Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
die bestehenden Berhältnisse ganz mit Stillschweigen übergehen; indem sie In diesen beiden Beziehungen hat nun der Artikel des Siecle eine sehr Der eigentliche Inhalt ist nur durch die Anmaßung und Unwissenheit Wenn der Siecle von den verfluchten Berträgen von 1815 Wenn der Siecle ferner von einer allgemeinen Beunruhigung spricht, so Wenn übrigens der Siecle glaubt daß wir Deutschen uns in derselben Mag immerhin Louis Napoleon nach Baden kommen, er wird dort Deutschland. Bayern. München, 12 Jun. In diesen Tagen ist, wie wir hö- Kaiserslautern, 11 Jun. In der Pfälzer Ztg. vom 11 Jun. Aus der Pfalz den 12 Jun. Die angesehensten Einwohner von Gr. Hessen. Darmstadt, 10 Jun. Der gestrige Geburtstag des F. Waldeck. Arolsen, 9 Jun. Der Abg. Wirths hat bei dem K. Hannover. Hannover, 12 Jun. Die erste Kammer hat Preußen. Berlin, 13 Jun. Die heutige, gestern Abend ausge- [Spaltenumbruch]
die beſtehenden Berhältniſſe ganz mit Stillſchweigen übergehen; indem ſie In dieſen beiden Beziehungen hat nun der Artikel des Siècle eine ſehr Der eigentliche Inhalt iſt nur durch die Anmaßung und Unwiſſenheit Wenn der Siècle von den verfluchten Berträgen von 1815 Wenn der Siècle ferner von einer allgemeinen Beunruhigung ſpricht, ſo Wenn übrigens der Siècle glaubt daß wir Deutſchen uns in derſelben Mag immerhin Louis Napoleon nach Baden kommen, er wird dort Deutſchland. Bayern. München, 12 Jun. In dieſen Tagen iſt, wie wir hö- Kaiſerslautern, 11 Jun. In der Pfälzer Ztg. vom 11 Jun. Aus der Pfalz den 12 Jun. Die angeſehenſten Einwohner von Gr. Heſſen. Darmſtadt, 10 Jun. Der geſtrige Geburtstag des F. Waldeck. Arolſen, 9 Jun. Der Abg. Wirths hat bei dem K. Hannover. Hannover, 12 Jun. Die erſte Kammer hat Preußen. ∆ Berlin, 13 Jun. Die heutige, geſtern Abend ausge- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="2782"/><cb/> die beſtehenden Berhältniſſe ganz mit Stillſchweigen übergehen; indem ſie<lb/> dieſelben in Abrede zu ſtellen ſucht, oder als Irrthum, als Täuſchung be-<lb/> kämpft, erkennt ſie deren Beſtehen an!</p><lb/> <p>In dieſen beiden Beziehungen hat nun der Artikel des Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle eine ſehr<lb/> bedeutende Tragweite. Er zeigt einerſeits wie eifrig der zweite December die<lb/> Reviſion der Verträge von 1815 anſtrebt, und wie ſehr die innern Zuſtände<lb/> Frankreichs, das ſich ſchon wieder zu langweilen ſcheint, dazu antreiben neue<lb/> Unterhaltungen in Scene zu ſetzen.</p><lb/> <p>Der eigentliche Inhalt iſt nur durch die Anmaßung und Unwiſſenheit<lb/> bemerkenswerth welche die officielle Preſſe Frankreichs kennzeichnen. Andere<lb/> haben — wiewohl mit einer Zurückhaltung die hier ſehr am unrechten Ort<lb/> iſt, die aber öfficiöſe Organe, wie die Preuß. Ztg., für nöthig halten mögen —<lb/> geantwortet; es ſey uns geſtattet ſo zu antworten wie die Sinnesart des<lb/> Volkes, zumal in Süddeutſchland, das wir ganz genau zu kennen glauben, es<lb/> uns eingibt.</p><lb/> <p>Wenn der Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle von den verfluchten Berträgen von 1815<lb/> ſpricht, welche die Völker ohne ſie zu fragen vertheilten, ſo ſind wir<lb/> weit entfernt das in Abrede zu ſtellen. Auch wir verfluchen die Ver-<lb/> träge von 1815 weil ſie Frankreich wahnſinnigerweiſe die Mittel ließen<lb/> den Frieden Europa’s jeden Tag zu ſtören, die Schwäche Deutſchlands,<lb/> die Kleinſtaaterei, die Wehrloſigkeit ſeiner ſchlecht beſtimmten Gränzen u. ſ. w.