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Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] von 850 Piastern frei. Jetzt unternahm er eine Rundreise durch sämmtliche
von Christen bewohnte Dörfer, und verübte allenthalben ähnliche Schand-
thaten: so zu Sain, wo er vielen die Bastonnade geben ließ, und andere nur
nach Empfang hohen Lösegelds mit dem angedrohten Tod verschonte; deß-
gleichen zu Baghmlikh, wo er Anstalten machen ließ einen jungen Menschen
zu erdrosseln, bis ihn die Eltern mit 1200 Piastern und Lieferungen an Gerste
und Vieh loskauften; deßgleichen zu Elbetehijeh, wo der Scheikh Kame Paschur
3000 Piaster für sein Leben zahlen mußte; ferner zu Soda, zu Elbradsch,
zu Bahua, zu Duher, zu Matn und anderwärts. Aus allen diesen Ortschaf-
ten zählt das Actenstück verschiedene Einzelnheiten auf. Auch enthält es noch
die Aufzählung von mannichfachen Gräueln die in dem andern der beiden
obengenannten Bezirke, in dem von Marcab, durch den Mudir Muhamed
Agha Adra und seine Brüder sowohl an ganzen christlichen Dörfern als auch
an einzelnen Personen, zum Beispiel am Geistlichen von Dahr Safra, zu der-
selben Zeit begangen und in Ladikijah zur Klage gebracht worden sind. Na-
türlich wurde den Klägern von Seite des Kaimakam und des Medschlis die-
selbe Behandlung wie den Angehörigen von Khuabi zu Theil. Die Uebelthäter
verkehrten fort und fort frei und unangefochten zu Ladikijah, und ermuthigten
durch das Beispiel ihrer Straflosigkeit andere mohammedanische Fanatiker zur
Nachfolge. Gar wohl beriefen sich die Christen auf den Hat Humayum. Der
Kaimakam entgegnete darauf daß dieser Hat zu Ladikijah noch nicht in Wirk-
samkeit getreten sey. Dieselbe Antwort gab er auch dem die Unglücklichen
aufs wohlwollendste vertretenden frauzöfischen Viceconsul, wobei er sogar in
ausdrücklichem Widerspruch mit dem Hat Humayum erklärte daß er außer
Stand sey auch nur christliche Zeugenaussagen gegen Muselmanen anzu-
nehmen.

Dieß alles geschah also in neuester Zeit, in einem District der durch die
Residenz von sechs europäischen Consularagenten ausgezeichnet ist. Es bildet
keineswegs eine vereinzelte Erscheinung, eine Ausnahme von der Regel, son-
dern nur ein paar Beispiele von dem heutigen mohammedanischen Fanatismus,
die sich mit leichter Mühe aus allen Provinzen des türkischen Reichs verviel-
fältigen lassen.

Meint man nun daß diesen Uebelständen bei dem zweifellosen großen
Einfluß der christlichen Großmächte leicht genug abzuhelfen sey, daß es dazu
vielleicht nur energischer Noten, etwa Collectivnoten des diplomatischen Corps
zu Konstantinopel bedürfe? Das wäre ein starker Irrthum. So gewiß nichts
leichter ist für die europäische Diplomatie am Bosporus als den Sultan und
seine Regierung zu großartigen Concessionen, zu herrlichen Hattischerifs zu
stimmen, wie ja auch sofort auf den neuesten Wink drei Untersuchungscom-
missionen in die Provinzen abgefertigt worden find: so gewiß ist nichts schwe-
rer für die hohe Pforte selber als ihren Befehlen im eigenen Lande Geltung zu
verschaffen. Das eben ist die Gefahr, ist das entscheidende Symptom des be-
rühmten kranken Mannes, daß ihm die eigene Regierungskraft wenigstens in allen
Extremitäten bereits abgestorben ist. Das weiß und fühlt man aber auch
nirgends besser als im Orient selbft. Ein wohlbekannter türkischer Artillerie-
General, der während seiner langjährigen Dienste die afiatischen und die euro-
päischen Provinzen des Reichs vollkommen kennen zu lernen Gelegenheit hatte,
sagte mir im vorigen Jahr auf einer Fahrt durch den Bosporus: er verwun-
dere sich immer wenn er in verschiedenen europäischen Blättern von den In-
triguen lese, vermittelst deren man den Bestand des türkischen Reichs zu unter-
graben trachte. Wenn das Obst am Baum faul wird, bemerkte er, so fällt es
von selbst herunter; dazu bedarf es keiner Intriguen.



Friedrich II gegen die Kleindeutschen.

In Gustavs III berühmtem Werke, "Die
Gefahren des europäischen Gleichgewichts," wird bereits der ganze Katechis-
mus des Annexionsgeschäfts, wie es von Rußland allein seit Peter dem
Großen und jetzt von Frankreich und Rußland gemeinschaftlich betrieben wird,
enthüllt. Der große König von Preußen, der mit Katharina II zwar ver-
bunden war, gerieth endlich in die gegründete Besorgniß: die übermüthige
Kaiserin, welche Polen Gesetze vorgeschrieben, könnte auch einmal auf den
Gedanken kommen sich in die Angelegenheiten seines Landes zu mischen.

