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Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 18. Januar 1929.

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Seite 2 "AZ am Abend" Nr. 15 Freitag, den 18. Januar


Sozialdebatte im Landtag
Soziale Fürsorge und Schmarotzertum

Die Redner der Parteien * Tumult auf der Tribüne

[Spaltenumbruch]

Die Aussprache eröffnete Abg. Konrad
(B. Vpt.). Eingehend befaßte sich Redner
mit Lohnfragen und bezeichnete den Spruch
des Reichsinnenministers Severing im letz-
ten Ruhrkampf als schwere Enttäuschung
für die Arbeiterschaft. Willkürliche Preis-
bildungen einseitiger Interessentengruppen
brächten viel größere Gefahren als sie je-
mals durch die Lohnpolitik auch unter stärk-
ster Förderung des Staates erwachsen kön-
nen.

Der Sozialdemokrat Timm beschäftigte
sich mit den Ausführungen des Minister-
präsidenten bei der Behandlung des Han-
delsetats zur Sozialpolitik. Er vermißt
darin das notwendige soziale Verständnis,
insbesondere in den Bemerkungen des Mi-
nisterpräsidenten über die sozialen Lasten.
In der Bemerkung des Minister-
präsidenten, wo Opfer gebracht werden
müssen, dann müssen sie alle miteinander
bringen, sei der Vorwurf zu erblicken, als
ob die Arbeiter keine Opfer brächten. Das
müsse auf das schärfste zurückgewiesen wer-
den, da die Arbeiter die schwersten Opfer
bringen würden. Während ihnen bei der
Lohnzahlung jeder Pfennig abgezogen
würde, blieben leistungsfähige Schichten mit
Hunderten, ja Tausenden von Steuern rück-
ständig.

Zu Beginn der

Donnerstag-Nachmittagssitzung hatte
der Bayerische Bauernbund als Redner den
Abg. Wartner herausgestellt, der gegen-
über dem sozialdemokratischen Vorwurf,
Staatsminister Fehr habe auch nicht ein-
mal Ausschußsitzungen beigewohnt, in denen
Fragen der Abteilung Arbeit erörtert
wurden, erklärte, Dr. Fehr sei deswegen
nicht erschienen, um die besondere Stellung
des Staatssekretärs Oswald zum Ausdruck
zu bringen, die doch auch von den Sozial-
demokraten verlangt werde. Redner wandte
sich gegen die Ueberspannung der sozialen
Versicherungsgesetzgebung, die unerträglich
sei. Die Arbeitslosenversicherung habe zur
Steigerung der Landflucht beigetragen. Der
Deutschnationale Frühwald betonte eben-
falls die Unmöglichkeit für weitere Kreise
der Bevölkerung, die immer mehr anschwel-
lenden Kosten für die Sozialversicherung im
allgemeinen und die Erwerbslosenfürsorge
im besonderen zu tragen, wenn auch die er-
werbslosen Arbeitswilligen zweifellos An-
spruch auf Hilfe hätten. Abg. Grimm
(Natsoz.) setzte sich in der Hauptsache mit
den Sozialdemokraten auseinander und
kritisierte die Reparationspolitik. Die Be-
steuerung der Banken und des Börsenver-
kehrs eröffneten neue ausgiebige Steuer-
quellen. Abg. Büchs (Komm.) polemi-
sierte gegen die Vertreter der bürgerlichen
Parteien wegen ihrer Kritik an der Ar-
beitslosenversicherung, und erhob dann
scharfe Angriffe auf die Sozialpolitik in
Bayern. Eine Aenderung der sozialen Ver-
hältnisse könne nur durch den Sturz der
kapitalistischen Wirtschaftsordnung herbeige-
führt werden.

Namens der Deutschen Volkspartei gab
Abg. Bayer bei den Erörterungen zum
Sozialetat eine Erklärung ab, der wir ent-
nehmen:

Seitdem der Krieg, der Umsturz
und der Zusammenbruch unserer Währung
einen großen Teil des deutschen Volkes in
Verarmung, Krankheit und Arbeitslosig-
gebracht haben, sind die sozialen Fürsorge-
pflichten der öffentlichen Körperschaften ge-
wachsen. Die soziale Fürsorge darf aber
nicht zur Plage werden und muß vor Ueber-
treibungen und Mißbrauch geschützt wer-
den, sonst vermehrt sich das Schmarotzertum
und der ehrlich schaffende Mensch leidet dar-
unter und kommt in Nachteil. Die soziale
Fürsorge darf aber nicht zur drückenden
Belastung der deutschen Wirtschaft werden
und darf nicht dort Verantwortlichkeiten
wegnehmen, wo der Grundsatz gelten muß,
"selbst ist der Mann".

Die Hauszinssteuerbeträge
müssen so verwendet werden, daß sie mit-
wirken an dem Abbau der Wohnungs-
zwangswirtschaft. Das Eigenkapital
muß einen Ansporn zur Bautätigkeit er-
halten. Deswegen müssen Bauzuschüsse
auch den Privaten mit größerem Eigen-
kapital gegeben werden.

Beim Schlichtungswesen ist jede
einseitige Haltung fernzuhalten. Ich bin für
weitgehenden persönlichen Schutz des Arbei-
ters im Betrieb. Doch darf die Gewerbe-
aufsicht in dem Unternehmer nicht einen
[Spaltenumbruch] Feind sehen, sondern muß deren Rechte und
wirtschaftliche Lage berücksichtigen.

Bei der produktiven Erwerbslosenfür-
sorge bedauern wir, daß Bayern nicht in
der Lage ist, nennenswerte Beträge aufzu-
weisen, so daß der bayerischen Arbeiterschaft
und der bayerischen Wirtschaft Millionen
verloren gehen, die anderen Ländern aus
Reichsmitteln zur Verfügung stehen, weil
diese in ihrem Haushalt dafür Mittel aus-
geworfen haben.

Zum Schlusse gebe ich dem Bedauern
Ausdruck, daß es in Bayern nicht möglich
war, für die Fragen des Unternehmertums
wie der Arbeitnehmer ein einheitliches ein-
ziges Wirtschaftsministerium zu schaffen.
Die Abteilung Handel vom Ministerium des
Aeußern soll der bayerischen Wirtschaft
Aufträge zukommen sassen, das Sozialmini-
sterium hingegen verfügt über das Geld.
Ich habe auch den Eindruck, als ob durch
die Stellung des Staatssekretärs für Arbeit,
überhaupt durch die bisherigen sogenannten
Vereinfachungsmaßnahmen in der Eintei-
lung der Ministerien nur eine Erschwe-
rung des Verkehrs
zwischen dem
früheren Landwirtschaftsministerium und
dem früheren Sozialministerium eingetreten
ist.