<lb/> verewigten; auch wir ſind überzeugt daß, wären die Völker um ihre Meinung<lb/> gefragt worden, die Karte Europa’s ganz anders ausgefallen wäre. Daß dieß<lb/> freilich nicht in dem Sinn in welchem der Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle ihre Umgeſtaltung verlangt<lb/> der Fall geweſen ſeyn würde, bedarf keiner Erörterung!</p><lb/> <p>Wenn der Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle ferner von einer allgemeinen Beunruhigung ſpricht, ſo<lb/> ſind wir ebenſowenig geſonnen dieſe in Abrede zu ſtellen; nur irrt er hin-<lb/> ſichtlich der Urſachen, wenigſtens bezüglich Deutſchlands. Nicht das Bewußt-<lb/> ſeyn unrechtes Gut zu beſitzen, ſondern das beunruhigt uns: ſeiner Zeit nicht<lb/> die gehörigen Vorkehrungen getroffen zu haben um unſer Hab und Gut gegen<lb/> Raub und Einbruch ſicherzuſtellen. Auch der muthigſte Mann, der ſich des<lb/> wohlerworbenen Beſitzes ſeines Guts vollkommenen bewußt iſt, wird unruhig<lb/> und beſorgt wenn er wahrnimmt daß die öffentliche Sicherheit aufgehört hat,<lb/> wenn er ſieht daß täglich ein Nachbar ſeiner Habe beraubt wird, daß man<lb/> ganz offen und ungeſcheut über fremdes Gut verfügt, als gäbe es gar kein<lb/> Eigenthumsrecht mehr. Seit Frankreich ſich als den Streiter Gottes erklärt<lb/> hat, der ohne alle eigennützige Abſicht nur für Ideen kämpft, ſeit dieſe Idee<lb/> ſich ſchließlich als Annexion entpuppt hat, ſeit „Annexion“ in die techniſche<lb/> Sprache derjenigen Induſtrie übergegangen iſt die auf fremdes Eigenthum<lb/> ſpeculirt, ſeitdem man „die Nationalitäten“ anruft um ſüdlich der Alpen zu<lb/> annexiren, und „die natürlichen Gränzen“ um nördlich derſelben da zu anne-<lb/> xiren wo das Nationalitätsprincip zwingen würde den alten Raub heraus-<lb/> zugeben, ſeitdem die Verträge durch die Macht der Thatſachen ihre verbind-<lb/> liche Kraft verlieren, ſeitdem beſindet ſich Europa ganz einfach im Zuſtande<lb/> des Fauſtrechts, und daß ein ſolcher, für den der bisher an anderes dachte als<lb/> an die raſcheſte und rückſichtsloſeſte Handhabung rechtloſer Gewalt, nicht eben<lb/> beruhigend iſt, verſteht ſich wohl von ſelbſt.</p><lb/> <p>Wenn übrigens der Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle glaubt daß wir Deutſchen uns in derſelben<lb/> Weiſe durch jene erbärmliche Komödie des allgemeinen Stimmrechts um<lb/> unſere rheiniſchen Gränzlande werden betrügen laſſen wie Italien, ſo vergißt<lb/> er daß wir eben keine Italiener ſind, und daß wir keine italieniſchen Zuſtände<lb/> baben. Iſt auch bei uns noch lange nicht alles wie es ſeyn ſollte, und könnte,<lb/> ſo wollen und werden wir doch unſere Angelegenheiten ſelbſt zu ſchlichten und<lb/> zu ordnen wiſſen; wir ſind nicht erbärmlich genug um deßhalb zu fremder<lb/> Hülfe unſere Zuflucht zu nehmen, und hätten wir ſelbſt nicht ſo viel Ehr- und<lb/> Selbſtgefühl um die Einmiſchung eines Herrſchers, der ſein eigenes Volk in<lb/> der ſchmachvollſten Knechtſchaft hält, zu verabſcheuen, ſo ſind wir doch jeden-<lb/> falls klug genug um zu begreifen daß jene Hülfe eben ſo theuer als gefährlich<lb/> iſt, daß wir ſie mit unſerm köſtlichſten Beſitz erkaufen müßten, um ſie ſchon<lb/> deßhalb weit wegzuſtoßen.