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Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924.

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Mittwoch, den 16. Januar 1924. Allgemeine Zeitung Nr. 15
[Spaltenumbruch]
Was wir wollen und müssen*)

II.

3. Die Einheit unseres Staates ist im In-
nern wiederum, wie so oft in der deutschen
Geschichte, in Meinungsverschiedenheiten
um die Verteilung staatlichen Rechts
zwischen dem Reiche und seinen
Gliedstaaten
befangen. Wer das deut-
sche Volk so, wie es in seiner Geschichte
wurde, als etwas Naturwüchsiges betrach-
tet, dessen weitere Entwicklung sich nach
den Gesetzen dieses Wuchses gestalten soll,
wer die unendliche Mannigfaltigkeit der
deutschen Kultur in ihrer engen Verbunden-
heit mit einzelstaatlichen Kräften begriffen
hat, der kann nicht in die Versuchung eines
mechanischen und einförmigen Zentralis-
mus kommen; das gilt besonders für den,
der das Zusammenwachsen verschiedener
Stämme zum bayerischen Staate im 19.
Jahrhundert als einen Gewinn für alle Be-
teiligten zu betrachten gewöhnt ist und
diesen bayerischen Staat als Staat zu be-
greifen und zu schätzen gelernt hat. Wer so
die Dinge betrachtet, dem ist es ein Erfor-
dernis organischer, geschichtlicher Demo-
kratie, die Freiheit der Teile zu erhalten
und zu möglichst starker Selbstführung und
Selbstverantwortung zu entfalten. Aber
wer vor allem deutsch sein will, und --
nach einem bekannten, guten Wort eines
bayerischen Königs -- nie Bayer zum Scha-
den Deutschlands, der muß sich gewöhnen,
diese Fragen vor allem als gesamt-
deutsche Fragen
zu sehen. Gab im
alten Reiche die monarchisch-konstitutionelle
Verfassung der Gliedstaaten Gewähr gegen
Sprünge und Brüche in der politischen Ent-
wicklung der Einzelstaaten, so ist heute je
nach der politisch-wirtschaftlichen Lage des
Einzelstaates eine völlig verschiedenartige
Gestaltung durchaus gesetzmäßig möglich,
wie die Entwicklung einerseits in Bayern,
andrerseits in Sachsen zeigt. Stand hinter
dem deutschen Kaisertum vormals die
Hausmacht des Königs von Preußen, so
muß heute, da das Reich keine Haus-
macht
hat, das Recht des Reiches
stärker sein, wenn gegenüber gegensätzlich-
sten Entwicklungsmöglichkeiten den deut-
schen Staatsbürgern ein gewisses Maß von
Rechtsgleichheit und Rechtsschutz in den
wichtigsten Rechtsgütern der persönlichen
[Spaltenumbruch] Freiheit, des Eigentums, der Freiheit der
Meinungsäußerung, der religiösen Bestäti-
gung usw. gesichert werden soll. Ueber das
Ausmaß im einzelnen ist viel Für und Wider
zu sagen. An Zentralisierung ist sicher zu
viel geschehen und Abbau davon ist not-
wendig und im Gange. Aber es ist doch
auch nicht so, als sei das Ursprüngliche in
der deutschen Geschichte die Unabhängigkeit
der Einzelstaaten gewesen. In Wirklichkeit
war es doch der Fluch der deutschen Ge-
schichte, daß, während England und Frank-
reich die Zersplitterung überwanden, in
Deutschland Reichsrecht und Reichsmacht
von den deutschen Fürsten zerrissen wur-
den, am meisten just dann, wenn der Fran-
zose am Rhein, der Türke vor Wien stand.
Die "teutsche Libertät" von 1648, das Wort
von "Les Allemagnes" da, wo wir das
eine Deutschland an der Maas bis an die
Memel wollen, sind Tatsachen aus vergan-
gener deutscher Geschichte. Darum muß auf
beiden Seiten alle Klugheit, alle Verant-
wortlichkeit, alle staatspolitische Voraus-
sicht und Gestaltungskraft darangesetzt wer-
den, zwischen Reich und Ländern zu einer
von beiden Seiten bejahten Regelung zu
kommen, die in der möglichst entwickelten
Freiheit der Teile die Sicherheit des Gan-
zen als das erste Erfordernis bewahren
will.

4. Wir müssen unsere Wirtschaft in
Ordnung bringen. Sie ist nicht Selbstzweck,
sondern dienendes Glied zum Wohle der
Nation. Sie trägt ihre Gesetze zum großen
Teil in sich, die niemand ungestraft verletzt.
Heute ist diese Auffassung überall aner-
kannt. Die Zeit der Vergewaltigung der
Wirtschaft durch die Politik, durch einzelne
Klassen oder Gewalthaber ist vorüber.
Freilich, die alten Zeiten kommen nicht
wieder. Eine ungeheure Umschichtung ist
über das Land gegangen. Beste, wertvollste
Kreise haben Besitz und Stellung verloren.
Was obenauf kam, verdiente es nicht immer.
Sachwerte wurden erhalten, da und dort
auch gemehrt; wer aber Privaten oder gar
dem Staat Kredit gab, verlor Ererbtes und
Erspartes. Sparen wurde sinnlos. Die In-
flation verzehrte Kapital und Zinsen. Nun
ist sie mit einem Ruck zum Stillstand ge-
kommen. Damit es dabei bleibt, ist not-
wendig Ordnung im Staatshaus-
halt und Fruchtbarkeit der Wirt-
schaft
. Das aber wieder erfordert:

a) Abbau der Staatsausgaben und des-
halb der Staatsaufgaben, Abbau der
Beamtenrüstung;

[Spaltenumbruch]

b) höchste Steuerleistung zum Ausgleich
der notwendigen Ausgaben;

c) Mehrung der Arbeitsleistung aus In-
tensität wie auch der Arbeitszeit;

d) Wegfall der unproduktiven Arbeiten;

e) möglichst billige Preisbemessung zur
Wiederherstellung der Wettbewerbs-
fähigkeit mit dem Ausland und zum
Ausgleich der gesunkenen Kaufkraft;

f) Kapitalbildung durch Verbrauchsein-
schränkung und Sparen zur Ueberwin-
dung der Kreditnot.

Hierfür ist in den letzten Wochen Wesent-
liches erreicht worden: seit sieben Wochen
hat die Mark einen festen Stand, Löhne und
Preise eine sichere Unterlage. Unter Tage
arbeiten die Bergleute 8 Stunden und mehr,
vor den Feuern die Eisenarbeiter 10 Stun-
den, die Arbeitszeit der Beamten ist auf
54 Stunden erhöht, der Beamtenabbau mit
tragischen Opfern an Familienglück im
Gange; Steuern werden erhoben, die nicht
ohne tiefe Eingriffe in die Substanz und da-
mit nicht ohne Minderung des künftigen
Ertrages geleistet werden können. Die
Preise sind vielfach stark gesunken. Viel zu
tief freilich ist die Umschichtung gegangen,
als daß Verluste, die man längst hingenom-
men hat, wieder ausgeglichen werden könn-
ten, als daß, was nach unten geackert wurde,
wieder nach oben geackert werden könnte.
Wohl muß der Staat trachten, jede ver-
meidbare Ungerechtigkeit zu
vermeiden
, aber das Entscheidende ist,
der Wirtschaft überhaupt wieder einen festen
Boden zu geben. Auf diesem aber heißt es
mehr arbeiten und mehr sparen; mehr ar-
beiten gerade zur Ueberwindung der Ar-
beitslosigkeit, denn die Arbeit ist kein
Kuchen, von dem die Stücke um so kleiner
werden, je mehr davon zehren sollen, son-
dern sie ist ein Quell, der um so reicher
fließt, je tiefer man den Schacht bohrt.

So sind wir auf der ganzen Linie auf
dem Wege zurück zu bürgerlicher
Wirtschaftsauffassung
. Der Mar-
xismus hat in seinen wesentlichsten und
eigensten Teilen Kraft und Glauben ver-
loren. Eben deshalb ist mindestens so wich-
tig als seine Widerlegung das andere, daß
wir nicht in der Negative stehen
bleiben
. Freie Entfaltung der Wirt-
schaftskraft und Schutz der Lebenskräftigen
gegen Erdrückung durch Uebermacht weniger
ist ebensowohl bürgerliche Wirtschaftsauffas-
sung wie das andere, daß der, der nach ehr-
licher Anstrengung seiner Arbeitskraft in
Invalidität oder Krankheit verfällt, nicht
[Spaltenumbruch] dem Mitleid anheimgegeben wird, vielmehr
ein Recht auf die kärgliche Fürsorge haben
soll, die die verarmte Gemeinschaft unserer
Wirtschaft aufzubringen imstande ist.

