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Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 17. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 14 Donnerslag, den 17. Januar

Köhler äußerte die Ansicht, daß die Reorgani-
sation des Spiritusmonopols einen Mehrertrag
von 100 Millionen Mark bringen könne, und nur
die parlamentarischen Verhältnisse, die durch die
Reichstagsauflöfung und durch die Neuwahlen
entstanden, haben es wohl verschuldet, daß von
dieser Steigerungsmöglichkeit bisher nicht Ge-
brauch gemacht worden ist. Mit diesen 26 Millio-
nen aus der Post, diesen 100 Millionen aus dem
Spiritusmonopol sind aber auch die Steigerungs-
möglichkeiten ersch´öpft, mit denen man bestimmt
rechnen kann. Auf allen anderen Gebieten herrscht
größte Unsicherheit.

Da ist zunächst die Vermögenssteuer,
die auch ein 100 Millionen-Paket bringen soll.
Als das jetzige Reichskabinett die Leitung der
Reichsgeschäfte übernahm, als damals auf Wunsch
der Sozialdemokratie beschlossen wurde, eine ge-
ringe Lohnsteuersenkung vorzunehmen, konnte
man dieses Zugeständnis an das sozialdemo-
kratische Parteiprogramm nur in einem Aus-
tauschverfahren durchsetzen, denn der Deutschen
Volkspartei mußte als Gegenleistung zugestanden
werden, daß die mittleren Sätze der Vermögens-
steuer gesenkt werden würden, und diese Senkung
wird nun in der Vorlage, die 100 Millionen Mark
mehr bringen soll, berücksichtigt werden müssen.
Man muß sich also auf die ganz großen Ver-
mögen beschränken, und bei der Haltung der bür-
gerlichen Parteien, der gesamten Wirtschaftswelt,
bei dem Zwang, die Kapitalansammlung in
Deutschland zu fördern, ist kaum Aussicht dar-
auf, diese "buchmäßige Deckung" zu verwirklichen.

Die Biersteuer! Selbst die Sozialdemo-
kratische Partei hat hier Bedenken, und so selten
es vorkommt, sie stimmt darin mit der Bayerischen
Volkspartei, mit Bayern überhaupt, überein. Man
muß beachten, daß hier in der Tat einer jener
großen Unterschiede zwischen Norddeutschland und
Süddeutschland besteht, der zwar nicht auf Stam-
meseigenart zurückgeht, der aber doch auf wirt-
schaftlichen Verhältnissen beruht, die nicht außer
acht gelassen werden könen. Der Gläubigerkom-
missar für die verpfändeten Einnahmen stellt in
seinem Bericht zwar fest, daß sich die Brauereien
in bester Lage befinden und daß sie eine durch-
schnittliche Dividende von zehn Prozent verteilt
hätten, aber auch er gibt zu, daß das nur für die
großen Brauereien gilt. In Bayern und an der
bayerischen Grenze gibt es 25 000 Hausbrauer,
und wenn ihre Produktion (300 000 Hektoliter)
noch eine geringe Steuererhöhung möglicherweise
tragen könnte, so gibt es daneben in Bayern doch
auch eine Unzahl kleiner und kleinster Brauerei-
betriebe, bei denen eben im Gegensatz zu den
größeren Brauereibetrieben Deutschlands eine
Steuererhöhung, die zwischen einem Drittel und
der Hälfte des jetzigen Satzes liegt, eine erheb-
liche Belastung bedeutet. So erklärt sich der
Widerstand der Bayern nicht aus der grundsätz-
lichen Neigung zum Widerspruch, sondern aus
[Spaltenumbruch] den, wie man auch in Berlin weiß, völlig
anderen wirtschaftlichen Grund-
lagen dieses gewerblichen Zweiges.

Dabei spielen aber auch politische Gesichtspunkte
eine große Rolle. Man könnte die Biersteuer auch
ohne die Bayerische Volkspartei beschließen, aber
doch nur mit dem Zentrum. Und wenn man daran
denkt, wie in der letzten Zeit das Zentrum sich be-
müht hat, die Bayerische Volkspartei zur Zusam-
menarbeit zu gewinnen, so ist es wirklich etwas
zu viel Optimismus, wenn man glaubt, die beiden
Parteien würden sich in dieser Frage trennen.

Noch schlimmer wird es mit dem letzten buch-
mäßigen Einnahmeposten, der Aenderung
des Finanzausgleiches zugunsten
des Reiches.
Auch hier steht nicht etwa
Bayern, das ja jeder Verkürzung seiner Ein-
nahmen besonders energischen Widerstand ent-
gegensetzt, unter den deutschen Ländern allein.
Man hört aus dem preußischen Finanzministe-
rium, daß Preußen sich gegen eine solche Aen-
derung des Finanzausgleiches aussprechen würde,
daß Aussichten auf eine Einheitsfront
sämtlicher Länder gegen das Reich

bestehen, sobald an die Geldfrage gerührt wird.
Was bedeutet der geplante Abzug von mehr als
100 Millionen für die Länder? Im Jahre 1924/25
flossen den Ländern aus Steuerüberschüssen des
Reiches 858 Millionen mehr zu, als sie erwarten
konnten. In dem Jahre 1925/26 betrugen die Ueber-
schüsse zugunsten der Länder 712 Millionen, im
Jahre 1927/28 war das in den Schätzungen nicht
veranschlagte "Mehr" zugunsten der Länder nach
110 Millionen und in den ersten 6 Monaten des
laufenden Jahres ist bereits wieder ein Plus von
110 Millionen erreicht, das den Ländern zuflie-
ßen würde. Die Länder rechnen aber selbstver-
ständlich mit diesen Einnahmen und in ihren eige-
nen Haushalten würden also Löcher entstehen,
wenn man ihnen den Betrag abzieht. Daß ein
solcher Abzug gerechtfertigt wäre, darüber sind sich
Politiker aller Richtungen, Wirtschaftler aller Ge-
werbezweige einig. Aber man kann doch nicht von
Wünschen, sondern man muß von politischen Tat-
sachen ausgehen.

Und diese Rücksichtnahme auf Tatsachen ist an-
scheinend bei den Deckungsvorschlägen des Reichs-
finanzministeriums nicht immer beachtet worden.
Der Reichsfinanzminister hat auf die Einnahmen-
seite seiner Haushaltsrechnung alle Steuern mit
Schätzungen eingesetzt, die über dem wirklichen
Ertrag des laufenden Jahres stehen, weil auch in
früheren Jahren Ueberschüsse erzielt wurden.
Aber kann man bei der ganzen Wirtschaftslage
mit einer Steigerung der Steuerbeträge rechnen?
In Preußen ist man so vorsichtig gewesen, nicht
Soll-Erträge, sondern nur Ist-Erträge des jetzi-
gen Jahres in den Haushaltsplan des nächsten
Jahres aufzunehmen. Sollte nicht auch im Reich
dieses Verfahren dem Versuch vorgezogen werden,
eine "buchmäßige Deckung" zu erreichen?



[Spaltenumbruch]
[irrelevantes Material]


Parker Gilbert
bleibt im Amt

Zu den Gerüchten über seinen Rücktritt


Nach einer Meldung der "Newyork Ti-
mes" aus Louisville in Kentucky erklärte
Parker Gilbert zu den Gerüchten, wonach
er sich von seinem Posten als Generalagent
für die Reparationszahlungen nach dem Zu-
sammentritt des Sachverständigenausschusses
zurückziehen werde, er höre die Nachricht,
daß er zurücktreten werde, zum erstenmal,
Er glaube, daß diese Erklärung genüge.

Parker Gilbert sagte weiter, er werde
noch drei Tage in Louisville bleiben und am
26. Januar auf dem Dampfer "Paris" von
Neuyork aus die Rückreise nach Deutschland
antreten.



