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Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] zwischen der im südlichen Nachbarstaat seit kurzem geltenden Zuckergesetzgebung
und den vom Minister der Finanzen vorgeschlagenen Erschwerungen möchte
unter gegenwärtigen Zeitverhältnissen gar schlimme Wirkungen äußern. Jetzt
wo das Wort Annexion allabendlich in Familien und an öffentlichen Plätzen
das Gespräch bildet, ist mit Recht eine derartige Argumentirung für unan-
ständig und antipatriotisch erklärt worden. Die fragliche Petition, unter deren
Zeichnern sich übrigens die ehrenhaftesten Namen besinden, hat von allen
Seiten Protestationen hervorgerufen, daß im Hennegau so wenig als in irgend
einem Strich des Landes der Sinn für Nationalität durch irgendwelche ma-
terielle Rücksichten geschwächt sey. Das Contingent der Zuckerfabrication am
Communalfonds beläuft sich zwar nur auf 700,000 Fr., d. h. die bisherige
Staatsrevenue soll von 41/2 Millionen auf 5,200,000 Fr. gebracht werden;
aber es wird selbst von Freunden des Cabinets, namentlich Hrn. H.
de Brouckere, dem Project zum Vorwurf gemacht daß es so beiläufig die bis-
herige Oekonomie des Zuckergesetzes, namentlich die proportionelle Besteuerung
des Rohr- und Rübenzuckers abändere, was man hätte vermeiden sollen.
Bei diesen vielseitigen Detailsangriffen erhält, wie Sie sehen, Hr. Frere
einen harten Stand, aber es wird hoffentlich seiner Einsicht, seinem Tact und
seiner Energie gelingen die allgemein ersehnte Reform durchzusetzen. Wie
Sie sehen, haben sich die französischen Zeitungen schon wohlgefällig der oben
erwähnten Petition bemächtigt.

Italien.

Aus Palermo schreibt man der Köln. Ztg. über die schwierige und
gefährliche Lage der dort lebenden Deutschen. Es heißt dabei: "Angesichts
solcher Möglichkeiten, die man ja nicht als ängstliche Uebertreibungen auf
fassen möge, denn wir haben 1848 noch im Gedächtniß, haben die hier (Palermo)
lebenden Deutschen wohl gerechte Ursache bittend nach der Heimath zu schauen,
und zu fragen ob denn jetzt der Bundestag ... es wolle und könne uns
hier starke Hand zu leisten, und nur ein Zehntel von dem zu thun für ihre
Angehörigen, was gegenwärtig England und Frankreich und alle andern Ufer-
staaten durch die schützende Gegenwart ihrer Kriegsschiffe in Palermo und
hier schon gethan haben, und noch weiter zu thun bereit sind. Oesterreich hat
einige Dampfer hier; aber abgesehen davon daß man sagt: einer davon sey
nur zur etwaigen Aufnahme der königl. Familie bestimmt, würden sie alle zu-
sammen wohl schwerlich ausreichen die hier lebenden Deutschen aufzunehmen.
Wo bleibt Preußen und seine Marine in diesen Tagen der Gefahr? so fragen
wir uns alle. Allerdings wissen wir daß es in hochherziger Weise (!) für die
Interessen des deutschen Handels den größten Theil seiner jungen Flotte nach
Asien geschickt hat. Wir haben alle Ursache ihm das zu danken, und für sein
nationales Unternehmen Segen und gedeihlichen Erfolg zu hoffen, aber ist
denn auch nicht ein Dampfer auf der Rhede von Danzig oder Swinemünde
mehr übrig geblieben? Soll Preußens Flagge die einzige seyn die gegenwärtig
hier fehlt unter allen seefahrenden Nationen, sollen Preußens Unterthanen die
einzigen seyn welche keinen Schutz hier erwarten dürfen?

Aus Rom schreibt ein Correspondent der Times vom 30 Mai: alle
Bemühungen Lamoriciere's die päpstliche Armee auf eine vernünftige Weise
zu organisiren seyen bisher vergebens gewesen, und er werde nicht zum Ziel
gelangen. Seine Gründe für diese Ansicht sind in Kürze folgende: Der Kern
der päpstlichen Armee besteht aus etwa 4000 Gendarmen, die allerdings aus
den verworfensten Classen der Bevölkerung recrutirt wurden, aber eben weil
sie beim Volk verhaßt sind, ihrer Fahne unter allen Umständen treu bleiben
werden. Dann kommen die sogenannten Schweizer, d. h. aus der Fremde
recrutirte versprengte Leute, darunter allerdings viele Schweizer aus den ehe-
maligen neapolitanischen Regimentern. Sie zählen zusammen ebenfalls gegen
4000 Mann, und es ist nicht der geringste Grund vorhanden an ihrer Ver-
läßlichkeit zu zweifeln. Außer diesen beiden Elementen besitzt der Papst 7000
-- 8000 italienische Soldaten, auf die aber gewiß niemand bauen wird wenn
es zum Kampf mit der Bevölkerung oder mit Sardinien kommen sollte. Seit
Lamoriciere's Ankunft wurde diese Armee noch durch 2000 -- 3000 Freiwil-
lige verstärkt, die meisten davon entlassene österreichische Soldaten, die theil-
weise bewaffnet in Ancona landeten, und über deren Mannszucht österreichi-
sche Officiere wachen. Von Belgien werden 300 Mann, von Irland deren
1000 erwartet. Frankreich dagegen, von dem man sich das größte Contin-
gent versprach, schickt gar nichts außer ein paar hochadeligen Herren des Fau-
bourg St. Germain. Nun war es Lamoriciere's Plan -- es ist der einzig
vernünstige -- alle diese verschiedenen Elemente gleichartig unter einander
zu organisiren. Dann hätte man doch auch der italienischen Truppen sicher
seyn können. Aber dagegen sträubt sich die päpstliche Regierung, welche eine
Umgestaltung des Gendarmeriecorps für staatsgefährlich hält. Die Schwei
zer Regimenter sind gegen jede Vermischung mit den Italienern, und die
Verschmelzung der Belgier, Irländer und Oesterreicher stößt auf nicht minder
große Schwierigkeiten, nicht bloß wegen der Sprachverschiedenheit, sondern
auch vermöge der Einflüsse die im Vatican thätig sind.