</p><lb/> <p>Mag immerhin Louis Napoleon nach Baden kommen, er wird dort<lb/> nichts ausrichten; er wird Deutſchlands Fürſten nicht beruhigen, er wird ſie<lb/> noch weniger für ſeine Abſichten gewinnen können. Deutſchland iſt leider noch<lb/> immer ſehr ſchwer in Bewegung zu bringen, aber es hält auch um ſo zäher<lb/> an dem ſeſt was es einmal erfaßt hat; es iſt nun einmal von tiefem Miß-<lb/> trauen erfüllt gegen den Mann den es als die Verkörperung von Unter-<lb/> drückung und rechtloſer Gewalt anſieht, und niemand, wie hochgeſtellt er<lb/> auch ſey, iſt im Stand ihm dieſes Mißtrauen zu nehmen; Louis Napoleons<lb/> Erſcheinen in Baden wird nur dazu dienen die Nähe der Gefahr recht klar<lb/> vor Augen zu ſtellen, man wird das Gegentheil von allem glauben was er<lb/> belheuert, und ſo wird er hoffentlich dazu beitragen jene Einigung zu fördern<lb/> auf welcher Deutſchlands Hoffnung beruht.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſchland.</hi> </head><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Bayern.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">München,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>In dieſen Tagen iſt, wie wir hö-<lb/> rey, die Antikenſammlung des verſtorbenen Thierſch verlauft worden: der Groß-<lb/><cb/> herzog von Baden hat ſie für den Preis von 6000 fl. erſtanden, um ſie der<lb/> Karlsruher Kunfihalle einzuverleiben. Bei der Beſtimmung des Preiſes hat<lb/> offenbar neben dem antiquariſchen Werth der Sammlung die Pietät gegen<lb/> den Namen des frühern Beſitzers mitgewirkt: eine Pietät wie ſie nach unſerm<lb/> Dafürhalten in allen Fällen dieſer Art geübt werden ſollte, und wohl vor<lb/> allem da wo ſie ſich in tauſend localen Erinn erungen aufdrängt. Aus dieſem<lb/> Grunde hätten wir gewünſcht daß die Sammlung unſerer Stadt erhalten ge-<lb/> blieben wäre, woranf, ſoviel wir wiſſen, von mehreren Seiten mit pietätvollem<lb/> Nachdruck hingewirkt ward. (<hi rendition="#g">Südd. 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Kur.</hi> zufolge der Heidelberger Erklärung an-<lb/> geſchloſſen, mit folgendem Zuſatz: „Wir wohnen auf dem linken Rheinufer,<lb/> hart an der franzöſiſchen Gränze, und ſo mag unſere heutige Erklärung zu-<lb/> gleich als Antwort gelten auf die eben ſo leichtfertigen als unverſchämten<lb/> Aeußerungen des Pariſer Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle über die „natürlichen Gränzen.“ Wir<lb/> waren von jeher Deutſche und wollen Deutſche bleiben; das iſt unſer Stolz!<lb/> Es fehlt unſerm Vaterland zwar noch vieles zur nöthigen Einheit und Macht;<lb/> wir bedürfen aber dazu keines fremden Rathes noch Beiſtandes; wir werden<lb/> das Ziel durch uns ſelbſt erreichen, und aus eigener Kraft des Vaterlandes<lb/> Größe herbeiführen; das iſt unſere Hoffnung!“</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Gr. Heſſen.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Darmſtadt,</hi> 10 Jun.</dateline> <p>Der geſtrige Geburtstag des<lb/> Großherzogs hat außer ſehr zahlreichen Ordensverleihungen, über fünfzig,<lb/> auch mehrere nicht unwichtige Veränderungen im höheren Staatsdienſt ge-<lb/> bracht. An die Stelle des kürzlich verſtorbenen geheimen Raths Hallwachs<lb/> iſt der Juſtizminiſter <hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. Lindelof Präſident des Staatsraths geworden.