5. Das führt zur letzten großen Gemein-
samkeit, der Forderung: Ueber allem Ar-
beiten und Wirtschaften darf der Deutsche
am wenigsten es vergessen, daß das höchste
Ziel unseres Volks- und Einzellebens jen-
seits des Wirtschaftszweckhaften liegt, in
der Entfaltung der Seele. Tausen-
den ist die Berufsarbeit selbst reicher In-
halt
geistigen Lebens, anderen gibt sie,
trotz des sittlichen Wertes jeder Arbeit, im
wesentlichen nur Unterhalt. Auch diesen
aber schulden wir, weil sie Menschen sind
und unentbehrlich zu Aufstieg und Vertie-
fung des deutschen Volkes im ganzen, die
Darreichung und Pflege geistiger Güter.
Die Zeit ist wenig dazu angetan. Aber wenn
die Jahre der Reichtumsammlung unter
Wilhelm II. vielfach in Materialismus auf-
gingen, so mag nun die Zeit der äußeren
Verarmung die Zeit der Pflege geistiger
Besitztümer sein. Die Menschen hungern
danach und sehnen sich, daß Licht und Wärme
in den Seelen einkehre. Für Kirche und
Schule, für alle, die Geistiges geben können,
fließen daraus große Aufgaben. Konserva-
tive Achtung vor ererbtem geistigen Väter-
besitz, liberale Pflege eines sich selbst sittlich
frei bestimmenden Menschentums sollen in
Wetteifer und in Versöhnung auf diesem
Felde sich finden.

Diese Ausführungen sollten und wollten
im allgemeinen bleiben. Sie wollten zeigen,
wieviel an Grundauffassungen weithin ge-
meinsam sind, weit über die Grenzen einer
Partei, so zwar, daß diese Grenzen vielfach
unnatürlich und willkürlich geworden sind.
Noch scheut man sich überall, die alten For-
men zu zerschlagen, nicht so fast aus Ueber-
schätzung dieser Formen, als aus zaghaftem
Zweifel überhaupt, ob aus Parteigründun-
gen noch Großes erstehen könne. Da aber
Parteien ihre Aufgabe der politischen Wil-
lensbildung offenbar noch weiterführen müs-
sen, so ist es um so wichtiger, wenigstens
von Partei zu Partei und zu den vielen
außerhalb der Parteien das Gemein-
same zu betonen
, damit wir alle, die
wir den Eigenvorteil einer Schicht und
einer Partei, wie den vermeintlichen Vorteil
heimatlichen Landes vorbehaltlos den Le-
bensrechten und Lebenserfordernissen der
deutschen Nation unterordnen wollen, uns
in Stunden der Not als Bürger eines
Reiches
finden.



[Spaltenumbruch]
Das Wohlfahrtsamt München

II.

Für Zwecke der Armenpflege ist die Stadt
in 85 Bezirke eingeteilt, in denen je ein Ausschuß
tätig ist. Diese Ausschüsse, Bezirkspflegeaus.
schüsse genannt, sind wieder in 12 Kreisausschüsse
zusammengefaßt; beim Armenrat selbst arbeiten
zur Vorberatung der Angelegenheiten, die von der
Vollversammlung zu erledigen sind, 3 Zentral-
unterausschüsse. Für die Angelegenheiten der
allgemeinen Abteilung der Bezirkswohlfahrts-
ämter bestehen 12 Bezirkswohlfahrtsausschüsse und
bei der Zentrale der Fürsorgesenat, für die
Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenenfürsorge
arbeitet ein Beirat der Fürsorgestelle mit einem
Unterausschuß und je einem Sonderausschuß bei
den Bezirkswohlfahrtsämtern. Zur Beratung all-
gemeiner Fragen der Fürsorge zur Aufstellung
von Richtlinien der Wohlfahrtspflege zum Zwecke
der Zusammenarbeit mit der privaten Fürsorge
ist der Hauptwohlfahrtsausschuß ge-
bildet worden, in welchem neben dem Wohlfahrts-
amt auch andere Referate, die Fürsorge üben,
vertreten sind, insbesondere aber alle Richtungen
der kirchlichen und privaten Wohlfahrtspflege.

Im Dezember 1923 standen in Dauerfür-
sorge
bei der Armenpflege noch 4896 Er-
wachsene und 1757 Kinder. Dazu müssen aber
gerade in der Armenpflege noch in ungezählten
Fällen infolge augenblicklicher Not Unterstützun-
gen an Personen gegeben werden, die sonst nicht
in Fürsorge stehen, insbesondere müssen Kranken-
hauskosten, Beerdigungskosten usw. in zahlreichen
Fällen von der Armenpflege getragen werden. In
der Sozialrentnerfürsorge befanden sich
um diese Zeit 10 651 Rentner mit 963 unterstützten
Ehefrauen und Kindern, in der Kleinrent-
nerfürsorge
4 869 Rentner mit 618 Ehe-
frauen und Kindern. Zusatzrenten in der Kriegs-
beschädigten
. und Hinterbliebenen-
fürsorge
bezogen um diese Zeit 11 122 Per-
sonen. In der Gebrechlichenfürsorge,
also in der Fürsorge für Geisteskranke, dauernd
Unheilbare usw. zählen wir zurzeit etwa 1700
Fälle. Dazu sind auf Kosten der Stadt in den
Armenversorgungsanstalten und in
den Spitälern und den Anstalten pri-
vater Organisationen
2020 Personen
untergebracht. Der Vollständigkeit halber sei auch
mitgeteilt, daß im Dezember in Erwerbslo-
senfürsorge
standen 26 000 Erwerbslose mit
16 000 unterstützten Angehörigen und 52 000 Kurz-
arbeiter. In der Jugendfürsorge standen
etwa 10 000 Personen. Im ganzen befanden sich
so etwa

140 000 Personen in öffentlicher Fürsorge
oder etwa 23 Prozent der gesamten Bevölkerung
Münchens. Das ist eine ganz ungeheuerliche Zahl
[Spaltenumbruch] und läßt ermessen, welche Arbeit gerade in dieser
schwierigen Zeit vom Wohlfahrtsamt und den
übrigen Fürsorgestellen der Stadt zu leisten war.

Die Aufwendungen zur Durchführung der
Fürsorge sind selbstverständlich ganz erheblich.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge werden
die Ausgaben des Jahres 1923 betragen:

in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion,
in der Sozial- und Kleinrentnerfürsorge über
2 Goldmillionen,

in der Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenen-
fürsorge ohne die Zusatzrenten, die ganz vom
Reich getragen, aber von der Gemeinde ausge-
zahlt werden, etwa 85 000 Goldmark.

Die Verwaltungskosten hat die Ge-
meinde in der Hauptsache allein zu tragen, wie die
Kosten für die Armenpflege; bei den Kosten der
gesetzlichen Sozial- und Kleinrentnerfürsorge ist
das Reich mit vier Fünftel beteiligt, an der für
die Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenenfür-
sorge das Reich zu acht Zehntel, das Land zu
ein Zehntel. Vielfach haben die gesetzlichen Unter-
stützungssätze zur Deckung des notwendigsten Be-
darfes aber nicht ausgereicht, die Zusatzunter-
stützungen in Geld und Sachen gehen auch hier
zu Lasten der Stadt.

Die Leistungen an die einzelnen
Fürsorgeempfänger
im Monat Dezember
sind unter Zugrundelegung der Höchstsätze fol-
gende:

bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld-
unterstützung),

bei der Sozialrentnerfürsorge: M 33.-- (lau-
fende Geldunterstützung, hierzu noch 2 M
Rente durch die Post),

bei der Kleinrentnerfürsorge: M 35.-- (laufende
Geldunterstützung),

bei der Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebe-
nenfürsorge M 30.80 (Zusatzrenten).

In der Armenpflege kann der Höchstsatz im Be-
darfsfalle überschritten werden. Dazu werden in
der Armenpflege Sonderleistungen im größeren
Umfange gewährt, als in der übrigen Fürsorge.

Außerdem führt das Wohlfahrtsamt Unter-
stützungsaktionen
durch, in denen die vor-
erwähnten dauernd Unterstützten (bei der Milch-
verbilligung unter gewissen Voraussetzungen) teil-
nehmen:

Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich
und etwa 19 000 Personen mit einem Mo-
natsaufwand von ca. M 35 000.--,

unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130--140 000
Personen und 6 Pfund für den Monat mit
einem Aufwand von monatl. M 160 000.--,

für Gas, und Stromverbilligung werden Be-
träge von M 1.50 bis M 1.80 pro Haus-
halt in der Regel an Dauerunterstützte ge-
geben bei dem Monatsaufwand von
M 31 000.--

[Spaltenumbruch]

An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner,
bei letzteren unter teilweiser Deckung der Kosten
durch Kürzung der Geldunterstützungen werden im
Laufe des Winters verteilt je 3/8 Ster Holz und
3 Zentner Kohlen, im ganzen etwa 8000 Ster
Holz und 75 000 Zentner Kohlen. Zur kosten-
losen Verteilung kamen ferner aus Spenden und
Sammlungen um nur das Hauptsächlichste zu
nennen: 30 000 Pfund Fett. 1200 Zentner Mehl,
13 000 Zentner Kartoffel, 14 000 Zentner Torf u. a.

Die Leistungen des Wohlfahrtsamtes sind nicht
[Spaltenumbruch] immer, aber im Dezember 1923 an Geld und
Waren höher gewesen, als die Reichungen der
Armenpflege in Friedenszeit. Die Not ist trotz
aller Anstrengungen von Reich, Staat und Ge-
meinde furchtbar. Darum hat das Wohlfahrts-
amt immer wieder in Stadt und Land zu frei-
williger Hilfeleistung aufgefordert, zuletzt im
Hilfswerk 1923. Die Gebefreudigkeit darf nicht
erlahmen! Wer kann, der helfe dem Wohlfahrts-
amt München seine schwere und wichtige Aufgabe
erfüllen, die Not so vieler Tausenden zu lindern.



