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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] Phallus als Abwehr, welcher nun sich sittsam zum Horn oder Geweih umgewan-
delt hat. Und wer eine ganz heidnische Scene will, der betrachte L. Roberts be-
kanntes Bild, ob ihm auf demselben nicht eher geschwungene Thyrsusstäbe und
bacchische Freude entgegenleuchten, als andachtsvolle Miene und Haltung, wie sie
die Gottesmutter von ihren Verehrern verlangt.

Die Wurzel aller dieser Kundgebungen ist natürlich der Volkscharakter. Er
zeigt uns die Landschaftsstimmung in das Menschliche übertragen: nichts fehlt
ihm, weder der Sonnenschein, noch der frische Seewind, noch das Rollen der
Wellen, noch das Toben des Vesuvs. Daher hat er, wie die Landschaft selbst, un-
verändert so mannichfache Fremdherrschaft überstanden, daher haben sich vielmehr
an ihm die Härten und Schärfen ausländischen Wesens erweicht und abgeschliffen.
War auch Pompeei's Straßenleben, bei der verschiedenen Bauart der Häuser, nicht
einmal verhältnißmäßig so rege wie das Neapels, sei es auf dem Toledo, oder zu
Santa Lucia, oder in den engen Hafenstraßen, oder vor Porta Capuana -- es trug
ohne Zweifel denselben Stempel. Dieser Menschenschlag wird -- heute wie einst
-- von der Luft und der Witterung und allem Druck von oben so wenig darnieder-
gedrückt, so wenig eingeengt durch der Straßen und Wohnungen Enge und alle
Enge der Verhältnisse, daß er immer zwanglos und gefällig sich bewegte und seinen
Gefühlen in Rede und Gebärde vollen Ausdruck gestattet. Wie auf den Straßen, so in
den kleinen Theatern und in den Kneipen, besonders im Jesuitenkeller; so selbst in
den Tribunali. Der Fremde welcher die Tribunali besucht, findet eine unruhige,
plaudernde Menschenmenge in Sälen und Gängen sich umherschieben; da werden
Cigarren verkauft, da knusperiges Backwerk, da Federn und Papier, und er kann
sich an den nächsten Tisch setzen, um nach Hause zu berichten daß hier nichts von
jener beklemmenden Luft nordischer Gerichtshöfe zu spüren ist, nichts von jener
unheimlichen Stille, deren Eindruck durch das Knirschen der Feder, das Rauschen
des Streusands und irgend ein langgezogenes Räuspern wahrlich nicht gemildert
wird. Noch besser mag es in den pompejanischen Tribunali -- wir meinen nicht
die sogenannten Tribunali, sondern die Basilika -- zugegangen sein; hundert
Spuren von der heitern, ja ausgelassenen Stimmung der hier Weilenden sind uns
übrig geblieben, und man möchte fast glauben: Venus, die jenseits der Straße
thronte, hätte bis herüber in den Bereich der Gerechtigkeit ihren Scepter ge-
schwungen. Nur ist zu bedenken daß, wenn das Leben im Castel Capuano dem einer
Börse gleicht, die alte Basilika in der That die Bestimmungen einer Börse und
einer Gerichtsstätte in sich vereinigte.

Bestimmte volkthümliche Gestalten des heutigen Neapel in Pompei zu
entdecken, oder vorauszusetzen, hält schwer; aber ohne Zweifel wuchs hier das Holz
aus welchem jene geschnitzt sind. Eine Art Lazzaroni hat die alte Stadt entschieden
besessen, d. h. Leute die an den Wänden lehnten und sich die Sonne in den Magen
scheinen ließen, sich übrigens dadurch vor ihren Nachkommen auszeichneten daß sie
nicht bloß in figürlichem Sinne so gerieben und mit allen Wassern gewaschen
waren. So war, gegenüber jenem Kaufmannshause welches das Haus des Siricus
heißt, ein beliebtes Plätzchen für süßes Nichtsthun und gaffende Neugier; vielleicht
gab es auch dann und wann einen kleinen Dienst zu leisten und einen Sesterz zu
erhaschen. Der Apotheker aber vor dessen Haus diese Siesten stattfanden, ärgerlich
darüber und wohl besonders für den frischen Glanz seiner Wand besorgt, malte
an diese zwei riesige Schlangen an, die jedem Schrecken, geschweige Ehrfurcht, ein-
flößen mußten, und schrieb, weiß auf roth, einen nicht ganz tadelfreien Hexameter
darunter, welcher besagt: "Für Müßiggänger ist dieß kein Ort; fort, du Herum-
lungerer!" Auch camorristische Bestrebungen regten sich schon in Pompei; wenig-
stens erfreute sich ein gewisser M. Cerrinius Vatia der Ehre seine Wahl zum Aedilen
nicht nur von den sehr ehrbaren Zünften der Obsthändler, der Sackträger und der
Salzarbeiter und den minder ehrbaren der Spätkneiper und der Schläfer, *) son-
dern auch von den ganz und gar nicht ehrbaren der Spitzbuben und der Dolch-
brüder befürwortet zu sehen.

Nur ein Wesen kennen wir das schon Pompei's bessere Tage erblickt hat
und heute noch in kräftiger Gesundheit lebt: es ist unser Freund von San Carlino,
Pulcinella. Wir wollen nicht erörtern inwiefern die Commedia dell' Arte aus der
alten Atellana erwachsen ist, wir wollen nicht untersuchen ob das Urbild von Puli-
cinella's reizendem Antlitz sich wirklich auf einem pompejanischen Säulenknauf vor-
findet; wir lassen uns am unmittelbaren Eindruck genügen; mit seiner Papagaien-
nase, seinem weißen Anzug, seinem spitzen Hut, besonders aber mit seinen Lazzi
und seiner vergnüglichen Redeweise, seiner ganzen Art, die ohne Verständniß für
eilfertige Neuheit ist, gibt sich uns Pulcinella als den Bürger einer untergegan-
genen Welt. Man hat Pompei auf verschiedene Weise verherrlicht, in der erzählen-
[Spaltenumbruch] den Dichtung, im Roman, in der Oper; doch immer unter dem Schatten des
Todes. Wäre uns Dichterkraft verliehen, wir würden nur das lustige und glück-
liche Pompei in einem atellanischen Spiele feiern. Unser Held wäre dann Pul-
cinella, freilich ein niedriggeborner, etwa der Sklave eines reichen Pompejaners,
wie er von diesem am frühen Morgen zu allerlei Besorgungen ausgeschickt würde,
wie er vor dem "Elephanten" des Sittius die Bekanntschaft eines daselbst logiren-
den Fremden machte und sich ihm als Führer durch die Stadt anböte, wie er ihn
dann zu allem Sehens-, Essens- und Trinkenswerthen geleitete, und über manches
Gläschen "Warmes," über manchen Blickwechsel mit schwarzäugigen Schönen
seine ganze Sklavenschaft vergäße, wie er eine Kette von Verwicklungen und Ver-
legenheiten anzettelte und schließlich, zu seinem Herrn zurückgebracht, von diesem --
ganz im Geiste der echten Pulicinellkomödie -- mit einer weidlichen Tracht Prügel
empfangen würde.