Morgen wird die Feier des Jahrestags des
Gefechts von Montanara und Curtatone stattfinden. Zwölf Jahre sind seit
diesem Gefecht verflossen; da es aber das einzige geblieben ist in welchem tos-
canische Truppen gefochten haben, so wird den Todten jenes Tags der her-
[Spaltenumbruch] kömmliche Tribut der Erinnerung gezollt, durch dessen Verweigerung die groß-
herzogliche Regierung einst einen so argen Mißgriff begieng, obgleich die
Ceremonie vom Gebiet der frommen Andacht auf das der factiösen Demon-
stration übergesprungen war. Die Sache Piemonts gieng von dem Tag von
Curtatone an abwärts -- heute hat sie in dem größern Theil Mittelitaliens
den Sieg errungen, und ist dies s Sieges im Süden gewärtig. Unsere
Zeitungen reden von der Bourbonischen Dynastie in Neapel schon als ab-
gethan, und da die französische Presse, wie man hier sehr gut weiß, nach der
Regierungspfeife tanzt, selbst wenn man, dem Publicum Sand in die Augen
zu streuen, einigen Journalen anscheinend freie Bewegung läßt, so registrir
man sorgsam alle Schmähungen welche der Constitutionnel, der Siecle und
dergleichen freie Organe auf die Bourbons häufen, und all ihre Lucubrationen
über den künftigen Zustand der Dinge, mögen nun Victor Emmanuel, Lucian
Murat, der Graf von Syracus als Abklatsch Louis Philipps dabei in Be-
tracht kommen. Warum nicht lieber Garibaldi als König -- der Dictator
der künstigen Republik, die doch das Ende vom Lied seyn wird? Da wir hier-
zuland in einer neuen Epoche des Faustrechts leben, nur daß jetzt die Raub-
züge auf den Namen eines Königs statt im Namen eines Condottiere ge-
schehen, so ist es ganz natürlich daß man demonstrirt das Haus Bourbon trete
jedes Recht mit Füßen, und das Urtheil Europa's über dasselbe (selbstver-
ständlich durch einige Zeitungen repräsentirt) sey unwiderruflich festgestellt --
die öffentliche Meinung habe sie schon vom Thron gestoßen. Die Listen der
Subscription für die Befreiung Neapels und Siciliens werden jetzt publicirt,
aber die Florentinische Sparsamkeit gibt sich in den Beiträgen kund. Freilich
hat man schon für so viele Dinge Geld ausgegeben, und das Geld wird
immer seltener. Mancher Sienesische Francescone ist für die glorreiche Ex-
pedition ausgegeben worden welche vor dem Marchese de Pimodan bei Aqua-
pendente Reißaus nahm, nach dem Beispiel vieler andern Freischaaren. Ge-
schwätzt wird hier ganz gewaltig. Vor dem sogenannten griechischen Cafe, in
der Nähe der Piazza del Campo, fehlt es nie an Gruppen, und die Weisheit
des "Monitore" und der "Nazione" macht mehr Glück als die meisten Vor-
lesungen. So wenig hier gedruckt wird, so fehlt es doch nicht an einem poli-
tisch-litterarischen Journal. Sonst wird hier nichts zu Tage gefördert, und
der geschichtskundige Buchhändler Hr. Giuseppe Porri, welcher sich durch
eigene Arbeiten wie durch seinen Verlag um Siena vielfach verdient gemacht
hat, verkauft, in der Stadt wie aufs Land hin, wenig anderes als politische
Broschüren. Die Druckerei des Taubstummen Instituts (eine tüchtig geleitete
Anstalt, von der nächstens mehr) ist schon ihrer Anlage nach auf ein kleines
Feld der Thätigkeit beschränkt. Wenn ich schon von Pisa aus über den
Mangel an litterarischer Rührigkeit klagte, so gibt Siena zu solcher Klage
noch bei weitem mehr Anlaß. -- Wir vernehmen aus Florenz daß der Rück-
tritt des Barons Ricasoli von der Generalgouverneursstelle, auf welchen ich
kürzlich hindeutete, bevorstehend ist, und daß sein Nachfolger im Palazzo
vecchio wohnen wird, wie einst der Gonsaloniere. Wären die Gonfalonieren-
zeiten (trotz aller Uebelstände!) hiemit für Florenz zurückgekehrt! Aber
Florenz wird nun dieselbe Rolle spielen wie vordem Pistoja und Arezzo. Dieß
ist der Trost welchen Hr. Ricasoli mitnimmt in sein politisches Grad.