Filmkritik und Publikum

Die Filmkritik will sich nicht auf Inhaltsan-
gabe oder auf Lob und Tadel der einzelnen Lei-
stungen beschränken. Sie will durch sachliche Be-
gründung ihres Urteils zugleich die Grundlagen
für die Urteilsbildung beim Publikum schaffen
und dessen Geschmack in Richtung auf den künst-
lerischen Film hin orientieren helfen. Es wird,
solange der Film noch in so scharfer Entwicklung
begriffen ist, solange eine Aesthetik des Films in-
folge der rapiden, noch längst nicht auf der Höhe
angelangten Vervollkommung der technischen
Hilfsmittel kaum erst in Umrissen erkennbar ist,
zunächst darauf ankommen, die bis dahin erreich-
baren und erreichten künstlerischen und technischen
Möglichkeiten dem Publikum erkennbar zu
machen und an den einzelnen Filmschöpfungen
aufzuzeigen. Dadurch soll erreicht werden, daß
das Publikum auch seinerseits, über den Genuß
an den einzelnen Schönheiten des Films, wie
an Bildern, Darstellung, Aufmachung usw. hinaus
Freude an seinen inneren Werten, an seinem
künstlerischen Gehalt und den technischen Wun-
dertaten, sowie Verständnis für den künstlerischen
Aufbau, für künstlerische und technische Mängel
im engeren Sinne bekommt und sich schließlich
auch ein eigenes Bild von deren Entwicklung
machen kann. Es soll nicht nur sehen, sondern
auch erleben, wie man andere Kunstwerke erlebt,
soll sich nicht allein unterhalten und sinnlich oder
gefühlsmäßig berühren, sondern auch hinreißen
und erschüttern lassen.

Es war von vornherein ein Fehler, vom "Film-
drama" zu sprechen, dadurch sind Hersteller und
Publikum auf falsche Fährte geführt und in den
engen Bezirk des Episodalen eingezwängt worden,
dessen Ueberwindung kostbare Jahre erforderte.
Man hat übersehen, daß es sich beim Film weit
mehr um Episches als um Dramatisches handelt.
Diese falsche Einstellung mit den übeln Folgen
der langweiligen Passagen, des Selbstzweckhaften
von Sensation und Spannung aus Mangel an
Stoff, des Kitschigen als Konsequenz der Nach-
ahmung einer ungeeigneten Kunstform und jener
[Spaltenumbruch] hypernaturalistischen Darstellungsweise, die uns
die Ueberdeutlichkeit des Ausdrucks als schein-
baren Ersatz für die beherrschende Stellung des
Wortes im Drama bescherte, haben unheilvolle
Verwirrung angerichtet, dem Film den Ruf des
Kitsches und einer unmöglich ernst zu nehmen-
den Unterhaltungsgelegenheit eingebracht. Wie
schwer ausrottbar diese Folgen sind, ist daran zu
erkennen, daß oft künstlerisch wertvolle Filme
das Publikum gleichgültig lassen oder daß hohe
künstlerische Werte in großen, auch vom Publikum
anerkannten Filmen, diesem gar nicht bewußt
werden.

Das Publikum ist zuweilen auffallend genüg-
sam. Ein paar schöne, groß aufgemachte Bilder,
pompöse Ausstattung genügen. Zugegeben: das
Bildhafte ist das Primäre im Film. Nicht minder
wichtig aber ist das epische Geschehen, die in den
Bildern Ausdruck findende innere Entwicklung
einer Idee oder auch nur einer Tendenz. Dieses
eigentlich Stoffliche des Films ist gestaltet in
Stimmung, Milieu und Handlung, und als Ver-
bindung gewissermaßen zwischen Stoff und Ge-
stalt steht das Wort, der Text oder "Titel", künst-
lerisch nicht weniger bedeutsam -- leider in dieser
Beziehung noch vernachläßigt --, als die übrigen
künstlerischen Elemente. Die Vision als Ausdruck
psychologischer Vorgänge sowie die Musik als sol-
cher des stimmungsmäßigen Gehalts werden
gleichfalls eine bedeutsame Rolle zu spielen haben.

Es konnte sich im Rahmen dieser Darlegungen
nur um Andeutungen für die künstlerische und
technische Erfassung einer Filmschöpfung durch
Kritik und Publikum handeln, nur um Hinweise
auf das, was bis jetzt zu wenig, falsch oder gar
nicht betrachtet worden ist, und was doch, vor
allem in Hinsicht auf die Notwendigkeit für die
deutsche Produktion, Qualitätsarbeit zu leisten,
auch in wirtschaftlicher Beziehung ausschlaggebend
für die Zukunft des deutschen Filmes sein wird.
Der deutsche Geist war in so vielem schon rich-
tunggebend und bahnbrechend, hier ist ein Gebiet,
das der Eroberung für die ganze Welt wert ist.
Möge auch das Filmpublikum durch verständnis-
volles Mitgehen den Weg für die Unternehmer
und Künstler ebnen helfen.

*) Der Aufsatz ist vor dem Erscheinen der
bayerischen Denkschrift
geschrieben.
Mittwoch, den 16. Januar 1924. Allgemeine Zeitung Nr. 15
[Spaltenumbruch]
Was wir wollen und müſſen*)

II.

3. Die Einheit unſeres Staates iſt im In-
nern wiederum, wie ſo oft in der deutſchen
Geſchichte, in Meinungsverſchiedenheiten
um die Verteilung ſtaatlichen Rechts
zwiſchen dem Reiche und ſeinen
Gliedſtaaten
befangen. Wer das deut-
ſche Volk ſo, wie es in ſeiner Geſchichte
wurde, als etwas Naturwüchſiges betrach-
tet, deſſen weitere Entwicklung ſich nach
den Geſetzen dieſes Wuchſes geſtalten ſoll,
wer die unendliche Mannigfaltigkeit der
deutſchen Kultur in ihrer engen Verbunden-
heit mit einzelſtaatlichen Kräften begriffen
hat, der kann nicht in die Verſuchung eines
mechaniſchen und einförmigen Zentralis-
mus kommen; das gilt beſonders für den,
der das Zuſammenwachſen verſchiedener
Stämme zum bayeriſchen Staate im 19.
Jahrhundert als einen Gewinn für alle Be-
teiligten zu betrachten gewöhnt iſt und
dieſen bayeriſchen Staat als Staat zu be-
greifen und zu ſchätzen gelernt hat. Wer ſo
die Dinge betrachtet, dem iſt es ein Erfor-
dernis organiſcher, geſchichtlicher Demo-
kratie, die Freiheit der Teile zu erhalten
und zu möglichſt ſtarker Selbſtführung und
Selbſtverantwortung zu entfalten. Aber
wer vor allem deutſch ſein will, und —
nach einem bekannten, guten Wort eines
bayeriſchen Königs — nie Bayer zum Scha-
den Deutſchlands, der muß ſich gewöhnen,
dieſe Fragen vor allem als geſamt-
deutſche Fragen
zu ſehen. Gab im
alten Reiche die monarchiſch-konſtitutionelle
Verfaſſung der Gliedſtaaten Gewähr gegen
Sprünge und Brüche in der politiſchen Ent-
wicklung der Einzelſtaaten, ſo iſt heute je
nach der politiſch-wirtſchaftlichen Lage des
Einzelſtaates eine völlig verſchiedenartige
Geſtaltung durchaus geſetzmäßig möglich,
wie die Entwicklung einerſeits in Bayern,
andrerſeits in Sachſen zeigt. Stand hinter
dem deutſchen Kaiſertum vormals die
Hausmacht des Königs von Preußen, ſo
muß heute, da das Reich keine Haus-
macht
hat, das Recht des Reiches
ſtärker ſein, wenn gegenüber gegenſätzlich-
ſten Entwicklungsmöglichkeiten den deut-
ſchen Staatsbürgern ein gewiſſes Maß von
Rechtsgleichheit und Rechtsſchutz in den
wichtigſten Rechtsgütern der perſönlichen
[Spaltenumbruch] Freiheit, des Eigentums, der Freiheit der
Meinungsäußerung, der religiöſen Beſtäti-
gung uſw. geſichert werden ſoll. Ueber das
Ausmaß im einzelnen iſt viel Für und Wider
zu ſagen. An Zentraliſierung iſt ſicher zu
viel geſchehen und Abbau davon iſt not-
wendig und im Gange. Aber es iſt doch
auch nicht ſo, als ſei das Urſprüngliche in
der deutſchen Geſchichte die Unabhängigkeit
der Einzelſtaaten geweſen. In Wirklichkeit
war es doch der Fluch der deutſchen Ge-
ſchichte, daß, während England und Frank-
reich die Zerſplitterung überwanden, in
Deutſchland Reichsrecht und Reichsmacht
von den deutſchen Fürſten zerriſſen wur-
den, am meiſten juſt dann, wenn der Fran-
zoſe am Rhein, der Türke vor Wien ſtand.
Die „teutſche Libertät“ von 1648, das Wort
von „Les Allemagnes“ da, wo wir das
eine Deutſchland an der Maas bis an die
Memel wollen, ſind Tatſachen aus vergan-
gener deutſcher Geſchichte. Darum muß auf
beiden Seiten alle Klugheit, alle Verant-
wortlichkeit, alle ſtaatspolitiſche Voraus-
ſicht und Geſtaltungskraft darangeſetzt wer-
den, zwiſchen Reich und Ländern zu einer
von beiden Seiten bejahten Regelung zu
kommen, die in der möglichſt entwickelten
Freiheit der Teile die Sicherheit des Gan-
zen als das erſte Erfordernis bewahren
will.