Der Schwedenkönig schildert im sechsten Capitel seines Buches die Lage
mit folgenden Worten: "Die Pforte blieb Rußlands wachsender Macht gegen-
über nicht gleichgültig. Das Haus Oesterreich fühle die Gefahr eine Macht
zum Nachbar zu haben welche keine Gränzen respectirt. Ist einmal die
Pforte niedergeworfen, Polen unterjocht und die Donau ein russischer Strom
geworden, so muß der Sturm auch die benachbarten Provinzen über den
Haufen werfen. Selbst der König von Preußen, der Alliirte Ruß-
lands, versöhnte sich in dieser Periode allgemeiner Gefahr mit
dem Wiener Hofe
-- eine Thatsache die werth der größten Aufmerksam-
keit ist, deren Authenticität Friedrich II selbst festgestellt hat, und woraus
ganz Deutschland und der Norden über die gegenwärtige Lage viel Licht ge-
winnen können. Der größte Genius der je auf einem Thron gesessen und
Prinz Caunitz (Kaunitz), einer der klarsten Staatsmänner, sahen die Roth-
wendigkeit ein den ehrgeizigen Planen Rußlands ein Ende zu machen."

[Spaltenumbruch]

Damals lag die Gefahr nur im Osten. Frankreich war wie sein König
durch und durch verpestet. Heutzutag ist eine Macht im Westen, nicht
weniger drohend als die Ludwigs XIV, mit dem alten Maulwurf im Osten
verbündet, die orientalische Frage nur für sanguinische Stockjobber vertagt,
und man kann noch fragen wo Preußen seine Alliirten zu suchen hat?

Wenigstens Friedrich II stand nicht auf dem Boden der Politik der
Tante Voß. Ihm galt Oesterreich nicht als der unversöhnliche Erbfeind
Preußens.



Deutschland.

Fortsetzung der Reichsrathssitzung vom 8 Jun.
Justizminister Graf Nadasdy erwiederte:
"Ich werde keineswegs in das Detail eingehen, da dieses nur in die Sitzun-
gen des Comite's gehört. Ich will mich daher im allgemeinen darauf beschränken
hervorzuheben, daß die Grundbuchsordnung ihrer Natur und meiner Ansicht nach
für die ganze Monarchie eingeführt werden muß, und zwar mit der Zeit auch für
jene Provinzen welche gegenwärtig in dem Patent noch ausgenommen sind, wie
Istrien, Dalmatien, das venetianische Königreich und die Militärgränze, in welchen
Provinzen lediglich die Localverhältnisse Ursache sind daß die Einführung der Grund-
buchsordnung auf eine spätere Zeit verschoben werden muß. Ich glaube daß das
materielle Recht in der ganzen Monarchie eines ist, nämlich das allgemeine bür-
gerliche Gesetzbuch. Das formelle Recht welches mit dem materiellen übereinstim-
men muß, macht es unumgänglich nothwendig daß auch die Grundbuchsord-
nung (als formelles Recht) für die ganze Monarchie eine und dieselbe sey. Uebri-
gens ist von Seite des Justizministeriums dafür Sorge getragen worden, daß so
weit als in den verschiedenen Kronländern besondere Rücksichten vorherrschen, auch
den vorhandenen verschiedenen Bedürfnissen Rechnung getragen werde. Es ist ferner
von dem geehrten Vorredner die Frage zur Sprache gebracht worden: ob die Land-
tafeln zerrissen werden, oder ob sie fortbestehen sollen wie sie gegenwärtig sind.
Diese Frage liegt jedoch, wie ich mir zu bemerken erlaube, dem Reichsrath gar nicht
zur Entscheidung vor. Ich habe sie selbst Sr. Maj. dem Kaiser, unserm allergnädigsten
Herrn, noch nicht vorgelegt. Sie wird vielleicht dereinst in den Landesoertretungen
verhandelt werden, und man muß daher abwarten ob man seiner Zeit die Land-
tafeln beibehalten oder sie in verschiedene Theile sondern wird. Was nun speciell
Ungarn betrifft, so ist die vorliegende Frage mit Beziehung auf dieses Land noch
ganz unentschieden. Es sind zwar Grundbücher angelegt, aber es ist noch nicht
festgestellt ob eine Landtafel für den adeligen Grundbesitz oder ob mehrere Land-
tafeln, ob etwa für jedes Comitat eine eigene, bestehen wird. Alle diese Fragen
sind sernern Berhandlungen vorbehalten, und falls Se. Majestät selbe dem unga-
rischen Landtag zuweisen sollte, so wird derselbe Gelegenheit haben darüber zu be-
rathen. Mit großem Bedauern habe ich aus der Rede des Hrn. Grafen v. Barkoczy