<lb/> Der Präſident des Oberconſiſtoriums, frühere Staatsminiſter <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Jaup, hat<lb/> die wegen vorgerückten Alters nachgeſuchte Quieſcirung erhalten, und der<lb/> geheime Rath v. Lepel, bisher Referent im Staatsrathe, wurde zum Prä-<lb/> ſidenten des Oberconſiſtoriums ernannt. Der Miniſterialrath a. D., Eigen-<lb/> brodt, Mitglied des Miniſteriums Gagern und näherer Freund Heinrich<lb/> v. Gagerns, ſeit 1849 in Ruheſtand verſetzt, wurde wieder in den activen<lb/> Dienſt berufen, und an Hrn. v. Lepels Stelle zum Referenten im Staats-<lb/> rath ernannt. Es iſt begreiflich daß dieſe Reactivirung, zumal im jetzigen<lb/> Augenblick, zu verſchiedenen Vorausſetzungen Anlaß gibt. (<hi rendition="#g">Frkf.</hi> J.)</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head>F. <hi rendition="#g">Waldeck.</hi></head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Arolſen,</hi> 9 Jun.</dateline> <p>Der Abg. <hi rendition="#g">Wirths</hi> hat bei dem<lb/> wiederverſammelten Landtag folgende Anträge geſtellt: 1) Stände wollen ihr<lb/> Bedauern darüber ausſprechen daß der Bundestag die Rechte des kurheſſiſchen<lb/> Volks in ſeiner betreffenden Entſcheidung ſo wenig zu würdigen gewußt, und<lb/> in Folge deſſen alle deutſchen Verfaſſungen der Willkür preisgegeben habe.<lb/> 2) Stände wollen gegen fürſtliche Regierung die Erwartung ausſprechen daß<lb/> ſie ſich allen Maßregeln die von Preußen für die politiſchen Rechte Schleswig-<lb/> Holſteins würden ergriffen werden, anſchließen werde. (D. 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Daß die ſchon geſtern von mir erwähnten, der Zu-<lb/> ſammenkunft der Fürſten vorausgegangenen Vorverhandlungen ſehr erſchöp-<lb/> ſender Art geweſen ſind, und außer dem ſchriftlichen Verkehr in mehrfachen<lb/> Conferenzen zwiſchen dem Fürſten Latour d’Auvergne und dem Frhrn. v.<lb/> Schleinitz beſtanden haben, kann ich heute abermals be kätigen, wie hier denn<lb/> von vernherein eine der Zuſammenkunft entſchieden abgeneigte Stimmung<lb/> beſtand, deren ſchließliche Beſeitigung vornehmlich den Bemühungen des Gra-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2782/0002]
die beſtehenden Berhältniſſe ganz mit Stillſchweigen übergehen; indem ſie
dieſelben in Abrede zu ſtellen ſucht, oder als Irrthum, als Täuſchung be-
kämpft, erkennt ſie deren Beſtehen an!
In dieſen beiden Beziehungen hat nun der Artikel des Siècle eine ſehr
bedeutende Tragweite. Er zeigt einerſeits wie eifrig der zweite December die
Reviſion der Verträge von 1815 anſtrebt, und wie ſehr die innern Zuſtände
Frankreichs, das ſich ſchon wieder zu langweilen ſcheint, dazu antreiben neue
Unterhaltungen in Scene zu ſetzen.
Der eigentliche Inhalt iſt nur durch die Anmaßung und Unwiſſenheit
bemerkenswerth welche die officielle Preſſe Frankreichs kennzeichnen. Andere
haben — wiewohl mit einer Zurückhaltung die hier ſehr am unrechten Ort
iſt, die aber öfficiöſe Organe, wie die Preuß. Ztg., für nöthig halten mögen —
geantwortet; es ſey uns geſtattet ſo zu antworten wie die Sinnesart des
Volkes, zumal in Süddeutſchland, das wir ganz genau zu kennen glauben, es
uns eingibt.