Gab es je ein Schlaraffenland, so war es das welches den gefräßigen, dumm-
schlauen Burschen, den Pulcinella, geboren hat. Ja, zu den Füßen des Feuer-
berges lag und liegt, ohne daß damit dem campanischen Gewerbfleiß zu nahe ge-
treten werde, die wahre Cuccagna; die Römer sagten Campania felix. Da hauste
ein Menschengeschlecht, kunstsinnig und gebildet, aber zugleich verweichlicht und in
üppige Laster versunken. Statt auswärtiger Politik beschäftigten sie Reibereien
und Späne untereinander, die sich gelegentlich in einer blutigen Prügelei, wie der
zu Pompei im Jahr 59 n. Chr., gipfelten. Besonders standen die Pompejaner
mit den Nucerinern auf gespanntem Fuße; *) mit jenen hielten es die Pithecusaner,
mit diesen die Puteolaner und die Campanier überhaupt, was nicht sehr zu Pom-
pei's Gunsten spricht. Vielleicht sangen die Nachbarn damals auf Pompei einen
ähnlichen Spottvers wie man heute auf Scafati singt:

Scafati, sehiseta,
Mal' acqua, mala gente,
Sino all' erba e malamente,

indem so ein Ueberfahrtsplatz (von seafa) zu einem schm utzigen Ort (von schifo)
entstellt wird. Wenige Jahre nach gedachter Prügelei thaten sich die ersten Anzeichen
eines göttlichen Strafgerichtes über Pompei und die Nachbarstädte kund. Aber
die Leichtsinnigen achteten dieser Warnung nicht groß. Wie jene kleine Pariserin
hatten sie auf die Frage: "Was ist ein Vulcan?" Die Antwort: "Ein Ding auf
welchem man tanzt." Sie tanzten und schwelgten weiter. "Da ließ der HErr Schwefel
und Feuer regnen vor dem HErrn vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra."
Wie viel Gerechte diesem Feuerregen entrannen, ob Christen darunter waren, wer
weiß es! Wohl keimte neben andern morgenländischen Glaubenslehren auch die
erhabenste schon zu Pompei. **) Der Eindruck der grauenhaften Verödung mußte
unter den Geretteten und unter den Umwohnenden das rasche Wachsthum dieses
Keimes fördern, und so mag pompejanischem Samen das heilige Blut das auf
der Höhe von Pozzuoli verspritzt wurde entstammt sein, und das heidnische Pom-
pei sich in dem christlichen Pompei bei S. Gennaro de' Poveri verjüngt haben.

Was nun vor allem ist es was uns Pompei's Peccad illen aufdeckt? was
uns sein tägliches Trachten und Treiben veranschaulicht? den Charakter dieses
Völkchens in das Sonnenlicht rückt? was die rasch verhallenden Rufe und Reden
der Straße im Fluge festhält und uns überliefert? und so die Reihe vieler Jahr-
hunderte uns zu einer kurzen Spanne Zeit zusammenschiebt? Es ist das Zufälligste,
Ver gänglichste, Unschönste. Es sind die Wandinschriften, besonders die Kritzeleien,
die tot scriptorum taedia, wie sie, solchen scriptores selbst zufolge, zu Pompei be-
zeichnet zu werden pflegten. Erwerben sich "die Narrenhände welche Tisch und
Wände beschmieren" wenig Dank bei der Mitwelt, so möchten die Nachlebenden
sie herzlich schütteln um dessentwillen was sie gethan haben; ihr Werk wird durch
die Zeit geadelt. "Unter deren plastischer Hand werden," wie Washington Irving
sagt, "Kleinigkeiten zu Gegenständen von Wichtigkeit; der Unsinn eines Zeitalters
wird die Weisheit des andern, die Seichtheit des Witzlings erhebt sich zur Gelehr-
samkeit des Pedanten."



Zur Geschichte der katholischen Reformbestrebungen.
II.

Fra Andrea d'Altagene, ein Verfolgter unter Pius IX.
(Schluß.)

* Gregor XVI kümmerte sich bekanntlich weniger um die Ketzer als um die
Liberalen; gegen die erstern nachlässig in der Verfolgung; wüthete er um so schreck-
licher gegen die letztern. Unter Pius IX füllten sich sogleich alle Kerker der In-
quisition; auf seinen Befehl erließ der Inquisitor Airaldi im Jahr 1856 ein
Edict, wonach jedes wahrgenommene geistliche Verbrechen, wie z. B. die Ueber-
tretung der Fastengebote und unkirchliche Aeußerungen, bei Strafe der Inquisition
denunciirt werden mußte, und insbesondere Dienstboten zu solchen Zeugnissen gegen
ihre Herrschaften aufgefordert wurden.

Schmerzlicher als sein eigenes Schicksal empfand Fra Andrea das der Kirche.
Seine Seele rang nach Fassung und Versöhnung; in klagenden Liedern gab er den
Kämpfen seines Gemüths einen bewegenden Ausdruck. Er hat mir einige dieser
im Kerker niedergezeichneten Poesien zugeschickt, die zum Theil einer nähern Kennt-
nißnahme würdig sind. In einem Gedicht, betitelt "das große Schlachtopfer und
die Ursache meiner Verfolgung," ist es die Kirche, die ihm als ein schönes Frauen-
bild in einem Wald und von Gestrüpp umgeben erscheint. Auf den himmlischen
Zügen, liegt der Ausdruck größten Leides, denn ein Pfeil steckt in der Brust der
Frau, und todte Söhne liegen in ihren Armen. Als den Urheber dieser Unthaten

*) N. 575: VATIAM. AED. ROGANT || MACERIO. DORMIENTES || UNIVERSI.
CVM
|| ................ Man hat unter dormientes hier solche verstanden welche
das Schlafen zur Hauptsache, aus dem Schlafen ein Geschäft machten, also Viel-
schläfer. Würde dieß aber wohl anders als durch dormitores ausgedrückt worden
sein? und noch dazu in der ungekünsteltsten Redeweise und in einer Verbindung in
welcher man alle möglichen Gewerbnamen, wie offectores, pistores, lignari, zu
finden gewohnt war? Esor und bibitor mögen "Fresser" und "Säufer" bedeuten;
aber auch edens und bibens? Hätte sich hingegen eine pompejanische Gesellschaft
mit einer ähnlichen Selbstverläugnung, wie sie später italienische Akademien übten,
"die Schlafmützen" benannt, so würde dieß lateinisch doch wohl eher somnicolosi,
somnolenti
oder wenigstens dormitantes, als dormientes lauten. Wir vermissen
zu dormientes irgendeine Ergänzung. Könnte dieselbe nicht in dem vierten Worte
stecken, das von Zangemeister zwar als Eigenname betrachtet wird, aber als solcher
uns weder aus Pompei noch sonstwoher bekannt ist? Welche Person auch sollte
durch Macerio bezeichnet werden? Der welchem die Wahl ans Herz gelegt wird,
pflegt neben rogat oder rogant ungenannt zu bleiben; einmal heißt es: Balbe
rogamus
(das Zeitwort würde also überdieß nachfolgen). Der Name eines Wahl-
empfehlers erscheint so, ohne jede Verknüpfung mit dem "dormientes universi
cum .....,"
ganz unzulässig. Wäre hier die Rede von Leuten die, wie so viele
heutigen Italiener, "zum Stern" übernachteten, d. h. unter freiem Himmel, an
irgendein Gemäuer angeschmiegt, so würden diese sowohl zu den seribibi universi
(Nr. 581) als zu den furunculi (Nr. 576) eine weit passendere Gesellschaft ab-
geben als die "Vielschläfer" oder "die Schlafmützen," zwischen beiden geradezu eine
Vermittelung bilden. Denn eine gewisse Zusammengehörigkeit der bezüglichen Pro-
gramme wird auch durch ihre nahe Nachbarschaft an der Nordseite der Via degli
Augustali wahrscheinlich gemacht. Indessen ist zu überlegen ob dormientes nicht in
dem Sinne stehen könnte welchen dormis als Zusatz zu Wahlempfehlungen hat
(Nr. 822. 1190. 2974. 2993t).
*) In den Stabianer Thermen merkt ein Pompejaner an daß er zu Nuceria im Würfel-
spiele die nette Summe von 9551/2 Denaren bona fide gewonnen habe; wir halten
es jedoch für nicht unwahrscheinlich daß es mit der bona fide auf keiner Seite weit
her gewesen ist, weder auf der des schuldenden Nuceriners, noch der des glücklichen
Pompejaners, der vielleicht demselben System, wie Bulwers Cloduis, huldigte.
**) Um von dem Kreuze im sog. Hause des Pansa und von dem Zeichen *, welches
nicht sowohl das christliche Monogramm als eine Abkürzung wohl für Chresimus
ist, zu schweigen, so scheint die einzige sichere Urkunde für das Bestehen des Christen-
thums zu Pompei die Kohleninschrift Nr. 679 zu sein; aber sie ist so verstümmelt
und verblaßt, daß wir durchaus nichts zusammenhängendes verstehen können.