entnommen daß er den ganzen Entwurf der Grundbuchsordnung als verfehlt darge-
stellt hat. Es ist sehr schwer hierauf eine Antwort zu ertheilen, denn ich müßte zu
diesem Ende hier in das Detail des Entwurfs eingehen. Ich werde mich aber
bloß auf den praktischen Erfolg in dieser Angelegenheit berufen. Es ist möglich daß
der Entwurf ein verfehlter sey, aber nach dem praktischen Erfolg in Ungarn zu ur-
theilen, dürfte dieß doch nicht so ganz der Fall seyn. Schon gegenwärtig sind in
Ungarn, Croatien, Slavonien, dem Temeser Banat und der Woiwodina die Grund-
bücher zum größten Theil in Wirksamkeit, 7900 Gemeinden in 18 bis 19,000
Grundbuchsprotokollen mit 15 Millionen Parcellen aufgenommen, und fast 31/2
Millionen Grundbuchskörper welche ungebunden und theilbar sind, dann nahezu
eine Million Grundbuchskörper welche untheilbar sind, als ganze Sessionen aufge-
merkt. Der Erfolg dieser Aufnahmen bewährte sich dermaßen daß zu Anfang des
Jahrs 1855 bereits 109 Millionen Gulden aus den alten Jutabulationen in die
neuen Grundbücher überwagen waren. Und in dem kurzen Zeitraum von drei Jahren
wurden neuerdings 123 Millionen Gulden grundbücherlich aufgenommen. Diese Da-
ten liefern wohl den besten Beweis daß in Ungaru der Wunsch lebhaft war: em
geordnetes Grundbuch zu besitzen, denn o ne dasselbe fehlt es an jedem Realcredit,
mindestens ist er ungemein schwierig, und fällt es schwer Capitalien auf Realitä-
ten zu erlangen. Ich mache darauf aufmerksam daß wahrscheinlich der geehrte Hr.
Vorredner diesem entgegnen wird: der Artikel 21 des Gesetzes vom Jahr 1844
stelle es jedem Adeligen frei selbst das Grundbuch anzulegen, den Grundbesitz geo-
metrisch zu vermessen, durch eine Deputation zu revidiren und das Grundbuch bei dem
Comitate führen zu lassen. Im Jahr 1844 wurde dieser Artikel zu Stande gebracht,
allein bis zum Jahr 1847 geschah meines Wissens sehr wenig, vielleicht gar nichts.
So viel weiß ich daß man bei der Einführung des Grundbuches zwar trachtete ein derarti-
ges Operat zu bekommen, aber es wurde nicht geliefert, und man mußte die Sache neuer-
dings von vorne beginnen. Was nun die Frage der Majorität im Comite selbst betrifft, so
glanbe ich daß nach den Statuten und der Geschäftsordnung zwar die Stimmen-
mehrheit im Comite entscheidet, daß es jedoch jedem Comitemitglied freisteht eine
entgegengesetzte Meinung zu haben, und daß, wenn das Comite es nothwendig er-
achten sollte bevor es in die Berathung des Details eingeht, eine Principiensrage vor die
Plenarversammlung zu bringen, der Obmann des Comite's die Pflicht habe dieß
dem hohen Präsidium zur Kenntniß zu bringen, welches sodann diesen Gegenstand
auf die Tagesordnung setzen, und der Versammlung Gelegenheit geben dürfte sich
über die Principienfrage auszusprechen. Bei diesem Anlaß wäre auch die Möglich-
keit geboten daß jener Theil des Comite's welcher in der Minorität seyn sollte sei-
nen Vorschlag begründen könne, und die hohe Rathsversammlung würte dann ent-
scheiden ob der Majorität oder ob der Minorität Recht zu geben sey. Was die
gleichfalls von dem gechrten Hrn. Vorredner angeregte Frage der Sprache betrifft,
so erlaube ich mir vor allem zu bemerken daß Hr. Graf Barkoczy über die Sache
nicht richtig informirt zu seyn scheint. Die Grundbücher werden im größten Theil
des Großwardeiner Gebiets, im Oedenburger Gebiet und im Pesther Oberlandes-
gerichtssprengel ihrer Mehrheit nach in ungarischer Sprache geführt. Im Liptauer
und Trentschiner Comitat trat die Frage hervor: in welcher Sprache die Grund-
bücher zu führen seyen. Hätte das Justizministerium angeordnet: nach der Sprache
der Bevökerung," so würde das Grundbuch in slovakischer Sprache zu führen ge-
wesen seyn, denn im Liptauer Comitat befinden sich vielleicht nur hundert Ungarn,
und der weitaus größte Theil der dortigen Einwohner ist slowakisch. Es wurde
der Grundsatz angenommen, und auch seither von mir stets befolgt, daß das Grund-