110 Zeugen
im "Immertreu"-Prozeß

Unübersehbare Schwierigkeiten


Die Anberaumung der Hauptverhandlung
gegen die an den Krawallen in der Bres-
lauer Straße beteiligten acht "Immertreu"-
leute stößt, wie das "Berliner Tageblatt"
erfährt, auf bisher nicht übersehbare Schwie-
rigkeiten, so daß mit dem Prozeß erst An-
fang Februar
gerechnet werden darf.
Der Vertreter der Anklage, Staatsanwalt-
schaftsrat Zimmermann hat die Ladung von
allein 30 Zeugen beantragt, und zwar ledig-
lich Tatzeugen, da er den Prozeß auf die
tatsächlichen Vorgänge der Straßenschlacht
in der Breslauer Straße beschränken will.
Dagegen haben nunmehr die Rechtsanwälte
Dr. Alsberg, Dr. Frey und Dr. Freudenstein
die Ladung von weiteren 80 Zeugen bean-
tragt.



Der Mordprozeß Vuciterna
in Prag

Der seit 30. November in Untersuchungs-
haft gehaltene Albanier Gani Beg, dessen

[Spaltenumbruch]

Diener Vuciterna im Prager Schwur-
gerichtssaal den Albaner Bebi, den Mörder
des Prager albanischen Gesandten Zena
Beg, erschossen hat, wurde auf freien Fuß
gesetzt, da der Untersuchungsrichter festge-
stellt hat, daß kein genügendes Material für
die Erhebung der Anklage gegen ihn vor-
liegt.



Deutschlands Eishockeysieg

Berliner Schlittschuh-Club-Riessersee kombiniert
schlagen Polen mit 5:0


Deutschlands Eishockey
hat einen weiteren Erfolg errungen. Nachdem die
kombinierte Mannschaft Berliner Schlittschuh-
Club-Riessersee schon gegen die berühmten Ca-
nadians unentschieden spielte, hat sie auch das
Spiel gegen Polens Mannschaft überlegen mit
5:0 gewonnen und damit den Pokal der Schwei-
zer Winterspiele errungen.



Uraufführung im Residenztheater
Karl und Anna

Schauspiel in 4 Akten von Leonhard Frank

An den Fronten, da war's zu Ende -- nicht
aber daheim, da ging's erst an: Krieg in den
Familien. Es war eben zu lang und die
Frauen zu Hause -- Gott, man weiß ja noch;
selbst oder von Bekannten -- aber was sollte es,
wenn jeder mit dem Beil dazwischenführe! Die
Frauen zu Hause, ja, stumpf vom Kollektivismus
der Fabriken, von bitterster Lebensnot -- und
dann das eine oder ein halbes Bett frei --
irgendein Mann, mit dem man es teilte, wie
auch den Lebenskampf; der eigene irgendwo --
mit einem Schießprügel -- oder im Gefangenen-
lager. -- --

Drei Jahre im Lager in einem Schuppen --
da wird man Freunde und Richard erzählt dem
anderen von ihr, der Anna, von dieser seltenen
Kostbarkeit, von jedem Möbelstück, von jedem
Freudentag, von der weißen Straffheit ihrer
Haut, von jedem Seufzer und dem Leberfleck
über dem rechten Knie.

Bis der andere diese Frau kennt bis in die
Tiefen ihres Herzens und Leibes und sie in
seinen Träumen verschmilzt zur ewig Begehrten,
ewig Zugehörten.

Tötungsversuch von Richard an dem Vieh
eines Aufsehers nimmt der andere auf sich --
sicherer Tod -- geglückte Flucht.

Und heim zu Anna -- so sehr fühlt er sich
Richard -- nimmt Besitz von Wohnküche und
Frau; die den suggestiven Seltsamkeiten des
Fremden in steigernder Liebe erliegt. -- Bis der
Mann zurückkommt, bereit, Heim und Weib in
Besitz zu nehmen -- und -- einstürzender Welt
mit schwingendem Beil noch den Todeshieb geben
will. Erkenntnis aber die Tat abstoppt: Es ist
keine Untreue, so wie man sagt -- und Däm-
merung des Schicksalhaften über Mensch und
Raum lastet. So flieht das Weib mit Karl --
zurück bleibt Richard mit Wohnküche -- und
einer kleinen, stillen, sanften Trösterin -- --

[Spaltenumbruch]

vielleicht -- -- hier, Schokolade! -- Ein Klang
bleibt!

Um die Nacktheit dieser Handlung Halbtöne der
Ahnungen und Lasten gebundenen Lebens-
ablaufs -- und so empfindet man das Dichterische
des Schauspiels in der Atmosphäre seelischer
Gesetzmäßigkeiten.

Es war wie langsamer Zug schwarzgeballter
Wolken, zähflüssig und unerbietlich und todes-
gezeichnet wie Lavaweg -- und viel Stummheit
schrie über die Bühne, wie Worte im Symboli-
schen verträumten.

Zwischentöne entschlackten das Wort -- und
eine Geste war ein Schicksal! -- -- --

Da ist Ernst Martens, der Kriegsgefangene
Karl, eindringlich, gedämpft, stark, mit Worten
von irgendwoher und Augen irgendwohin, voll
Suggestivität sein Ueberfall auf Anna, in aller
Herbheit keuscher Frauen und aufglänzenden
Augen endlicher Glückserkenntnis von Annemarie
Holtz anpassend und entschieden gespielt. Und
Otto Wernicke -- sein Richard, Mensch mit
schwerfälliger Bären-Zärtlichkeit -- und doch
glückstrunken wie eine Biene im Blumenkelch --
bis auf die Augen sein Leben verlöschend als
Verzichtender. Eine große, packende Leistung in
der Wortlosigkeit zerrissenen Herzens.

Auch Anni Weinert kann mehr als gut an-
gezogen Backfischsprünge über die Bühne zu
machen. Sie war rührend still, sorgend, zufrie-
den. Vom Sinu der Dichtung erfüllt Thesy
Pricken, Kurt Holm.

Eingefühlte Regie von Karl Hanns Böhm
gestaltete das Schauspiel mit zarten Fingern --
Adolf Linnebachs Bühnenbilder unterstützen
den Rahmen.

Herzlicher Beifall besonders am Schluß be-
deutete Sieg der Schauspieler und der Dichtung
-- trotz schaumgekrönter Wogen hochgehenden
Faschings um ernste Schwere dieses tragischen
Marionettenspiels.

[Spaltenumbruch]
Hilferding zur Finanzlage 1929

Die Beratung des Nachtragsetat für 1928


Der Haushaltsausschuß des Reichstages
setzte die Beratung des Nachtragsetats für
1928 fort. Zu Beginn der Beratungen er-
klärte Reichsfinanzminister Dr. Hilfer-
ding,
der Personaletat für 1929 umfasse
50 Millionen. Für 1928 sei diese
Summe geringer, weil die höheren Aufwen-
dungen für Besoldungen mindestens am 1.
Oktober 1928 in Kraft treten und weil die
neuen Stellen erst am 1. April 1929 besetzt
werden. Der wirkliche Betrag für 1928 sei
42 Millionen, von den 50 Millionen für
1929 seien 36 Millionen zwangsläufig
Von dem Rest dienten 23/4 Millionen zur
Durchführung der Reichstagsresolutionen.

Das Steueraufkommen in den Monaten
April bis Dezember 1928 habe insgesamt
6 811,7 Millionen ergeben. Hiervon entfallen
auf den Länderanteil 2 639,6 und auf den
Reichsanteil 4 172,1 Millionen.

Die Entwicklung des Steueraufkom-
mens hat durchaus den Erwartungen
entsprochen. Keinesfalls wird das Jahr
1928 mit einem Ueberschuß abschließen.

Zur Finanzlage 1929 führte der Minister
weiter aus, daß er zu der Deckungsfrage
noch keine bestimmten Angaben machen
könne, da das Kabinett noch nicht endgültig
Stellung genommen habe.

Nach seinen Vorschlägen würde der Etat
jedoch vollkommen ausgeglichen sein.

Zusammen mit der Erhöhung der Repara-
tionslast um 312 Millionen belaufe sich das
Defizit für 1929 auf ungefähr 680 Millionen
Mark. Nach den Anforderungen des Wehr-
ressorts würde sich das Defizit auf rund 850
Millionen Mark belaufen. Er habe sich
bemüht, diese Anforderungen stark herabzu-
mindern.