4. Wir müſſen unſere Wirtſchaft in
Ordnung bringen. Sie iſt nicht Selbſtzweck,
ſondern dienendes Glied zum Wohle der
Nation. Sie trägt ihre Geſetze zum großen
Teil in ſich, die niemand ungeſtraft verletzt.
Heute iſt dieſe Auffaſſung überall aner-
kannt. Die Zeit der Vergewaltigung der
Wirtſchaft durch die Politik, durch einzelne
Klaſſen oder Gewalthaber iſt vorüber.
Freilich, die alten Zeiten kommen nicht
wieder. Eine ungeheure Umſchichtung iſt
über das Land gegangen. Beſte, wertvollſte
Kreiſe haben Beſitz und Stellung verloren.
Was obenauf kam, verdiente es nicht immer.
Sachwerte wurden erhalten, da und dort
auch gemehrt; wer aber Privaten oder gar
dem Staat Kredit gab, verlor Ererbtes und
Erſpartes. Sparen wurde ſinnlos. Die In-
flation verzehrte Kapital und Zinſen. Nun
iſt ſie mit einem Ruck zum Stillſtand ge-
kommen. Damit es dabei bleibt, iſt not-
wendig Ordnung im Staatshaus-
halt und Fruchtbarkeit der Wirt-
ſchaft
. Das aber wieder erfordert:

a) Abbau der Staatsausgaben und des-
halb der Staatsaufgaben, Abbau der
Beamtenrüſtung;

[Spaltenumbruch]

b) höchſte Steuerleiſtung zum Ausgleich
der notwendigen Ausgaben;

c) Mehrung der Arbeitsleiſtung aus In-
tenſität wie auch der Arbeitszeit;

d) Wegfall der unproduktiven Arbeiten;

e) möglichſt billige Preisbemeſſung zur
Wiederherſtellung der Wettbewerbs-
fähigkeit mit dem Ausland und zum
Ausgleich der geſunkenen Kaufkraft;

f) Kapitalbildung durch Verbrauchsein-
ſchränkung und Sparen zur Ueberwin-
dung der Kreditnot.

Hierfür iſt in den letzten Wochen Weſent-
liches erreicht worden: ſeit ſieben Wochen
hat die Mark einen feſten Stand, Löhne und
Preiſe eine ſichere Unterlage. Unter Tage
arbeiten die Bergleute 8 Stunden und mehr,
vor den Feuern die Eiſenarbeiter 10 Stun-
den, die Arbeitszeit der Beamten iſt auf
54 Stunden erhöht, der Beamtenabbau mit
tragiſchen Opfern an Familienglück im
Gange; Steuern werden erhoben, die nicht
ohne tiefe Eingriffe in die Subſtanz und da-
mit nicht ohne Minderung des künftigen
Ertrages geleiſtet werden können. Die
Preiſe ſind vielfach ſtark geſunken. Viel zu
tief freilich iſt die Umſchichtung gegangen,
als daß Verluſte, die man längſt hingenom-
men hat, wieder ausgeglichen werden könn-
ten, als daß, was nach unten geackert wurde,
wieder nach oben geackert werden könnte.
Wohl muß der Staat trachten, jede ver-
meidbare Ungerechtigkeit zu
vermeiden
, aber das Entſcheidende iſt,
der Wirtſchaft überhaupt wieder einen feſten
Boden zu geben. Auf dieſem aber heißt es
mehr arbeiten und mehr ſparen; mehr ar-
beiten gerade zur Ueberwindung der Ar-
beitsloſigkeit, denn die Arbeit iſt kein
Kuchen, von dem die Stücke um ſo kleiner
werden, je mehr davon zehren ſollen, ſon-
dern ſie iſt ein Quell, der um ſo reicher
fließt, je tiefer man den Schacht bohrt.

So ſind wir auf der ganzen Linie auf
dem Wege zurück zu bürgerlicher
Wirtſchaftsauffaſſung
. Der Mar-
xismus hat in ſeinen weſentlichſten und
eigenſten Teilen Kraft und Glauben ver-
loren. Eben deshalb iſt mindeſtens ſo wich-
tig als ſeine Widerlegung das andere, daß
wir nicht in der Negative ſtehen
bleiben
. Freie Entfaltung der Wirt-
ſchaftskraft und Schutz der Lebenskräftigen
gegen Erdrückung durch Uebermacht weniger
iſt ebenſowohl bürgerliche Wirtſchaftsauffaſ-
ſung wie das andere, daß der, der nach ehr-
licher Anſtrengung ſeiner Arbeitskraft in
Invalidität oder Krankheit verfällt, nicht
[Spaltenumbruch] dem Mitleid anheimgegeben wird, vielmehr
ein Recht auf die kärgliche Fürſorge haben
ſoll, die die verarmte Gemeinſchaft unſerer
Wirtſchaft aufzubringen imſtande iſt.

5. Das führt zur letzten großen Gemein-
ſamkeit, der Forderung: Ueber allem Ar-
beiten und Wirtſchaften darf der Deutſche
am wenigſten es vergeſſen, daß das höchſte
Ziel unſeres Volks- und Einzellebens jen-
ſeits des Wirtſchaftszweckhaften liegt, in
der Entfaltung der Seele. Tauſen-
den iſt die Berufsarbeit ſelbſt reicher In-
halt
geiſtigen Lebens, anderen gibt ſie,
trotz des ſittlichen Wertes jeder Arbeit, im
weſentlichen nur Unterhalt. Auch dieſen
aber ſchulden wir, weil ſie Menſchen ſind
und unentbehrlich zu Aufſtieg und Vertie-
fung des deutſchen Volkes im ganzen, die
Darreichung und Pflege geiſtiger Güter.
Die Zeit iſt wenig dazu angetan. Aber wenn
die Jahre der Reichtumſammlung unter
Wilhelm II. vielfach in Materialismus auf-
gingen, ſo mag nun die Zeit der äußeren
Verarmung die Zeit der Pflege geiſtiger
Beſitztümer ſein. Die Menſchen hungern
danach und ſehnen ſich, daß Licht und Wärme
in den Seelen einkehre. Für Kirche und
Schule, für alle, die Geiſtiges geben können,
fließen daraus große Aufgaben. Konſerva-
tive Achtung vor ererbtem geiſtigen Väter-
beſitz, liberale Pflege eines ſich ſelbſt ſittlich
frei beſtimmenden Menſchentums ſollen in
Wetteifer und in Verſöhnung auf dieſem
Felde ſich finden.

Dieſe Ausführungen ſollten und wollten
im allgemeinen bleiben. Sie wollten zeigen,
wieviel an Grundauffaſſungen weithin ge-
meinſam ſind, weit über die Grenzen einer
Partei, ſo zwar, daß dieſe Grenzen vielfach
unnatürlich und willkürlich geworden ſind.
Noch ſcheut man ſich überall, die alten For-
men zu zerſchlagen, nicht ſo faſt aus Ueber-
ſchätzung dieſer Formen, als aus zaghaftem
Zweifel überhaupt, ob aus Parteigründun-
gen noch Großes erſtehen könne. Da aber
Parteien ihre Aufgabe der politiſchen Wil-
lensbildung offenbar noch weiterführen müſ-
ſen, ſo iſt es um ſo wichtiger, wenigſtens
von Partei zu Partei und zu den vielen
außerhalb der Parteien das Gemein-
ſame zu betonen
, damit wir alle, die
wir den Eigenvorteil einer Schicht und
einer Partei, wie den vermeintlichen Vorteil
heimatlichen Landes vorbehaltlos den Le-
bensrechten und Lebenserforderniſſen der
deutſchen Nation unterordnen wollen, uns
in Stunden der Not als Bürger eines
Reiches
finden.



[Spaltenumbruch]
Das Wohlfahrtsamt München

II.

Für Zwecke der Armenpflege iſt die Stadt
in 85 Bezirke eingeteilt, in denen je ein Ausſchuß
tätig iſt. Dieſe Ausſchüſſe, Bezirkspflegeaus.
ſchüſſe genannt, ſind wieder in 12 Kreisausſchüſſe
zuſammengefaßt; beim Armenrat ſelbſt arbeiten
zur Vorberatung der Angelegenheiten, die von der
Vollverſammlung zu erledigen ſind, 3 Zentral-
unterausſchüſſe. Für die Angelegenheiten der
allgemeinen Abteilung der Bezirkswohlfahrts-
ämter beſtehen 12 Bezirkswohlfahrtsausſchüſſe und
bei der Zentrale der Fürſorgeſenat, für die
Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfürſorge
arbeitet ein Beirat der Fürſorgeſtelle mit einem
Unterausſchuß und je einem Sonderausſchuß bei
den Bezirkswohlfahrtsämtern. Zur Beratung all-
gemeiner Fragen der Fürſorge zur Aufſtellung
von Richtlinien der Wohlfahrtspflege zum Zwecke
der Zuſammenarbeit mit der privaten Fürſorge
iſt der Hauptwohlfahrtsausſchuß ge-
bildet worden, in welchem neben dem Wohlfahrts-
amt auch andere Referate, die Fürſorge üben,
vertreten ſind, insbeſondere aber alle Richtungen
der kirchlichen und privaten Wohlfahrtspflege.