[Spaltenumbruch] von 850 Piaſtern frei. Jetzt unternahm er eine Rundreiſe durch ſämmtliche
von Chriſten bewohnte Dörfer, und verübte allenthalben ähnliche Schand-
thaten: ſo zu Sain, wo er vielen die Baſtonnade geben ließ, und andere nur
nach Empfang hohen Löſegelds mit dem angedrohten Tod verſchonte; deß-
gleichen zu Baghmlikh, wo er Anſtalten machen ließ einen jungen Menſchen
zu erdroſſeln, bis ihn die Eltern mit 1200 Piaſtern und Lieferungen an Gerſte
und Vieh loskauften; deßgleichen zu Elbetehijeh, wo der Scheikh Kame Paſchur
3000 Piaſter für ſein Leben zahlen mußte; ferner zu Soda, zu Elbradſch,
zu Bahua, zu Duher, zu Matn und anderwärts. Aus allen dieſen Ortſchaf-
ten zählt das Actenſtück verſchiedene Einzelnheiten auf. Auch enthält es noch
die Aufzählung von mannichfachen Gräueln die in dem andern der beiden
obengenannten Bezirke, in dem von Marcab, durch den Mudir Muhamed
Agha Adra und ſeine Brüder ſowohl an ganzen chriſtlichen Dörfern als auch
an einzelnen Perſonen, zum Beiſpiel am Geiſtlichen von Dahr Safra, zu der-
ſelben Zeit begangen und in Ladikijah zur Klage gebracht worden ſind. Na-
türlich wurde den Klägern von Seite des Kaimakam und des Medſchlis die-
ſelbe Behandlung wie den Angehörigen von Khuabi zu Theil. Die Uebelthäter
verkehrten fort und fort frei und unangefochten zu Ladikijah, und ermuthigten
durch das Beiſpiel ihrer Strafloſigkeit andere mohammedaniſche Fanatiker zur
Nachfolge. Gar wohl beriefen ſich die Chriſten auf den Hat Humayum. Der
Kaimakam entgegnete darauf daß dieſer Hat zu Ladikijah noch nicht in Wirk-
ſamkeit getreten ſey. Dieſelbe Antwort gab er auch dem die Unglücklichen
aufs wohlwollendſte vertretenden frauzöfiſchen Viceconſul, wobei er ſogar in
ausdrücklichem Widerſpruch mit dem Hat Humayum erklärte daß er außer
Stand ſey auch nur chriſtliche Zeugenausſagen gegen Muſelmanen anzu-
nehmen.