Der Betrag der durch neuen Steuerbe-
darf zu decken ist, werde sich auf rund
350 Millionen Mark belaufen.

Er hoffe, daß es noch möglich sein werde,
den Etat vor dem 1. April zu verabschieden.

Nach weiterer Aussprache wurden die Be-
ratungen auf Donnerstag vertagt. -- Es
beginnt die Einzelberatung beim Justiz-
ministerium.



Französischer Gesandte und Nuntius
in München

Der strafrechtliche Schutz * Zurückweisung einer unobjektiven Berichterstattung


Aus Berlin wird gemeldet: Der Straf-
rechtsausschuß des Reichstages hat vor eini-
gen Tagen beschlossen, daß in Zukunft nur
die beim Reich beglaubigten ausländischen
Gesandtschaften besonders geschützt sein
sollen. Wenn dieser Beschluß Gesetz würde,
würde er zur Folge haben, daß der
Päpstliche Nuntius in München
und auch der gegenwärtig noch bei der
bayerischen Regierung beglaubigte fran-
zösische Gesandte
keinen besonderen
Schutz gegen Beleidigungen genießen.

Der Reichsjustizminister hat, und zwar im
Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt
im Strafrechtsausschuß gegen eine derartige
Regelung entschieden Widerspruch
erhoben.
Er hat dabei hervorgehoben,
[Spaltenumbruch] daß, solange eine französische Gesandtschaft
in München besteht, die Gefahr, daß durch
eine Beleidigung des französischen Gesandten
in München die Beziehungen Deutschlands
zu einer ausländischen Macht gestört wür-
den, genau dieselbe sei wie bei Beleidigung
eines in Berlin akkreditierten Gesandten.

Entgegen diesem Sachverhalt behaupten
die "Münchener Neuesten Nach-
richten
" in der Ausgabe vom 11. Januar
(Nr. 10), der Reichsjustizminister habe die
Ungeschicklichkeit begangen, durch die Prokla-
mation seiner unitaristischen Gesinnung, die-
ses Thema in den Ausschuß gebracht zu ha-
ben. Diese Darstellung entspricht nach dem
Gesagten in keiner Weise den Tatsachen und
ist das Gegenteil einer objektiven Bericht-
erstattung.



Reichsgerichtsurteil gegen Bullerjahn

Unbegründete Vorwürfe gegen den Reichsjustizminister


In der Oeffentlichkeit ist dem Reichsjustiz-
minister zum Vorwurf gemacht worden,
daß ihm die Kritik an dem Urteil des Reichs-
gerichtes gegen Oberlagerverwalter Buller-

[Spaltenumbruch]

jahn keinen Anlaß zum Eingreifen gebe.
Hierauf ist folgendes zu erwidern:

Die Kritik des Urteils hat bereits vor
mehreren Jahren im Reichstag den Gegen-
stand von Erörterungen gebildet. Damals
beschränkte sie sich auf die rein rechtliche
Frage, ob das Reichsgericht nach den Vor-
schriften der Strafprozeßordnung hätte da-
von absehen müssen, bei der Würdigung der
erhobenen Beweise auch dasjenige mit zu
verwerten, was ihm durch mehrere Zeugen
über die
Angaben einer ungenannten Aus-
kunftsperson

bekundet worden war. Der ungewöhnliche
Schritt des Reichsgerichtes beruhte darauf,
daß aus außenpolitischen Erwä-
gungen
der damaligen politischen Leitung
des Reiches der Name der Auskunftsperson
dem Reichsgericht nicht mitgeteilt worden
war. Der damalige Reichsjustizminister
vertrat in seiner Antwort den Standpunkt,
daß es sich hier weniger um eine Frage des
Prozeßrechtes, als um eine Würdigung der
Beweiskraft der einzelnen Angaben handele.

Wenn neuerdings die Kritik über die Be-
anstandung einer einzelnen prozessualen
Maßnahme hinaus dazu übergegangen ist,
das Urteil auch hinsichtlich seiner Schuldfest-
stellungen anzugreifen und diese als durch
neu entdeckte Tatsachen erschüttert zu be-
zeichnen, so ist für ein Vorbringen dieses
Inhaltes der
Weg des gerichtlichen Wiederaufnahme-
verfahrens

vorgesehen. Der Reichsjustizminister hat
wiederholt der Verteidigung dringend
empfohlen, das ihr nach ihren Angaben be-
kannte neue Beweismaterial ohne jeden Ver-
zug zum Gegenstand eines Wiederaufnahme-
antrages zu machen. Ein Antrag auf Wie-
deraufnahme des Verfahrens ist jedoch bis-
her nicht eingegangen. Es ist auch nicht ein-
mal durch Mitteilung des neuen Materials
eine Prüfung der Wiederaufnahmefrage von
Amts wegen ermöglich worden.

„AZ am Abend“ Nr. 14 Donnerslag, den 17. Januar

Köhler äußerte die Anſicht, daß die Reorgani-
ſation des Spiritusmonopols einen Mehrertrag
von 100 Millionen Mark bringen könne, und nur
die parlamentariſchen Verhältniſſe, die durch die
Reichstagsauflöfung und durch die Neuwahlen
entſtanden, haben es wohl verſchuldet, daß von
dieſer Steigerungsmöglichkeit bisher nicht Ge-
brauch gemacht worden iſt. Mit dieſen 26 Millio-
nen aus der Poſt, dieſen 100 Millionen aus dem
Spiritusmonopol ſind aber auch die Steigerungs-
möglichkeiten erſch´öpft, mit denen man beſtimmt
rechnen kann. Auf allen anderen Gebieten herrſcht
größte Unſicherheit.

Da iſt zunächſt die Vermögensſteuer,
die auch ein 100 Millionen-Paket bringen ſoll.
Als das jetzige Reichskabinett die Leitung der
Reichsgeſchäfte übernahm, als damals auf Wunſch
der Sozialdemokratie beſchloſſen wurde, eine ge-
ringe Lohnſteuerſenkung vorzunehmen, konnte
man dieſes Zugeſtändnis an das ſozialdemo-
kratiſche Parteiprogramm nur in einem Aus-
tauſchverfahren durchſetzen, denn der Deutſchen
Volkspartei mußte als Gegenleiſtung zugeſtanden
werden, daß die mittleren Sätze der Vermögens-
ſteuer geſenkt werden würden, und dieſe Senkung
wird nun in der Vorlage, die 100 Millionen Mark
mehr bringen ſoll, berückſichtigt werden müſſen.
Man muß ſich alſo auf die ganz großen Ver-
mögen beſchränken, und bei der Haltung der bür-
gerlichen Parteien, der geſamten Wirtſchaftswelt,
bei dem Zwang, die Kapitalanſammlung in
Deutſchland zu fördern, iſt kaum Ausſicht dar-
auf, dieſe „buchmäßige Deckung“ zu verwirklichen.

Die Bierſteuer! Selbſt die Sozialdemo-
kratiſche Partei hat hier Bedenken, und ſo ſelten
es vorkommt, ſie ſtimmt darin mit der Bayeriſchen
Volkspartei, mit Bayern überhaupt, überein. Man
muß beachten, daß hier in der Tat einer jener
großen Unterſchiede zwiſchen Norddeutſchland und
Süddeutſchland beſteht, der zwar nicht auf Stam-
meseigenart zurückgeht, der aber doch auf wirt-
ſchaftlichen Verhältniſſen beruht, die nicht außer
acht gelaſſen werden könen. Der Gläubigerkom-
miſſar für die verpfändeten Einnahmen ſtellt in
ſeinem Bericht zwar feſt, daß ſich die Brauereien
in beſter Lage befinden und daß ſie eine durch-
ſchnittliche Dividende von zehn Prozent verteilt
hätten, aber auch er gibt zu, daß das nur für die
großen Brauereien gilt. In Bayern und an der
bayeriſchen Grenze gibt es 25 000 Hausbrauer,
und wenn ihre Produktion (300 000 Hektoliter)
noch eine geringe Steuererhöhung möglicherweiſe
tragen könnte, ſo gibt es daneben in Bayern doch
auch eine Unzahl kleiner und kleinſter Brauerei-
betriebe, bei denen eben im Gegenſatz zu den
größeren Brauereibetrieben Deutſchlands eine
Steuererhöhung, die zwiſchen einem Drittel und
der Hälfte des jetzigen Satzes liegt, eine erheb-
liche Belaſtung bedeutet. So erklärt ſich der
Widerſtand der Bayern nicht aus der grundſätz-
lichen Neigung zum Widerſpruch, ſondern aus
[Spaltenumbruch] den, wie man auch in Berlin weiß, völlig
anderen wirtſchaftlichen Grund-
lagen dieſes gewerblichen Zweiges.

