Aeſthetik. D. Da wir jetzt einen Kaiſer gemacht haben, wird es auch wieder erlaubt ſeyn um deſſen Bart zu ſtreiten, d. h. über Kunſt, Wiſſenſchaft, Litteratur und was ſonſt zu des Lebens Nothdurft nicht gehört, ſich und andere zu unterhalten. Doch fürchten Sie nicht ich werde in der Zügel- loſigkeit gleich ſo weit gehen Ihnen etwa vom Theater zu ſchreiben: nein, es iſt ein Buch über das ich Ihnen berichten will — ein Buch der Wiſſen- ſchaft freilich, und zwar einer Luxuswiſſenſchaft; doch kann ich Ihnen auch Politik daraus ziehen, wenn Sie’s durchaus haben wollen: ſitzt ja ſein Verfaſſer in der Paulskirche, linker Hand, und dieſer linke Zug iſt auch in ſeinem Buche, das er natürlich vor dem Heilsjahr 1848 geſchrieben hat, ſchon deutlich zu bemerken. Zwar die Form ſeines Buches — das muß ihm ſeitdem ſchwer aufs Herz gefallen ſeyn — iſt eben nicht ſehr demokratiſch, im Gegentheil noch ziemlich excluſiv. Die enggeſchnürten Paragraphen und die von ihnen commandirten Erläuterungen marſchiren ſo ſtramm wie Wrangel’ſche oder Radetzky’ſche Regimenter, und gar nicht wie eine gemüthliche Bürgerwehr an uns vorüber. Etwas mehr Annäherung an den gemeinen Mann möchte ſelbſt derjenige wünſchen der von rohem Fraterniſiren der Wiſſen- ſchaft mit dem Haufen nicht gerade ein Freund iſt. Doch iſt hierin ein Unterſchied zwiſchen den beiden bis jetzt erſchienenen Bänden, ein erfreu- licher Fortſchritt, nicht zu verkennen. Zum Theil lag er in der Natur der Gegenſtände. Der erſte Band enthielt gleichſam den Unterbau des Syſtems, die tiefgegrabenen Fundamente, wo nicht ſelten das Grubenlicht der Philoſophie zu Hülfe genommen werden mußte, bei dem bekanntlich manchem Auge das Sehen vergeht. Doch wer die Geduld hat dem Bau- meiſter in dieſen unterirdiſchen Regionen zur Seite zu bleiben, ſich von ihm in den wohlgeſprengten Gewölben, um die feſtgefugten Pfeiler herum- führen zu laſſen, der wird allmählich die Gegenſtände unterſcheiden lernen und die Kunſt und Solidität des Baues bewundern. Es darf mit Be- ſtimmtheit ausgeſprochen werden daß die äſthetiſchen Grundbegriffe, die täglich jeder ſo zuverſichtlich handhabt, und doch nur wenige richtig zu faſſen wiſſen, die Begriffe des Schönen und Häßlichen, des Erhabenen und Lächerlichen, des Tragiſchen und Komiſchen, und in allen dieſen wie- der des Verhältniſſes von Bild und Idee, Inhalt und Form, noch nir- gends ſo tief zugleich und ſo ſcharf und umfaſſend entwickelt worden ſind. Doch Glückauf! ruft man ſich und dem Verfaſſer zu, wenn man im zweiten Bande mit ihm aus dem Schattenreiche des Begriffs zum Tag der Wirklichkeit emporſteigt. Die Wurzeln birgt ſie im Schooße der Nacht, aber ihres Kelches Farbenpracht und Duft kann die Blume des Schönen nur im lebendigen Licht entfalten. Hier nun erſt fühlt ſich auch unſer Führer ganz er ſelbſt, hier iſt er in ſeinem Elemente, die Arbeit wird ihm Spiel, und indem er mit ſcharfem Auge die Gegenſtände ringsumher muſtert, führt er uns raſch und ſicher am nie abreißenden Faden des Be- griffs durch das bunte, ſinnverwirrende Gedränge. Hatte ſich im erſten Theile Viſcher, obwohl in weſentlichen Stücken ihn berichtigend, an Hegel angeſchloſſen, ſo iſt dieſer zweite im ſtrengſten Sinn ſein Eigenthum. Schon die Eintheilung, die ganze