Wenn der Siècle von den verfluchten Berträgen von 1815
ſpricht, welche die Völker ohne ſie zu fragen vertheilten, ſo ſind wir
weit entfernt das in Abrede zu ſtellen. Auch wir verfluchen die Ver-
träge von 1815 weil ſie Frankreich wahnſinnigerweiſe die Mittel ließen
den Frieden Europa’s jeden Tag zu ſtören, die Schwäche Deutſchlands,
die Kleinſtaaterei, die Wehrloſigkeit ſeiner ſchlecht beſtimmten Gränzen u. ſ. w.
verewigten; auch wir ſind überzeugt daß, wären die Völker um ihre Meinung
gefragt worden, die Karte Europa’s ganz anders ausgefallen wäre. Daß dieß
freilich nicht in dem Sinn in welchem der Siècle ihre Umgeſtaltung verlangt
der Fall geweſen ſeyn würde, bedarf keiner Erörterung!
Wenn der Siècle ferner von einer allgemeinen Beunruhigung ſpricht, ſo
ſind wir ebenſowenig geſonnen dieſe in Abrede zu ſtellen; nur irrt er hin-
ſichtlich der Urſachen, wenigſtens bezüglich Deutſchlands. Nicht das Bewußt-
ſeyn unrechtes Gut zu beſitzen, ſondern das beunruhigt uns: ſeiner Zeit nicht
die gehörigen Vorkehrungen getroffen zu haben um unſer Hab und Gut gegen
Raub und Einbruch ſicherzuſtellen. Auch der muthigſte Mann, der ſich des
wohlerworbenen Beſitzes ſeines Guts vollkommenen bewußt iſt, wird unruhig
und beſorgt wenn er wahrnimmt daß die öffentliche Sicherheit aufgehört hat,
wenn er ſieht daß täglich ein Nachbar ſeiner Habe beraubt wird, daß man
ganz offen und ungeſcheut über fremdes Gut verfügt, als gäbe es gar kein
Eigenthumsrecht mehr. Seit Frankreich ſich als den Streiter Gottes erklärt
hat, der ohne alle eigennützige Abſicht nur für Ideen kämpft, ſeit dieſe Idee
ſich ſchließlich als Annexion entpuppt hat, ſeit „Annexion“ in die techniſche
Sprache derjenigen Induſtrie übergegangen iſt die auf fremdes Eigenthum
ſpeculirt, ſeitdem man „die Nationalitäten“ anruft um ſüdlich der Alpen zu
annexiren, und „die natürlichen Gränzen“ um nördlich derſelben da zu anne-
xiren wo das Nationalitätsprincip zwingen würde den alten Raub heraus-
zugeben, ſeitdem die Verträge durch die Macht der Thatſachen ihre verbind-
liche Kraft verlieren, ſeitdem beſindet ſich Europa ganz einfach im Zuſtande
des Fauſtrechts, und daß ein ſolcher, für den der bisher an anderes dachte als
an die raſcheſte und rückſichtsloſeſte Handhabung rechtloſer Gewalt, nicht eben
beruhigend iſt, verſteht ſich wohl von ſelbſt.
Wenn übrigens der Siècle glaubt daß wir Deutſchen uns in derſelben
Weiſe durch jene erbärmliche Komödie des allgemeinen Stimmrechts um
unſere rheiniſchen Gränzlande werden betrügen laſſen wie Italien, ſo vergißt
er daß wir eben keine Italiener ſind, und daß wir keine italieniſchen Zuſtände
baben. Iſt auch bei uns noch lange nicht alles wie es ſeyn ſollte, und könnte,
ſo wollen und werden wir doch unſere Angelegenheiten ſelbſt zu ſchlichten und
zu ordnen wiſſen; wir ſind nicht erbärmlich genug um deßhalb zu fremder
Hülfe unſere Zuflucht zu nehmen, und hätten wir ſelbſt nicht ſo viel Ehr- und
Selbſtgefühl um die Einmiſchung eines Herrſchers, der ſein eigenes Volk in
der ſchmachvollſten Knechtſchaft hält, zu verabſcheuen, ſo ſind wir doch jeden-
falls klug genug um zu begreifen daß jene Hülfe eben ſo theuer als gefährlich
iſt, daß wir ſie mit unſerm köſtlichſten Beſitz erkaufen müßten, um ſie ſchon
deßhalb weit wegzuſtoßen.