[irrelevantes Material]
Erwerbslose im Landtag
Räumung der Tribüne

In der gestrigen Sitzung des Landtages
mit ihrer Debatte über die sozialen Fragen
hatten sich zahlreiche Erwerbslose kommu-
nistischer Richtung eingefunden, auf die der
Abg. Büchs seine agitatorischen Ausführun-
gen einstellte. Die Tribünenbesucher klatsch-
ten wiederholt Beifall, was den Vizepräsi-
denten Hartmann veranlaßte, die Räu-
mung der Tribüne anzudrohen. Als nach
dem Schluß der Rede Büchs der Beifall sich
wiederholte, hob Präsident Dr. Königbauer
die Sitzung auf 10 Minuten auf und gab
der Polizei Weisung, die Demonstranten aus
dem Saal zu führen und ihre Personalien
festzustellen. Da dies nicht möglich war,
veranlaßte der Präsident nach Wiederauf-
nahme der Sitzung die völlige Räumung der
Tribünen, die dann durch Kriminalbeamte
vorgenommen wurde und ohne Zwischenfall
verlief.

Büchs kündigte übrigens an, daß er am
Freitag als Führer einer Deputation von
Erwerbslosen bei den einzelnen Fraktionen
vorsprechen und diesen Gelegenheit geben
wolle, ihre Kritik an der Arbeitslosenver-
sicherung gegenüber den Erwerbslosen un-
mittelbar zu vertreten.



Reichsratsbeschlüsse

Lessing-Silbermünzen


Gegen die Stimmen von Bayern, Würt-
temberg und Westfalen nahm der Reichsrat
den Entwurf eines Arbeitsschutzge-
setzes
an. Die Vertreter Bayerns und
Württembergs erklärten sich gegen die Vor-
lage, namentlich wegen der Eingriffe in die
Landeshoheit. Ferner genehmigte der
Reichsrat ein Gesetz über die Enteignung
von Grundbesitz in Schlesien zur Anlage
eines Staubeckens bei Ottmachau.

Der Reichsrat erklärte sich auch damit ein-
verstanden, daß gelegentlich des 200jährigen
Geburtstages Lessings Reichssilber-
münzen als Gedenkmünzen
aus-
geprägt werden mit dem Kopf Lessings.
Endlich wurde ein Gesetzentwurf angenom-
men, der bezweckt, die übergroße Zahl der
Wartegeldsempfänger herabzusetzen, evtl.
auch die Zahl der Zwangspensionen.

[irrelevantes Material] [Spaltenumbruch]
Reichskabinett
billigt Hilferdings Vorschläge

Der Reichshaushalt vom Kabinett verabschiedet * Nur kleinere Abänderungen

[Spaltenumbruch]

Das Reichskabinett verabschiedete den
Reichshaushalt und die seine Deckung be-
treffenden Vorlagen. Er wird unverzüglich
dem Reichsrat bzw. dem Reichswirtschaftrat
zugeleitet werden.

Dazu berichten die Blätter:

Nachdem im Reichskabinett die Beratun-
gen zu Ende geführt worden sind, werden
voraussichtlich heute offizielle Mitteilungen
über die Einzelheiten des Haushaltsplanes
folgen. Das Ergebnis der Beratungen ist
durchaus im Sinne einer grundfätz-
lichen Billigung der Hilferdingschen
Vorschläge

zustandegekommen. Man hat sich bei den
einzelnen Etatpositionen auf kleinere Ab-
[Spaltenumbruch] änderungen beschränkt, während dem Haus-
haltsvoranschlag in seiner Gesamtheit in
allen wesentlichen Punkten zugestimmt
wurde.

Die lange Dauer der Kabinettsberatungen
erklärt sich daraus, daß

die einzelnen Ressortminister mit großer
Energie die Forderungen ihres Etats
durchzusetzen vermochten.

In der letzten Sitzung wurden schließlich
Fragen grundsätzlicher Natur erörtert, die
sich auf die Etatgebarung im allgemeinen
erstreckten. Neben den geringfügigen Aende-
rungen im Etat selbst hat das Kabinett auch
einige Beschlüsse gefaßt. Diesen Entschließun-
gen kommt aber im wesentlichen nur for-
male Bedeutung zu.



Bund zur Erneuerung des Reiches
Jahresmitgliederversammlung und Festabend
[Spaltenumbruch]

In der gestrigen ersten
Jahresmitgliederversammlung des Bundes zur
Erneuerung des Reiches wurde einstimmig
eine Entschließung angenommen,

in der es heißt, daß der Bund für eine

Gefamtlösung der Reichsreform

eintritt, die sowohl Norddeutschland wie Süd-
deutschland umfaßt, jedoch der geschichtlichen Ent-
wicklung in den verschiedenen Reichsteilen und
dem Bestehenden, das lebenskräftig ist, Rechnung
trägt. Damit, so heißt es, stehe der Bund auf
der Seite der sogenannten "differenzierenden
Endlösung". Zum Schluß wird betont, daß der
Bund seine Arbeit fortsetzt und sich den politisch
verantwortlichen Stellen zur Verfügung stellt.

Bei dem sich anschließenden

Festabend

begrüßte der Vorsitzende des Bundes, der frühere
Reichskanzler Dr. Luther, die Erschienenen.
An Stelle des plötzlich erkrankten Grafen von
Riedern sprach der Geschäftsführer des Bundes,
Oberregierungsrat a. D. Adametz, an Hand
des Manuskripts des Grafen von Riedern über
die Probleme der Reichsreform. Er ging zu-
nächst noch einmal auf die Bundesschrift "Reich
und Länder" ein und wandte sich dann den
Haupteinwänden gegen die Vorschläge des Bun-
des zu, die man in die Schlagworte "Zwischen-
lösung, Mainlinie und Zerschlagung Preußens"
zusammenfassen könne. Er betonte dabei, daß es
in keiner Verfassungs- und Verwaltungsfrage
eine politische Endlösung geben könne. Gegen-
über dem Haupteinwand einer neuen Belebung
der Mainlinie durch den Vorschlag des Bundes
wies der Vortragende darauf hin, daß dieser

[Spaltenumbruch]

nichts enthalte, was gegenüber dem heutigen
Zustand den Süden stärker vom Norden
trenne.

Hingegen sehe er eine bedenkliche Wolke zwi-
schen dem Norden und Süden heraufziehen, wenn
man die kleinen und leistungsschwachen Länder
zum mehr oder weniger freiwilligen Anschluß
an Preußen nötige und diesem Großpreußen
ohne jede organische Verbindung mit dem Reich
dann nur noch Sachsen, Bayern, Württemberg
und Baden gegenüberständen, die im Reichsrat
mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit Großpreußen
überstimmen würden. Daß der Uebergang der
Staatsgewalt Preußens in die Hände des Reiches
keine Zerschlagung Preußens bedeute, sei ja schon
in der Denkschrift begründet.

In der darauffolgenden

Debatte

beteiligte sich u. a. Landesrat Kitz - Düsseldorf,
der vor allem darauf hinwies, daß man die Ver-
waltungsreform niemals von der Verfassungs-
reform trennen könne. Weiter sprach Freiherr
von Wilmowsky als Vertreter der Land-
wirtschaft.