Dieß alles geſchah alſo in neueſter Zeit, in einem Diſtrict der durch die
Reſidenz von ſechs europäiſchen Conſularagenten ausgezeichnet iſt. Es bildet
keineswegs eine vereinzelte Erſcheinung, eine Ausnahme von der Regel, ſon-
dern nur ein paar Beiſpiele von dem heutigen mohammedaniſchen Fanatismus,
die ſich mit leichter Mühe aus allen Provinzen des türkiſchen Reichs verviel-
fältigen laſſen.

Meint man nun daß dieſen Uebelſtänden bei dem zweifelloſen großen
Einfluß der chriſtlichen Großmächte leicht genug abzuhelfen ſey, daß es dazu
vielleicht nur energiſcher Noten, etwa Collectivnoten des diplomatiſchen Corps
zu Konſtantinopel bedürfe? Das wäre ein ſtarker Irrthum. So gewiß nichts
leichter iſt für die europäiſche Diplomatie am Bosporus als den Sultan und
ſeine Regierung zu großartigen Conceſſionen, zu herrlichen Hattiſcherifs zu
ſtimmen, wie ja auch ſofort auf den neueſten Wink drei Unterſuchungscom-
miſſionen in die Provinzen abgefertigt worden find: ſo gewiß iſt nichts ſchwe-
rer für die hohe Pforte ſelber als ihren Befehlen im eigenen Lande Geltung zu
verſchaffen. Das eben iſt die Gefahr, iſt das entſcheidende Symptom des be-
rühmten kranken Mannes, daß ihm die eigene Regierungskraft wenigſtens in allen
Extremitäten bereits abgeſtorben iſt. Das weiß und fühlt man aber auch
nirgends beſſer als im Orient ſelbft. Ein wohlbekannter türkiſcher Artillerie-
General, der während ſeiner langjährigen Dienſte die afiatiſchen und die euro-
päiſchen Provinzen des Reichs vollkommen kennen zu lernen Gelegenheit hatte,
ſagte mir im vorigen Jahr auf einer Fahrt durch den Bosporus: er verwun-
dere ſich immer wenn er in verſchiedenen europäiſchen Blättern von den In-
triguen leſe, vermittelſt deren man den Beſtand des türkiſchen Reichs zu unter-
graben trachte. Wenn das Obſt am Baum faul wird, bemerkte er, ſo fällt es
von ſelbſt herunter; dazu bedarf es keiner Intriguen.



Friedrich II gegen die Kleindeutſchen.

In Guſtavs III berühmtem Werke, „Die
Gefahren des europäiſchen Gleichgewichts,“ wird bereits der ganze Katechis-
mus des Annexionsgeſchäfts, wie es von Rußland allein ſeit Peter dem
Großen und jetzt von Frankreich und Rußland gemeinſchaftlich betrieben wird,
enthüllt. Der große König von Preußen, der mit Katharina II zwar ver-
bunden war, gerieth endlich in die gegründete Beſorgniß: die übermüthige
Kaiſerin, welche Polen Geſetze vorgeſchrieben, könnte auch einmal auf den
Gedanken kommen ſich in die Angelegenheiten ſeines Landes zu miſchen.

Der Schwedenkönig ſchildert im ſechsten Capitel ſeines Buches die Lage
mit folgenden Worten: „Die Pforte blieb Rußlands wachſender Macht gegen-
über nicht gleichgültig. Das Haus Oeſterreich fühle die Gefahr eine Macht
zum Nachbar zu haben welche keine Gränzen reſpectirt. Iſt einmal die
Pforte niedergeworfen, Polen unterjocht und die Donau ein ruſſiſcher Strom
geworden, ſo muß der Sturm auch die benachbarten Provinzen über den
Haufen werfen. Selbſt der König von Preußen, der Alliirte Ruß-
lands, verſöhnte ſich in dieſer Periode allgemeiner Gefahr mit
dem Wiener Hofe
— eine Thatſache die werth der größten Aufmerkſam-
keit iſt, deren Authenticität Friedrich II ſelbſt feſtgeſtellt hat, und woraus
ganz Deutſchland und der Norden über die gegenwärtige Lage viel Licht ge-
winnen können. Der größte Genius der je auf einem Thron geſeſſen und
Prinz Caunitz (Kaunitz), einer der klarſten Staatsmänner, ſahen die Roth-
wendigkeit ein den ehrgeizigen Planen Rußlands ein Ende zu machen.“

[Spaltenumbruch]

Damals lag die Gefahr nur im Oſten. Frankreich war wie ſein König
durch und durch verpeſtet. Heutzutag iſt eine Macht im Weſten, nicht
weniger drohend als die Ludwigs XIV, mit dem alten Maulwurf im Oſten
verbündet, die orientaliſche Frage nur für ſanguiniſche Stockjobber vertagt,
und man kann noch fragen wo Preußen ſeine Alliirten zu ſuchen hat?