Im Dezember 1923 ſtanden in Dauerfür-
ſorge
bei der Armenpflege noch 4896 Er-
wachſene und 1757 Kinder. Dazu müſſen aber
gerade in der Armenpflege noch in ungezählten
Fällen infolge augenblicklicher Not Unterſtützun-
gen an Perſonen gegeben werden, die ſonſt nicht
in Fürſorge ſtehen, insbeſondere müſſen Kranken-
hauskoſten, Beerdigungskoſten uſw. in zahlreichen
Fällen von der Armenpflege getragen werden. In
der Sozialrentnerfürſorge befanden ſich
um dieſe Zeit 10 651 Rentner mit 963 unterſtützten
Ehefrauen und Kindern, in der Kleinrent-
nerfürſorge
4 869 Rentner mit 618 Ehe-
frauen und Kindern. Zuſatzrenten in der Kriegs-
beſchädigten
. und Hinterbliebenen-
fürſorge
bezogen um dieſe Zeit 11 122 Per-
ſonen. In der Gebrechlichenfürſorge,
alſo in der Fürſorge für Geiſteskranke, dauernd
Unheilbare uſw. zählen wir zurzeit etwa 1700
Fälle. Dazu ſind auf Koſten der Stadt in den
Armenverſorgungsanſtalten und in
den Spitälern und den Anſtalten pri-
vater Organiſationen
2020 Perſonen
untergebracht. Der Vollſtändigkeit halber ſei auch
mitgeteilt, daß im Dezember in Erwerbslo-
ſenfürſorge
ſtanden 26 000 Erwerbsloſe mit
16 000 unterſtützten Angehörigen und 52 000 Kurz-
arbeiter. In der Jugendfürſorge ſtanden
etwa 10 000 Perſonen. Im ganzen befanden ſich
ſo etwa

140 000 Perſonen in öffentlicher Fürſorge
oder etwa 23 Prozent der geſamten Bevölkerung
Münchens. Das iſt eine ganz ungeheuerliche Zahl
[Spaltenumbruch] und läßt ermeſſen, welche Arbeit gerade in dieſer
ſchwierigen Zeit vom Wohlfahrtsamt und den
übrigen Fürſorgeſtellen der Stadt zu leiſten war.

Die Aufwendungen zur Durchführung der
Fürſorge ſind ſelbſtverſtändlich ganz erheblich.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge werden
die Ausgaben des Jahres 1923 betragen:

in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion,
in der Sozial- und Kleinrentnerfürſorge über
2 Goldmillionen,

in der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenen-
fürſorge ohne die Zuſatzrenten, die ganz vom
Reich getragen, aber von der Gemeinde ausge-
zahlt werden, etwa 85 000 Goldmark.

Die Verwaltungskoſten hat die Ge-
meinde in der Hauptſache allein zu tragen, wie die
Koſten für die Armenpflege; bei den Koſten der
geſetzlichen Sozial- und Kleinrentnerfürſorge iſt
das Reich mit vier Fünftel beteiligt, an der für
die Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfür-
ſorge das Reich zu acht Zehntel, das Land zu
ein Zehntel. Vielfach haben die geſetzlichen Unter-
ſtützungsſätze zur Deckung des notwendigſten Be-
darfes aber nicht ausgereicht, die Zuſatzunter-
ſtützungen in Geld und Sachen gehen auch hier
zu Laſten der Stadt.

Die Leiſtungen an die einzelnen
Fürſorgeempfänger
im Monat Dezember
ſind unter Zugrundelegung der Höchſtſätze fol-
gende:

bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld-
unterſtützung),

bei der Sozialrentnerfürſorge: M 33.— (lau-
fende Geldunterſtützung, hierzu noch 2 M
Rente durch die Poſt),

bei der Kleinrentnerfürſorge: M 35.— (laufende
Geldunterſtützung),

bei der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebe-
nenfürſorge M 30.80 (Zuſatzrenten).

In der Armenpflege kann der Höchſtſatz im Be-
darfsfalle überſchritten werden. Dazu werden in
der Armenpflege Sonderleiſtungen im größeren
Umfange gewährt, als in der übrigen Fürſorge.

Außerdem führt das Wohlfahrtsamt Unter-
ſtützungsaktionen
durch, in denen die vor-
erwähnten dauernd Unterſtützten (bei der Milch-
verbilligung unter gewiſſen Vorausſetzungen) teil-
nehmen:

Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich
und etwa 19 000 Perſonen mit einem Mo-
natsaufwand von ca. M 35 000.—,

unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130—140 000
Perſonen und 6 Pfund für den Monat mit
einem Aufwand von monatl. M 160 000.—,

für Gas, und Stromverbilligung werden Be-
träge von M 1.50 bis M 1.80 pro Haus-
halt in der Regel an Dauerunterſtützte ge-
geben bei dem Monatsaufwand von
M 31 000.—

[Spaltenumbruch]

An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner,
bei letzteren unter teilweiſer Deckung der Koſten
durch Kürzung der Geldunterſtützungen werden im
Laufe des Winters verteilt je ⅜ Ster Holz und
3 Zentner Kohlen, im ganzen etwa 8000 Ster
Holz und 75 000 Zentner Kohlen. Zur koſten-
loſen Verteilung kamen ferner aus Spenden und
Sammlungen um nur das Hauptſächlichſte zu
nennen: 30 000 Pfund Fett. 1200 Zentner Mehl,
13 000 Zentner Kartoffel, 14 000 Zentner Torf u. a.

Die Leiſtungen des Wohlfahrtsamtes ſind nicht
[Spaltenumbruch] immer, aber im Dezember 1923 an Geld und
Waren höher geweſen, als die Reichungen der
Armenpflege in Friedenszeit. Die Not iſt trotz
aller Anſtrengungen von Reich, Staat und Ge-
meinde furchtbar. Darum hat das Wohlfahrts-
amt immer wieder in Stadt und Land zu frei-
williger Hilfeleiſtung aufgefordert, zuletzt im
Hilfswerk 1923. Die Gebefreudigkeit darf nicht
erlahmen! Wer kann, der helfe dem Wohlfahrts-
amt München ſeine ſchwere und wichtige Aufgabe
erfüllen, die Not ſo vieler Tauſenden zu lindern.



Filmkritik und Publikum

Die Filmkritik will ſich nicht auf Inhaltsan-
gabe oder auf Lob und Tadel der einzelnen Lei-
ſtungen beſchränken. Sie will durch ſachliche Be-
gründung ihres Urteils zugleich die Grundlagen
für die Urteilsbildung beim Publikum ſchaffen
und deſſen Geſchmack in Richtung auf den künſt-
leriſchen Film hin orientieren helfen. Es wird,
ſolange der Film noch in ſo ſcharfer Entwicklung
begriffen iſt, ſolange eine Aeſthetik des Films in-
folge der rapiden, noch längſt nicht auf der Höhe
angelangten Vervollkommung der techniſchen
Hilfsmittel kaum erſt in Umriſſen erkennbar iſt,
zunächſt darauf ankommen, die bis dahin erreich-
baren und erreichten künſtleriſchen und techniſchen
Möglichkeiten dem Publikum erkennbar zu
machen und an den einzelnen Filmſchöpfungen
aufzuzeigen. Dadurch ſoll erreicht werden, daß
das Publikum auch ſeinerſeits, über den Genuß
an den einzelnen Schönheiten des Films, wie
an Bildern, Darſtellung, Aufmachung uſw. hinaus
Freude an ſeinen inneren Werten, an ſeinem
künſtleriſchen Gehalt und den techniſchen Wun-
dertaten, ſowie Verſtändnis für den künſtleriſchen
Aufbau, für künſtleriſche und techniſche Mängel
im engeren Sinne bekommt und ſich ſchließlich
auch ein eigenes Bild von deren Entwicklung
machen kann. Es ſoll nicht nur ſehen, ſondern
auch erleben, wie man andere Kunſtwerke erlebt,
ſoll ſich nicht allein unterhalten und ſinnlich oder
gefühlsmäßig berühren, ſondern auch hinreißen
und erſchüttern laſſen.