Ferner sprach noch der frühere bayerische
Minister Schweyer, der, obwohl er betonte,
gegenüber der Bundesdenkschrift einige Vorbe-
halte erheben zu müssen, dennoch

die Arbeit des Bundes gerade als Süd-
deutscher lebhaft begrüßte,

und der Hamburger Bürgermeister Dr. Peter-
sen,
der sich entsprechend seiner bisherigen Hal-
tung noch einmal ganz besonders für die Arbei-
ten des Bundes einsetzte.



Die eigene Polizei der Nationalsozialisten

Verfehlungen von Parteiangehörigen finden besondere Behandlung

[Spaltenumbruch]

Bei Verfolgung einer beim Polizeipräsi-
dium Berlin erstatteten Anzeige sind eigen-
artige, an die mittelalterliche Justiz er-
innernde Zustände bei der Berliner Gau-
leitung der nationalsozialistischen deutschen
Arbeiterpartei aufgedeckt worden. So hatte
die Gauleitung einen

Sonderdienst zur Bearbeitung von
Verfehlungen

eingerichtet, die innerhalb der Partei durch
Parteiangehörige begangen wurden, und
für diesen Dienst u. a. einen ehemaligen Kri-
minalbeamten Löffner aufgenommen, der
wegen Körperverletzung und Freiheitsberau-
bung aus dem Dienst entlassen worden war.
Löffner hat nun gemeinsam mit dem Kas-
sierer der N.S.D.A.P. am 9. dieses Monats
einen wegen geringfügiger Unterschlagungen
von der Partei verfolgten 18jährigen Men-
schen auf der Straße festgenommen, mit
einem Kraftwagen zum Gaubüro der
N.S.D.A.P. transportiert und dort bis zum
nächsten Morgen unter Bewachung festge-
halten.

Der mit der Bewachung beaustragte
Nationalfozialist lud vor den Augen des
Festgenommenen eine Piftole.

Später hielten sich in dem Zimmer andere
Nationalsozialisten auf, um eine Flucht zu
verhindern. Am nächsten Morgen nahm
[Spaltenumbruch] Löffner zwei Protokolle mit dem "Beschul-
digten" in der bei der Polizei üblichen Form
auf und übergab sie seinem Gauführer, dem
Abgeordneten Dr. Göbbels. Dieser machte
den jungen Mann in Gegenwart seines Pri-
vatsekretärs und Geschäftsführer Wilke Vor-
haltungen und verpflichtete ihn zur Ver-
schwiegenheit. Dann erst durfte der Fest-
genommene das Büro verlassen. Die Poli-
zei nahm in dem Wohnraum, der dem mit
der Ueberwachung betraut gewesenen Na-
tionalsozialisten von der N.S.D.A.P. zur
Verfügung gestellt worden ist, eine Durch-
suchung vor, bei der zwei geladene Mehr-
ladepistolen beschlagnahmt und ebenso die
Durchschläge der mit dem jungen Mann
aufgenommenen Protokolle sichergestellt
wurden.

Gegen sämtliche beteiligten Personen ist ein

Verfahren wegen Amtsanmaßung, Frei-
heitsberaubung, Nötigung und Bedro-
hung bzw. Beihilfe eingeleitet

worden. Auch sind alle Beteiligten mit
Ausnahme des durch seine Immunität ge-
schützten Abgeordneten vorläufig festgenom-
men worden. Sie werden dem Verneh-
mungsrichter zugeführt werden.



Verwegener Raubüberfall in Neuyork.

In der vornehmen Parkavenue wurde gestern
vormittag ein verwegener Raubüberfall auf ein
Juweliergeschäft ausgeführt. Fünf bewaffnete
junge Burschen drangen in das Geschäft ein, ent-
waffneten den Privatdetektiv des Geschäftes, kne-
belten die übrigen fünf Personen, die sich im La-
den befanden und sperrten sie in einem Hinter-
raum ein. Sodann plünderten sie den Laden, nah-
men Schmucksachen, und zwar hauptsächlich Dia-
manten im Werte von 200 000 Dollar an sich und
entkamen. Mehrere Solitäre im Werte von
500 000 Dollar hatten die Banditen in der Eile
übersehen.

Seite 2 „AZ am Abend“ Nr. 15 Freitag, den 18. Januar


Sozialdebatte im Landtag
Soziale Fürſorge und Schmarotzertum

Die Redner der Parteien * Tumult auf der Tribüne

[Spaltenumbruch]

Die Ausſprache eröffnete Abg. Konrad
(B. Vpt.). Eingehend befaßte ſich Redner
mit Lohnfragen und bezeichnete den Spruch
des Reichsinnenminiſters Severing im letz-
ten Ruhrkampf als ſchwere Enttäuſchung
für die Arbeiterſchaft. Willkürliche Preis-
bildungen einſeitiger Intereſſentengruppen
brächten viel größere Gefahren als ſie je-
mals durch die Lohnpolitik auch unter ſtärk-
ſter Förderung des Staates erwachſen kön-
nen.

Der Sozialdemokrat Timm beſchäftigte
ſich mit den Ausführungen des Miniſter-
präſidenten bei der Behandlung des Han-
delsetats zur Sozialpolitik. Er vermißt
darin das notwendige ſoziale Verſtändnis,
insbeſondere in den Bemerkungen des Mi-
niſterpräſidenten über die ſozialen Laſten.
In der Bemerkung des Miniſter-
präſidenten, wo Opfer gebracht werden
müſſen, dann müſſen ſie alle miteinander
bringen, ſei der Vorwurf zu erblicken, als
ob die Arbeiter keine Opfer brächten. Das
müſſe auf das ſchärfſte zurückgewieſen wer-
den, da die Arbeiter die ſchwerſten Opfer
bringen würden. Während ihnen bei der
Lohnzahlung jeder Pfennig abgezogen
würde, blieben leiſtungsfähige Schichten mit
Hunderten, ja Tauſenden von Steuern rück-
ſtändig.