Mag immerhin Louis Napoleon nach Baden kommen, er wird dort
nichts ausrichten; er wird Deutſchlands Fürſten nicht beruhigen, er wird ſie
noch weniger für ſeine Abſichten gewinnen können. Deutſchland iſt leider noch
immer ſehr ſchwer in Bewegung zu bringen, aber es hält auch um ſo zäher
an dem ſeſt was es einmal erfaßt hat; es iſt nun einmal von tiefem Miß-
trauen erfüllt gegen den Mann den es als die Verkörperung von Unter-
drückung und rechtloſer Gewalt anſieht, und niemand, wie hochgeſtellt er
auch ſey, iſt im Stand ihm dieſes Mißtrauen zu nehmen; Louis Napoleons
Erſcheinen in Baden wird nur dazu dienen die Nähe der Gefahr recht klar
vor Augen zu ſtellen, man wird das Gegentheil von allem glauben was er
belheuert, und ſo wird er hoffentlich dazu beitragen jene Einigung zu fördern
auf welcher Deutſchlands Hoffnung beruht.
Deutſchland.
Bayern.
München, 12 Jun. In dieſen Tagen iſt, wie wir hö-
rey, die Antikenſammlung des verſtorbenen Thierſch verlauft worden: der Groß-
herzog von Baden hat ſie für den Preis von 6000 fl. erſtanden, um ſie der
Karlsruher Kunfihalle einzuverleiben. Bei der Beſtimmung des Preiſes hat
offenbar neben dem antiquariſchen Werth der Sammlung die Pietät gegen
den Namen des frühern Beſitzers mitgewirkt: eine Pietät wie ſie nach unſerm
Dafürhalten in allen Fällen dieſer Art geübt werden ſollte, und wohl vor
allem da wo ſie ſich in tauſend localen Erinn erungen aufdrängt. Aus dieſem
Grunde hätten wir gewünſcht daß die Sammlung unſerer Stadt erhalten ge-
blieben wäre, woranf, ſoviel wir wiſſen, von mehreren Seiten mit pietätvollem
Nachdruck hingewirkt ward. (Südd. Ztg.)
Kaiſerslautern, 11 Jun. In der Pfälzer Ztg. vom 11 Jun.
findet ſich, in einem Artikel welcher nebſt anderem über den Empfang der
Proteſtanten-Deputation bei dem König berichtet, folgende Stelle: „Wie
verlautet, wurde ihr bedeutet daß an allerhöchſt ſanctionirten Beſchluſſen
nichts geändert werden könne.“ Ein Mitglied der Deputation ſieht ſich zu
der Erklärung veranlaßt: daß während des Empfangs der Deputation keine
Aeußerung fiel welche dem Wortlaut oder dem Sinn nach Grund zu dieſer
Angabe geben konnte. — Ein früheres Geſuch der Geſangbuchsdeputation
um eine Audienz war nach der Pfälzer Zeitung abſchläglich beſchieden worden,
bei der Anwefenheit in der Pfalz aber gewährte der König nachträglich der
Deputation eine Audienz.
Aus der Pfalz den 12 Jun. Die angeſehenſten Einwohner von
Bergzabern haben ſich dem Pf. Kur. zufolge der Heidelberger Erklärung an-
geſchloſſen, mit folgendem Zuſatz: „Wir wohnen auf dem linken Rheinufer,
hart an der franzöſiſchen Gränze, und ſo mag unſere heutige Erklärung zu-
gleich als Antwort gelten auf die eben ſo leichtfertigen als unverſchämten
Aeußerungen des Pariſer Siècle über die „natürlichen Gränzen.“ Wir
waren von jeher Deutſche und wollen Deutſche bleiben; das iſt unſer Stolz!
Es fehlt unſerm Vaterland zwar noch vieles zur nöthigen Einheit und Macht;
wir bedürfen aber dazu keines fremden Rathes noch Beiſtandes; wir werden
das Ziel durch uns ſelbſt erreichen, und aus eigener Kraft des Vaterlandes
Größe herbeiführen; das iſt unſere Hoffnung!“
Gr. Heſſen.