[Spaltenumbruch] Phallus als Abwehr, welcher nun ſich ſittſam zum Horn oder Geweih umgewan-
delt hat. Und wer eine ganz heidniſche Scene will, der betrachte L. Roberts be-
kanntes Bild, ob ihm auf demſelben nicht eher geſchwungene Thyrſusſtäbe und
bacchiſche Freude entgegenleuchten, als andachtsvolle Miene und Haltung, wie ſie
die Gottesmutter von ihren Verehrern verlangt.

Die Wurzel aller dieſer Kundgebungen iſt natürlich der Volkscharakter. Er
zeigt uns die Landſchaftsſtimmung in das Menſchliche übertragen: nichts fehlt
ihm, weder der Sonnenſchein, noch der friſche Seewind, noch das Rollen der
Wellen, noch das Toben des Veſuvs. Daher hat er, wie die Landſchaft ſelbſt, un-
verändert ſo mannichfache Fremdherrſchaft überſtanden, daher haben ſich vielmehr
an ihm die Härten und Schärfen ausländiſchen Weſens erweicht und abgeſchliffen.
War auch Pompeî’s Straßenleben, bei der verſchiedenen Bauart der Häuſer, nicht
einmal verhältnißmäßig ſo rege wie das Neapels, ſei es auf dem Toledo, oder zu
Santa Lucia, oder in den engen Hafenſtraßen, oder vor Porta Capuana — es trug
ohne Zweifel denſelben Stempel. Dieſer Menſchenſchlag wird — heute wie einſt
— von der Luft und der Witterung und allem Druck von oben ſo wenig darnieder-
gedrückt, ſo wenig eingeengt durch der Straßen und Wohnungen Enge und alle
Enge der Verhältniſſe, daß er immer zwanglos und gefällig ſich bewegte und ſeinen
Gefühlen in Rede und Gebärde vollen Ausdruck geſtattet. Wie auf den Straßen, ſo in
den kleinen Theatern und in den Kneipen, beſonders im Jeſuitenkeller; ſo ſelbſt in
den Tribunali. Der Fremde welcher die Tribunali beſucht, findet eine unruhige,
plaudernde Menſchenmenge in Sälen und Gängen ſich umherſchieben; da werden
Cigarren verkauft, da knuſperiges Backwerk, da Federn und Papier, und er kann
ſich an den nächſten Tiſch ſetzen, um nach Hauſe zu berichten daß hier nichts von
jener beklemmenden Luft nordiſcher Gerichtshöfe zu ſpüren iſt, nichts von jener
unheimlichen Stille, deren Eindruck durch das Knirſchen der Feder, das Rauſchen
des Streuſands und irgend ein langgezogenes Räuſpern wahrlich nicht gemildert
wird. Noch beſſer mag es in den pompejaniſchen Tribunali — wir meinen nicht
die ſogenannten Tribunali, ſondern die Baſilika — zugegangen ſein; hundert
Spuren von der heitern, ja ausgelaſſenen Stimmung der hier Weilenden ſind uns
übrig geblieben, und man möchte faſt glauben: Venus, die jenſeits der Straße
thronte, hätte bis herüber in den Bereich der Gerechtigkeit ihren Scepter ge-
ſchwungen. Nur iſt zu bedenken daß, wenn das Leben im Caſtel Capuano dem einer
Börſe gleicht, die alte Baſilika in der That die Beſtimmungen einer Börſe und
einer Gerichtsſtätte in ſich vereinigte.

Beſtimmte volkthümliche Geſtalten des heutigen Neapel in Pompeï zu
entdecken, oder vorauszuſetzen, hält ſchwer; aber ohne Zweifel wuchs hier das Holz
aus welchem jene geſchnitzt ſind. Eine Art Lazzaroni hat die alte Stadt entſchieden
beſeſſen, d. h. Leute die an den Wänden lehnten und ſich die Sonne in den Magen
ſcheinen ließen, ſich übrigens dadurch vor ihren Nachkommen auszeichneten daß ſie
nicht bloß in figürlichem Sinne ſo gerieben und mit allen Waſſern gewaſchen
waren. So war, gegenüber jenem Kaufmannshauſe welches das Haus des Siricus
heißt, ein beliebtes Plätzchen für ſüßes Nichtsthun und gaffende Neugier; vielleicht
gab es auch dann und wann einen kleinen Dienſt zu leiſten und einen Seſterz zu
erhaſchen. Der Apotheker aber vor deſſen Haus dieſe Sieſten ſtattfanden, ärgerlich
darüber und wohl beſonders für den friſchen Glanz ſeiner Wand beſorgt, malte
an dieſe zwei rieſige Schlangen an, die jedem Schrecken, geſchweige Ehrfurcht, ein-
flößen mußten, und ſchrieb, weiß auf roth, einen nicht ganz tadelfreien Hexameter
darunter, welcher beſagt: „Für Müßiggänger iſt dieß kein Ort; fort, du Herum-
lungerer!“ Auch camorriſtiſche Beſtrebungen regten ſich ſchon in Pompeï; wenig-
ſtens erfreute ſich ein gewiſſer M. Cerrinius Vatia der Ehre ſeine Wahl zum Aedilen
nicht nur von den ſehr ehrbaren Zünften der Obſthändler, der Sackträger und der
Salzarbeiter und den minder ehrbaren der Spätkneiper und der Schläfer, *) ſon-
dern auch von den ganz und gar nicht ehrbaren der Spitzbuben und der Dolch-
brüder befürwortet zu ſehen.