Oekonomie desſelben iſt ein Meiſter- ſtück. Was iſt das Schöne? hatte der erſte Theil gefragt; was iſt es wodurch das äſthetiſch Wohlgefällige uns wohlgefällt, und worauf beruhen die verſchiedenen Arten dieſes Wohlgefallens? Gut, nun wiſſen wir alſo wann und warum etwas ſchön, erhaben, lächerlich iſt; wenn es etwas ſchönes u. ſ. f. gibt, ſo muß es ſo und ſo beſchaffen ſeyn; um ſo begie- riger ſind wir jetzt dem Schönen wirklich zu begegnen: wo ſinden wir es? fragen wir nun, und iſt es überhaupt irgendwo ſchon fertig vorhanden, oder muß es immer erſt durch menſchliches Zuthun hervorgebracht werden? Hierauf beruht die Eintheilung des zweiten Theiles der Viſcher’ſchen Aeſthetik: in die Lehre vom Naturſchönen und von der Phantaſie. Das Schöne ſuchend durchwandern wir mit ihm die weiten Reiche der Natur und Geſchichte (beide begreift er unter dem Ausdruck Natur, den er als Aeſthetiker befugt iſt nur im Gegenſatz gegen die Kunſt zu nehmen), wir betrachten die Umriſſe der Berge, die Zauber des Lichtes, blicken vom Strand auf das unendliche Meer hinaus; wir bewundern die üppige Fülle der tropiſchen Pflanzenwelt, Aug’ und Sinn ſteigt himmelwärts mit dem ſchlanken Wuchs der Tanne, und ruht in den Schatten- und Laubmaſſen der mächtigen Eiche, der ſanfteren Linde. Sofort läßt das Thierreich, wie auf Tamino’s Flötenton, ſeine Rieſen und ſeine Zwerge, ſeine Zier- den und ſeine Fratzen an uns vorüberziehen, und hiebei beſonders ent- wickelt Viſcher eine Fülle der ſinnigſten Beobachtungen und gibt eine Reihe allerliebſter Thierſtücke zum Beſten. Daß er in dem artigen Doppelbilde, wo er Hund und Katze „wie Biedermann und Diplomat“ einander gegen- überſtellt, den letztern, beziehungsweiſe die Katze, mit ſichtlicher Ungunſt behandelt, darin zeigt ſich bereits der Mann der Frankfurter Linken; daß er aber ſofort dem Eſel ſeine Dummheit ins Gewiſſen ſchiebt, das muß wohl auf früheren Erfahrungen beruhen. Seinen Gipfel erreicht das Thierreich und die ſichtbare Natur überhaupt in der menſchlichen Geſtalt; und in demjenigen was Viſcher über ſie, ihre einzelnen Theile, den Cha- rakter der Geſchlechter ꝛc. ſagt, beurkundet er ſich als gebornen Aeſthetiker. Dieſes ganze ſo vor uns aufgerollte Naturgemälde iſt ein würdiges Seiten- ſtück zu demjenigen welches A. v. Humboldt im erſten Theile ſeines Kos- mos entwirft, nur jenes aus dem äſthetiſchen, wie dieſes vom Standpunkte des Naturforſchers aufgenommen. Hat ſich uns nun das Schöne im Be- reiche der ſichtbaren Natur gezeigt? Schönes haben wir wohl in Fülle, doch das Schöne nirgends gefunden, oder, genauer ausgedrückt, nichts was ganz, nach allen Theilen und in allen Beziehungen, rein und unge- trübt ſchön wäre. Keine wirkliche Landſchaft iſt ganz ohne unbedeutende oder ſtörende Partien; kein noch ſo ſchöner Leib iſt an allen Gliedern tadellos. Mit dem Menſchen treten wir in die Geſchichte ein, und nun kommt das geſchichtliche Leben der Menſchheit in den verſchiedenen Zonen und Zeitaltern an die Reihe der Betrachtung. Des prächtigen Orients, des ſchönen Griechenlands, des erhabenen Roms, des tieffinnig verworrenen Mittelalters, der heller immer, doch auch kahler werdenden Neuzeit Sitten, Verfaſſungen, Thaten und Schickſale werden nach ihren äſtheti- ſchen Umriſſen gezeichnet, und