Dabei ſpielen aber auch politiſche Geſichtspunkte
eine große Rolle. Man könnte die Bierſteuer auch
ohne die Bayeriſche Volkspartei beſchließen, aber
doch nur mit dem Zentrum. Und wenn man daran
denkt, wie in der letzten Zeit das Zentrum ſich be-
müht hat, die Bayeriſche Volkspartei zur Zuſam-
menarbeit zu gewinnen, ſo iſt es wirklich etwas
zu viel Optimismus, wenn man glaubt, die beiden
Parteien würden ſich in dieſer Frage trennen.

Noch ſchlimmer wird es mit dem letzten buch-
mäßigen Einnahmepoſten, der Aenderung
des Finanzausgleiches zugunſten
des Reiches.
Auch hier ſteht nicht etwa
Bayern, das ja jeder Verkürzung ſeiner Ein-
nahmen beſonders energiſchen Widerſtand ent-
gegenſetzt, unter den deutſchen Ländern allein.
Man hört aus dem preußiſchen Finanzminiſte-
rium, daß Preußen ſich gegen eine ſolche Aen-
derung des Finanzausgleiches ausſprechen würde,
daß Ausſichten auf eine Einheitsfront
ſämtlicher Länder gegen das Reich

beſtehen, ſobald an die Geldfrage gerührt wird.
Was bedeutet der geplante Abzug von mehr als
100 Millionen für die Länder? Im Jahre 1924/25
floſſen den Ländern aus Steuerüberſchüſſen des
Reiches 858 Millionen mehr zu, als ſie erwarten
konnten. In dem Jahre 1925/26 betrugen die Ueber-
ſchüſſe zugunſten der Länder 712 Millionen, im
Jahre 1927/28 war das in den Schätzungen nicht
veranſchlagte „Mehr“ zugunſten der Länder nach
110 Millionen und in den erſten 6 Monaten des
laufenden Jahres iſt bereits wieder ein Plus von
110 Millionen erreicht, das den Ländern zuflie-
ßen würde. Die Länder rechnen aber ſelbſtver-
ſtändlich mit dieſen Einnahmen und in ihren eige-
nen Haushalten würden alſo Löcher entſtehen,
wenn man ihnen den Betrag abzieht. Daß ein
ſolcher Abzug gerechtfertigt wäre, darüber ſind ſich
Politiker aller Richtungen, Wirtſchaftler aller Ge-
werbezweige einig. Aber man kann doch nicht von
Wünſchen, ſondern man muß von politiſchen Tat-
ſachen ausgehen.

Und dieſe Rückſichtnahme auf Tatſachen iſt an-
ſcheinend bei den Deckungsvorſchlägen des Reichs-
finanzminiſteriums nicht immer beachtet worden.
Der Reichsfinanzminiſter hat auf die Einnahmen-
ſeite ſeiner Haushaltsrechnung alle Steuern mit
Schätzungen eingeſetzt, die über dem wirklichen
Ertrag des laufenden Jahres ſtehen, weil auch in
früheren Jahren Ueberſchüſſe erzielt wurden.
Aber kann man bei der ganzen Wirtſchaftslage
mit einer Steigerung der Steuerbeträge rechnen?
In Preußen iſt man ſo vorſichtig geweſen, nicht
Soll-Erträge, ſondern nur Iſt-Erträge des jetzi-
gen Jahres in den Haushaltsplan des nächſten
Jahres aufzunehmen. Sollte nicht auch im Reich
dieſes Verfahren dem Verſuch vorgezogen werden,
eine „buchmäßige Deckung“ zu erreichen?



[Spaltenumbruch]
[irrelevantes Material]


Parker Gilbert
bleibt im Amt

Zu den Gerüchten über ſeinen Rücktritt


Nach einer Meldung der „Newyork Ti-
mes“ aus Louisville in Kentucky erklärte
Parker Gilbert zu den Gerüchten, wonach
er ſich von ſeinem Poſten als Generalagent
für die Reparationszahlungen nach dem Zu-
ſammentritt des Sachverſtändigenausſchuſſes
zurückziehen werde, er höre die Nachricht,
daß er zurücktreten werde, zum erſtenmal,
Er glaube, daß dieſe Erklärung genüge.

Parker Gilbert ſagte weiter, er werde
noch drei Tage in Louisville bleiben und am
26. Januar auf dem Dampfer „Paris“ von
Neuyork aus die Rückreiſe nach Deutſchland
antreten.



110 Zeugen
im „Immertreu“-Prozeß

Unüberſehbare Schwierigkeiten


Die Anberaumung der Hauptverhandlung
gegen die an den Krawallen in der Bres-
lauer Straße beteiligten acht „Immertreu“-
leute ſtößt, wie das „Berliner Tageblatt“
erfährt, auf bisher nicht überſehbare Schwie-
rigkeiten, ſo daß mit dem Prozeß erſt An-
fang Februar
gerechnet werden darf.
Der Vertreter der Anklage, Staatsanwalt-
ſchaftsrat Zimmermann hat die Ladung von
allein 30 Zeugen beantragt, und zwar ledig-
lich Tatzeugen, da er den Prozeß auf die
tatſächlichen Vorgänge der Straßenſchlacht
in der Breslauer Straße beſchränken will.
Dagegen haben nunmehr die Rechtsanwälte
Dr. Alsberg, Dr. Frey und Dr. Freudenſtein
die Ladung von weiteren 80 Zeugen bean-
tragt.



Der Mordprozeß Vuciterna
in Prag

Der ſeit 30. November in Unterſuchungs-
haft gehaltene Albanier Gani Beg, deſſen

[Spaltenumbruch]

Diener Vuciterna im Prager Schwur-
gerichtsſaal den Albaner Bebi, den Mörder
des Prager albaniſchen Geſandten Zena
Beg, erſchoſſen hat, wurde auf freien Fuß
geſetzt, da der Unterſuchungsrichter feſtge-
ſtellt hat, daß kein genügendes Material für
die Erhebung der Anklage gegen ihn vor-
liegt.



Deutſchlands Eishockeyſieg

Berliner Schlittſchuh-Club-Rieſſerſee kombiniert
ſchlagen Polen mit 5:0


Deutſchlands Eishockey
hat einen weiteren Erfolg errungen. Nachdem die
kombinierte Mannſchaft Berliner Schlittſchuh-
Club-Rieſſerſee ſchon gegen die berühmten Ca-
nadians unentſchieden ſpielte, hat ſie auch das
Spiel gegen Polens Mannſchaft überlegen mit
5:0 gewonnen und damit den Pokal der Schwei-
zer Winterſpiele errungen.



Uraufführung im Residenztheater
Karl und Anna

Schauſpiel in 4 Akten von Leonhard Frank

An den Fronten, da war’s zu Ende — nicht
aber daheim, da ging’s erſt an: Krieg in den
Familien. Es war eben zu lang und die
Frauen zu Hauſe — Gott, man weiß ja noch;
ſelbſt oder von Bekannten — aber was ſollte es,
wenn jeder mit dem Beil dazwiſchenführe! Die
Frauen zu Hauſe, ja, ſtumpf vom Kollektivismus
der Fabriken, von bitterſter Lebensnot — und
dann das eine oder ein halbes Bett frei —
irgendein Mann, mit dem man es teilte, wie
auch den Lebenskampf; der eigene irgendwo —
mit einem Schießprügel — oder im Gefangenen-
lager. — —

Drei Jahre im Lager in einem Schuppen —
da wird man Freunde und Richard erzählt dem
anderen von ihr, der Anna, von dieſer ſeltenen
Koſtbarkeit, von jedem Möbelſtück, von jedem
Freudentag, von der weißen Straffheit ihrer
Haut, von jedem Seufzer und dem Leberfleck
über dem rechten Knie.