Nur ein Weſen kennen wir das ſchon Pompeï’s beſſere Tage erblickt hat
und heute noch in kräftiger Geſundheit lebt: es iſt unſer Freund von San Carlino,
Pulcinella. Wir wollen nicht erörtern inwiefern die Commedia dell’ Arte aus der
alten Atellana erwachſen iſt, wir wollen nicht unterſuchen ob das Urbild von Puli-
cinella’s reizendem Antlitz ſich wirklich auf einem pompejaniſchen Säulenknauf vor-
findet; wir laſſen uns am unmittelbaren Eindruck genügen; mit ſeiner Papagaien-
naſe, ſeinem weißen Anzug, ſeinem ſpitzen Hut, beſonders aber mit ſeinen Lazzi
und ſeiner vergnüglichen Redeweiſe, ſeiner ganzen Art, die ohne Verſtändniß für
eilfertige Neuheit iſt, gibt ſich uns Pulcinella als den Bürger einer untergegan-
genen Welt. Man hat Pompeï auf verſchiedene Weiſe verherrlicht, in der erzählen-
[Spaltenumbruch] den Dichtung, im Roman, in der Oper; doch immer unter dem Schatten des
Todes. Wäre uns Dichterkraft verliehen, wir würden nur das luſtige und glück-
liche Pompeï in einem atellaniſchen Spiele feiern. Unſer Held wäre dann Pul-
cinella, freilich ein niedriggeborner, etwa der Sklave eines reichen Pompejaners,
wie er von dieſem am frühen Morgen zu allerlei Beſorgungen ausgeſchickt würde,
wie er vor dem „Elephanten“ des Sittius die Bekanntſchaft eines daſelbſt logiren-
den Fremden machte und ſich ihm als Führer durch die Stadt anböte, wie er ihn
dann zu allem Sehens-, Eſſens- und Trinkenswerthen geleitete, und über manches
Gläschen „Warmes,“ über manchen Blickwechſel mit ſchwarzäugigen Schönen
ſeine ganze Sklavenſchaft vergäße, wie er eine Kette von Verwicklungen und Ver-
legenheiten anzettelte und ſchließlich, zu ſeinem Herrn zurückgebracht, von dieſem —
ganz im Geiſte der echten Pulicinellkomödie — mit einer weidlichen Tracht Prügel
empfangen würde.

Gab es je ein Schlaraffenland, ſo war es das welches den gefräßigen, dumm-
ſchlauen Burſchen, den Pulcinella, geboren hat. Ja, zu den Füßen des Feuer-
berges lag und liegt, ohne daß damit dem campaniſchen Gewerbfleiß zu nahe ge-
treten werde, die wahre Cuccagna; die Römer ſagten Campania felix. Da hauste
ein Menſchengeſchlecht, kunſtſinnig und gebildet, aber zugleich verweichlicht und in
üppige Laſter verſunken. Statt auswärtiger Politik beſchäftigten ſie Reibereien
und Späne untereinander, die ſich gelegentlich in einer blutigen Prügelei, wie der
zu Pompeï im Jahr 59 n. Chr., gipfelten. Beſonders ſtanden die Pompejaner
mit den Nucerinern auf geſpanntem Fuße; *) mit jenen hielten es die Pithecuſaner,
mit dieſen die Puteolaner und die Campanier überhaupt, was nicht ſehr zu Pom-
peï’s Gunſten ſpricht. Vielleicht ſangen die Nachbarn damals auf Pompeï einen
ähnlichen Spottvers wie man heute auf Scafati ſingt:

Scafati, sehiſeta,
Mal’ acqua, mala gente,
Sino all’ erba è malamente,

indem ſo ein Ueberfahrtsplatz (von seafa) zu einem ſchm utzigen Ort (von schifo)
entſtellt wird. Wenige Jahre nach gedachter Prügelei thaten ſich die erſten Anzeichen
eines göttlichen Strafgerichtes über Pompeï und die Nachbarſtädte kund. Aber
die Leichtſinnigen achteten dieſer Warnung nicht groß. Wie jene kleine Pariſerin
hatten ſie auf die Frage: „Was iſt ein Vulcan?“ Die Antwort: „Ein Ding auf
welchem man tanzt.“ Sie tanzten und ſchwelgten weiter. „Da ließ der HErr Schwefel
und Feuer regnen vor dem HErrn vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra.“
Wie viel Gerechte dieſem Feuerregen entrannen, ob Chriſten darunter waren, wer
weiß es! Wohl keimte neben andern morgenländiſchen Glaubenslehren auch die
erhabenſte ſchon zu Pompeï. **) Der Eindruck der grauenhaften Verödung mußte
unter den Geretteten und unter den Umwohnenden das raſche Wachsthum dieſes
Keimes fördern, und ſo mag pompejaniſchem Samen das heilige Blut das auf
der Höhe von Pozzuoli verſpritzt wurde entſtammt ſein, und das heidniſche Pom-
peï ſich in dem chriſtlichen Pompeï bei S. Gennaro de’ Poveri verjüngt haben.

Was nun vor allem iſt es was uns Pompeï’s Peccad illen aufdeckt? was
uns ſein tägliches Trachten und Treiben veranſchaulicht? den Charakter dieſes
Völkchens in das Sonnenlicht rückt? was die raſch verhallenden Rufe und Reden
der Straße im Fluge feſthält und uns überliefert? und ſo die Reihe vieler Jahr-
hunderte uns zu einer kurzen Spanne Zeit zuſammenſchiebt? Es iſt das Zufälligſte,
Ver gänglichſte, Unſchönſte. Es ſind die Wandinſchriften, beſonders die Kritzeleien,
die tot scriptorum taedia, wie ſie, ſolchen scriptores ſelbſt zufolge, zu Pompeï be-
zeichnet zu werden pflegten. Erwerben ſich „die Narrenhände welche Tiſch und
Wände beſchmieren“ wenig Dank bei der Mitwelt, ſo möchten die Nachlebenden
ſie herzlich ſchütteln um deſſentwillen was ſie gethan haben; ihr Werk wird durch
die Zeit geadelt. „Unter deren plaſtiſcher Hand werden,“ wie Waſhington Irving
ſagt, „Kleinigkeiten zu Gegenſtänden von Wichtigkeit; der Unſinn eines Zeitalters
wird die Weisheit des andern, die Seichtheit des Witzlings erhebt ſich zur Gelehr-
ſamkeit des Pedanten.“



Zur Geſchichte der katholiſchen Reformbeſtrebungen.
II.

Fra Andrea d’Altagene, ein Verfolgter unter Pius IX.
(Schluß.)

* Gregor XVI kümmerte ſich bekanntlich weniger um die Ketzer als um die
Liberalen; gegen die erſtern nachläſſig in der Verfolgung; wüthete er um ſo ſchreck-
licher gegen die letztern. Unter Pius IX füllten ſich ſogleich alle Kerker der In-
quiſition; auf ſeinen Befehl erließ der Inquiſitor Airaldi im Jahr 1856 ein
Edict, wonach jedes wahrgenommene geiſtliche Verbrechen, wie z. B. die Ueber-
tretung der Faſtengebote und unkirchliche Aeußerungen, bei Strafe der Inquiſition
denunciirt werden mußte, und insbeſondere Dienſtboten zu ſolchen Zeugniſſen gegen
ihre Herrſchaften aufgefordert wurden.