hier führt der Verfaſſer gegen den wie freiheits- ſo auch ſchönheitsfeindlichen Polizeiſtaat der damaligen Gegen- wart im Intereſſe der lebendigeren Bewegung des Volks und des Einzelnen eine Polemik, die ihm ſeiner Zeit Verdrießlichkeiten von der württember- giſchen Cenſur, kurz vor deren ſeligem Verſcheiden, zuzog. Man ſieht, wie wunderlich der Herr die Seinen führt: hier iſt einer einmal auf äſthe- tiſchem Wege zum Demokraten geworden. Doch, wie ſteht es nun aber- mals mit dem Schönen? Auch keine geſchichtliche Figur, That oder Be- gebenheit iſt ſo wie ſie iſt ſchön zu nennen; nicht allein hat das geſchicht- liche Handeln ganz andere Zwecke als den der Schönheit, ſondern auch objectiv ſind die Charaktere und Ereigniſſe der Geſchichte ſo verſchlungen in phyſiſche Bedürftigkeit, proſaiſche Mittel, Vorbereitungen und Zuſam- menhänge, daß auch hier, wie bei der natürlich ſchönen Geſtalt, von einer Menge von Zügen erſt abgeſehen und die übrigen in ſich zuſammengezogen werden müſſen, um das Gegebene ſchön, erhaben oder auch lächerlich (denn hier hindert die Verflechtung mit ernſthaften Intereſſen) zu finden. Das Ergebniß iſt alſo daß das Schöne überhaupt nicht als ein Ge- gebenes, Fertiges außer uns vorhanden iſt, ſondern erſt entſteht durch den Zuſammentritt eines Gegenſtandes mit unſerm Anſchauungsvermögen, aus der Vermählung der Welt mit dem menſchlichen Innern. Wäre denn eine Gegend, ein Körper ſchön, wenn nicht dem Auge? und zwar dem ſo gebauten Auge, das ſich in dieſe Entfernung ſtellt und in eine ſolche Seele das empfangene Bild hinüberträgt? Dasjenige nun im menſchlichen Geiſte was dem aus der Wirklichkeit in ihm reflectirten Gegenſtande den Schmelz der Schönheit ertheilt, iſt die Phantaſie. Phantaſie iſt eine gemeine, oder auch eine höchſt ſeltene Gabe. So viel Phantaſie, um von einem Gegenſtande den ungefähren Eindruck des Schönen zu bekommen, hat jeder nicht verwahrloste Menſch, d. h. er hat die Fähigkeit zu einem geeigneten Gegenſtande ſich ſo zu ſtellen und von dem was ihn daran ſtören könnte ſo weit abzuſehen daß er von demſelben als von einem ſchönen angeſprochen wird. Aber dieſem ſo nur ſubjectiv und unbeſtimmt vorhandenen Schönen beſtimmtes objectives Daſeyn zu geben; den nach allen Theilen vollkommenen Körper, weil er in der Na- tur ſich nicht finden will, gleichſam als einen Auszug aller lebendig ſchö- nen Leiber, in Marmor zu geſtalten; den großen Charakter, das furcht- bare Ereigniß aus der Verſchlingung mit dem Geſchleppe der gemeinen Wirklichkeit zu löſen und als erhabene Tragödie vor uns aufzuſtellen — dazu iſt nur der Genius fähig dem Phantaſie im höchſten Sinne, als künſtleriſche Schöpferkraft, zu Theil geworden iſt. Dieß und die Mittel- ſtufen zwiſchen dieſen beiden äußerſten wird von Viſcher als Lehre von der ſubjectiven Phantaſie abgehandelt: aber die Phantaſie des Einzelnen, des ſchöpferiſchen Genie’s wie des gemeinen Mannes, iſt beſtimmt durch die objective Phantaſie des Volkes und der Zeit in welchen ſein geiſtiges wie leibliches Leben wurzelt. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-09-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 103, 13. April 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine103_1849/9>, abgerufen am 01.06.2024.