Zu Beginn der

Donnerstag-Nachmittagsſitzung hatte
der Bayeriſche Bauernbund als Redner den
Abg. Wartner herausgeſtellt, der gegen-
über dem ſozialdemokratiſchen Vorwurf,
Staatsminiſter Fehr habe auch nicht ein-
mal Ausſchußſitzungen beigewohnt, in denen
Fragen der Abteilung Arbeit erörtert
wurden, erklärte, Dr. Fehr ſei deswegen
nicht erſchienen, um die beſondere Stellung
des Staatsſekretärs Oswald zum Ausdruck
zu bringen, die doch auch von den Sozial-
demokraten verlangt werde. Redner wandte
ſich gegen die Ueberſpannung der ſozialen
Verſicherungsgeſetzgebung, die unerträglich
ſei. Die Arbeitsloſenverſicherung habe zur
Steigerung der Landflucht beigetragen. Der
Deutſchnationale Frühwald betonte eben-
falls die Unmöglichkeit für weitere Kreiſe
der Bevölkerung, die immer mehr anſchwel-
lenden Koſten für die Sozialverſicherung im
allgemeinen und die Erwerbsloſenfürſorge
im beſonderen zu tragen, wenn auch die er-
werbsloſen Arbeitswilligen zweifellos An-
ſpruch auf Hilfe hätten. Abg. Grimm
(Natſoz.) ſetzte ſich in der Hauptſache mit
den Sozialdemokraten auseinander und
kritiſierte die Reparationspolitik. Die Be-
ſteuerung der Banken und des Börſenver-
kehrs eröffneten neue ausgiebige Steuer-
quellen. Abg. Büchs (Komm.) polemi-
ſierte gegen die Vertreter der bürgerlichen
Parteien wegen ihrer Kritik an der Ar-
beitsloſenverſicherung, und erhob dann
ſcharfe Angriffe auf die Sozialpolitik in
Bayern. Eine Aenderung der ſozialen Ver-
hältniſſe könne nur durch den Sturz der
kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsordnung herbeige-
führt werden.

Namens der Deutſchen Volkspartei gab
Abg. Bayer bei den Erörterungen zum
Sozialetat eine Erklärung ab, der wir ent-
nehmen:

Seitdem der Krieg, der Umſturz
und der Zuſammenbruch unſerer Währung
einen großen Teil des deutſchen Volkes in
Verarmung, Krankheit und Arbeitsloſig-
gebracht haben, ſind die ſozialen Fürſorge-
pflichten der öffentlichen Körperſchaften ge-
wachſen. Die ſoziale Fürſorge darf aber
nicht zur Plage werden und muß vor Ueber-
treibungen und Mißbrauch geſchützt wer-
den, ſonſt vermehrt ſich das Schmarotzertum
und der ehrlich ſchaffende Menſch leidet dar-
unter und kommt in Nachteil. Die ſoziale
Fürſorge darf aber nicht zur drückenden
Belaſtung der deutſchen Wirtſchaft werden
und darf nicht dort Verantwortlichkeiten
wegnehmen, wo der Grundſatz gelten muß,
„ſelbſt iſt der Mann“.

Die Hauszinsſteuerbeträge
müſſen ſo verwendet werden, daß ſie mit-
wirken an dem Abbau der Wohnungs-
zwangswirtſchaft. Das Eigenkapital
muß einen Anſporn zur Bautätigkeit er-
halten. Deswegen müſſen Bauzuſchüſſe
auch den Privaten mit größerem Eigen-
kapital gegeben werden.

Beim Schlichtungsweſen iſt jede
einſeitige Haltung fernzuhalten. Ich bin für
weitgehenden perſönlichen Schutz des Arbei-
ters im Betrieb. Doch darf die Gewerbe-
aufſicht in dem Unternehmer nicht einen
[Spaltenumbruch] Feind ſehen, ſondern muß deren Rechte und
wirtſchaftliche Lage berückſichtigen.

Bei der produktiven Erwerbsloſenfür-
ſorge bedauern wir, daß Bayern nicht in
der Lage iſt, nennenswerte Beträge aufzu-
weiſen, ſo daß der bayeriſchen Arbeiterſchaft
und der bayeriſchen Wirtſchaft Millionen
verloren gehen, die anderen Ländern aus
Reichsmitteln zur Verfügung ſtehen, weil
dieſe in ihrem Haushalt dafür Mittel aus-
geworfen haben.

Zum Schluſſe gebe ich dem Bedauern
Ausdruck, daß es in Bayern nicht möglich
war, für die Fragen des Unternehmertums
wie der Arbeitnehmer ein einheitliches ein-
ziges Wirtſchaftsminiſterium zu ſchaffen.
Die Abteilung Handel vom Miniſterium des
Aeußern ſoll der bayeriſchen Wirtſchaft
Aufträge zukommen ſaſſen, das Sozialmini-
ſterium hingegen verfügt über das Geld.
Ich habe auch den Eindruck, als ob durch
die Stellung des Staatsſekretärs für Arbeit,
überhaupt durch die bisherigen ſogenannten
Vereinfachungsmaßnahmen in der Eintei-
lung der Miniſterien nur eine Erſchwe-
rung des Verkehrs
zwiſchen dem
früheren Landwirtſchaftsminiſterium und
dem früheren Sozialminiſterium eingetreten
iſt.

[irrelevantes Material]
Erwerbsloſe im Landtag
Räumung der Tribüne

In der geſtrigen Sitzung des Landtages
mit ihrer Debatte über die ſozialen Fragen
hatten ſich zahlreiche Erwerbsloſe kommu-
niſtiſcher Richtung eingefunden, auf die der
Abg. Büchs ſeine agitatoriſchen Ausführun-
gen einſtellte. Die Tribünenbeſucher klatſch-
ten wiederholt Beifall, was den Vizepräſi-
denten Hartmann veranlaßte, die Räu-
mung der Tribüne anzudrohen. Als nach
dem Schluß der Rede Büchs der Beifall ſich
wiederholte, hob Präſident Dr. Königbauer
die Sitzung auf 10 Minuten auf und gab
der Polizei Weiſung, die Demonſtranten aus
dem Saal zu führen und ihre Perſonalien
feſtzuſtellen. Da dies nicht möglich war,
veranlaßte der Präſident nach Wiederauf-
nahme der Sitzung die völlige Räumung der
Tribünen, die dann durch Kriminalbeamte
vorgenommen wurde und ohne Zwiſchenfall
verlief.

Büchs kündigte übrigens an, daß er am
Freitag als Führer einer Deputation von
Erwerbsloſen bei den einzelnen Fraktionen
vorſprechen und dieſen Gelegenheit geben
wolle, ihre Kritik an der Arbeitsloſenver-
ſicherung gegenüber den Erwerbsloſen un-
mittelbar zu vertreten.



Reichsratsbeſchlüſſe

Leſſing-Silbermünzen


Gegen die Stimmen von Bayern, Würt-
temberg und Weſtfalen nahm der Reichsrat
den Entwurf eines Arbeitsſchutzge-
ſetzes
an. Die Vertreter Bayerns und
Württembergs erklärten ſich gegen die Vor-
lage, namentlich wegen der Eingriffe in die
Landeshoheit. Ferner genehmigte der
Reichsrat ein Geſetz über die Enteignung
von Grundbeſitz in Schleſien zur Anlage
eines Staubeckens bei Ottmachau.

Der Reichsrat erklärte ſich auch damit ein-
verſtanden, daß gelegentlich des 200jährigen
Geburtstages Leſſings Reichsſilber-
münzen als Gedenkmünzen
aus-
geprägt werden mit dem Kopf Leſſings.
Endlich wurde ein Geſetzentwurf angenom-
men, der bezweckt, die übergroße Zahl der
Wartegeldsempfänger herabzuſetzen, evtl.
auch die Zahl der Zwangspenſionen.