Das Reißausnehmen in der Armee wird von
Tag zu Tag bedenklicher, um so mehr als die Deserteure nur theilweise den
eingetretenen Freiwilligen angehören, und auch nicht alle die davonlau-
fen für Sicilien und Garibaldi schwärmen. Am vergangenen 26 Mai de-
sertirten von Bobbio mit einemmal fünfzig Mann mit Waffen und Gepäck.
Es ist wahr daß sie die Straße gegen Genua einschlugen. Ihre Entfernung
war alsbald bemerkt worden, und die berittenen Gendarmen hatten sie in dem
Ort Oddone schon überholt. Auf das Verlangen dieser vereinigten sich die
Gendarmen des Orts, so wie die Nationalgarde mit ihnen. Sie zogen den
aurückenden Flüchtigen entgegen, und verbargen sich unweit des Orts in einem
Gebüsch. Um 1 Uhr in der Nacht rückten diese an. Angerufen antworte-
ten sie mit Flintenschüssen. Es begann nun ein Kampf der über eine Stunde
dauerte, und worin ein Soldat getödtet und mehrere verwundet wurden. Es
ertönten die Sturmglocken der benachbarten Orte, die Lärmtrommel rief zu
den Waffen, und von allen Seiten strömten die Landleute herbei, mit deren
Hülfe die Ausreißer entwassnet und nach Bobbio zurückgebracht wurden. --
Die officielle Zeitung des Königreichs, welche nun in der Person des bisherigen
Redacteurs der "Gazzetta di Modena," des Advocaten Canutti aus Bologna,
wieder einen Chef-Redacteur erhalten hat, berichtet daß ein gewisser Richard
Rainshaw aus Rothwell-le-Moors in der Grafschaft Lancaster, liebentbrannt
für Italien und Bewunderer des unvergleichlichen piemontesischen Muster-
staats, dem Grafen Cavour die Summe von 2000 Pf. St. zur Vertheilung an
diejenigen wohlthätigen Anstalten gesandt hat die der Graf für die bedürftig-
sten halte. Man sollte meinen in Großbritannien und Irland wäre kein Hun-
ger mehr zu stillen, keine Thräne mehr zu trocknen. -- Die Verhastungen
unter dem Klerus dauern fort. In der Lanigiana wurden die beideu geist-
lichen Rectoren von Bibola und Posara verhaftet. In Modena selbst ein
Mönch, welcher nach seinem weißen Kleid als zur Classe der Cardinale ge-

[Spaltenumbruch] zwiſchen der im ſüdlichen Nachbarſtaat ſeit kurzem geltenden Zuckergeſetzgebung
und den vom Miniſter der Finanzen vorgeſchlagenen Erſchwerungen möchte
unter gegenwärtigen Zeitverhältniſſen gar ſchlimme Wirkungen äußern. Jetzt
wo das Wort Annexion allabendlich in Familien und an öffentlichen Plätzen
das Geſpräch bildet, iſt mit Recht eine derartige Argumentirung für unan-
ſtändig und antipatriotiſch erklärt worden. Die fragliche Petition, unter deren
Zeichnern ſich übrigens die ehrenhafteſten Namen beſinden, hat von allen
Seiten Proteſtationen hervorgerufen, daß im Hennegau ſo wenig als in irgend
einem Strich des Landes der Sinn für Nationalität durch irgendwelche ma-
terielle Rückſichten geſchwächt ſey. Das Contingent der Zuckerfabrication am
Communalfonds beläuft ſich zwar nur auf 700,000 Fr., d. h. die bisherige
Staatsrevenue ſoll von 4½ Millionen auf 5,200,000 Fr. gebracht werden;
aber es wird ſelbſt von Freunden des Cabinets, namentlich Hrn. H.
de Brouckere, dem Project zum Vorwurf gemacht daß es ſo beiläufig die bis-
herige Oekonomie des Zuckergeſetzes, namentlich die proportionelle Beſteuerung
des Rohr- und Rübenzuckers abändere, was man hätte vermeiden ſollen.
Bei dieſen vielſeitigen Detailsangriffen erhält, wie Sie ſehen, Hr. Frère
einen harten Stand, aber es wird hoffentlich ſeiner Einſicht, ſeinem Tact und
ſeiner Energie gelingen die allgemein erſehnte Reform durchzuſetzen. Wie
Sie ſehen, haben ſich die franzöſiſchen Zeitungen ſchon wohlgefällig der oben
erwähnten Petition bemächtigt.

Italien.