Es war von vornherein ein Fehler, vom „Film-
drama“ zu ſprechen, dadurch ſind Herſteller und
Publikum auf falſche Fährte geführt und in den
engen Bezirk des Epiſodalen eingezwängt worden,
deſſen Ueberwindung koſtbare Jahre erforderte.
Man hat überſehen, daß es ſich beim Film weit
mehr um Epiſches als um Dramatiſches handelt.
Dieſe falſche Einſtellung mit den übeln Folgen
der langweiligen Paſſagen, des Selbſtzweckhaften
von Senſation und Spannung aus Mangel an
Stoff, des Kitſchigen als Konſequenz der Nach-
ahmung einer ungeeigneten Kunſtform und jener
[Spaltenumbruch] hypernaturaliſtiſchen Darſtellungsweiſe, die uns
die Ueberdeutlichkeit des Ausdrucks als ſchein-
baren Erſatz für die beherrſchende Stellung des
Wortes im Drama beſcherte, haben unheilvolle
Verwirrung angerichtet, dem Film den Ruf des
Kitſches und einer unmöglich ernſt zu nehmen-
den Unterhaltungsgelegenheit eingebracht. Wie
ſchwer ausrottbar dieſe Folgen ſind, iſt daran zu
erkennen, daß oft künſtleriſch wertvolle Filme
das Publikum gleichgültig laſſen oder daß hohe
künſtleriſche Werte in großen, auch vom Publikum
anerkannten Filmen, dieſem gar nicht bewußt
werden.

Das Publikum iſt zuweilen auffallend genüg-
ſam. Ein paar ſchöne, groß aufgemachte Bilder,
pompöſe Ausſtattung genügen. Zugegeben: das
Bildhafte iſt das Primäre im Film. Nicht minder
wichtig aber iſt das epiſche Geſchehen, die in den
Bildern Ausdruck findende innere Entwicklung
einer Idee oder auch nur einer Tendenz. Dieſes
eigentlich Stoffliche des Films iſt geſtaltet in
Stimmung, Milieu und Handlung, und als Ver-
bindung gewiſſermaßen zwiſchen Stoff und Ge-
ſtalt ſteht das Wort, der Text oder „Titel“, künſt-
leriſch nicht weniger bedeutſam — leider in dieſer
Beziehung noch vernachläßigt —, als die übrigen
künſtleriſchen Elemente. Die Viſion als Ausdruck
pſychologiſcher Vorgänge ſowie die Muſik als ſol-
cher des ſtimmungsmäßigen Gehalts werden
gleichfalls eine bedeutſame Rolle zu ſpielen haben.

Es konnte ſich im Rahmen dieſer Darlegungen
nur um Andeutungen für die künſtleriſche und
techniſche Erfaſſung einer Filmſchöpfung durch
Kritik und Publikum handeln, nur um Hinweiſe
auf das, was bis jetzt zu wenig, falſch oder gar
nicht betrachtet worden iſt, und was doch, vor
allem in Hinſicht auf die Notwendigkeit für die
deutſche Produktion, Qualitätsarbeit zu leiſten,
auch in wirtſchaftlicher Beziehung ausſchlaggebend
für die Zukunft des deutſchen Filmes ſein wird.
Der deutſche Geiſt war in ſo vielem ſchon rich-
tunggebend und bahnbrechend, hier iſt ein Gebiet,
das der Eroberung für die ganze Welt wert iſt.
Möge auch das Filmpublikum durch verſtändnis-
volles Mitgehen den Weg für die Unternehmer
und Künſtler ebnen helfen.