[irrelevantes Material] [Spaltenumbruch]
Reichskabinett
billigt Hilferdings Vorſchläge

Der Reichshaushalt vom Kabinett verabſchiedet * Nur kleinere Abänderungen

[Spaltenumbruch]

Das Reichskabinett verabſchiedete den
Reichshaushalt und die ſeine Deckung be-
treffenden Vorlagen. Er wird unverzüglich
dem Reichsrat bzw. dem Reichswirtſchaftrat
zugeleitet werden.

Dazu berichten die Blätter:

Nachdem im Reichskabinett die Beratun-
gen zu Ende geführt worden ſind, werden
vorausſichtlich heute offizielle Mitteilungen
über die Einzelheiten des Haushaltsplanes
folgen. Das Ergebnis der Beratungen iſt
durchaus im Sinne einer grundfätz-
lichen Billigung der Hilferdingſchen
Vorſchläge

zuſtandegekommen. Man hat ſich bei den
einzelnen Etatpoſitionen auf kleinere Ab-
[Spaltenumbruch] änderungen beſchränkt, während dem Haus-
haltsvoranſchlag in ſeiner Geſamtheit in
allen weſentlichen Punkten zugeſtimmt
wurde.

Die lange Dauer der Kabinettsberatungen
erklärt ſich daraus, daß

die einzelnen Reſſortminiſter mit großer
Energie die Forderungen ihres Etats
durchzuſetzen vermochten.

In der letzten Sitzung wurden ſchließlich
Fragen grundſätzlicher Natur erörtert, die
ſich auf die Etatgebarung im allgemeinen
erſtreckten. Neben den geringfügigen Aende-
rungen im Etat ſelbſt hat das Kabinett auch
einige Beſchlüſſe gefaßt. Dieſen Entſchließun-
gen kommt aber im weſentlichen nur for-
male Bedeutung zu.



Bund zur Erneuerung des Reiches
Jahresmitgliederverſammlung und Feſtabend
[Spaltenumbruch]

In der geſtrigen erſten
Jahresmitgliederverſammlung des Bundes zur
Erneuerung des Reiches wurde einſtimmig
eine Entſchließung angenommen,

in der es heißt, daß der Bund für eine

Gefamtlöſung der Reichsreform

eintritt, die ſowohl Norddeutſchland wie Süd-
deutſchland umfaßt, jedoch der geſchichtlichen Ent-
wicklung in den verſchiedenen Reichsteilen und
dem Beſtehenden, das lebenskräftig iſt, Rechnung
trägt. Damit, ſo heißt es, ſtehe der Bund auf
der Seite der ſogenannten „differenzierenden
Endlöſung“. Zum Schluß wird betont, daß der
Bund ſeine Arbeit fortſetzt und ſich den politiſch
verantwortlichen Stellen zur Verfügung ſtellt.

Bei dem ſich anſchließenden

Feſtabend

begrüßte der Vorſitzende des Bundes, der frühere
Reichskanzler Dr. Luther, die Erſchienenen.
An Stelle des plötzlich erkrankten Grafen von
Riedern ſprach der Geſchäftsführer des Bundes,
Oberregierungsrat a. D. Adametz, an Hand
des Manuſkripts des Grafen von Riedern über
die Probleme der Reichsreform. Er ging zu-
nächſt noch einmal auf die Bundesſchrift „Reich
und Länder“ ein und wandte ſich dann den
Haupteinwänden gegen die Vorſchläge des Bun-
des zu, die man in die Schlagworte „Zwiſchen-
löſung, Mainlinie und Zerſchlagung Preußens“
zuſammenfaſſen könne. Er betonte dabei, daß es
in keiner Verfaſſungs- und Verwaltungsfrage
eine politiſche Endlöſung geben könne. Gegen-
über dem Haupteinwand einer neuen Belebung
der Mainlinie durch den Vorſchlag des Bundes
wies der Vortragende darauf hin, daß dieſer

[Spaltenumbruch]

nichts enthalte, was gegenüber dem heutigen
Zuſtand den Süden ſtärker vom Norden
trenne.

Hingegen ſehe er eine bedenkliche Wolke zwi-
ſchen dem Norden und Süden heraufziehen, wenn
man die kleinen und leiſtungsſchwachen Länder
zum mehr oder weniger freiwilligen Anſchluß
an Preußen nötige und dieſem Großpreußen
ohne jede organiſche Verbindung mit dem Reich
dann nur noch Sachſen, Bayern, Württemberg
und Baden gegenüberſtänden, die im Reichsrat
mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit Großpreußen
überſtimmen würden. Daß der Uebergang der
Staatsgewalt Preußens in die Hände des Reiches
keine Zerſchlagung Preußens bedeute, ſei ja ſchon
in der Denkſchrift begründet.

In der darauffolgenden

Debatte

beteiligte ſich u. a. Landesrat Kitz - Düſſeldorf,
der vor allem darauf hinwies, daß man die Ver-
waltungsreform niemals von der Verfaſſungs-
reform trennen könne. Weiter ſprach Freiherr
von Wilmowſky als Vertreter der Land-
wirtſchaft.

Ferner ſprach noch der frühere bayeriſche
Miniſter Schweyer, der, obwohl er betonte,
gegenüber der Bundesdenkſchrift einige Vorbe-
halte erheben zu müſſen, dennoch

die Arbeit des Bundes gerade als Süd-
deutſcher lebhaft begrüßte,

und der Hamburger Bürgermeiſter Dr. Peter-
ſen,
der ſich entſprechend ſeiner bisherigen Hal-
tung noch einmal ganz beſonders für die Arbei-
ten des Bundes einſetzte.



Die eigene Polizei der Nationalſozialiſten

Verfehlungen von Parteiangehörigen finden beſondere Behandlung

[Spaltenumbruch]

Bei Verfolgung einer beim Polizeipräſi-
dium Berlin erſtatteten Anzeige ſind eigen-
artige, an die mittelalterliche Juſtiz er-
innernde Zuſtände bei der Berliner Gau-
leitung der nationalſozialiſtiſchen deutſchen
Arbeiterpartei aufgedeckt worden. So hatte
die Gauleitung einen

Sonderdienſt zur Bearbeitung von
Verfehlungen

eingerichtet, die innerhalb der Partei durch
Parteiangehörige begangen wurden, und
für dieſen Dienſt u. a. einen ehemaligen Kri-
minalbeamten Löffner aufgenommen, der
wegen Körperverletzung und Freiheitsberau-
bung aus dem Dienſt entlaſſen worden war.
Löffner hat nun gemeinſam mit dem Kaſ-
ſierer der N.S.D.A.P. am 9. dieſes Monats
einen wegen geringfügiger Unterſchlagungen
von der Partei verfolgten 18jährigen Men-
ſchen auf der Straße feſtgenommen, mit
einem Kraftwagen zum Gaubüro der
N.S.D.A.P. transportiert und dort bis zum
nächſten Morgen unter Bewachung feſtge-
halten.