Bis der andere dieſe Frau kennt bis in die
Tiefen ihres Herzens und Leibes und ſie in
ſeinen Träumen verſchmilzt zur ewig Begehrten,
ewig Zugehörten.

Tötungsverſuch von Richard an dem Vieh
eines Aufſehers nimmt der andere auf ſich —
ſicherer Tod — geglückte Flucht.

Und heim zu Anna — ſo ſehr fühlt er ſich
Richard — nimmt Beſitz von Wohnküche und
Frau; die den ſuggeſtiven Seltſamkeiten des
Fremden in ſteigernder Liebe erliegt. — Bis der
Mann zurückkommt, bereit, Heim und Weib in
Beſitz zu nehmen — und — einſtürzender Welt
mit ſchwingendem Beil noch den Todeshieb geben
will. Erkenntnis aber die Tat abſtoppt: Es iſt
keine Untreue, ſo wie man ſagt — und Däm-
merung des Schickſalhaften über Menſch und
Raum laſtet. So flieht das Weib mit Karl —
zurück bleibt Richard mit Wohnküche — und
einer kleinen, ſtillen, ſanften Tröſterin — —

[Spaltenumbruch]

vielleicht — — hier, Schokolade! — Ein Klang
bleibt!

Um die Nacktheit dieſer Handlung Halbtöne der
Ahnungen und Laſten gebundenen Lebens-
ablaufs — und ſo empfindet man das Dichteriſche
des Schauſpiels in der Atmoſphäre ſeeliſcher
Geſetzmäßigkeiten.

Es war wie langſamer Zug ſchwarzgeballter
Wolken, zähflüſſig und unerbietlich und todes-
gezeichnet wie Lavaweg — und viel Stummheit
ſchrie über die Bühne, wie Worte im Symboli-
ſchen verträumten.

Zwiſchentöne entſchlackten das Wort — und
eine Geſte war ein Schickſal! — — —

Da iſt Ernſt Martens, der Kriegsgefangene
Karl, eindringlich, gedämpft, ſtark, mit Worten
von irgendwoher und Augen irgendwohin, voll
Suggeſtivität ſein Ueberfall auf Anna, in aller
Herbheit keuſcher Frauen und aufglänzenden
Augen endlicher Glückserkenntnis von Annemarie
Holtz anpaſſend und entſchieden geſpielt. Und
Otto Wernicke — ſein Richard, Menſch mit
ſchwerfälliger Bären-Zärtlichkeit — und doch
glückstrunken wie eine Biene im Blumenkelch —
bis auf die Augen ſein Leben verlöſchend als
Verzichtender. Eine große, packende Leiſtung in
der Wortloſigkeit zerriſſenen Herzens.

Auch Anni Weinert kann mehr als gut an-
gezogen Backfiſchſprünge über die Bühne zu
machen. Sie war rührend ſtill, ſorgend, zufrie-
den. Vom Sinu der Dichtung erfüllt Theſy
Pricken, Kurt Holm.

Eingefühlte Regie von Karl Hanns Böhm
geſtaltete das Schauſpiel mit zarten Fingern —
Adolf Linnebachs Bühnenbilder unterſtützen
den Rahmen.

Herzlicher Beifall beſonders am Schluß be-
deutete Sieg der Schauſpieler und der Dichtung
— trotz ſchaumgekrönter Wogen hochgehenden
Faſchings um ernſte Schwere dieſes tragiſchen
Marionettenſpiels.

[Spaltenumbruch]
Hilferding zur Finanzlage 1929

Die Beratung des Nachtragsetat für 1928


Der Haushaltsausſchuß des Reichstages
ſetzte die Beratung des Nachtragsetats für
1928 fort. Zu Beginn der Beratungen er-
klärte Reichsfinanzminiſter Dr. Hilfer-
ding,
der Perſonaletat für 1929 umfaſſe
50 Millionen. Für 1928 ſei dieſe
Summe geringer, weil die höheren Aufwen-
dungen für Beſoldungen mindeſtens am 1.
Oktober 1928 in Kraft treten und weil die
neuen Stellen erſt am 1. April 1929 beſetzt
werden. Der wirkliche Betrag für 1928 ſei
42 Millionen, von den 50 Millionen für
1929 ſeien 36 Millionen zwangsläufig
Von dem Reſt dienten 2¾ Millionen zur
Durchführung der Reichstagsreſolutionen.

Das Steueraufkommen in den Monaten
April bis Dezember 1928 habe insgeſamt
6 811,7 Millionen ergeben. Hiervon entfallen
auf den Länderanteil 2 639,6 und auf den
Reichsanteil 4 172,1 Millionen.

Die Entwicklung des Steueraufkom-
mens hat durchaus den Erwartungen
entſprochen. Keinesfalls wird das Jahr
1928 mit einem Ueberſchuß abſchließen.

Zur Finanzlage 1929 führte der Miniſter
weiter aus, daß er zu der Deckungsfrage
noch keine beſtimmten Angaben machen
könne, da das Kabinett noch nicht endgültig
Stellung genommen habe.

Nach ſeinen Vorſchlägen würde der Etat
jedoch vollkommen ausgeglichen ſein.

Zuſammen mit der Erhöhung der Repara-
tionslaſt um 312 Millionen belaufe ſich das
Defizit für 1929 auf ungefähr 680 Millionen
Mark. Nach den Anforderungen des Wehr-
reſſorts würde ſich das Defizit auf rund 850
Millionen Mark belaufen. Er habe ſich
bemüht, dieſe Anforderungen ſtark herabzu-
mindern.

Der Betrag der durch neuen Steuerbe-
darf zu decken iſt, werde ſich auf rund
350 Millionen Mark belaufen.

Er hoffe, daß es noch möglich ſein werde,
den Etat vor dem 1. April zu verabſchieden.

Nach weiterer Ausſprache wurden die Be-
ratungen auf Donnerstag vertagt. — Es
beginnt die Einzelberatung beim Juſtiz-
miniſterium.



Franzöſiſcher Geſandte und Nuntius
in München

Der ſtrafrechtliche Schutz * Zurückweiſung einer unobjektiven Berichterſtattung


Aus Berlin wird gemeldet: Der Straf-
rechtsausſchuß des Reichstages hat vor eini-
gen Tagen beſchloſſen, daß in Zukunft nur
die beim Reich beglaubigten ausländiſchen
Geſandtſchaften beſonders geſchützt ſein
ſollen. Wenn dieſer Beſchluß Geſetz würde,
würde er zur Folge haben, daß der
Päpſtliche Nuntius in München
und auch der gegenwärtig noch bei der
bayeriſchen Regierung beglaubigte fran-
zöſiſche Geſandte
keinen beſonderen
Schutz gegen Beleidigungen genießen.

Der Reichsjuſtizminiſter hat, und zwar im
Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt
im Strafrechtsausſchuß gegen eine derartige
Regelung entſchieden Widerſpruch
erhoben.
Er hat dabei hervorgehoben,
[Spaltenumbruch] daß, ſolange eine franzöſiſche Geſandtſchaft
in München beſteht, die Gefahr, daß durch
eine Beleidigung des franzöſiſchen Geſandten
in München die Beziehungen Deutſchlands
zu einer ausländiſchen Macht geſtört wür-
den, genau dieſelbe ſei wie bei Beleidigung
eines in Berlin akkreditierten Geſandten.

Entgegen dieſem Sachverhalt behaupten
die „Münchener Neueſten Nach-
richten
“ in der Ausgabe vom 11. Januar
(Nr. 10), der Reichsjuſtizminiſter habe die
Ungeſchicklichkeit begangen, durch die Prokla-
mation ſeiner unitariſtiſchen Geſinnung, die-
ſes Thema in den Ausſchuß gebracht zu ha-
ben. Dieſe Darſtellung entſpricht nach dem
Geſagten in keiner Weiſe den Tatſachen und
iſt das Gegenteil einer objektiven Bericht-
erſtattung.