Schmerzlicher als ſein eigenes Schickſal empfand Fra Andrea das der Kirche.
Seine Seele rang nach Faſſung und Verſöhnung; in klagenden Liedern gab er den
Kämpfen ſeines Gemüths einen bewegenden Ausdruck. Er hat mir einige dieſer
im Kerker niedergezeichneten Poeſien zugeſchickt, die zum Theil einer nähern Kennt-
nißnahme würdig ſind. In einem Gedicht, betitelt „das große Schlachtopfer und
die Urſache meiner Verfolgung,“ iſt es die Kirche, die ihm als ein ſchönes Frauen-
bild in einem Wald und von Geſtrüpp umgeben erſcheint. Auf den himmliſchen
Zügen, liegt der Ausdruck größten Leides, denn ein Pfeil ſteckt in der Bruſt der
Frau, und todte Söhne liegen in ihren Armen. Als den Urheber dieſer Unthaten

*) N. 575: VATIAM. AED. ROGANT || MACERIO. DORMIENTES || UNIVERSI.
CVM
|| ................ Man hat unter dormientes hier ſolche verſtanden welche
das Schlafen zur Hauptſache, aus dem Schlafen ein Geſchäft machten, alſo Viel-
ſchläfer. Würde dieß aber wohl anders als durch dormitores ausgedrückt worden
ſein? und noch dazu in der ungekünſteltſten Redeweiſe und in einer Verbindung in
welcher man alle möglichen Gewerbnamen, wie offectores, pistores, lignari, zu
finden gewohnt war? Esor und bibitor mögen „Freſſer“ und „Säufer“ bedeuten;
aber auch edens und bibens? Hätte ſich hingegen eine pompejaniſche Geſellſchaft
mit einer ähnlichen Selbſtverläugnung, wie ſie ſpäter italieniſche Akademien übten,
„die Schlafmützen“ benannt, ſo würde dieß lateiniſch doch wohl eher somnicolosi,
somnolenti
oder wenigſtens dormitantes, als dormientes lauten. Wir vermiſſen
zu dormientes irgendeine Ergänzung. Könnte dieſelbe nicht in dem vierten Worte
ſtecken, das von Zangemeiſter zwar als Eigenname betrachtet wird, aber als ſolcher
uns weder aus Pompeï noch ſonſtwoher bekannt iſt? Welche Perſon auch ſollte
durch Macerio bezeichnet werden? Der welchem die Wahl ans Herz gelegt wird,
pflegt neben rogat oder rogant ungenannt zu bleiben; einmal heißt es: Balbe
rogamus
(das Zeitwort würde alſo überdieß nachfolgen). Der Name eines Wahl-
empfehlers erſcheint ſo, ohne jede Verknüpfung mit dem „dormientes universi
cum .....,“
ganz unzuläſſig. Wäre hier die Rede von Leuten die, wie ſo viele
heutigen Italiener, „zum Stern“ übernachteten, d. h. unter freiem Himmel, an
irgendein Gemäuer angeſchmiegt, ſo würden dieſe ſowohl zu den seribibi universi
(Nr. 581) als zu den furunculi (Nr. 576) eine weit paſſendere Geſellſchaft ab-
geben als die „Vielſchläfer“ oder „die Schlafmützen,“ zwiſchen beiden geradezu eine
Vermittelung bilden. Denn eine gewiſſe Zuſammengehörigkeit der bezüglichen Pro-
gramme wird auch durch ihre nahe Nachbarſchaft an der Nordſeite der Via degli
Auguſtali wahrſcheinlich gemacht. Indeſſen iſt zu überlegen ob dormientes nicht in
dem Sinne ſtehen könnte welchen dormis als Zuſatz zu Wahlempfehlungen hat
(Nr. 822. 1190. 2974. 2993t).
*) In den Stabianer Thermen merkt ein Pompejaner an daß er zu Nuceria im Würfel-
ſpiele die nette Summe von 955½ Denaren bona fide gewonnen habe; wir halten
es jedoch für nicht unwahrſcheinlich daß es mit der bona fide auf keiner Seite weit
her geweſen iſt, weder auf der des ſchuldenden Nuceriners, noch der des glücklichen
Pompejaners, der vielleicht demſelben Syſtem, wie Bulwers Cloduis, huldigte.
**) Um von dem Kreuze im ſog. Hauſe des Panſa und von dem Zeichen *, welches
nicht ſowohl das chriſtliche Monogramm als eine Abkürzung wohl für Chreſimus
iſt, zu ſchweigen, ſo ſcheint die einzige ſichere Urkunde für das Beſtehen des Chriſten-
thums zu Pompeï die Kohleninſchrift Nr. 679 zu ſein; aber ſie iſt ſo verſtümmelt
und verblaßt, daß wir durchaus nichts zuſammenhängendes verſtehen können.
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verändert &#x017F;o mannichfache Fremdherr&#x017F;chaft über&#x017F;tanden, daher haben &#x017F;ich vielmehr<lb/>
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War auch Pompe<hi rendition="#aq">î</hi>&#x2019;s Straßenleben, bei der ver&#x017F;chiedenen Bauart der Häu&#x017F;er, nicht<lb/>
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Santa Lucia, oder in den engen Hafen&#x017F;traßen, oder vor Porta Capuana &#x2014; es trug<lb/>
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&#x2014; von der Luft und der Witterung und allem Druck von oben &#x017F;o wenig darnieder-<lb/>
gedrückt, &#x017F;o wenig eingeengt durch der Straßen und Wohnungen Enge und alle<lb/>
Enge der Verhältni&#x017F;&#x017F;e, daß er immer zwanglos und gefällig &#x017F;ich bewegte und &#x017F;einen<lb/>
Gefühlen in Rede und Gebärde vollen Ausdruck ge&#x017F;tattet. Wie auf den Straßen, &#x017F;o in<lb/>
den kleinen Theatern und in den Kneipen, be&#x017F;onders im Je&#x017F;uitenkeller; &#x017F;o &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
den Tribunali. Der Fremde welcher die Tribunali be&#x017F;ucht, findet eine unruhige,<lb/>
plaudernde Men&#x017F;chenmenge in Sälen und Gängen &#x017F;ich umher&#x017F;chieben; da werden<lb/>
Cigarren verkauft, da knu&#x017F;periges Backwerk, da Federn und Papier, und er kann<lb/>
&#x017F;ich an den näch&#x017F;ten Ti&#x017F;ch &#x017F;etzen, um nach Hau&#x017F;e zu berichten daß hier nichts von<lb/>
jener beklemmenden Luft nordi&#x017F;cher Gerichtshöfe zu &#x017F;püren i&#x017F;t, nichts von jener<lb/>
unheimlichen Stille, deren Eindruck durch das Knir&#x017F;chen der Feder, das Rau&#x017F;chen<lb/>
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wird. Noch be&#x017F;&#x017F;er mag es in den pompejani&#x017F;chen Tribunali &#x2014; wir meinen nicht<lb/>
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Spuren von der heitern, ja ausgela&#x017F;&#x017F;enen Stimmung der hier Weilenden &#x017F;ind uns<lb/>
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&#x017F;chwungen. Nur i&#x017F;t zu bedenken daß, wenn das Leben im Ca&#x017F;tel Capuano dem einer<lb/>
Bör&#x017F;e gleicht, die alte Ba&#x017F;ilika in der That die Be&#x017F;timmungen einer Bör&#x017F;e und<lb/>
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entdecken, oder vorauszu&#x017F;etzen, hält &#x017F;chwer; aber ohne Zweifel wuchs hier das Holz<lb/>