Der mit der Bewachung beauſtragte
Nationalfozialiſt lud vor den Augen des
Feſtgenommenen eine Piftole.

Später hielten ſich in dem Zimmer andere
Nationalſozialiſten auf, um eine Flucht zu
verhindern. Am nächſten Morgen nahm
[Spaltenumbruch] Löffner zwei Protokolle mit dem „Beſchul-
digten“ in der bei der Polizei üblichen Form
auf und übergab ſie ſeinem Gauführer, dem
Abgeordneten Dr. Göbbels. Dieſer machte
den jungen Mann in Gegenwart ſeines Pri-
vatſekretärs und Geſchäftsführer Wilke Vor-
haltungen und verpflichtete ihn zur Ver-
ſchwiegenheit. Dann erſt durfte der Feſt-
genommene das Büro verlaſſen. Die Poli-
zei nahm in dem Wohnraum, der dem mit
der Ueberwachung betraut geweſenen Na-
tionalſozialiſten von der N.S.D.A.P. zur
Verfügung geſtellt worden iſt, eine Durch-
ſuchung vor, bei der zwei geladene Mehr-
ladepiſtolen beſchlagnahmt und ebenſo die
Durchſchläge der mit dem jungen Mann
aufgenommenen Protokolle ſichergeſtellt
wurden.

Gegen ſämtliche beteiligten Perſonen iſt ein

Verfahren wegen Amtsanmaßung, Frei-
heitsberaubung, Nötigung und Bedro-
hung bzw. Beihilfe eingeleitet

worden. Auch ſind alle Beteiligten mit
Ausnahme des durch ſeine Immunität ge-
ſchützten Abgeordneten vorläufig feſtgenom-
men worden. Sie werden dem Verneh-
mungsrichter zugeführt werden.



Verwegener Raubüberfall in Neuyork.

In der vornehmen Parkavenue wurde geſtern
vormittag ein verwegener Raubüberfall auf ein
Juweliergeſchäft ausgeführt. Fünf bewaffnete
junge Burſchen drangen in das Geſchäft ein, ent-
waffneten den Privatdetektiv des Geſchäftes, kne-
belten die übrigen fünf Perſonen, die ſich im La-
den befanden und ſperrten ſie in einem Hinter-
raum ein. Sodann plünderten ſie den Laden, nah-
men Schmuckſachen, und zwar hauptſächlich Dia-
manten im Werte von 200 000 Dollar an ſich und
entkamen. Mehrere Solitäre im Werte von
500 000 Dollar hatten die Banditen in der Eile
überſehen.