*) Der Aufſatz iſt vor dem Erſcheinen der
bayeriſchen Denkſchrift
geſchrieben.
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[7/0007] Mittwoch, den 16. Januar 1924. Allgemeine Zeitung Nr. 15 Was wir wollen und müſſen *) Von Ed. Hamm, M. d. R., Reichswirtschaftsminister II. 3. Die Einheit unſeres Staates iſt im In- nern wiederum, wie ſo oft in der deutſchen Geſchichte, in Meinungsverſchiedenheiten um die Verteilung ſtaatlichen Rechts zwiſchen dem Reiche und ſeinen Gliedſtaaten befangen. Wer das deut- ſche Volk ſo, wie es in ſeiner Geſchichte wurde, als etwas Naturwüchſiges betrach- tet, deſſen weitere Entwicklung ſich nach den Geſetzen dieſes Wuchſes geſtalten ſoll, wer die unendliche Mannigfaltigkeit der deutſchen Kultur in ihrer engen Verbunden- heit mit einzelſtaatlichen Kräften begriffen hat, der kann nicht in die Verſuchung eines mechaniſchen und einförmigen Zentralis- mus kommen; das gilt beſonders für den, der das Zuſammenwachſen verſchiedener Stämme zum bayeriſchen Staate im 19. Jahrhundert als einen Gewinn für alle Be- teiligten zu betrachten gewöhnt iſt und dieſen bayeriſchen Staat als Staat zu be- greifen und zu ſchätzen gelernt hat. Wer ſo die Dinge betrachtet, dem iſt es ein Erfor- dernis organiſcher, geſchichtlicher Demo- kratie, die Freiheit der Teile zu erhalten und zu möglichſt ſtarker Selbſtführung und Selbſtverantwortung zu entfalten. Aber wer vor allem deutſch ſein will, und — nach einem bekannten, guten Wort eines bayeriſchen Königs — nie Bayer zum Scha- den Deutſchlands, der muß ſich gewöhnen, dieſe Fragen vor allem als geſamt- deutſche Fragen zu ſehen. Gab im alten Reiche die monarchiſch-konſtitutionelle Verfaſſung der Gliedſtaaten Gewähr gegen Sprünge und Brüche in der politiſchen Ent- wicklung der Einzelſtaaten, ſo iſt heute je nach der politiſch-wirtſchaftlichen Lage des Einzelſtaates eine völlig verſchiedenartige Geſtaltung durchaus geſetzmäßig möglich, wie die Entwicklung einerſeits in Bayern, andrerſeits in Sachſen zeigt. Stand hinter dem deutſchen Kaiſertum vormals die Hausmacht des Königs von Preußen, ſo muß heute, da das Reich keine Haus- macht hat, das Recht des Reiches ſtärker ſein, wenn gegenüber gegenſätzlich- ſten Entwicklungsmöglichkeiten den deut- ſchen Staatsbürgern ein gewiſſes Maß von Rechtsgleichheit und Rechtsſchutz in den wichtigſten Rechtsgütern der perſönlichen Freiheit, des Eigentums, der Freiheit der Meinungsäußerung, der religiöſen Beſtäti- gung uſw. geſichert werden ſoll. Ueber das Ausmaß im einzelnen iſt viel Für und Wider zu ſagen. An Zentraliſierung iſt ſicher zu viel geſchehen und Abbau davon iſt not- wendig und im Gange. Aber es iſt doch auch nicht ſo, als ſei das Urſprüngliche in der deutſchen Geſchichte die Unabhängigkeit der Einzelſtaaten geweſen. In Wirklichkeit war es doch der Fluch der deutſchen Ge- ſchichte, daß, während England und Frank- reich die Zerſplitterung überwanden, in Deutſchland Reichsrecht und Reichsmacht von den deutſchen Fürſten zerriſſen wur- den, am meiſten juſt dann, wenn der Fran- zoſe am Rhein, der Türke vor Wien ſtand. Die „teutſche Libertät“ von 1648, das Wort von „Les Allemagnes“ da, wo wir das eine Deutſchland an der Maas bis an die Memel wollen, ſind Tatſachen aus vergan- gener deutſcher Geſchichte. Darum muß auf beiden Seiten alle Klugheit, alle Verant- wortlichkeit, alle ſtaatspolitiſche Voraus- ſicht und Geſtaltungskraft darangeſetzt wer- den, zwiſchen Reich und Ländern zu einer von beiden Seiten bejahten Regelung zu kommen, die in der möglichſt entwickelten Freiheit der Teile die Sicherheit des Gan- zen als das erſte Erfordernis bewahren will. 4. Wir müſſen unſere Wirtſchaft in Ordnung bringen. Sie iſt nicht Selbſtzweck, ſondern dienendes Glied zum Wohle der Nation. Sie trägt ihre Geſetze zum großen Teil in ſich, die niemand ungeſtraft verletzt. Heute iſt dieſe Auffaſſung überall aner- kannt. Die Zeit der Vergewaltigung der Wirtſchaft durch die Politik, durch einzelne Klaſſen oder Gewalthaber iſt vorüber. Freilich, die alten Zeiten kommen nicht wieder. Eine ungeheure Umſchichtung iſt über das Land gegangen. Beſte, wertvollſte Kreiſe haben Beſitz und Stellung verloren. Was obenauf kam, verdiente es nicht immer. Sachwerte wurden erhalten, da und dort auch gemehrt; wer aber Privaten oder gar dem Staat Kredit gab, verlor Ererbtes und Erſpartes. Sparen wurde ſinnlos. Die In- flation verzehrte Kapital und Zinſen. Nun iſt ſie mit einem Ruck zum Stillſtand ge- kommen. Damit es dabei bleibt, iſt not- wendig Ordnung im Staatshaus- halt und Fruchtbarkeit der Wirt- ſchaft. Das aber wieder erfordert: a) Abbau der Staatsausgaben und des- halb der Staatsaufgaben, Abbau der Beamtenrüſtung; b) höchſte Steuerleiſtung zum Ausgleich der notwendigen Ausgaben; c) Mehrung der Arbeitsleiſtung aus In- tenſität wie auch der Arbeitszeit; d) Wegfall der unproduktiven Arbeiten; e) möglichſt billige Preisbemeſſung zur Wiederherſtellung der Wettbewerbs- fähigkeit mit dem Ausland und zum Ausgleich der geſunkenen Kaufkraft; f) Kapitalbildung durch Verbrauchsein- ſchränkung und Sparen zur Ueberwin- dung der Kreditnot. Hierfür iſt in den letzten Wochen Weſent- liches erreicht worden: ſeit ſieben Wochen hat die Mark einen feſten Stand, Löhne und Preiſe eine ſichere Unterlage. Unter Tage arbeiten die Bergleute 8 Stunden und mehr, vor den Feuern die Eiſenarbeiter 10 Stun- den, die Arbeitszeit der Beamten iſt auf 54 Stunden erhöht, der Beamtenabbau mit tragiſchen Opfern an Familienglück im Gange; Steuern werden erhoben, die nicht ohne tiefe Eingriffe in die Subſtanz und da- mit nicht ohne Minderung des künftigen Ertrages geleiſtet werden können. Die Preiſe ſind vielfach ſtark geſunken. Viel zu tief freilich iſt die Umſchichtung gegangen, als daß Verluſte, die man längſt hingenom- men hat, wieder ausgeglichen werden könn- ten, als daß, was nach unten geackert wurde, wieder nach oben geackert werden könnte. Wohl muß der Staat trachten, jede ver- meidbare Ungerechtigkeit zu vermeiden, aber das Entſcheidende iſt, der Wirtſchaft überhaupt wieder einen feſten Boden zu geben. Auf dieſem aber heißt es mehr arbeiten und mehr ſparen; mehr ar- beiten gerade zur Ueberwindung der Ar- beitsloſigkeit, denn die Arbeit iſt kein Kuchen, von dem die Stücke um ſo kleiner werden, je mehr davon zehren ſollen, ſon- dern ſie iſt ein Quell, der um ſo reicher fließt, je tiefer man den Schacht bohrt. So ſind wir auf der ganzen Linie auf dem Wege zurück zu bürgerlicher Wirtſchaftsauffaſſung. Der Mar- xismus hat in ſeinen weſentlichſten und eigenſten Teilen Kraft und Glauben ver- loren. Eben deshalb iſt mindeſtens ſo wich- tig als ſeine Widerlegung das andere, daß wir nicht in der Negative ſtehen bleiben. Freie Entfaltung der Wirt- ſchaftskraft und Schutz der Lebenskräftigen gegen Erdrückung durch Uebermacht weniger iſt ebenſowohl bürgerliche Wirtſchaftsauffaſ- ſung wie das andere, daß der, der nach ehr- licher Anſtrengung ſeiner Arbeitskraft in Invalidität oder Krankheit verfällt, nicht dem Mitleid anheimgegeben wird, vielmehr ein Recht auf die kärgliche Fürſorge haben ſoll, die die verarmte Gemeinſchaft unſerer Wirtſchaft aufzubringen imſtande iſt. 5. Das führt zur letzten großen Gemein- ſamkeit, der Forderung: Ueber allem Ar- beiten und Wirtſchaften darf der Deutſche am wenigſten es vergeſſen, daß das höchſte Ziel unſeres Volks- und Einzellebens jen- ſeits des Wirtſchaftszweckhaften liegt, in der Entfaltung der Seele. Tauſen- den iſt die Berufsarbeit ſelbſt reicher In- halt geiſtigen Lebens, anderen gibt ſie, trotz des ſittlichen Wertes jeder Arbeit, im weſentlichen nur Unterhalt. Auch dieſen aber ſchulden wir, weil ſie Menſchen ſind und unentbehrlich zu Aufſtieg und Vertie- fung des deutſchen Volkes im ganzen, die Darreichung und Pflege geiſtiger Güter. Die Zeit iſt wenig dazu angetan. Aber wenn die Jahre der Reichtumſammlung unter Wilhelm II. vielfach in Materialismus auf- gingen, ſo mag nun die Zeit der äußeren Verarmung die Zeit der Pflege geiſtiger Beſitztümer ſein. Die Menſchen hungern danach und ſehnen ſich, daß Licht und Wärme in den Seelen einkehre. Für Kirche und Schule, für alle, die Geiſtiges geben können, fließen daraus große Aufgaben. Konſerva- tive Achtung vor ererbtem geiſtigen Väter- beſitz, liberale Pflege eines ſich ſelbſt ſittlich frei beſtimmenden Menſchentums ſollen in Wetteifer und in Verſöhnung auf dieſem Felde ſich finden. Dieſe Ausführungen ſollten und wollten im allgemeinen bleiben. Sie wollten zeigen, wieviel an Grundauffaſſungen weithin ge- meinſam ſind, weit über die Grenzen einer Partei, ſo zwar, daß dieſe Grenzen vielfach unnatürlich und willkürlich geworden ſind. Noch ſcheut man ſich überall, die alten For- men zu zerſchlagen, nicht ſo faſt aus Ueber- ſchätzung dieſer Formen, als aus zaghaftem Zweifel überhaupt, ob aus Parteigründun- gen noch Großes erſtehen könne. Da aber Parteien ihre Aufgabe der politiſchen Wil- lensbildung offenbar noch weiterführen müſ- ſen, ſo iſt es um ſo wichtiger, wenigſtens von Partei zu Partei und zu den vielen außerhalb der Parteien das Gemein- ſame zu betonen, damit wir alle, die wir den Eigenvorteil einer Schicht und einer Partei, wie den vermeintlichen Vorteil heimatlichen Landes vorbehaltlos den Le- bensrechten und Lebenserforderniſſen der deutſchen Nation unterordnen wollen, uns in Stunden der Not als Bürger eines Reiches finden. Das Wohlfahrtsamt München II. Für Zwecke der Armenpflege iſt die Stadt in 85 Bezirke eingeteilt, in denen je ein Ausſchuß tätig iſt. Dieſe Ausſchüſſe, Bezirkspflegeaus. ſchüſſe genannt, ſind wieder in 12 Kreisausſchüſſe zuſammengefaßt; beim Armenrat ſelbſt arbeiten zur Vorberatung der Angelegenheiten, die von der Vollverſammlung zu erledigen ſind, 3 Zentral- unterausſchüſſe. Für die Angelegenheiten der allgemeinen Abteilung der Bezirkswohlfahrts- ämter beſtehen 12 