Reichsgerichtsurteil gegen Bullerjahn

Unbegründete Vorwürfe gegen den Reichsjuſtizminiſter


In der Oeffentlichkeit iſt dem Reichsjuſtiz-
miniſter zum Vorwurf gemacht worden,
daß ihm die Kritik an dem Urteil des Reichs-
gerichtes gegen Oberlagerverwalter Buller-

[Spaltenumbruch]

jahn keinen Anlaß zum Eingreifen gebe.
Hierauf iſt folgendes zu erwidern:

Die Kritik des Urteils hat bereits vor
mehreren Jahren im Reichstag den Gegen-
ſtand von Erörterungen gebildet. Damals
beſchränkte ſie ſich auf die rein rechtliche
Frage, ob das Reichsgericht nach den Vor-
ſchriften der Strafprozeßordnung hätte da-
von abſehen müſſen, bei der Würdigung der
erhobenen Beweiſe auch dasjenige mit zu
verwerten, was ihm durch mehrere Zeugen
über die
Angaben einer ungenannten Aus-
kunftsperſon

bekundet worden war. Der ungewöhnliche
Schritt des Reichsgerichtes beruhte darauf,
daß aus außenpolitiſchen Erwä-
gungen
der damaligen politiſchen Leitung
des Reiches der Name der Auskunftsperſon
dem Reichsgericht nicht mitgeteilt worden
war. Der damalige Reichsjuſtizminiſter
vertrat in ſeiner Antwort den Standpunkt,
daß es ſich hier weniger um eine Frage des
Prozeßrechtes, als um eine Würdigung der
Beweiskraft der einzelnen Angaben handele.

Wenn neuerdings die Kritik über die Be-
anſtandung einer einzelnen prozeſſualen
Maßnahme hinaus dazu übergegangen iſt,
das Urteil auch hinſichtlich ſeiner Schuldfeſt-
ſtellungen anzugreifen und dieſe als durch
neu entdeckte Tatſachen erſchüttert zu be-
zeichnen, ſo iſt für ein Vorbringen dieſes
Inhaltes der
Weg des gerichtlichen Wiederaufnahme-
verfahrens

vorgeſehen. Der Reichsjuſtizminiſter hat
wiederholt der Verteidigung dringend
empfohlen, das ihr nach ihren Angaben be-
kannte neue Beweismaterial ohne jeden Ver-
zug zum Gegenſtand eines Wiederaufnahme-
antrages zu machen. Ein Antrag auf Wie-
deraufnahme des Verfahrens iſt jedoch bis-
her nicht eingegangen. Es iſt auch nicht ein-
mal durch Mitteilung des neuen Materials
eine Prüfung der Wiederaufnahmefrage von
Amts wegen ermöglich worden.