Aus Palermo ſchreibt man der Köln. Ztg. über die ſchwierige und
gefährliche Lage der dort lebenden Deutſchen. Es heißt dabei: „Angeſichts
ſolcher Möglichkeiten, die man ja nicht als ängſtliche Uebertreibungen auf
faſſen möge, denn wir haben 1848 noch im Gedächtniß, haben die hier (Palermo)
lebenden Deutſchen wohl gerechte Urſache bittend nach der Heimath zu ſchauen,
und zu fragen ob denn jetzt der Bundestag ... es wolle und könne uns
hier ſtarke Hand zu leiſten, und nur ein Zehntel von dem zu thun für ihre
Angehörigen, was gegenwärtig England und Frankreich und alle andern Ufer-
ſtaaten durch die ſchützende Gegenwart ihrer Kriegsſchiffe in Palermo und
hier ſchon gethan haben, und noch weiter zu thun bereit ſind. Oeſterreich hat
einige Dampfer hier; aber abgeſehen davon daß man ſagt: einer davon ſey
nur zur etwaigen Aufnahme der königl. Familie beſtimmt, würden ſie alle zu-
ſammen wohl ſchwerlich ausreichen die hier lebenden Deutſchen aufzunehmen.
Wo bleibt Preußen und ſeine Marine in dieſen Tagen der Gefahr? ſo fragen
wir uns alle. Allerdings wiſſen wir daß es in hochherziger Weiſe (!) für die
Intereſſen des deutſchen Handels den größten Theil ſeiner jungen Flotte nach
Aſien geſchickt hat. Wir haben alle Urſache ihm das zu danken, und für ſein
nationales Unternehmen Segen und gedeihlichen Erfolg zu hoffen, aber iſt
denn auch nicht ein Dampfer auf der Rhede von Danzig oder Swinemünde
mehr übrig geblieben? Soll Preußens Flagge die einzige ſeyn die gegenwärtig
hier fehlt unter allen ſeefahrenden Nationen, ſollen Preußens Unterthanen die
einzigen ſeyn welche keinen Schutz hier erwarten dürfen?

Aus Rom ſchreibt ein Correſpondent der Times vom 30 Mai: alle
Bemühungen Lamoricière’s die päpſtliche Armee auf eine vernünftige Weiſe
zu organiſiren ſeyen bisher vergebens geweſen, und er werde nicht zum Ziel
gelangen. Seine Gründe für dieſe Anſicht ſind in Kürze folgende: Der Kern
der päpſtlichen Armee beſteht aus etwa 4000 Gendarmen, die allerdings aus
den verworfenſten Claſſen der Bevölkerung recrutirt wurden, aber eben weil
ſie beim Volk verhaßt ſind, ihrer Fahne unter allen Umſtänden treu bleiben
werden. Dann kommen die ſogenannten Schweizer, d. h. aus der Fremde
recrutirte verſprengte Leute, darunter allerdings viele Schweizer aus den ehe-
maligen neapolitaniſchen Regimentern. Sie zählen zuſammen ebenfalls gegen
4000 Mann, und es iſt nicht der geringſte Grund vorhanden an ihrer Ver-
läßlichkeit zu zweifeln. Außer dieſen beiden Elementen beſitzt der Papſt 7000
— 8000 italieniſche Soldaten, auf die aber gewiß niemand bauen wird wenn
es zum Kampf mit der Bevölkerung oder mit Sardinien kommen ſollte. Seit
Lamoriciére’s Ankunft wurde dieſe Armee noch durch 2000 — 3000 Freiwil-
lige verſtärkt, die meiſten davon entlaſſene öſterreichiſche Soldaten, die theil-
weiſe bewaffnet in Ancona landeten, und über deren Mannszucht öſterreichi-
ſche Officiere wachen. Von Belgien werden 300 Mann, von Irland deren
1000 erwartet. Frankreich dagegen, von dem man ſich das größte Contin-
gent verſprach, ſchickt gar nichts außer ein paar hochadeligen Herren des Fau-
bourg St. Germain. Nun war es Lamoricière’s Plan — es iſt der einzig
vernünſtige — alle dieſe verſchiedenen Elemente gleichartig unter einander
zu organiſiren. Dann hätte man doch auch der italieniſchen Truppen ſicher
ſeyn können. Aber dagegen ſträubt ſich die päpſtliche Regierung, welche eine
Umgeſtaltung des Gendarmeriecorps für ſtaatsgefährlich hält. Die Schwei
zer Regimenter ſind gegen jede Vermiſchung mit den Italienern, und die
Verſchmelzung der Belgier, Irländer und Oeſterreicher ſtößt auf nicht minder
große Schwierigkeiten, nicht bloß wegen der Sprachverſchiedenheit, ſondern
auch vermöge der Einflüſſe die im Vatican thätig ſind.