Wenigſtens Friedrich II ſtand nicht auf dem Boden der Politik der
Tante Voß. Ihm galt Oeſterreich nicht als der unverſöhnliche Erbfeind
Preußens.



Deutſchland.

Fortſetzung der Reichsrathsſitzung vom 8 Jun.
Juſtizminiſter Graf Nádasdy erwiederte:
„Ich werde keineswegs in das Detail eingehen, da dieſes nur in die Sitzun-
gen des Comité's gehört. Ich will mich daher im allgemeinen darauf beſchränken
hervorzuheben, daß die Grundbuchsordnung ihrer Natur und meiner Anſicht nach
für die ganze Monarchie eingeführt werden muß, und zwar mit der Zeit auch für
jene Provinzen welche gegenwärtig in dem Patent noch ausgenommen ſind, wie
Iſtrien, Dalmatien, das venetianiſche Königreich und die Militärgränze, in welchen
Provinzen lediglich die Localverhältniſſe Urſache ſind daß die Einführung der Grund-
buchsordnung auf eine ſpätere Zeit verſchoben werden muß. Ich glaube daß das
materielle Recht in der ganzen Monarchie eines iſt, nämlich das allgemeine bür-
gerliche Geſetzbuch. Das formelle Recht welches mit dem materiellen übereinſtim-
men muß, macht es unumgänglich nothwendig daß auch die Grundbuchsord-
nung (als formelles Recht) für die ganze Monarchie eine und dieſelbe ſey. Uebri-
gens iſt von Seite des Juſtizminiſteriums dafür Sorge getragen worden, daß ſo
weit als in den verſchiedenen Kronländern beſondere Rückſichten vorherrſchen, auch
den vorhandenen verſchiedenen Bedürfniſſen Rechnung getragen werde. Es iſt ferner
von dem geehrten Vorredner die Frage zur Sprache gebracht worden: ob die Land-
tafeln zerriſſen werden, oder ob ſie fortbeſtehen ſollen wie ſie gegenwärtig ſind.
Dieſe Frage liegt jedoch, wie ich mir zu bemerken erlaube, dem Reichsrath gar nicht
zur Entſcheidung vor. Ich habe ſie ſelbſt Sr. Maj. dem Kaiſer, unſerm allergnädigſten
Herrn, noch nicht vorgelegt. Sie wird vielleicht dereinſt in den Landesoertretungen
verhandelt werden, und man muß daher abwarten ob man ſeiner Zeit die Land-
tafeln beibehalten oder ſie in verſchiedene Theile ſondern wird. Was nun ſpeciell
Ungarn betrifft, ſo iſt die vorliegende Frage mit Beziehung auf dieſes Land noch
ganz unentſchieden. Es ſind zwar Grundbücher angelegt, aber es iſt noch nicht
feſtgeſtellt ob eine Landtafel für den adeligen Grundbeſitz oder ob mehrere Land-
tafeln, ob etwa für jedes Comitat eine eigene, beſtehen wird. Alle dieſe Fragen
ſind ſernern Berhandlungen vorbehalten, und falls Se. Majeſtät ſelbe dem unga-
riſchen Landtag zuweiſen ſollte, ſo wird derſelbe Gelegenheit haben darüber zu be-
rathen. Mit großem Bedauern habe ich aus der Rede des Hrn. Grafen v. Bárkoczy
entnommen daß er den ganzen Entwurf der Grundbuchsordnung als verfehlt darge-
ſtellt hat. Es iſt ſehr ſchwer hierauf eine Antwort zu ertheilen, denn ich müßte zu
dieſem Ende hier in das Detail des Entwurfs eingehen. Ich werde mich aber
bloß auf den praktiſchen Erfolg in dieſer Angelegenheit berufen. Es iſt möglich daß
der Entwurf ein verfehlter ſey, aber nach dem praktiſchen Erfolg in Ungarn zu ur-
theilen, dürfte dieß doch nicht ſo ganz der Fall ſeyn. Schon gegenwärtig ſind in
Ungarn, Croatien, Slavonien, dem Temeſer Banat und der Woiwodina die Grund-
bücher zum größten Theil in Wirkſamkeit, 7900 Gemeinden in 18 bis 19,000
Grundbuchsprotokollen mit 15 Millionen Parcellen aufgenommen, und faſt 3½
Millionen Grundbuchskörper welche ungebunden und theilbar ſind, dann nahezu
eine Million Grundbuchskörper welche untheilbar ſind, als ganze Seſſionen aufge-
merkt. Der Erfolg dieſer Aufnahmen bewährte ſich dermaßen daß zu Anfang des
Jahrs 1855 bereits 109 Millionen Gulden aus den alten Jutabulationen in die
neuen Grundbücher überwagen waren. Und in dem kurzen Zeitraum von drei Jahren
wurden neuerdings 123 Millionen Gulden grundbücherlich aufgenommen. Dieſe Da-
ten liefern wohl den beſten Beweis daß in Ungaru der Wunſch lebhaft war: em
geordnetes Grundbuch zu beſitzen, denn o ne dasſelbe fehlt es an jedem Realcredit,
mindeſtens iſt er ungemein ſchwierig, und fällt es ſchwer Capitalien auf Realitä-
ten zu erlangen. Ich mache darauf aufmerkſam daß wahrſcheinlich der geehrte Hr.
Vorredner dieſem entgegnen wird: der Artikel 21 des Geſetzes vom Jahr 1844
ſtelle es jedem Adeligen frei ſelbſt das Grundbuch anzulegen, den Grundbeſitz geo-
metriſch zu vermeſſen, durch eine Deputation zu revidiren und das Grundbuch bei dem
Comitate führen zu laſſen. Im Jahr 1844 wurde dieſer Artikel zu Stande gebracht,
allein bis zum Jahr 1847 geſchah meines Wiſſens ſehr wenig, vielleicht gar nichts.
So viel weiß ich daß man bei der Einführung des Grundbuches zwar trachtete ein derarti-
ges Operat zu bekommen, aber es wurde nicht geliefert, und man mußte die Sache neuer-
dings von vorne beginnen. Was nun die Frage der Majorität im Comité ſelbſt betrifft, ſo
glanbe ich daß nach den Statuten und der Geſchäftsordnung zwar die Stimmen-
mehrheit im Comité entſcheidet, daß es jedoch jedem Comitémitglied freiſteht eine
entgegengeſetzte Meinung zu haben, und daß, wenn das Comité es nothwendig er-
achten ſollte bevor es in die Berathung des Details eingeht, eine Principienſrage vor die
Plenarverſammlung zu bringen, der Obmann des Comité's die Pflicht habe dieß
dem hohen Präſidium zur Kenntniß zu bringen, welches ſodann dieſen Gegenſtand
auf die Tagesordnung ſetzen, und der Verſammlung Gelegenheit geben dürfte ſich
über die Principienfrage auszuſprechen. Bei dieſem Anlaß wäre auch die Möglich-
keit geboten daß jener Theil des Comité's welcher in der Minorität ſeyn ſollte ſei-
nen Vorſchlag begründen könne, und die hohe Rathsverſammlung würte dann ent-
ſcheiden ob der Majorität oder ob der Minorität Recht zu geben ſey. Was die
gleichfalls von dem gechrten Hrn. Vorredner angeregte Frage der Sprache betrifft,
ſo erlaube ich mir vor allem zu bemerken daß Hr. Graf Bárkoczy über die Sache
nicht richtig informirt zu ſeyn ſcheint. Die Grundbücher werden im größten Theil
des Großwardeiner Gebiets, im Oedenburger Gebiet und im Peſther Oberlandes-
gerichtsſprengel ihrer Mehrheit nach in ungariſcher Sprache geführt. Im Liptauer
und Trentſchiner Comitat trat die Frage hervor: in welcher Sprache die Grund-
bücher zu führen ſeyen. Hätte das Juſtizminiſterium angeordnet: nach der Sprache
der Bevökerung,“ ſo würde das Grundbuch in ſlovakiſcher Sprache zu führen ge-
weſen ſeyn, denn im Liptauer Comitat befinden ſich vielleicht nur hundert Ungarn,
und der weitaus größte Theil der dortigen Einwohner iſt ſlowakiſch. Es wurde
der Grundſatz angenommen, und auch ſeither von mir ſtets befolgt, daß das Grund-