aus welchem jene ge&#x017F;chnitzt &#x017F;ind. Eine Art Lazzaroni hat die alte Stadt ent&#x017F;chieden<lb/>
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&#x017F;cheinen ließen, &#x017F;ich übrigens dadurch vor ihren Nachkommen auszeichneten daß &#x017F;ie<lb/>
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heißt, ein beliebtes Plätzchen für &#x017F;üßes Nichtsthun und gaffende Neugier; vielleicht<lb/>
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flößen mußten, und &#x017F;chrieb, weiß auf roth, einen nicht ganz tadelfreien Hexameter<lb/>
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&#x017F;tens erfreute &#x017F;ich ein gewi&#x017F;&#x017F;er M. Cerrinius Vatia der Ehre &#x017F;eine Wahl zum Aedilen<lb/>
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Salzarbeiter und den minder ehrbaren der Spätkneiper und der Schläfer, <note place="foot" n="*)">N. 575: <hi rendition="#aq">VATIAM. AED. ROGANT || MACERIO. DORMIENTES || UNIVERSI.<lb/>
CVM</hi> || ................ Man hat unter <hi rendition="#aq">dormientes</hi> hier &#x017F;olche ver&#x017F;tanden welche<lb/>
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&#x017F;chläfer. Würde dieß aber wohl anders als durch <hi rendition="#aq">dormitores</hi> ausgedrückt worden<lb/>
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&#x201E;die Schlafmützen&#x201C; benannt, &#x017F;o würde dieß lateini&#x017F;ch doch wohl eher <hi rendition="#aq">somnicolosi,<lb/>
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&#x017F;tecken, das von Zangemei&#x017F;ter zwar als Eigenname betrachtet wird, aber als &#x017F;olcher<lb/>
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durch <hi rendition="#aq">Macerio</hi> bezeichnet werden? Der welchem die Wahl ans Herz gelegt wird,<lb/>
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rogamus</hi> (das Zeitwort würde al&#x017F;o überdieß nachfolgen). Der Name eines Wahl-<lb/>
empfehlers er&#x017F;cheint &#x017F;o, ohne jede Verknüpfung mit dem <hi rendition="#aq">&#x201E;dormientes universi<lb/>
cum .....,&#x201C;</hi> ganz unzulä&#x017F;&#x017F;ig. Wäre hier die Rede von Leuten die, wie &#x017F;o viele<lb/>
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(Nr. 581) als zu den <hi rendition="#aq">furunculi</hi> (Nr. 576) eine weit pa&#x017F;&#x017F;endere Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ab-<lb/>
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Vermittelung bilden. Denn eine gewi&#x017F;&#x017F;e Zu&#x017F;ammengehörigkeit der bezüglichen Pro-<lb/>
gramme wird auch durch ihre nahe Nachbar&#x017F;chaft an der Nord&#x017F;eite der Via degli<lb/>
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Pulcinella. Wir wollen nicht erörtern inwiefern die Commedia dell&#x2019; Arte aus der<lb/>
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cinella&#x2019;s reizendem Antlitz &#x017F;ich wirklich auf einem pompejani&#x017F;chen Säulenknauf vor-<lb/>
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Gläschen &#x201E;Warmes,&#x201C; über manchen Blickwech&#x017F;el mit &#x017F;chwarzäugigen Schönen<lb/>
&#x017F;eine ganze Sklaven&#x017F;chaft vergäße, wie er eine Kette von Verwicklungen und Ver-<lb/>
legenheiten anzettelte und &#x017F;chließlich, zu &#x017F;einem Herrn zurückgebracht, von die&#x017F;em &#x2014;<lb/>
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&#x017F;chlauen Bur&#x017F;chen, den Pulcinella, geboren hat. Ja, zu den Füßen des Feuer-<lb/>
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Wie viel Gerechte die&#x017F;em Feuerregen entrannen, ob Chri&#x017F;ten darunter waren, wer<lb/>
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Keimes fördern, und &#x017F;o mag pompejani&#x017F;chem Samen das heilige Blut das auf<lb/>
der Höhe von Pozzuoli ver&#x017F;pritzt wurde ent&#x017F;tammt &#x017F;ein, und das heidni&#x017F;che Pom-<lb/>
pe<hi rendition="#aq">ï</hi> &#x017F;ich in dem chri&#x017F;tlichen Pompe<hi rendition="#aq">ï</hi> bei S. Gennaro de&#x2019; Poveri verjüngt haben.</p><lb/>
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Ver gänglich&#x017F;te, Un&#x017F;chön&#x017F;te. Es &#x017F;ind die Wandin&#x017F;chriften, be&#x017F;onders die Kritzeleien,<lb/>
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Seine Seele rang nach Fa&#x017F;&#x017F;ung und Ver&#x017F;öhnung; in klagenden Liedern gab er den<lb/>
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[170/0010] Phallus als Abwehr, welcher nun ſich ſittſam zum Horn oder Geweih umgewan- delt hat. Und wer eine ganz heidniſche Scene will, der betrachte L. Roberts be- kanntes Bild, ob ihm auf demſelben nicht eher geſchwungene Thyrſusſtäbe und bacchiſche Freude entgegenleuchten, als andachtsvolle Miene und Haltung, wie ſie die Gottesmutter von ihren Verehrern verlangt. Die Wurzel aller dieſer Kundgebungen iſt natürlich der Volkscharakter. Er zeigt uns die Landſchaftsſtimmung in das Menſchliche übertragen: nichts fehlt ihm, weder der Sonnenſchein, noch der friſche Seewind, noch das Rollen der Wellen, noch das Toben des Veſuvs. Daher hat er, wie die Landſchaft ſelbſt, un- verändert ſo mannichfache Fremdherrſchaft überſtanden, daher haben ſich vielmehr an ihm die Härten und Schärfen ausländiſchen Weſens erweicht und abgeſchliffen. War auch Pompeî’s Straßenleben, bei der verſchiedenen Bauart der Häuſer, nicht einmal verhältnißmäßig ſo rege wie das Neapels, ſei es auf dem Toledo, oder zu Santa Lucia, oder in den engen Hafenſtraßen, oder vor Porta Capuana — es trug ohne Zweifel denſelben Stempel. Dieſer Menſchenſchlag wird — heute wie einſt — von der Luft und der Witterung und allem Druck von oben ſo wenig darnieder- gedrückt, ſo wenig eingeengt durch der Straßen und Wohnungen Enge und alle Enge der Verhältniſſe, daß er immer zwanglos und gefällig ſich bewegte und ſeinen Gefühlen in Rede und Gebärde vollen Ausdruck geſtattet. Wie auf den Straßen, ſo in den kleinen Theatern und in den Kneipen, beſonders im