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[Seite 2[2]/0002] „AZ am Abend“ Nr. 14 Donnerslag, den 17. Januar Köhler äußerte die Anſicht, daß die Reorgani- ſation des Spiritusmonopols einen Mehrertrag von 100 Millionen Mark bringen könne, und nur die parlamentariſchen Verhältniſſe, die durch die Reichstagsauflöfung und durch die Neuwahlen entſtanden, haben es wohl verſchuldet, daß von dieſer Steigerungsmöglichkeit bisher nicht Ge- brauch gemacht worden iſt. Mit dieſen 26 Millio- nen aus der Poſt, dieſen 100 Millionen aus dem Spiritusmonopol ſind aber auch die Steigerungs- möglichkeiten erſch´öpft, mit denen man beſtimmt rechnen kann. Auf allen anderen Gebieten herrſcht größte Unſicherheit. Da iſt zunächſt die Vermögensſteuer, die auch ein 100 Millionen-Paket bringen ſoll. Als das jetzige Reichskabinett die Leitung der Reichsgeſchäfte übernahm, als damals auf Wunſch der Sozialdemokratie beſchloſſen wurde, eine ge- ringe Lohnſteuerſenkung vorzunehmen, konnte man dieſes Zugeſtändnis an das ſozialdemo- kratiſche Parteiprogramm nur in einem Aus- tauſchverfahren durchſetzen, denn der Deutſchen Volkspartei mußte als Gegenleiſtung zugeſtanden werden, daß die mittleren Sätze der Vermögens- ſteuer geſenkt werden würden, und dieſe Senkung wird nun in der Vorlage, die 100 Millionen Mark mehr bringen ſoll, berückſichtigt werden müſſen. Man muß ſich alſo auf die ganz großen Ver- mögen beſchränken, und bei der Haltung der bür- gerlichen Parteien, der geſamten Wirtſchaftswelt, bei dem Zwang, die Kapitalanſammlung in Deutſchland zu fördern, iſt kaum Ausſicht dar- auf, dieſe „buchmäßige Deckung“ zu verwirklichen. Die Bierſteuer! Selbſt die Sozialdemo- kratiſche Partei hat hier Bedenken, und ſo ſelten es vorkommt, ſie ſtimmt darin mit der Bayeriſchen Volkspartei, mit Bayern überhaupt, überein. Man muß beachten, daß hier in der Tat einer jener großen Unterſchiede zwiſchen Norddeutſchland und Süddeutſchland beſteht, der zwar nicht auf Stam- meseigenart zurückgeht, der aber doch auf wirt- ſchaftlichen Verhältniſſen beruht, die nicht außer acht gelaſſen werden könen. Der Gläubigerkom- miſſar für die verpfändeten Einnahmen ſtellt in ſeinem Bericht zwar feſt, daß ſich die Brauereien in beſter Lage befinden und daß ſie eine durch- ſchnittliche Dividende von zehn Prozent verteilt hätten, aber auch er gibt zu, daß das nur für die großen Brauereien gilt. In Bayern und an der bayeriſchen Grenze gibt es 25 000 Hausbrauer, und wenn ihre Produktion (300 000 Hektoliter) noch eine geringe Steuererhöhung möglicherweiſe tragen könnte, ſo gibt es daneben in Bayern doch auch eine Unzahl kleiner und kleinſter Brauerei- betriebe, bei denen eben im Gegenſatz zu den größeren Brauereibetrieben Deutſchlands eine Steuererhöhung, die zwiſchen einem Drittel und der Hälfte des jetzigen Satzes liegt, eine erheb- liche Belaſtung bedeutet. So erklärt ſich der Widerſtand der Bayern nicht aus der grundſätz- lichen Neigung zum Widerſpruch, ſondern aus den, wie man auch in Berlin weiß, völlig anderen wirtſchaftlichen Grund- lagen dieſes gewerblichen Zweiges. Dabei ſpielen aber auch politiſche Geſichtspunkte eine große Rolle. Man könnte die Bierſteuer auch ohne die Bayeriſche Volkspartei beſchließen, aber doch nur mit dem Zentrum. Und wenn man daran denkt, wie in der letzten Zeit das Zentrum ſich be- müht hat, die Bayeriſche Volkspartei zur Zuſam- menarbeit zu gewinnen, ſo iſt es wirklich etwas zu viel Optimismus, wenn man glaubt, die beiden Parteien würden ſich in dieſer Frage trennen. Noch ſchlimmer wird es mit dem letzten buch- mäßigen Einnahmepoſten, der Aenderung des Finanzausgleiches zugunſten des Reiches. Auch hier ſteht nicht etwa Bayern, das ja jeder Verkürzung ſeiner Ein- nahmen beſonders energiſchen Widerſtand ent- gegenſetzt, unter den deutſchen Ländern allein. Man hört aus dem preußiſchen Finanzminiſte- rium, daß Preußen ſich gegen eine ſolche Aen- derung des Finanzausgleiches ausſprechen würde, daß Ausſichten auf eine Einheitsfront ſämtlicher Länder gegen das Reich beſtehen, ſobald an die Geldfrage gerührt wird. Was bedeutet der geplante Abzug von mehr als 100 Millionen für die Länder? Im Jahre 1924/25 floſſen den Ländern aus Steuerüberſchüſſen des Reiches 858 Millionen mehr zu, als ſie erwarten konnten. In dem Jahre 1925/26 betrugen die Ueber- ſchüſſe zugunſten der Länder 712 Millionen, im Jahre 1927/28 war das in den Schätzungen nicht veranſchlagte „Mehr“ zugunſten der Länder nach 110 Millionen und in den erſten 6 Monaten des laufenden Jahres iſt bereits wieder ein Plus von 110 Millionen erreicht, das den Ländern zuflie- ßen würde. Die Länder rechnen aber ſelbſtver- ſtändlich mit dieſen Einnahmen und in ihren eige- nen Haushalten würden alſo Löcher entſtehen, wenn man ihnen den Betrag abzieht. Daß ein ſolcher Abzug gerechtfertigt wäre, darüber ſind ſich Politiker aller Richtungen, Wirtſchaftler aller Ge- werbezweige einig. Aber man kann doch nicht von Wünſchen, ſondern man muß von politiſchen Tat- ſachen ausgehen. Und dieſe Rückſichtnahme auf Tatſachen iſt an- ſcheinend bei den Deckungsvorſchlägen des Reichs- finanzminiſteriums nicht immer beachtet worden. Der Reichsfinanzminiſter hat auf die Einnahmen- ſeite ſeiner Haushaltsrechnung alle Steuern mit Schätzungen eingeſetzt, die über dem wirklichen Ertrag des laufenden Jahres ſtehen, weil auch in früheren Jahren Ueberſchüſſe erzielt wurden. Aber kann man bei der ganzen Wirtſchaftslage mit einer Steigerung der Steuerbeträge rechnen? In Preußen iſt man ſo vorſichtig geweſen, nicht Soll-Erträge, ſondern nur Iſt-Erträge des jetzi- gen Jahres in den Haushaltsplan des nächſten Jahres aufzunehmen. Sollte nicht auch im Reich dieſes Verfahren dem Verſuch vorgezogen werden, eine „buchmäßige Deckung“ zu erreichen? _ Parker Gilbert bleibt im Amt Zu den Gerüchten über ſeinen Rücktritt Neuyork, 17. Januar. Nach einer Meldung der „Newyork Ti- mes“ aus Louisville in Kentucky erklärte Parker Gilbert zu den Gerüchten, wonach er ſich von ſeinem Poſten als Generalagent für die Reparationszahlungen nach dem Zu- ſammentritt des Sachverſtändigenausſchuſſes zurückziehen werde, er höre die Nachricht, daß er zurücktreten werde, zum erſtenmal, Er glaube, daß dieſe Erklärung genüge. Parker Gilbert ſagte weiter, er werde noch drei Tage in Louisville bleiben und am 26. Januar auf dem Dampfer „Paris“ von Neuyork aus die Rückreiſe nach Deutſchland antreten. 110 Zeugen im „Immertreu“-Prozeß Unüberſehbare Schwierigkeiten Berlin, 17. Januar. Die Anberaumung der Hauptverhandlung gegen die an den Krawallen in der Bres- lauer Straße beteiligten acht „Immertreu“- leute ſtößt, wie das „Berliner Tageblatt“ erfährt, auf bisher nicht überſehbare Schwie- rigkeiten, ſo daß mit dem Prozeß erſt An- fang Februar gerechnet werden darf. Der Vertreter der Anklage, Staatsanwalt- ſchaftsrat Zimmermann hat die Ladung von allein 30 Zeugen beantragt, und zwar ledig- lich Tatzeugen, da er den Prozeß auf die tatſächlichen Vorgänge der Straßenſchlacht in der Breslauer Straße beſchränken will. Dagegen haben nunmehr die Rechtsanwälte Dr. Alsberg, Dr. Frey und Dr. Freudenſtein die Ladung von weiteren 80 Zeugen bean- tragt. Der Mordprozeß Vuciterna in Prag Prag, 17. Januar. Der ſeit 30. November in Unterſuchungs- haft gehaltene Albanier Gani Beg, deſſen Diener Vuciterna im Prager Schwur- gerichtsſaal den Albaner Bebi, den Mörder des Prager albaniſchen Geſandten Zena Beg, erſchoſſen hat, wurde auf freien Fuß geſetzt, da der Unterſuchungsrichter feſtge- ſtellt hat, daß kein genügendes Material für die Erhebung der Anklage gegen ihn vor- liegt. Deutſchlands Eishockeyſieg Berliner Schlittſchuh-Club-Rieſſerſee kombiniert ſchlagen Polen mit 5:0 Davos, 17. Januar. Deutſchlands Eishockey hat einen weiteren Erfolg errungen. Nachdem die kombinierte Mannſchaft Berliner Schlittſchuh- Club-Rieſſerſee ſchon gegen die berühmten Ca- nadians unentſchieden ſpielte, hat ſie auch das Spiel gegen Polens Mannſchaft überlegen mit 5:0 gewonnen und damit den Pokal der Schwei- zer Winterſpiele errungen. Uraufführung im Residenztheater Karl und Anna Schauſpiel in 4 Akten von Leonhard Frank An den Fronten, da war’s zu Ende — nicht aber daheim, da ging’s erſt an: Krieg in den Familien. Es war eben zu lang und die Frauen zu Hauſe — Gott, man weiß ja noch; ſelbſt oder von Bekannten — aber was ſollte es, wenn jeder mit dem Beil dazwiſchenführe! Die Frauen zu Hauſe, ja, ſtumpf vom Kollektivismus der Fabriken, von bitterſter Lebensnot — und dann das eine oder ein halbes Bett frei — irgendein Mann, mit dem man es teilte, wie auch den