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[2771/0011] von 850 Piaſtern frei. Jetzt unternahm er eine Rundreiſe durch ſämmtliche von Chriſten bewohnte Dörfer, und verübte allenthalben ähnliche Schand- thaten: ſo zu Sain, wo er vielen die Baſtonnade geben ließ, und andere nur nach Empfang hohen Löſegelds mit dem angedrohten Tod verſchonte; deß- gleichen zu Baghmlikh, wo er Anſtalten machen ließ einen jungen Menſchen zu erdroſſeln, bis ihn die Eltern mit 1200 Piaſtern und Lieferungen an Gerſte und Vieh loskauften; deßgleichen zu Elbetehijeh, wo der Scheikh Kame Paſchur 3000 Piaſter für ſein Leben zahlen mußte; ferner zu Soda, zu Elbradſch, zu Bahua, zu Duher, zu Matn und anderwärts. Aus allen dieſen Ortſchaf- ten zählt das Actenſtück verſchiedene Einzelnheiten auf. Auch enthält es noch die Aufzählung von mannichfachen Gräueln die in dem andern der beiden obengenannten Bezirke, in dem von Marcab, durch den Mudir Muhamed Agha Adra und ſeine Brüder ſowohl an ganzen chriſtlichen Dörfern als auch an einzelnen Perſonen, zum Beiſpiel am Geiſtlichen von Dahr Safra, zu der- ſelben Zeit begangen und in Ladikijah zur Klage gebracht worden ſind. Na- türlich wurde den Klägern von Seite des Kaimakam und des Medſchlis die- ſelbe Behandlung wie den Angehörigen von Khuabi zu Theil. Die Uebelthäter verkehrten fort und fort frei und unangefochten zu Ladikijah, und ermuthigten durch das Beiſpiel ihrer Strafloſigkeit andere mohammedaniſche Fanatiker zur Nachfolge. Gar wohl beriefen ſich die Chriſten auf den Hat Humayum. Der Kaimakam entgegnete darauf daß dieſer Hat zu Ladikijah noch nicht in Wirk- ſamkeit getreten ſey. Dieſelbe Antwort gab er auch dem die Unglücklichen aufs wohlwollendſte vertretenden frauzöfiſchen Viceconſul, wobei er ſogar in ausdrücklichem Widerſpruch mit dem Hat Humayum erklärte daß er außer Stand ſey auch nur chriſtliche Zeugenausſagen gegen Muſelmanen anzu- nehmen. Dieß alles geſchah alſo in neueſter Zeit, in einem Diſtrict der durch die Reſidenz von ſechs europäiſchen Conſularagenten ausgezeichnet iſt. Es bildet keineswegs eine vereinzelte Erſcheinung, eine Ausnahme von der Regel, ſon- dern nur ein paar Beiſpiele von dem heutigen mohammedaniſchen Fanatismus, die ſich mit leichter Mühe aus allen Provinzen des türkiſchen Reichs verviel- fältigen laſſen. Meint man nun daß dieſen Uebelſtänden bei dem zweifelloſen großen Einfluß der chriſtlichen Großmächte leicht genug abzuhelfen ſey, daß es dazu vielleicht nur energiſcher Noten, etwa Collectivnoten des diplomatiſchen Corps zu Konſtantinopel bedürfe? Das wäre ein ſtarker Irrthum. 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Der große König von Preußen, der mit Katharina II zwar ver- bunden war, gerieth endlich in die gegründete Beſorgniß: die übermüthige Kaiſerin, welche Polen Geſetze vorgeſchrieben, könnte auch einmal auf den Gedanken kommen ſich in die Angelegenheiten ſeines Landes zu miſchen. Der Schwedenkönig ſchildert im ſechsten Capitel ſeines Buches die Lage mit folgenden Worten: „Die Pforte blieb Rußlands wachſender Macht gegen- über nicht gleichgültig. Das Haus Oeſterreich fühle die Gefahr eine Macht zum Nachbar zu haben welche keine Gränzen reſpectirt. Iſt einmal die Pforte niedergeworfen, Polen unterjocht und die Donau ein ruſſiſcher Strom geworden, ſo muß der Sturm auch die benachbarten Provinzen über den Haufen werfen. Selbſt der König von Preußen, der Alliirte Ruß- lands, verſöhnte ſich in dieſer Periode allgemeiner Gefahr mit dem Wiener Hofe — eine Thatſache die werth der größten Aufmerkſam- keit iſt, deren Authenticität Friedrich II ſelbſt feſtgeſtellt hat, und woraus ganz Deutſchland und der Norden über die gegenwärtige Lage viel Licht ge- winnen können. Der größte Genius der je auf einem Thron geſeſſen und Prinz Caunitz (Kaunitz), einer der klarſten Staatsmänner, ſahen die Roth- wendigkeit ein den ehrgeizigen Planen Rußlands ein Ende zu machen.“ Damals lag die Gefahr nur im Oſten. Frankreich war wie ſein König durch und durch verpeſtet. Heutzutag iſt eine Macht im Weſten, nicht weniger drohend als die Ludwigs XIV, mit dem alten Maulwurf im Oſten verbündet, die orientaliſche Frage nur für ſanguiniſche Stockjobber vertagt, und man kann noch fragen wo Preußen ſeine Alliirten zu ſuchen hat? Wenigſtens Friedrich II ſtand nicht auf dem Boden der Politik der Tante Voß. Ihm galt Oeſterreich nicht als der unverſöhnliche Erbfeind Preußens. Deutſchland. Wien, 10 Jun. Fortſetzung der Reichsrathsſitzung vom 8 Jun. Juſtizminiſter Graf Nádasdy erwiederte: „Ich werde keineswegs in das Detail eingehen, da dieſes nur in die Sitzun- gen des Comité's gehört. Ich will mich daher im allgemeinen darauf beſchränken hervorzuheben, daß die Grundbuchsordnung ihrer Natur und meiner Anſicht nach für die ganze Monarchie eingeführt werden muß, und zwar mit der Zeit auch für jene Provinzen welche gegenwärtig in dem Patent noch ausgenommen ſind, wie Iſtrien, Dalmatien, das venetianiſche Königreich und die Militärgränze, in welchen Provinzen lediglich die Localverhältniſſe Urſache ſind daß die Einführung der Grund- buchsordnung auf eine ſpätere Zeit verſchoben werden muß. Ich glaube daß das materielle Recht in der ganzen Monarchie eines iſt, nämlich das allgemeine bür- gerliche Geſetzbuch. Das formelle Recht welches mit dem materiellen übereinſtim- men muß, macht es unumgänglich nothwendig daß auch die Grundbuchsord- nung (als formelles Recht) für die ganze Monarchie eine und dieſelbe ſey. Uebri- gens