Jeſuitenkeller; ſo ſelbſt in den Tribunali. Der Fremde welcher die Tribunali beſucht, findet eine unruhige, plaudernde Menſchenmenge in Sälen und Gängen ſich umherſchieben; da werden Cigarren verkauft, da knuſperiges Backwerk, da Federn und Papier, und er kann ſich an den nächſten Tiſch ſetzen, um nach Hauſe zu berichten daß hier nichts von jener beklemmenden Luft nordiſcher Gerichtshöfe zu ſpüren iſt, nichts von jener unheimlichen Stille, deren Eindruck durch das Knirſchen der Feder, das Rauſchen des Streuſands und irgend ein langgezogenes Räuſpern wahrlich nicht gemildert wird. Noch beſſer mag es in den pompejaniſchen Tribunali — wir meinen nicht die ſogenannten Tribunali, ſondern die Baſilika — zugegangen ſein; hundert Spuren von der heitern, ja ausgelaſſenen Stimmung der hier Weilenden ſind uns übrig geblieben, und man möchte faſt glauben: Venus, die jenſeits der Straße thronte, hätte bis herüber in den Bereich der Gerechtigkeit ihren Scepter ge- ſchwungen. Nur iſt zu bedenken daß, wenn das Leben im Caſtel Capuano dem einer Börſe gleicht, die alte Baſilika in der That die Beſtimmungen einer Börſe und einer Gerichtsſtätte in ſich vereinigte. Beſtimmte volkthümliche Geſtalten des heutigen Neapel in Pompeï zu entdecken, oder vorauszuſetzen, hält ſchwer; aber ohne Zweifel wuchs hier das Holz aus welchem jene geſchnitzt ſind. Eine Art Lazzaroni hat die alte Stadt entſchieden beſeſſen, d. h. Leute die an den Wänden lehnten und ſich die Sonne in den Magen ſcheinen ließen, ſich übrigens dadurch vor ihren Nachkommen auszeichneten daß ſie nicht bloß in figürlichem Sinne ſo gerieben und mit allen Waſſern gewaſchen waren. So war, gegenüber jenem Kaufmannshauſe welches das Haus des Siricus heißt, ein beliebtes Plätzchen für ſüßes Nichtsthun und gaffende Neugier; vielleicht gab es auch dann und wann einen kleinen Dienſt zu leiſten und einen Seſterz zu erhaſchen. Der Apotheker aber vor deſſen Haus dieſe Sieſten ſtattfanden, ärgerlich darüber und wohl beſonders für den friſchen Glanz ſeiner Wand beſorgt, malte an dieſe zwei rieſige Schlangen an, die jedem Schrecken, geſchweige Ehrfurcht, ein- flößen mußten, und ſchrieb, weiß auf roth, einen nicht ganz tadelfreien Hexameter darunter, welcher beſagt: „Für Müßiggänger iſt dieß kein Ort; fort, du Herum- lungerer!“ Auch camorriſtiſche Beſtrebungen regten ſich ſchon in Pompeï; wenig- ſtens erfreute ſich ein gewiſſer M. Cerrinius Vatia der Ehre ſeine Wahl zum Aedilen nicht nur von den ſehr ehrbaren Zünften der Obſthändler, der Sackträger und der Salzarbeiter und den minder ehrbaren der Spätkneiper und der Schläfer, *) ſon- dern auch von den ganz und gar nicht ehrbaren der Spitzbuben und der Dolch- brüder befürwortet zu ſehen. Nur ein Weſen kennen wir das ſchon Pompeï’s beſſere Tage erblickt hat und heute noch in kräftiger Geſundheit lebt: es iſt unſer Freund von San Carlino, Pulcinella. Wir wollen nicht erörtern inwiefern die Commedia dell’ Arte aus der alten Atellana erwachſen iſt, wir wollen nicht unterſuchen ob das Urbild von Puli- cinella’s reizendem Antlitz ſich wirklich auf einem pompejaniſchen Säulenknauf vor- findet; wir laſſen uns am unmittelbaren Eindruck genügen; mit ſeiner Papagaien- naſe, ſeinem weißen Anzug, ſeinem ſpitzen Hut, beſonders aber mit ſeinen Lazzi und ſeiner vergnüglichen Redeweiſe, ſeiner ganzen Art, die ohne Verſtändniß für eilfertige Neuheit iſt, gibt ſich uns Pulcinella als den Bürger einer untergegan- genen Welt. Man hat Pompeï auf verſchiedene Weiſe verherrlicht, in der erzählen- den Dichtung, im Roman, in der Oper; doch immer unter dem Schatten des Todes. Wäre uns Dichterkraft verliehen, wir würden nur das luſtige und glück- liche Pompeï in einem atellaniſchen Spiele feiern. Unſer Held wäre dann Pul- cinella, freilich ein niedriggeborner, etwa der Sklave eines reichen Pompejaners, wie er von dieſem am frühen Morgen zu allerlei Beſorgungen ausgeſchickt würde, wie er vor dem „Elephanten“ des Sittius die Bekanntſchaft eines daſelbſt logiren- den Fremden machte und ſich ihm als Führer durch die Stadt anböte, wie er ihn dann zu allem Sehens-, Eſſens- und Trinkenswerthen geleitete, und über manches Gläschen „Warmes,“ über manchen Blickwechſel mit ſchwarzäugigen Schönen ſeine ganze Sklavenſchaft vergäße, wie er eine Kette von Verwicklungen und Ver- legenheiten anzettelte und ſchließlich, zu ſeinem Herrn zurückgebracht, von dieſem — ganz im Geiſte der echten Pulicinellkomödie — mit einer weidlichen Tracht Prügel empfangen würde. Gab es je ein Schlaraffenland, ſo war es das welches den gefräßigen, dumm- ſchlauen Burſchen, den Pulcinella, geboren hat. Ja, zu den Füßen des Feuer- berges lag und liegt, ohne daß damit dem campaniſchen Gewerbfleiß zu nahe ge- treten werde, die wahre Cuccagna; die Römer ſagten Campania felix. Da hauste ein Menſchengeſchlecht, kunſtſinnig und gebildet, aber zugleich verweichlicht und in üppige Laſter verſunken. Statt auswärtiger Politik beſchäftigten ſie Reibereien und Späne untereinander, die ſich gelegentlich in einer blutigen Prügelei, wie der zu Pompeï im Jahr 59 n. Chr., gipfelten. Beſonders ſtanden die Pompejaner mit den Nucerinern auf geſpanntem Fuße; *) mit jenen hielten es die Pithecuſaner, mit dieſen die Puteolaner und die Campanier überhaupt, was nicht ſehr zu Pom- peï’s Gunſten ſpricht. Vielleicht ſangen die Nachbarn damals auf Pompeï einen ähnlichen Spottvers wie man heute auf Scafati ſingt: Scafati, sehiſeta, Mal’ acqua, mala gente, Sino all’ erba è malamente, indem ſo ein Ueberfahrtsplatz (von seafa) zu einem ſchm utzigen Ort (von schifo) entſtellt wird. Wenige Jahre nach gedachter Prügelei thaten ſich die erſten Anzeichen eines göttlichen Strafgerichtes über Pompeï und die Nachbarſtädte kund. Aber die Leichtſinnigen achteten dieſer Warnung nicht groß. Wie jene kleine Pariſerin hatten ſie auf die Frage: „Was iſt ein Vulcan?“ Die Antwort: „Ein Ding auf welchem man tanzt.“ Sie tanzten und ſchwelgten weiter. „Da ließ der HErr Schwefel und Feuer regnen vor dem HErrn vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra.“ Wie viel Gerechte dieſem Feuerregen entrannen, ob Chriſten darunter waren, wer weiß es! Wohl keimte neben andern morgenländiſchen Glaubenslehren auch die erhabenſte ſchon zu Pompeï. **) Der Eindruck der grauenhaften Verödung mußte unter den Geretteten und unter den Umwohnenden das raſche Wachsthum dieſes Keimes fördern, und ſo mag pompejaniſchem Samen das heilige Blut das auf der Höhe von Pozzuoli verſpritzt wurde entſtammt ſein, und das heidniſche Pom- peï ſich in dem chriſtlichen Pompeï bei S. Gennaro de’ Poveri verjüngt haben. Was nun vor allem iſt es was uns Pompeï’s Peccad illen aufdeckt? was uns ſein tägliches Trachten und Treiben veranſchaulicht? den Charakter dieſes Völkchens in das Sonnenlicht rückt? was die raſch verhallenden Rufe und Reden der Straße im Fluge feſthält und uns überliefert? und ſo die Reihe vieler Jahr- hunderte uns zu einer kurzen Spanne Zeit zuſammenſchiebt? Es iſt das Zufälligſte, Ver gänglichſte, Unſchönſte. Es ſind die Wandinſchriften, beſonders die Kritzeleien, die tot scriptorum taedia, wie ſie, ſolchen scriptores ſelbſt zufolge, zu Pompeï be- zeichnet zu werden pflegten. Erwerben ſich „die Narrenhände welche Tiſch und Wände beſchmieren“ wenig Dank bei der Mitwelt, ſo möchten die Nachlebenden ſie herzlich ſchütteln um deſſentwillen was ſie gethan haben; ihr Werk wird durch die Zeit geadelt. „Unter deren plaſtiſcher Hand werden,“ wie Waſhington Irving ſagt, „Kleinigkeiten zu Gegenſtänden von Wichtigkeit; der Unſinn eines Zeitalters wird die Weisheit des andern, die Seichtheit des Witzlings erhebt ſich zur Gelehr- ſamkeit des Pedanten.“ Zur Geſchichte der katholiſchen Reformbeſtrebungen. II. Fra Andrea d’Altagene, ein Verfolgter unter Pius IX. (Schluß.) * Gregor XVI kümmerte ſich bekanntlich weniger um die Ketzer als um die Liberalen; gegen die erſtern nachläſſig in der Verfolgung; wüthete er um ſo ſchreck- licher gegen die letztern. Unter Pius IX füllten ſich ſogleich alle Kerker der In- quiſition; auf ſeinen Befehl erließ der Inquiſitor Airaldi im Jahr 1856 ein Edict, wonach jedes wahrgenommene geiſtliche Verbrechen, wie z. B. die Ueber- tretung der Faſtengebote und unkirchliche Aeußerungen, bei Strafe der Inquiſition denunciirt werden mußte, und insbeſondere Dienſtboten zu ſolchen Zeugniſſen gegen ihre Herrſchaften aufgefordert wurden. Schmerzlicher als ſein eigenes Schickſal empfand Fra Andrea das der Kirche. Seine Seele rang nach Faſſung und Verſöhnung; in klagenden Liedern gab er den Kämpfen ſeines Gemüths einen bewegenden Ausdruck. Er hat mir einige dieſer im Kerker niedergezeichneten Poeſien zugeſchickt, die zum Theil einer nähern Kennt- nißnahme würdig ſind. In einem Gedicht, betitelt „das große Schlachtopfer und die Urſache meiner Verfolgung,“ iſt es die Kirche, die ihm als ein ſchönes Frauen- bild in einem Wald und von Geſtrüpp umgeben erſcheint. Auf den himmliſchen Zügen, liegt der Ausdruck größten Leides, denn ein Pfeil ſteckt in der Bruſt der Frau, und todte Söhne liegen in ihren Armen. Als den Urheber dieſer Unthaten *) N. 575: VATIAM. AED. ROGANT || MACERIO. DORMIENTES || UNIVERSI. CVM || ................ Man hat unter dormientes hier ſolche verſtanden welche das Schlafen zur Hauptſache, aus dem Schlafen ein Geſchäft machten, alſo Viel- ſchläfer. Würde dieß aber wohl anders als durch dormitores ausgedrückt worden ſein? und noch dazu in der ungekünſteltſten Redeweiſe und in einer Verbindung in welcher man alle möglichen Gewerbnamen, wie offectores, pistores, lignari, zu finden gewohnt war? Esor und bibitor mögen „Freſſer“ und „Säufer“ bedeuten; aber auch edens und bibens? Hätte ſich hingegen eine pompejaniſche Geſellſchaft mit einer ähnlichen Selbſtverläugnung, wie ſie ſpäter italieniſche Akademien übten, „die Schlafmützen“ benannt, ſo würde dieß lateiniſch doch wohl eher somnicolosi, somnolenti oder wenigſtens dormitantes, als dormientes lauten. Wir vermiſſen zu dormientes irgendeine Ergänzung. Könnte dieſelbe nicht in dem vierten Worte ſtecken, das von Zangemeiſter zwar als Eigenname betrachtet wird, aber als ſolcher uns weder aus Pompeï noch ſonſtwoher bekannt iſt? Welche Perſon auch ſollte durch Macerio bezeichnet werden? Der welchem die Wahl ans Herz gelegt wird, pflegt neben rogat oder rogant ungenannt zu bleiben; einmal heißt es: Balbe rogamus (das Zeitwort würde alſo überdieß nachfolgen). Der Name eines Wahl- empfehlers erſcheint ſo, ohne jede Verknüpfung mit dem „dormientes universi cum .....,“ ganz unzuläſſig. Wäre hier die Rede von Leuten die, wie ſo viele heutigen Italiener, „zum Stern“ übernachteten, d. h. unter freiem Himmel, an irgendein Gemäuer angeſchmiegt, ſo würden dieſe ſowohl zu den seribibi universi (Nr. 581) als zu den furunculi (Nr. 576) eine weit paſſendere Geſellſchaft ab- geben als die „Vielſchläfer“ oder „die Schlafmützen,“ zwiſchen beiden geradezu eine Vermittelung bilden. Denn eine gewiſſe Zuſammengehörigkeit der bezüglichen Pro- gramme wird auch durch ihre nahe Nachbarſchaft an der Nordſeite der Via degli Auguſtali wahrſcheinlich gemacht. Indeſſen iſt zu überlegen ob dormientes nicht in dem Sinne ſtehen könnte welchen dormis als Zuſatz zu Wahlempfehlungen hat (Nr. 822. 1190. 2974. 2993t). *) In den Stabianer Thermen merkt ein Pompejaner an daß er zu Nuceria im Würfel- ſpiele die nette Summe von 955½ Denaren bona fide gewonnen habe; wir halten es jedoch für nicht unwahrſcheinlich daß es mit der bona fide auf keiner Seite weit her geweſen iſt, weder auf der des ſchuldenden Nuceriners, noch der des glücklichen Pompejaners, der vielleicht demſelben Syſtem, wie Bulwers Cloduis, huldigte. **) Um von dem Kreuze im ſog. Hauſe des Panſa und von dem Zeichen *, welches nicht ſowohl das chriſtliche Monogramm als eine Abkürzung wohl für Chreſimus iſt, zu ſchweigen, ſo ſcheint die einzige ſichere Urkunde für das Beſtehen des Chriſten- thums zu Pompeï die Kohleninſchrift Nr. 679 zu ſein; aber ſie iſt ſo verſtümmelt und verblaßt, daß wir durchaus nichts zuſammenhängendes verſtehen können.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1872/10>, abgerufen am 31.10.2024.