Lebenskampf; der eigene irgendwo — mit einem Schießprügel — oder im Gefangenen- lager. — — Drei Jahre im Lager in einem Schuppen — da wird man Freunde und Richard erzählt dem anderen von ihr, der Anna, von dieſer ſeltenen Koſtbarkeit, von jedem Möbelſtück, von jedem Freudentag, von der weißen Straffheit ihrer Haut, von jedem Seufzer und dem Leberfleck über dem rechten Knie. Bis der andere dieſe Frau kennt bis in die Tiefen ihres Herzens und Leibes und ſie in ſeinen Träumen verſchmilzt zur ewig Begehrten, ewig Zugehörten. Tötungsverſuch von Richard an dem Vieh eines Aufſehers nimmt der andere auf ſich — ſicherer Tod — geglückte Flucht. Und heim zu Anna — ſo ſehr fühlt er ſich Richard — nimmt Beſitz von Wohnküche und Frau; die den ſuggeſtiven Seltſamkeiten des Fremden in ſteigernder Liebe erliegt. — Bis der Mann zurückkommt, bereit, Heim und Weib in Beſitz zu nehmen — und — einſtürzender Welt mit ſchwingendem Beil noch den Todeshieb geben will. Erkenntnis aber die Tat abſtoppt: Es iſt keine Untreue, ſo wie man ſagt — und Däm- merung des Schickſalhaften über Menſch und Raum laſtet. So flieht das Weib mit Karl — zurück bleibt Richard mit Wohnküche — und einer kleinen, ſtillen, ſanften Tröſterin — — vielleicht — — hier, Schokolade! — Ein Klang bleibt! Um die Nacktheit dieſer Handlung Halbtöne der Ahnungen und Laſten gebundenen Lebens- ablaufs — und ſo empfindet man das Dichteriſche des Schauſpiels in der Atmoſphäre ſeeliſcher Geſetzmäßigkeiten. Es war wie langſamer Zug ſchwarzgeballter Wolken, zähflüſſig und unerbietlich und todes- gezeichnet wie Lavaweg — und viel Stummheit ſchrie über die Bühne, wie Worte im Symboli- ſchen verträumten. Zwiſchentöne entſchlackten das Wort — und eine Geſte war ein Schickſal! — — — Da iſt Ernſt Martens, der Kriegsgefangene Karl, eindringlich, gedämpft, ſtark, mit Worten von irgendwoher und Augen irgendwohin, voll Suggeſtivität ſein Ueberfall auf Anna, in aller Herbheit keuſcher Frauen und aufglänzenden Augen endlicher Glückserkenntnis von Annemarie Holtz anpaſſend und entſchieden geſpielt. Und Otto Wernicke — ſein Richard, Menſch mit ſchwerfälliger Bären-Zärtlichkeit — und doch glückstrunken wie eine Biene im Blumenkelch — bis auf die Augen ſein Leben verlöſchend als Verzichtender. Eine große, packende Leiſtung in der Wortloſigkeit zerriſſenen Herzens. Auch Anni Weinert kann mehr als gut an- gezogen Backfiſchſprünge über die Bühne zu machen. Sie war rührend ſtill, ſorgend, zufrie- den. Vom Sinu der Dichtung erfüllt Theſy Pricken, Kurt Holm. Eingefühlte Regie von Karl Hanns Böhm geſtaltete das Schauſpiel mit zarten Fingern — Adolf Linnebachs Bühnenbilder unterſtützen den Rahmen. Herzlicher Beifall beſonders am Schluß be- deutete Sieg der Schauſpieler und der Dichtung — trotz ſchaumgekrönter Wogen hochgehenden Faſchings um ernſte Schwere dieſes tragiſchen Marionettenſpiels. Rolf Flügel. Hilferding zur Finanzlage 1929 Die Beratung des Nachtragsetat für 1928 Berlin, 17. Januar. Der Haushaltsausſchuß des Reichstages ſetzte die Beratung des Nachtragsetats für 1928 fort. Zu Beginn der Beratungen er- klärte Reichsfinanzminiſter Dr. Hilfer- ding, der Perſonaletat für 1929 umfaſſe 50 Millionen. Für 1928 ſei dieſe Summe geringer, weil die höheren Aufwen- dungen für Beſoldungen mindeſtens am 1. Oktober 1928 in Kraft treten und weil die neuen Stellen erſt am 1. April 1929 beſetzt werden. Der wirkliche Betrag für 1928 ſei 42 Millionen, von den 50 Millionen für 1929 ſeien 36 Millionen zwangsläufig Von dem Reſt dienten 2¾ Millionen zur Durchführung der Reichstagsreſolutionen. Das Steueraufkommen in den Monaten April bis Dezember 1928 habe insgeſamt 6 811,7 Millionen ergeben. Hiervon entfallen auf den Länderanteil 2 639,6 und auf den Reichsanteil 4 172,1 Millionen. Die Entwicklung des Steueraufkom- mens hat durchaus den Erwartungen entſprochen. Keinesfalls wird das Jahr 1928 mit einem Ueberſchuß abſchließen. Zur Finanzlage 1929 führte der Miniſter weiter aus, daß er zu der Deckungsfrage noch keine beſtimmten Angaben machen könne, da das Kabinett noch nicht endgültig Stellung genommen habe. Nach ſeinen Vorſchlägen würde der Etat jedoch vollkommen ausgeglichen ſein. Zuſammen mit der Erhöhung der Repara- tionslaſt um 312 Millionen belaufe ſich das Defizit für 1929 auf ungefähr 680 Millionen Mark. Nach den Anforderungen des Wehr- reſſorts würde ſich das Defizit auf rund 850 Millionen Mark belaufen. Er habe ſich bemüht, dieſe Anforderungen ſtark herabzu- mindern. Der Betrag der durch neuen Steuerbe- darf zu decken iſt, werde ſich auf rund 350 Millionen Mark belaufen. Er hoffe, daß es noch möglich ſein werde, den Etat vor dem 1. April zu verabſchieden. Nach weiterer Ausſprache wurden die Be- ratungen auf Donnerstag vertagt. — Es beginnt die Einzelberatung beim Juſtiz- miniſterium. Franzöſiſcher Geſandte und Nuntius in München Der ſtrafrechtliche Schutz * Zurückweiſung einer unobjektiven Berichterſtattung München, 17. Januar. Aus Berlin wird gemeldet: Der Straf- rechtsausſchuß des Reichstages hat vor eini- gen Tagen beſchloſſen, daß in Zukunft nur die beim Reich beglaubigten ausländiſchen Geſandtſchaften beſonders geſchützt ſein ſollen. Wenn dieſer Beſchluß Geſetz würde, würde er zur Folge haben, daß der Päpſtliche Nuntius in München und auch der gegenwärtig noch bei der bayeriſchen Regierung beglaubigte fran- zöſiſche Geſandte keinen beſonderen Schutz gegen Beleidigungen genießen. Der Reichsjuſtizminiſter hat, und zwar im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt im Strafrechtsausſchuß gegen eine derartige Regelung entſchieden Widerſpruch erhoben. Er hat dabei hervorgehoben, daß, ſolange eine franzöſiſche Geſandtſchaft in München beſteht, die Gefahr, daß durch eine Beleidigung des franzöſiſchen Geſandten in München die Beziehungen Deutſchlands zu einer ausländiſchen Macht geſtört wür- den, genau dieſelbe ſei wie bei Beleidigung eines in Berlin akkreditierten Geſandten. Entgegen dieſem Sachverhalt behaupten die „Münchener Neueſten Nach- richten“ in der Ausgabe vom 11. Januar (Nr. 10), der Reichsjuſtizminiſter habe die Ungeſchicklichkeit begangen, durch die Prokla- mation ſeiner unitariſtiſchen Geſinnung, die- ſes Thema in den Ausſchuß gebracht zu ha- ben. Dieſe Darſtellung entſpricht nach dem Geſagten in keiner Weiſe den Tatſachen und iſt das Gegenteil einer objektiven Bericht- erſtattung. Reichsgerichtsurteil gegen Bullerjahn Unbegründete Vorwürfe gegen den Reichsjuſtizminiſter Berlin, 17. Januar. In der Oeffentlichkeit iſt dem Reichsjuſtiz- miniſter zum Vorwurf gemacht worden, daß ihm die Kritik an dem Urteil des Reichs- gerichtes gegen Oberlagerverwalter Buller- jahn keinen Anlaß zum Eingreifen gebe. Hierauf iſt folgendes zu erwidern: Die Kritik des Urteils hat bereits vor mehreren Jahren im Reichstag den Gegen- ſtand von Erörterungen gebildet. Damals beſchränkte ſie ſich auf die rein rechtliche Frage, ob das Reichsgericht nach den Vor- ſchriften der Strafprozeßordnung hätte da- von abſehen müſſen, bei der Würdigung der erhobenen Beweiſe auch dasjenige mit zu verwerten, was ihm durch mehrere Zeugen über die Angaben einer ungenannten Aus- kunftsperſon bekundet worden war. Der ungewöhnliche Schritt des Reichsgerichtes beruhte darauf, daß aus außenpolitiſchen Erwä- gungen der damaligen politiſchen Leitung des Reiches der Name der Auskunftsperſon dem Reichsgericht nicht mitgeteilt worden war. Der damalige Reichsjuſtizminiſter vertrat in ſeiner Antwort den Standpunkt, daß es ſich hier weniger um eine Frage des Prozeßrechtes, als um eine Würdigung der Beweiskraft der einzelnen Angaben handele. Wenn neuerdings die Kritik über die Be- anſtandung einer einzelnen prozeſſualen Maßnahme hinaus dazu übergegangen iſt, das Urteil auch hinſichtlich ſeiner Schuldfeſt- ſtellungen anzugreifen und dieſe als durch neu entdeckte Tatſachen erſchüttert zu be- zeichnen, ſo iſt für ein Vorbringen dieſes Inhaltes der Weg des gerichtlichen Wiederaufnahme- verfahrens vorgeſehen. Der Reichsjuſtizminiſter hat wiederholt der Verteidigung dringend empfohlen, das ihr nach ihren Angaben be- kannte neue Beweismaterial ohne jeden Ver- zug zum Gegenſtand eines Wiederaufnahme- antrages zu machen. Ein Antrag auf Wie- deraufnahme des Verfahrens iſt jedoch bis- her nicht eingegangen. Es iſt auch nicht ein- mal durch Mitteilung des neuen Materials eine Prüfung der Wiederaufnahmefrage von Amts wegen ermöglich worden.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 17. Januar 1929, S. Seite 2[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine14_1929/2>, abgerufen am 12.06.2024.