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[2/0002] Seite 2 „AZ am Abend“ Nr. 15 Freitag, den 18. Januar Sozialdebatte im Landtag Soziale Fürſorge und Schmarotzertum Die Redner der Parteien * Tumult auf der Tribüne München, 18. Januar. Die Ausſprache eröffnete Abg. Konrad (B. Vpt.). Eingehend befaßte ſich Redner mit Lohnfragen und bezeichnete den Spruch des Reichsinnenminiſters Severing im letz- ten Ruhrkampf als ſchwere Enttäuſchung für die Arbeiterſchaft. Willkürliche Preis- bildungen einſeitiger Intereſſentengruppen brächten viel größere Gefahren als ſie je- mals durch die Lohnpolitik auch unter ſtärk- ſter Förderung des Staates erwachſen kön- nen. Der Sozialdemokrat Timm beſchäftigte ſich mit den Ausführungen des Miniſter- präſidenten bei der Behandlung des Han- delsetats zur Sozialpolitik. Er vermißt darin das notwendige ſoziale Verſtändnis, insbeſondere in den Bemerkungen des Mi- niſterpräſidenten über die ſozialen Laſten. In der Bemerkung des Miniſter- präſidenten, wo Opfer gebracht werden müſſen, dann müſſen ſie alle miteinander bringen, ſei der Vorwurf zu erblicken, als ob die Arbeiter keine Opfer brächten. Das müſſe auf das ſchärfſte zurückgewieſen wer- den, da die Arbeiter die ſchwerſten Opfer bringen würden. Während ihnen bei der Lohnzahlung jeder Pfennig abgezogen würde, blieben leiſtungsfähige Schichten mit Hunderten, ja Tauſenden von Steuern rück- ſtändig. Zu Beginn der Donnerstag-Nachmittagsſitzung hatte der Bayeriſche Bauernbund als Redner den Abg. Wartner herausgeſtellt, der gegen- über dem ſozialdemokratiſchen Vorwurf, Staatsminiſter Fehr habe auch nicht ein- mal Ausſchußſitzungen beigewohnt, in denen Fragen der Abteilung Arbeit erörtert wurden, erklärte, Dr. Fehr ſei deswegen nicht erſchienen, um die beſondere Stellung des Staatsſekretärs Oswald zum Ausdruck zu bringen, die doch auch von den Sozial- demokraten verlangt werde. Redner wandte ſich gegen die Ueberſpannung der ſozialen Verſicherungsgeſetzgebung, die unerträglich ſei. Die Arbeitsloſenverſicherung habe zur Steigerung der Landflucht beigetragen. Der Deutſchnationale Frühwald betonte eben- falls die Unmöglichkeit für weitere Kreiſe der Bevölkerung, die immer mehr anſchwel- lenden Koſten für die Sozialverſicherung im allgemeinen und die Erwerbsloſenfürſorge im beſonderen zu tragen, wenn auch die er- werbsloſen Arbeitswilligen zweifellos An- ſpruch auf Hilfe hätten. Abg. Grimm (Natſoz.) ſetzte ſich in der Hauptſache mit den Sozialdemokraten auseinander und kritiſierte die Reparationspolitik. Die Be- ſteuerung der Banken und des Börſenver- kehrs eröffneten neue ausgiebige Steuer- quellen. Abg. Büchs (Komm.) polemi- ſierte gegen die Vertreter der bürgerlichen Parteien wegen ihrer Kritik an der Ar- beitsloſenverſicherung, und erhob dann ſcharfe Angriffe auf die Sozialpolitik in Bayern. Eine Aenderung der ſozialen Ver- hältniſſe könne nur durch den Sturz der kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsordnung herbeige- führt werden. Namens der Deutſchen Volkspartei gab Abg. Bayer bei den Erörterungen zum Sozialetat eine Erklärung ab, der wir ent- nehmen: Seitdem der Krieg, der Umſturz und der Zuſammenbruch unſerer Währung einen großen Teil des deutſchen Volkes in Verarmung, Krankheit und Arbeitsloſig- gebracht haben, ſind die ſozialen Fürſorge- pflichten der öffentlichen Körperſchaften ge- wachſen. Die ſoziale Fürſorge darf aber nicht zur Plage werden und muß vor Ueber- treibungen und Mißbrauch geſchützt wer- den, ſonſt vermehrt ſich das Schmarotzertum und der ehrlich ſchaffende Menſch leidet dar- unter und kommt in Nachteil. Die ſoziale Fürſorge darf aber nicht zur drückenden Belaſtung der deutſchen Wirtſchaft werden und darf nicht dort Verantwortlichkeiten wegnehmen, wo der Grundſatz gelten muß, „ſelbſt iſt der Mann“. Die Hauszinsſteuerbeträge müſſen ſo verwendet werden, daß ſie mit- wirken an dem Abbau der Wohnungs- zwangswirtſchaft. Das Eigenkapital muß einen Anſporn zur Bautätigkeit er- halten. Deswegen müſſen Bauzuſchüſſe auch den Privaten mit größerem Eigen- kapital gegeben werden. Beim Schlichtungsweſen iſt jede einſeitige Haltung fernzuhalten. Ich bin für weitgehenden perſönlichen Schutz des Arbei- ters im Betrieb. Doch darf die Gewerbe- aufſicht in dem Unternehmer nicht einen Feind ſehen, ſondern muß deren Rechte und wirtſchaftliche Lage berückſichtigen. Bei der produktiven Erwerbsloſenfür- ſorge bedauern wir, daß Bayern nicht in der Lage iſt, nennenswerte Beträge aufzu- weiſen, ſo daß der bayeriſchen Arbeiterſchaft und der bayeriſchen Wirtſchaft Millionen verloren gehen, die anderen Ländern aus Reichsmitteln zur Verfügung ſtehen, weil dieſe in ihrem Haushalt dafür Mittel aus- geworfen haben. Zum Schluſſe gebe ich dem Bedauern Ausdruck, daß es in Bayern nicht möglich war, für die Fragen des Unternehmertums wie der Arbeitnehmer ein einheitliches ein- ziges Wirtſchaftsminiſterium zu ſchaffen. Die Abteilung Handel vom Miniſterium des Aeußern ſoll der bayeriſchen Wirtſchaft Aufträge zukommen ſaſſen, das Sozialmini- ſterium hingegen verfügt über das Geld. Ich habe auch den Eindruck, als ob durch die Stellung des Staatsſekretärs für Arbeit, überhaupt durch die bisherigen ſogenannten Vereinfachungsmaßnahmen in der Eintei- lung der Miniſterien nur eine Erſchwe- rung des Verkehrs zwiſchen dem früheren Landwirtſchaftsminiſterium und dem früheren Sozialminiſterium eingetreten iſt. _ Erwerbsloſe im Landtag Räumung der Tribüne München, 18. Januar. In der geſtrigen Sitzung des Landtages mit ihrer Debatte über die ſozialen Fragen hatten ſich zahlreiche Erwerbsloſe kommu- niſtiſcher Richtung eingefunden, auf die der Abg. Büchs ſeine agitatoriſchen Ausführun- gen einſtellte. Die Tribünenbeſucher klatſch- ten wiederholt Beifall, was den Vizepräſi- denten Hartmann veranlaßte, die Räu- mung der Tribüne anzudrohen. Als nach dem Schluß der Rede Büchs der Beifall ſich wiederholte, hob Präſident Dr. Königbauer die Sitzung auf 10 Minuten auf und gab der Polizei Weiſung, die Demonſtranten aus dem Saal zu führen und ihre Perſonalien feſtzuſtellen. Da dies nicht möglich war, veranlaßte der Präſident nach Wiederauf- nahme der Sitzung die völlige Räumung der Tribünen, die dann durch Kriminalbeamte vorgenommen wurde und ohne Zwiſchenfall verlief. Büchs kündigte übrigens an, daß er am Freitag als Führer einer Deputation von Erwerbsloſen bei den einzelnen Fraktionen vorſprechen und dieſen Gelegenheit geben wolle, ihre Kritik an der Arbeitsloſenver- ſicherung gegenüber den Erwerbsloſen un- mittelbar zu vertreten. Reichsratsbeſchlüſſe Leſſing-Silbermünzen Berlin, 18. Januar. Gegen die Stimmen von Bayern, Würt- temberg und Weſtfalen nahm der Reichsrat den Entwurf eines Arbeitsſchutzge- ſetzes an. Die Vertreter Bayerns und Württembergs erklärten ſich gegen die Vor- lage, namentlich wegen der Eingriffe in die Landeshoheit. Ferner genehmigte der Reichsrat ein Geſetz über die Enteignung von Grundbeſitz in Schleſien zur Anlage eines Staubeckens bei Ottmachau. Der Reichsrat erklärte ſich auch damit ein- verſtanden, daß gelegentlich des 200jährigen Geburtstages Leſſings Reichsſilber- münzen als Gedenkmünzen aus- geprägt werden mit dem Kopf Leſſings. Endlich wurde ein Geſetzentwurf angenom- men, der bezweckt, die übergroße Zahl der Wartegeldsempfänger herabzuſetzen, evtl. auch die Zahl der Zwangspenſionen. _ Reichskabinett billigt Hilferdings Vorſchläge Der Reichshaushalt vom Kabinett verabſchiedet * Nur kleinere Abänderungen Berlin, 18. Januar. Das Reichskabinett verabſchiedete den Reichshaushalt und die ſeine Deckung be- treffenden Vorlagen. Er wird unverzüglich dem Reichsrat bzw. dem Reichswirtſchaftrat zugeleitet werden. Dazu berichten die Blätter: Nachdem im Reichskabinett die Beratun- gen zu Ende geführt worden ſind, werden vorausſichtlich heute offizielle Mitteilungen über die Einzelheiten des Haushaltsplanes folgen. Das Ergebnis der Beratungen iſt durchaus im Sinne einer grundfätz- lichen Billigung der Hilferdingſchen Vorſchläge zuſtandegekommen. Man hat ſich bei den einzelnen Etatpoſitionen auf kleinere Ab- änderungen beſchränkt, während dem Haus- haltsvoranſchlag in ſeiner Geſamtheit in allen weſentlichen Punkten zugeſtimmt wurde. Die lange Dauer der Kabinettsberatungen erklärt ſich daraus, daß die einzelnen Reſſortminiſter mit großer Energie die Forderungen ihres Etats durchzuſetzen vermochten. In der letzten Sitzung wurden ſchließlich Fragen grundſätzlicher Natur erörtert, die ſich auf die Etatgebarung im allgemeinen erſtreckten. Neben den geringfügigen Aende- rungen im Etat ſelbſt hat das Kabinett auch einige Beſchlüſſe gefaßt. Dieſen Entſchließun- gen kommt aber im weſentlichen nur for- male Bedeutung zu. Bund zur Erneuerung des Reiches Jahresmitgliederverſammlung und Feſtabend Berlin, 18. Januar. In der geſtrigen erſten Jahresmitgliederverſammlung des Bundes zur Erneuerung des Reiches wurde einſtimmig eine Entſchließung angenommen, in der es heißt, daß der Bund für eine Gefamtlöſung der Reichsreform eintritt, die ſowohl Norddeutſchland wie Süd- deutſchland umfaßt, jedoch der geſchichtlichen Ent- wicklung in den verſchiedenen Reichsteilen und dem Beſtehenden, das lebenskräftig iſt, Rechnung trägt. Damit, ſo heißt es, ſtehe der Bund auf der Seite der ſogenannten „differenzierenden Endlöſung“. Zum Schluß wird betont, daß der Bund ſeine Arbeit fortſetzt und ſich den politiſch verantwortlichen Stellen zur Verfügung ſtellt. Bei dem ſich anſchließenden Feſtabend begrüßte der Vorſitzende des Bundes, der frühere Reichskanzler Dr. Luther, die Erſchienenen. An Stelle des plötzlich erkrankten Grafen von Riedern ſprach der Geſchäftsführer des Bundes, Oberregierungsrat a. D. Adametz, an Hand des Manuſkripts des Grafen von Riedern über die Probleme der Reichsreform. Er ging zu- nächſt noch einmal auf die Bundesſchrift „Reich und Länder“ ein und wandte ſich dann den Haupteinwänden gegen die Vorſchläge des Bun- des zu, die man in die Schlagworte „Zwiſchen- löſung, Mainlinie und Zerſchlagung Preußens“ zuſammenfaſſen könne. Er betonte dabei, daß es in keiner Verfaſſungs- und Verwaltungsfrage eine politiſche Endlöſung geben könne. Gegen- über dem Haupteinwand einer neuen Belebung der Mainlinie durch den Vorſchlag des Bundes wies der Vortragende darauf hin, daß dieſer nichts enthalte, was gegenüber dem heutigen Zuſtand den Süden ſtärker vom Norden trenne. Hingegen ſehe er eine bedenkliche Wolke zwi- ſchen dem Norden und Süden heraufziehen, wenn man die kleinen und leiſtungsſchwachen Länder zum mehr oder weniger freiwilligen Anſchluß an Preußen nötige und dieſem Großpreußen ohne jede organiſche Verbindung mit dem Reich dann nur noch Sachſen, Bayern, Württemberg und Baden gegenüberſtänden, die im Reichsrat mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit Großpreußen überſtimmen würden. Daß der Uebergang der Staatsgewalt Preußens in die Hände des Reiches keine Zerſchlagung Preußens bedeute, ſei ja ſchon in der Denkſchrift begründet. In der darauffolgenden Debatte beteiligte ſich u. a. Landesrat Kitz - Düſſeldorf, der vor allem darauf hinwies, daß man die Ver- waltungsreform niemals von der Verfaſſungs- reform trennen könne. Weiter ſprach Freiherr von Wilmowſky als Vertreter der Land- wirtſchaft. Ferner ſprach noch der frühere bayeriſche Miniſter Schweyer, der, obwohl er betonte, gegenüber der Bundesdenkſchrift einige Vorbe- halte erheben zu müſſen, dennoch die Arbeit des Bundes gerade als Süd- deutſcher lebhaft begrüßte, und der Hamburger Bürgermeiſter Dr. Peter- ſen, der ſich entſprechend ſeiner bisherigen Hal- tung noch einmal ganz beſonders für die Arbei- ten des Bundes einſetzte. Die eigene Polizei der Nationalſozialiſten Verfehlungen von Parteiangehörigen finden beſondere Behandlung Berlin, 18. Januar. Bei Verfolgung einer beim Polizeipräſi- dium Berlin erſtatteten Anzeige ſind eigen- artige, an die mittelalterliche Juſtiz er- innernde Zuſtände bei der Berliner Gau- leitung der nationalſozialiſtiſchen deutſchen Arbeiterpartei aufgedeckt worden. So hatte die Gauleitung einen Sonderdienſt zur Bearbeitung von Verfehlungen eingerichtet, die innerhalb der Partei durch Parteiangehörige begangen wurden, und für dieſen Dienſt u. a. einen ehemaligen Kri- minalbeamten Löffner aufgenommen, der wegen Körperverletzung und Freiheitsberau- bung aus dem Dienſt entlaſſen worden war. Löffner hat nun gemeinſam mit dem Kaſ- ſierer der N.S.D.A.P. am 9. dieſes Monats einen wegen geringfügiger Unterſchlagungen von der Partei verfolgten 18jährigen Men- ſchen auf der Straße feſtgenommen, mit einem Kraftwagen zum Gaubüro der N.S.D.A.P. transportiert und dort bis zum nächſten Morgen unter Bewachung feſtge- halten. Der mit der Bewachung beauſtragte Nationalfozialiſt lud vor den Augen des Feſtgenommenen eine Piftole. Später hielten ſich in dem Zimmer andere Nationalſozialiſten auf, um eine Flucht zu verhindern. Am nächſten Morgen nahm Löffner zwei Protokolle mit dem „Beſchul- digten“ in der bei der Polizei üblichen Form auf und übergab ſie ſeinem Gauführer, dem Abgeordneten Dr. Göbbels. Dieſer machte den jungen Mann in Gegenwart ſeines Pri- vatſekretärs und Geſchäftsführer Wilke Vor- haltungen und verpflichtete ihn zur Ver- ſchwiegenheit. Dann erſt durfte der Feſt- genommene das Büro verlaſſen. Die Poli- zei nahm in dem Wohnraum, der dem mit der Ueberwachung betraut geweſenen Na- tionalſozialiſten von der N.S.D.A.P. zur Verfügung geſtellt worden iſt, eine Durch- ſuchung vor, bei der zwei geladene Mehr- ladepiſtolen beſchlagnahmt und ebenſo die Durchſchläge der mit dem jungen Mann aufgenommenen Protokolle ſichergeſtellt wurden. Gegen ſämtliche beteiligten Perſonen iſt ein Verfahren wegen Amtsanmaßung, Frei- heitsberaubung, Nötigung und Bedro- hung bzw. Beihilfe eingeleitet worden. Auch ſind alle Beteiligten mit Ausnahme des durch ſeine Immunität ge- ſchützten Abgeordneten vorläufig feſtgenom- men worden. Sie werden dem Verneh- mungsrichter zugeführt werden. Verwegener Raubüberfall in Neuyork. In der vornehmen Parkavenue wurde geſtern vormittag ein verwegener Raubüberfall auf ein Juweliergeſchäft ausgeführt. Fünf bewaffnete junge Burſchen drangen in das Geſchäft ein, ent- waffneten den Privatdetektiv des Geſchäftes, kne- belten die übrigen fünf Perſonen, die ſich im La- den befanden und ſperrten ſie in einem Hinter- raum ein. Sodann plünderten ſie den Laden, nah- men Schmuckſachen, und zwar hauptſächlich Dia- manten im Werte von 200 000 Dollar an ſich und entkamen. Mehrere Solitäre im Werte von 500 000 Dollar hatten die Banditen in der Eile überſehen.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 18. Januar 1929, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine15_1929/2>, abgerufen am 31.10.2024.