Morgen wird die Feier des Jahrestags des
Gefechts von Montanara und Curtatone ſtattfinden. Zwölf Jahre ſind ſeit
dieſem Gefecht verfloſſen; da es aber das einzige geblieben iſt in welchem tos-
caniſche Truppen gefochten haben, ſo wird den Todten jenes Tags der her-
[Spaltenumbruch] kömmliche Tribut der Erinnerung gezollt, durch deſſen Verweigerung die groß-
herzogliche Regierung einſt einen ſo argen Mißgriff begieng, obgleich die
Ceremonie vom Gebiet der frommen Andacht auf das der factiöſen Demon-
ſtration übergeſprungen war. Die Sache Piemonts gieng von dem Tag von
Curtatone an abwärts — heute hat ſie in dem größern Theil Mittelitaliens
den Sieg errungen, und iſt dieſ s Sieges im Süden gewärtig. Unſere
Zeitungen reden von der Bourboniſchen Dynaſtie in Neapel ſchon als ab-
gethan, und da die franzöſiſche Preſſe, wie man hier ſehr gut weiß, nach der
Regierungspfeife tanzt, ſelbſt wenn man, dem Publicum Sand in die Augen
zu ſtreuen, einigen Journalen anſcheinend freie Bewegung läßt, ſo regiſtrir
man ſorgſam alle Schmähungen welche der Conſtitutionnel, der Siècle und
dergleichen freie Organe auf die Bourbons häufen, und all ihre Lucubrationen
über den künftigen Zuſtand der Dinge, mögen nun Victor Emmanuel, Lucian
Murat, der Graf von Syracus als Abklatſch Louis Philipps dabei in Be-
tracht kommen. Warum nicht lieber Garibaldi als König — der Dictator
der künſtigen Republik, die doch das Ende vom Lied ſeyn wird? Da wir hier-
zuland in einer neuen Epoche des Fauſtrechts leben, nur daß jetzt die Raub-
züge auf den Namen eines Königs ſtatt im Namen eines Condottiere ge-
ſchehen, ſo iſt es ganz natürlich daß man demonſtrirt das Haus Bourbon trete
jedes Recht mit Füßen, und das Urtheil Europa’s über dasſelbe (ſelbſtver-
ſtändlich durch einige Zeitungen repräſentirt) ſey unwiderruflich feſtgeſtellt —
die öffentliche Meinung habe ſie ſchon vom Thron geſtoßen. Die Liſten der
Subſcription für die Befreiung Neapels und Siciliens werden jetzt publicirt,
aber die Florentiniſche Sparſamkeit gibt ſich in den Beiträgen kund. Freilich
hat man ſchon für ſo viele Dinge Geld ausgegeben, und das Geld wird
immer ſeltener. Mancher Sieneſiſche Francesconé iſt für die glorreiche Ex-
pedition ausgegeben worden welche vor dem Marcheſe de Pimodan bei Aqua-
pendente Reißaus nahm, nach dem Beiſpiel vieler andern Freiſchaaren. Ge-
ſchwätzt wird hier ganz gewaltig. Vor dem ſogenannten griechiſchen Café, in
der Nähe der Piazza del Campo, fehlt es nie an Gruppen, und die Weisheit
des „Monitore“ und der „Nazione“ macht mehr Glück als die meiſten Vor-
leſungen. So wenig hier gedruckt wird, ſo fehlt es doch nicht an einem poli-
tiſch-litterariſchen Journal. Sonſt wird hier nichts zu Tage gefördert, und
der geſchichtskundige Buchhändler Hr. Giuſeppe Porri, welcher ſich durch
eigene Arbeiten wie durch ſeinen Verlag um Siena vielfach verdient gemacht
hat, verkauft, in der Stadt wie aufs Land hin, wenig anderes als politiſche
Broſchüren. Die Druckerei des Taubſtummen Inſtituts (eine tüchtig geleitete
Anſtalt, von der nächſtens mehr) iſt ſchon ihrer Anlage nach auf ein kleines
Feld der Thätigkeit beſchränkt. Wenn ich ſchon von Piſa aus über den
Mangel an litterariſcher Rührigkeit klagte, ſo gibt Siena zu ſolcher Klage
noch bei weitem mehr Anlaß. — Wir vernehmen aus Florenz daß der Rück-
tritt des Barons Ricaſoli von der Generalgouverneursſtelle, auf welchen ich
kürzlich hindeutete, bevorſtehend iſt, und daß ſein Nachfolger im Palazzo
vecchio wohnen wird, wie einſt der Gonſaloniere. Wären die Gonfalonieren-
zeiten (trotz aller Uebelſtände!) hiemit für Florenz zurückgekehrt! Aber
Florenz wird nun dieſelbe Rolle ſpielen wie vordem Piſtoja und Arezzo. Dieß
iſt der Troſt welchen Hr. Ricaſoli mitnimmt in ſein politiſches Grad.

Das Reißausnehmen in der Armee wird von
Tag zu Tag bedenklicher, um ſo mehr als die Deſerteure nur theilweiſe den
eingetretenen Freiwilligen angehören, und auch nicht alle die davonlau-
fen für Sicilien und Garibaldi ſchwärmen. Am vergangenen 26 Mai de-
ſertirten von Bobbio mit einemmal fünfzig Mann mit Waffen und Gepäck.