Bezirkswohlfahrtsausſchüſſe und bei der Zentrale der Fürſorgeſenat, für die Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfürſorge arbeitet ein Beirat der Fürſorgeſtelle mit einem Unterausſchuß und je einem Sonderausſchuß bei den Bezirkswohlfahrtsämtern. Zur Beratung all- gemeiner Fragen der Fürſorge zur Aufſtellung von Richtlinien der Wohlfahrtspflege zum Zwecke der Zuſammenarbeit mit der privaten Fürſorge iſt der Hauptwohlfahrtsausſchuß ge- bildet worden, in welchem neben dem Wohlfahrts- amt auch andere Referate, die Fürſorge üben, vertreten ſind, insbeſondere aber alle Richtungen der kirchlichen und privaten Wohlfahrtspflege. Im Dezember 1923 ſtanden in Dauerfür- ſorge bei der Armenpflege noch 4896 Er- wachſene und 1757 Kinder. Dazu müſſen aber gerade in der Armenpflege noch in ungezählten Fällen infolge augenblicklicher Not Unterſtützun- gen an Perſonen gegeben werden, die ſonſt nicht in Fürſorge ſtehen, insbeſondere müſſen Kranken- hauskoſten, Beerdigungskoſten uſw. in zahlreichen Fällen von der Armenpflege getragen werden. In der Sozialrentnerfürſorge befanden ſich um dieſe Zeit 10 651 Rentner mit 963 unterſtützten Ehefrauen und Kindern, in der Kleinrent- nerfürſorge 4 869 Rentner mit 618 Ehe- frauen und Kindern. Zuſatzrenten in der Kriegs- beſchädigten. und Hinterbliebenen- fürſorge bezogen um dieſe Zeit 11 122 Per- ſonen. In der Gebrechlichenfürſorge, alſo in der Fürſorge für Geiſteskranke, dauernd Unheilbare uſw. zählen wir zurzeit etwa 1700 Fälle. Dazu ſind auf Koſten der Stadt in den Armenverſorgungsanſtalten und in den Spitälern und den Anſtalten pri- vater Organiſationen 2020 Perſonen untergebracht. Der Vollſtändigkeit halber ſei auch mitgeteilt, daß im Dezember in Erwerbslo- ſenfürſorge ſtanden 26 000 Erwerbsloſe mit 16 000 unterſtützten Angehörigen und 52 000 Kurz- arbeiter. In der Jugendfürſorge ſtanden etwa 10 000 Perſonen. Im ganzen befanden ſich ſo etwa 140 000 Perſonen in öffentlicher Fürſorge oder etwa 23 Prozent der geſamten Bevölkerung Münchens. Das iſt eine ganz ungeheuerliche Zahl und läßt ermeſſen, welche Arbeit gerade in dieſer ſchwierigen Zeit vom Wohlfahrtsamt und den übrigen Fürſorgeſtellen der Stadt zu leiſten war. Die Aufwendungen zur Durchführung der Fürſorge ſind ſelbſtverſtändlich ganz erheblich. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge werden die Ausgaben des Jahres 1923 betragen: in der Armenpflege etwa 1 Goldmillion, in der Sozial- und Kleinrentnerfürſorge über 2 Goldmillionen, in der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenen- fürſorge ohne die Zuſatzrenten, die ganz vom Reich getragen, aber von der Gemeinde ausge- zahlt werden, etwa 85 000 Goldmark. Die Verwaltungskoſten hat die Ge- meinde in der Hauptſache allein zu tragen, wie die Koſten für die Armenpflege; bei den Koſten der geſetzlichen Sozial- und Kleinrentnerfürſorge iſt das Reich mit vier Fünftel beteiligt, an der für die Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebenenfür- ſorge das Reich zu acht Zehntel, das Land zu ein Zehntel. Vielfach haben die geſetzlichen Unter- ſtützungsſätze zur Deckung des notwendigſten Be- darfes aber nicht ausgereicht, die Zuſatzunter- ſtützungen in Geld und Sachen gehen auch hier zu Laſten der Stadt. Die Leiſtungen an die einzelnen Fürſorgeempfänger im Monat Dezember ſind unter Zugrundelegung der Höchſtſätze fol- gende: bei der Armenpflege: M 21.60 (laufende Geld- unterſtützung), bei der Sozialrentnerfürſorge: M 33.— (lau- fende Geldunterſtützung, hierzu noch 2 M Rente durch die Poſt), bei der Kleinrentnerfürſorge: M 35.— (laufende Geldunterſtützung), bei der Kriegsbeſchädigten- und Hinterbliebe- nenfürſorge M 30.80 (Zuſatzrenten). In der Armenpflege kann der Höchſtſatz im Be- darfsfalle überſchritten werden. Dazu werden in der Armenpflege Sonderleiſtungen im größeren Umfange gewährt, als in der übrigen Fürſorge. Außerdem führt das Wohlfahrtsamt Unter- ſtützungsaktionen durch, in denen die vor- erwähnten dauernd Unterſtützten (bei der Milch- verbilligung unter gewiſſen Vorausſetzungen) teil- nehmen: Milchverbilligung für etwa 10 000 Liter täglich und etwa 19 000 Perſonen mit einem Mo- natsaufwand von ca. M 35 000.—, unentgeltliche Brotabgabe an etwa 130—140 000 Perſonen und 6 Pfund für den Monat mit einem Aufwand von monatl. M 160 000.—, für Gas, und Stromverbilligung werden Be- träge von M 1.50 bis M 1.80 pro Haus- halt in der Regel an Dauerunterſtützte ge- geben bei dem Monatsaufwand von M 31 000.— An die Armen, die Sozial- und Kleinrentner, bei letzteren unter teilweiſer Deckung der Koſten durch Kürzung der Geldunterſtützungen werden im Laufe des Winters verteilt je ⅜ Ster Holz und 3 Zentner Kohlen, im ganzen etwa 8000 Ster Holz und 75 000 Zentner Kohlen. Zur koſten- loſen Verteilung kamen ferner aus Spenden und Sammlungen um nur das Hauptſächlichſte zu nennen: 30 000 Pfund Fett. 1200 Zentner Mehl, 13 000 Zentner Kartoffel, 14 000 Zentner Torf u. a. Die Leiſtungen des Wohlfahrtsamtes ſind nicht immer, aber im Dezember 1923 an Geld und Waren höher geweſen, als die Reichungen der Armenpflege in Friedenszeit. Die Not iſt trotz aller Anſtrengungen von Reich, Staat und Ge- meinde furchtbar. Darum hat das Wohlfahrts- amt immer wieder in Stadt und Land zu frei- williger Hilfeleiſtung aufgefordert, zuletzt im Hilfswerk 1923. Die Gebefreudigkeit darf nicht erlahmen! Wer kann, der helfe dem Wohlfahrts- amt München ſeine ſchwere und wichtige Aufgabe erfüllen, die Not ſo vieler Tauſenden zu lindern. Filmkritik und Publikum Die Filmkritik will ſich nicht auf Inhaltsan- gabe oder auf Lob und Tadel der einzelnen Lei- ſtungen beſchränken. Sie will durch ſachliche Be- gründung ihres Urteils zugleich die Grundlagen für die Urteilsbildung beim Publikum ſchaffen und deſſen Geſchmack in Richtung auf den künſt- leriſchen Film hin orientieren helfen. Es wird, ſolange der Film noch in ſo ſcharfer Entwicklung begriffen iſt, ſolange eine Aeſthetik des Films in- folge der rapiden, noch längſt nicht auf der Höhe angelangten Vervollkommung der techniſchen Hilfsmittel kaum erſt in Umriſſen erkennbar iſt, zunächſt darauf ankommen, die bis dahin erreich- baren und erreichten künſtleriſchen und techniſchen Möglichkeiten dem Publikum erkennbar zu machen und an den einzelnen Filmſchöpfungen aufzuzeigen. Dadurch ſoll erreicht werden, daß das Publikum auch ſeinerſeits, über den Genuß an den einzelnen Schönheiten des Films, wie an Bildern, Darſtellung, Aufmachung uſw. hinaus Freude an ſeinen inneren Werten, an ſeinem künſtleriſchen Gehalt und den techniſchen Wun- dertaten, ſowie Verſtändnis für den künſtleriſchen Aufbau, für künſtleriſche und techniſche Mängel im engeren Sinne bekommt und ſich ſchließlich auch ein eigenes Bild von deren Entwicklung machen kann. Es ſoll nicht nur ſehen, ſondern auch erleben, wie man andere Kunſtwerke erlebt, ſoll ſich nicht allein unterhalten und ſinnlich oder gefühlsmäßig berühren, ſondern auch hinreißen und erſchüttern laſſen. Es war von vornherein ein Fehler, vom „Film- drama“ zu ſprechen, dadurch ſind Herſteller und Publikum auf falſche Fährte geführt und in den engen Bezirk des Epiſodalen eingezwängt worden, deſſen Ueberwindung koſtbare Jahre erforderte. Man hat überſehen, daß es ſich beim Film weit mehr um Epiſches als um Dramatiſches handelt. Dieſe falſche Einſtellung mit den übeln Folgen der langweiligen Paſſagen, des Selbſtzweckhaften von Senſation und Spannung aus Mangel an Stoff, des Kitſchigen als Konſequenz der Nach- ahmung einer ungeeigneten Kunſtform und jener hypernaturaliſtiſchen Darſtellungsweiſe, die uns die Ueberdeutlichkeit des Ausdrucks als ſchein- baren Erſatz für die beherrſchende Stellung des Wortes im Drama beſcherte, haben unheilvolle Verwirrung angerichtet, dem Film den Ruf des Kitſches und einer unmöglich ernſt zu nehmen- den Unterhaltungsgelegenheit eingebracht. Wie ſchwer ausrottbar dieſe Folgen ſind, iſt daran zu erkennen, daß oft künſtleriſch wertvolle Filme das Publikum gleichgültig laſſen oder daß hohe künſtleriſche Werte in großen, auch vom Publikum anerkannten Filmen, dieſem gar nicht bewußt werden. Das Publikum iſt zuweilen auffallend genüg- ſam. Ein paar ſchöne, groß aufgemachte Bilder, pompöſe Ausſtattung genügen. Zugegeben: das Bildhafte iſt das Primäre im Film. Nicht minder wichtig aber iſt das epiſche Geſchehen, die in den Bildern Ausdruck findende innere Entwicklung einer Idee oder auch nur einer Tendenz. Dieſes eigentlich Stoffliche des Films iſt geſtaltet in Stimmung, Milieu und Handlung, und als Ver- bindung gewiſſermaßen zwiſchen Stoff und Ge- ſtalt ſteht das Wort, der Text oder „Titel“, künſt- leriſch nicht weniger bedeutſam — leider in dieſer Beziehung noch vernachläßigt —, als die übrigen künſtleriſchen Elemente. Die Viſion als Ausdruck pſychologiſcher Vorgänge ſowie die Muſik als ſol- cher des ſtimmungsmäßigen Gehalts werden gleichfalls eine bedeutſame Rolle zu ſpielen haben. Es konnte ſich im Rahmen dieſer Darlegungen nur um Andeutungen für die künſtleriſche und techniſche Erfaſſung einer Filmſchöpfung durch Kritik und Publikum handeln, nur um Hinweiſe auf das, was bis jetzt zu wenig, falſch oder gar nicht betrachtet worden iſt, und was doch, vor allem in Hinſicht auf die Notwendigkeit für die deutſche Produktion, Qualitätsarbeit zu leiſten, auch in wirtſchaftlicher Beziehung ausſchlaggebend für die Zukunft des deutſchen Filmes ſein wird. Der deutſche Geiſt war in ſo vielem ſchon rich- tunggebend und bahnbrechend, hier iſt ein Gebiet, das der Eroberung für die ganze Welt wert iſt. Möge auch das Filmpublikum durch verſtändnis- volles Mitgehen den Weg für die Unternehmer und Künſtler ebnen helfen. E. L. *) Der Aufſatz iſt vor dem Erſcheinen der bayeriſchen Denkſchrift geſchrieben.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine15_1924/7>, abgerufen am 13.06.2024.