iſt von Seite des Juſtizminiſteriums dafür Sorge getragen worden, daß ſo weit als in den verſchiedenen Kronländern beſondere Rückſichten vorherrſchen, auch den vorhandenen verſchiedenen Bedürfniſſen Rechnung getragen werde. Es iſt ferner von dem geehrten Vorredner die Frage zur Sprache gebracht worden: ob die Land- tafeln zerriſſen werden, oder ob ſie fortbeſtehen ſollen wie ſie gegenwärtig ſind. Dieſe Frage liegt jedoch, wie ich mir zu bemerken erlaube, dem Reichsrath gar nicht zur Entſcheidung vor. Ich habe ſie ſelbſt Sr. Maj. dem Kaiſer, unſerm allergnädigſten Herrn, noch nicht vorgelegt. Sie wird vielleicht dereinſt in den Landesoertretungen verhandelt werden, und man muß daher abwarten ob man ſeiner Zeit die Land- tafeln beibehalten oder ſie in verſchiedene Theile ſondern wird. Was nun ſpeciell Ungarn betrifft, ſo iſt die vorliegende Frage mit Beziehung auf dieſes Land noch ganz unentſchieden. Es ſind zwar Grundbücher angelegt, aber es iſt noch nicht feſtgeſtellt ob eine Landtafel für den adeligen Grundbeſitz oder ob mehrere Land- tafeln, ob etwa für jedes Comitat eine eigene, beſtehen wird. Alle dieſe Fragen ſind ſernern Berhandlungen vorbehalten, und falls Se. Majeſtät ſelbe dem unga- riſchen Landtag zuweiſen ſollte, ſo wird derſelbe Gelegenheit haben darüber zu be- rathen. Mit großem Bedauern habe ich aus der Rede des Hrn. Grafen v. Bárkoczy entnommen daß er den ganzen Entwurf der Grundbuchsordnung als verfehlt darge- ſtellt hat. Es iſt ſehr ſchwer hierauf eine Antwort zu ertheilen, denn ich müßte zu dieſem Ende hier in das Detail des Entwurfs eingehen. Ich werde mich aber bloß auf den praktiſchen Erfolg in dieſer Angelegenheit berufen. Es iſt möglich daß der Entwurf ein verfehlter ſey, aber nach dem praktiſchen Erfolg in Ungarn zu ur- theilen, dürfte dieß doch nicht ſo ganz der Fall ſeyn. Schon gegenwärtig ſind in Ungarn, Croatien, Slavonien, dem Temeſer Banat und der Woiwodina die Grund- bücher zum größten Theil in Wirkſamkeit, 7900 Gemeinden in 18 bis 19,000 Grundbuchsprotokollen mit 15 Millionen Parcellen aufgenommen, und faſt 3½ Millionen Grundbuchskörper welche ungebunden und theilbar ſind, dann nahezu eine Million Grundbuchskörper welche untheilbar ſind, als ganze Seſſionen aufge- merkt. Der Erfolg dieſer Aufnahmen bewährte ſich dermaßen daß zu Anfang des Jahrs 1855 bereits 109 Millionen Gulden aus den alten Jutabulationen in die neuen Grundbücher überwagen waren. Und in dem kurzen Zeitraum von drei Jahren wurden neuerdings 123 Millionen Gulden grundbücherlich aufgenommen. Dieſe Da- ten liefern wohl den beſten Beweis daß in Ungaru der Wunſch lebhaft war: em geordnetes Grundbuch zu beſitzen, denn o ne dasſelbe fehlt es an jedem Realcredit, mindeſtens iſt er ungemein ſchwierig, und fällt es ſchwer Capitalien auf Realitä- ten zu erlangen. Ich mache darauf aufmerkſam daß wahrſcheinlich der geehrte Hr. Vorredner dieſem entgegnen wird: der Artikel 21 des Geſetzes vom Jahr 1844 ſtelle es jedem Adeligen frei ſelbſt das Grundbuch anzulegen, den Grundbeſitz geo- metriſch zu vermeſſen, durch eine Deputation zu revidiren und das Grundbuch bei dem Comitate führen zu laſſen. Im Jahr 1844 wurde dieſer Artikel zu Stande gebracht, allein bis zum Jahr 1847 geſchah meines Wiſſens ſehr wenig, vielleicht gar nichts. So viel weiß ich daß man bei der Einführung des Grundbuches zwar trachtete ein derarti- ges Operat zu bekommen, aber es wurde nicht geliefert, und man mußte die Sache neuer- dings von vorne beginnen. Was nun die Frage der Majorität im Comité ſelbſt betrifft, ſo glanbe ich daß nach den Statuten und der Geſchäftsordnung zwar die Stimmen- mehrheit im Comité entſcheidet, daß es jedoch jedem Comitémitglied freiſteht eine entgegengeſetzte Meinung zu haben, und daß, wenn das Comité es nothwendig er- achten ſollte bevor es in die Berathung des Details eingeht, eine Principienſrage vor die Plenarverſammlung zu bringen, der Obmann des Comité's die Pflicht habe dieß dem hohen Präſidium zur Kenntniß zu bringen, welches ſodann dieſen Gegenſtand auf die Tagesordnung ſetzen, und der Verſammlung Gelegenheit geben dürfte ſich über die Principienfrage auszuſprechen. Bei dieſem Anlaß wäre auch die Möglich- keit geboten daß jener Theil des Comité's welcher in der Minorität ſeyn ſollte ſei- nen Vorſchlag begründen könne, und die hohe Rathsverſammlung würte dann ent- ſcheiden ob der Majorität oder ob der Minorität Recht zu geben ſey. Was die gleichfalls von dem gechrten Hrn. Vorredner angeregte Frage der Sprache betrifft, ſo erlaube ich mir vor allem zu bemerken daß Hr. Graf Bárkoczy über die Sache nicht richtig informirt zu ſeyn ſcheint. Die Grundbücher werden im größten Theil des Großwardeiner Gebiets, im Oedenburger Gebiet und im Peſther Oberlandes- gerichtsſprengel ihrer Mehrheit nach in ungariſcher Sprache geführt. Im Liptauer und Trentſchiner Comitat trat die Frage hervor: in welcher Sprache die Grund- bücher zu führen ſeyen. Hätte das Juſtizminiſterium angeordnet: nach der Sprache der Bevökerung,“ ſo würde das Grundbuch in ſlovakiſcher Sprache zu führen ge- weſen ſeyn, denn im Liptauer Comitat befinden ſich vielleicht nur hundert Ungarn, und der weitaus größte Theil der dortigen Einwohner iſt ſlowakiſch. Es wurde der Grundſatz angenommen, und auch ſeither von mir ſtets befolgt, daß das Grund-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860, S. 2771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine166_1860/11>, abgerufen am 10.06.2024.