Es iſt wahr daß ſie die Straße gegen Genua einſchlugen. Ihre Entfernung
war alsbald bemerkt worden, und die berittenen Gendarmen hatten ſie in dem
Ort Oddone ſchon überholt. Auf das Verlangen dieſer vereinigten ſich die
Gendarmen des Orts, ſo wie die Nationalgarde mit ihnen. Sie zogen den
aurückenden Flüchtigen entgegen, und verbargen ſich unweit des Orts in einem
Gebüſch. Um 1 Uhr in der Nacht rückten dieſe an. Angerufen antworte-
ten ſie mit Flintenſchüſſen. Es begann nun ein Kampf der über eine Stunde
dauerte, und worin ein Soldat getödtet und mehrere verwundet wurden. Es
ertönten die Sturmglocken der benachbarten Orte, die Lärmtrommel rief zu
den Waffen, und von allen Seiten ſtrömten die Landleute herbei, mit deren
Hülfe die Ausreißer entwaſſnet und nach Bobbio zurückgebracht wurden. —
Die officielle Zeitung des Königreichs, welche nun in der Perſon des bisherigen
Redacteurs der „Gazzetta di Modena,“ des Advocaten Canutti aus Bologna,
wieder einen Chef-Redacteur erhalten hat, berichtet daß ein gewiſſer Richard
Rainſhaw aus Rothwell-le-Moors in der Grafſchaft Lancaſter, liebentbrannt
für Italien und Bewunderer des unvergleichlichen piemonteſiſchen Muſter-
ſtaats, dem Grafen Cavour die Summe von 2000 Pf. St. zur Vertheilung an
diejenigen wohlthätigen Anſtalten geſandt hat die der Graf für die bedürftig-
ſten halte. Man ſollte meinen in Großbritannien und Irland wäre kein Hun-
ger mehr zu ſtillen, keine Thräne mehr zu trocknen. — Die Verhaſtungen
unter dem Klerus dauern fort. In der Lanigiana wurden die beideu geiſt-
lichen Rectoren von Bibola und Poſara verhaftet. In Modena ſelbſt ein
Mönch, welcher nach ſeinem weißen Kleid als zur Claſſe der Cardinale ge-

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[2718/0006] zwiſchen der im ſüdlichen Nachbarſtaat ſeit kurzem geltenden Zuckergeſetzgebung und den vom Miniſter der Finanzen vorgeſchlagenen Erſchwerungen möchte unter gegenwärtigen Zeitverhältniſſen gar ſchlimme Wirkungen äußern. Jetzt wo das Wort Annexion allabendlich in Familien und an öffentlichen Plätzen das Geſpräch bildet, iſt mit Recht eine derartige Argumentirung für unan- ſtändig und antipatriotiſch erklärt worden. Die fragliche Petition, unter deren Zeichnern ſich übrigens die ehrenhafteſten Namen beſinden, hat von allen Seiten Proteſtationen hervorgerufen, daß im Hennegau ſo wenig als in irgend einem Strich des Landes der Sinn für Nationalität durch irgendwelche ma- terielle Rückſichten geſchwächt ſey. Das Contingent der Zuckerfabrication am Communalfonds beläuft ſich zwar nur auf 700,000 Fr., d. h. die bisherige Staatsrevenue ſoll von 4½ Millionen auf 5,200,000 Fr. gebracht werden; aber es wird ſelbſt von Freunden des Cabinets, namentlich Hrn. H. de Brouckere, dem Project zum Vorwurf gemacht daß es ſo beiläufig die bis- herige Oekonomie des Zuckergeſetzes, namentlich die proportionelle Beſteuerung des Rohr- und Rübenzuckers abändere, was man hätte vermeiden ſollen. Bei dieſen vielſeitigen Detailsangriffen erhält, wie Sie ſehen, Hr. Frère einen harten Stand, aber es wird hoffentlich ſeiner Einſicht, ſeinem Tact und ſeiner Energie gelingen die allgemein erſehnte Reform durchzuſetzen. Wie Sie ſehen, haben ſich die franzöſiſchen Zeitungen ſchon wohlgefällig der oben erwähnten Petition bemächtigt. Italien. Aus Palermo ſchreibt man der Köln. Ztg. über die ſchwierige und gefährliche Lage der dort lebenden Deutſchen. Es heißt dabei: „Angeſichts ſolcher Möglichkeiten, die man ja nicht als ängſtliche Uebertreibungen auf faſſen möge, denn wir haben 1848 noch im Gedächtniß, haben die hier (Palermo) lebenden Deutſchen wohl gerechte Urſache bittend nach der Heimath zu ſchauen, und zu fragen ob denn jetzt der Bundestag ... es wolle und könne uns hier ſtarke Hand zu leiſten, und nur ein Zehntel von dem zu thun für ihre Angehörigen, was gegenwärtig England und Frankreich und alle andern Ufer- ſtaaten durch die ſchützende Gegenwart ihrer Kriegsſchiffe in Palermo und hier ſchon gethan haben, und noch weiter zu thun bereit ſind. Oeſterreich hat einige Dampfer hier; aber abgeſehen davon daß man ſagt: einer davon ſey nur zur etwaigen Aufnahme der königl. Familie beſtimmt, würden ſie alle zu- ſammen wohl ſchwerlich ausreichen die hier lebenden Deutſchen aufzunehmen. Wo bleibt Preußen und ſeine Marine in dieſen Tagen der Gefahr? ſo fragen wir uns alle. Allerdings wiſſen wir daß es in hochherziger Weiſe (!) für die Intereſſen des deutſchen Handels den größten Theil ſeiner jungen Flotte nach Aſien geſchickt hat. Wir haben alle Urſache ihm das zu danken, und für ſein nationales Unternehmen Segen und gedeihlichen Erfolg zu hoffen, aber iſt denn auch nicht ein Dampfer auf der Rhede von Danzig oder Swinemünde mehr übrig geblieben? Soll Preußens Flagge die einzige ſeyn die gegenwärtig hier fehlt unter allen ſeefahrenden Nationen, ſollen Preußens Unterthanen die einzigen ſeyn welche keinen Schutz hier erwarten dürfen? Aus Rom ſchreibt ein Correſpondent der Times vom 30 Mai: alle Bemühungen Lamoricière’s die päpſtliche Armee auf eine vernünftige Weiſe zu organiſiren ſeyen bisher vergebens geweſen, und er werde nicht zum Ziel gelangen. Seine Gründe für dieſe Anſicht ſind in Kürze folgende: Der Kern der päpſtlichen Armee beſteht aus etwa 4000 Gendarmen, die allerdings aus den verworfenſten Claſſen der Bevölkerung recrutirt wurden, aber eben weil ſie beim Volk verhaßt ſind, ihrer Fahne unter allen Umſtänden treu bleiben werden. Dann kommen die ſogenannten Schweizer, d. h. aus der Fremde recrutirte verſprengte Leute, darunter allerdings viele Schweizer aus den ehe- maligen neapolitaniſchen Regimentern. Sie zählen zuſammen ebenfalls gegen 4000 Mann, und es iſt nicht der geringſte Grund vorhanden an ihrer Ver- läßlichkeit zu zweifeln. Außer dieſen beiden Elementen beſitzt der Papſt 7000 — 8000 italieniſche Soldaten, auf die aber gewiß niemand bauen wird wenn es zum Kampf mit der Bevölkerung oder mit Sardinien kommen ſollte. Seit Lamoriciére’s Ankunft wurde dieſe Armee noch durch 2000 — 3000 Freiwil- lige verſtärkt, die meiſten davon entlaſſene öſterreichiſche Soldaten, die theil- weiſe bewaffnet in Ancona landeten, und über deren Mannszucht öſterreichi- ſche Officiere wachen. Von Belgien werden 300 Mann, von Irland deren 1000 erwartet. Frankreich dagegen, von dem man ſich das größte Contin- gent verſprach, ſchickt gar nichts außer ein paar hochadeligen Herren des Fau- bourg St. Germain. Nun war es Lamoricière’s Plan — es iſt der einzig vernünſtige — alle dieſe verſchiedenen Elemente gleichartig unter einander zu organiſiren. Dann hätte man doch auch der italieniſchen Truppen ſicher ſeyn können. Aber dagegen ſträubt ſich die päpſtliche Regierung, welche eine Umgeſtaltung des Gendarmeriecorps für ſtaatsgefährlich hält. Die Schwei zer Regimenter ſind gegen jede Vermiſchung mit den Italienern, und die Verſchmelzung der Belgier, Irländer und Oeſterreicher ſtößt auf nicht minder große Schwierigkeiten, nicht bloß wegen der Sprachverſchiedenheit, ſondern auch vermöge der Einflüſſe die im Vatican thätig ſind. ═ Siena, 3 Jun. Morgen wird die Feier des Jahrestags des Gefechts von Montanara und Curtatone ſtattfinden. Zwölf Jahre ſind ſeit dieſem Gefecht verfloſſen; da es aber das einzige geblieben iſt in welchem tos- caniſche Truppen gefochten haben, ſo wird den Todten jenes Tags der her- kömmliche Tribut der Erinnerung gezollt, durch deſſen Verweigerung die groß- herzogliche Regierung einſt einen ſo argen Mißgriff begieng, obgleich die Ceremonie vom Gebiet der frommen Andacht auf das der factiöſen Demon- ſtration übergeſprungen war. Die Sache Piemonts gieng von dem Tag von Curtatone an abwärts — heute hat ſie in dem größern Theil Mittelitaliens den Sieg errungen, und iſt dieſ s Sieges im Süden gewärtig. Unſere Zeitungen reden von der Bourboniſchen Dynaſtie in Neapel ſchon als ab- gethan, und da die franzöſiſche Preſſe, wie man hier ſehr gut weiß, nach der Regierungspfeife tanzt, ſelbſt wenn man, dem Publicum Sand in die Augen zu ſtreuen, einigen Journalen anſcheinend freie Bewegung läßt, ſo regiſtrir man ſorgſam alle Schmähungen welche der Conſtitutionnel, der Siècle und dergleichen freie Organe auf die Bourbons häufen, und all ihre Lucubrationen über den künftigen Zuſtand der Dinge, mögen nun Victor Emmanuel, Lucian Murat, der Graf von Syracus als Abklatſch Louis Philipps dabei in Be- tracht kommen. Warum nicht lieber Garibaldi als König — der Dictator der künſtigen Republik, die doch das Ende vom Lied ſeyn wird? Da wir hier- zuland in einer neuen Epoche des Fauſtrechts leben, nur daß jetzt die Raub- züge auf den Namen eines Königs ſtatt im Namen eines Condottiere ge- ſchehen, ſo iſt es ganz natürlich daß man demonſtrirt das Haus Bourbon trete jedes Recht mit Füßen, und das Urtheil Europa’s über dasſelbe (ſelbſtver- ſtändlich durch einige Zeitungen repräſentirt) ſey unwiderruflich feſtgeſtellt — die öffentliche Meinung habe ſie ſchon vom Thron geſtoßen. Die Liſten der Subſcription für die Befreiung Neapels und Siciliens werden jetzt publicirt, aber die Florentiniſche Sparſamkeit gibt ſich in den Beiträgen kund. Freilich hat man ſchon für ſo viele Dinge Geld ausgegeben, und das Geld wird immer ſeltener. Mancher Sieneſiſche Francesconé iſt für die glorreiche Ex- pedition ausgegeben worden welche vor dem Marcheſe de Pimodan bei Aqua- pendente Reißaus nahm, nach dem Beiſpiel vieler andern Freiſchaaren. Ge- ſchwätzt wird hier ganz gewaltig. Vor dem ſogenannten griechiſchen Café, in der Nähe der Piazza del Campo, fehlt es nie an Gruppen, und die Weisheit des „Monitore“ und der „Nazione“ macht mehr Glück als die meiſten Vor- leſungen. So wenig hier gedruckt wird, ſo fehlt es doch nicht an einem poli- tiſch-litterariſchen Journal. Sonſt wird hier nichts zu Tage gefördert, und der geſchichtskundige Buchhändler Hr. Giuſeppe Porri, welcher ſich durch eigene Arbeiten wie durch ſeinen Verlag um Siena vielfach verdient gemacht hat, verkauft, in der Stadt wie aufs Land hin, wenig anderes als politiſche Broſchüren. Die Druckerei des Taubſtummen Inſtituts (eine tüchtig geleitete Anſtalt, von der nächſtens mehr) iſt ſchon ihrer Anlage nach auf ein kleines Feld der Thätigkeit beſchränkt. Wenn ich ſchon von Piſa aus über den Mangel an litterariſcher Rührigkeit klagte, ſo gibt Siena zu ſolcher Klage noch bei weitem mehr Anlaß. — Wir vernehmen aus Florenz daß der Rück- tritt des Barons Ricaſoli von der Generalgouverneursſtelle, auf welchen ich kürzlich hindeutete, bevorſtehend iſt, und daß ſein Nachfolger im Palazzo vecchio wohnen wird, wie einſt der Gonſaloniere. Wären die Gonfalonieren- zeiten (trotz aller Uebelſtände!) hiemit für Florenz zurückgekehrt! Aber Florenz wird nun dieſelbe Rolle ſpielen wie vordem Piſtoja und Arezzo. Dieß iſt der Troſt welchen Hr. Ricaſoli mitnimmt in ſein politiſches Grad. ↓ Turin, 6 Jun. Das Reißausnehmen in der Armee wird von Tag zu Tag bedenklicher, um ſo mehr als die Deſerteure nur theilweiſe den eingetretenen Freiwilligen angehören, und auch nicht alle die davonlau- fen für Sicilien und Garibaldi ſchwärmen. Am vergangenen 26 Mai de- ſertirten von Bobbio mit einemmal fünfzig Mann mit Waffen und Gepäck. Es iſt wahr daß ſie die Straße gegen Genua einſchlugen. Ihre Entfernung war alsbald bemerkt worden, und die berittenen Gendarmen hatten ſie in dem Ort Oddone ſchon überholt. Auf das Verlangen dieſer vereinigten ſich die Gendarmen des Orts, ſo wie die Nationalgarde mit ihnen. Sie zogen den aurückenden Flüchtigen entgegen, und verbargen ſich unweit des Orts in einem Gebüſch. Um 1 Uhr in der Nacht rückten dieſe an. Angerufen antworte- ten ſie mit Flintenſchüſſen. Es begann nun ein Kampf der über eine Stunde dauerte, und worin ein Soldat getödtet und mehrere verwundet wurden. Es ertönten die Sturmglocken der benachbarten Orte, die Lärmtrommel rief zu den Waffen, und von allen Seiten ſtrömten die Landleute herbei, mit deren Hülfe die Ausreißer entwaſſnet und nach Bobbio zurückgebracht wurden. — Die officielle Zeitung des Königreichs, welche nun in der Perſon des bisherigen Redacteurs der „Gazzetta di Modena,“ des Advocaten Canutti aus Bologna, wieder einen Chef-Redacteur erhalten hat, berichtet daß ein gewiſſer Richard Rainſhaw aus Rothwell-le-Moors in der Grafſchaft Lancaſter, liebentbrannt für Italien und Bewunderer des unvergleichlichen piemonteſiſchen Muſter- ſtaats, dem Grafen Cavour die Summe von 2000 Pf. St. zur Vertheilung an diejenigen wohlthätigen Anſtalten geſandt hat die der Graf für die bedürftig- ſten halte. Man ſollte meinen in Großbritannien und Irland wäre kein Hun- ger mehr zu ſtillen, keine Thräne mehr zu trocknen. — Die Verhaſtungen unter dem Klerus dauern fort. In der Lanigiana wurden die beideu geiſt- lichen Rectoren von Bibola und Poſara verhaftet. In Modena ſelbſt ein Mönch, welcher nach ſeinem weißen Kleid als zur Claſſe der Cardinale ge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860, S. 2718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine163_1860/6>, abgerufen am 10.06.2024.