Darmſtadt, 10 Jun. Der geſtrige Geburtstag des
Großherzogs hat außer ſehr zahlreichen Ordensverleihungen, über fünfzig,
auch mehrere nicht unwichtige Veränderungen im höheren Staatsdienſt ge-
bracht. An die Stelle des kürzlich verſtorbenen geheimen Raths Hallwachs
iſt der Juſtizminiſter Dr. v. Lindelof Präſident des Staatsraths geworden.
Der Präſident des Oberconſiſtoriums, frühere Staatsminiſter Dr. Jaup, hat
die wegen vorgerückten Alters nachgeſuchte Quieſcirung erhalten, und der
geheime Rath v. Lepel, bisher Referent im Staatsrathe, wurde zum Prä-
ſidenten des Oberconſiſtoriums ernannt. Der Miniſterialrath a. D., Eigen-
brodt, Mitglied des Miniſteriums Gagern und näherer Freund Heinrich
v. Gagerns, ſeit 1849 in Ruheſtand verſetzt, wurde wieder in den activen
Dienſt berufen, und an Hrn. v. Lepels Stelle zum Referenten im Staats-
rath ernannt. Es iſt begreiflich daß dieſe Reactivirung, zumal im jetzigen
Augenblick, zu verſchiedenen Vorausſetzungen Anlaß gibt. (Frkf. J.)
F. Waldeck.
Arolſen, 9 Jun. Der Abg. Wirths hat bei dem
wiederverſammelten Landtag folgende Anträge geſtellt: 1) Stände wollen ihr
Bedauern darüber ausſprechen daß der Bundestag die Rechte des kurheſſiſchen
Volks in ſeiner betreffenden Entſcheidung ſo wenig zu würdigen gewußt, und
in Folge deſſen alle deutſchen Verfaſſungen der Willkür preisgegeben habe.
2) Stände wollen gegen fürſtliche Regierung die Erwartung ausſprechen daß
ſie ſich allen Maßregeln die von Preußen für die politiſchen Rechte Schleswig-
Holſteins würden ergriffen werden, anſchließen werde. (D. Bl.)
K. Hannover.
Hannover, 12 Jun. Die erſte Kammer hat
geſtern ihren neulich gefaßten Beſchluß, die Vertretung des Domcapitels zu
Osnabrück in der Kammer betreffend, wonach „die Einberufung des Depu-
tirten nicht eher erfolgen ſollte als bis auch die Vertretung der evangeliſchen
Geiſtlichkeit, namentlich inſoweit ſie noch in den Händen der Mannsſtifter ſich
befindet, anderweitig geregelt iſt,“ wieder fallen laſſen, und iſt dem der Re-
gierungsvorlage zuſtimmenden Beſchluſſe zweiter Kammer beigetreten. (Ztg.
f. Nordd.)
Preußen.
∆ Berlin, 13 Jun. Die heutige, geſtern Abend ausge-
gebene, Nummer der Kreuzzeitung bringt einen weitern Artikel über die Ver-
anlaſſungsgründe zu der nunmehrigen Zuſammenkunſt des Prinz-Regenten
mit dem Kaiſer Louis Napoleon, welcher durchweg mit meinen Ihnen geſtern
gemachten Mittheilungen übereinſtimmt. Die Berliner Preſſe druckt heute
Morgen in allen ihren Organen den Kreuzzeitungsartikel wörtlich nach, und
Sie können ſchon daraus entnehmen daß man ihn auch hier für wichtig und
wohlbegründet anſieht. Daß die ſchon geſtern von mir erwähnten, der Zu-
ſammenkunft der Fürſten vorausgegangenen Vorverhandlungen ſehr erſchöp-
ſender Art geweſen ſind, und außer dem ſchriftlichen Verkehr in mehrfachen
Conferenzen zwiſchen dem Fürſten Latour d’Auvergne und dem Frhrn. v.
Schleinitz beſtanden haben, kann ich heute abermals be kätigen, wie hier denn
von vernherein eine der Zuſammenkunft entſchieden abgeneigte Stimmung
beſtand, deren ſchließliche Beſeitigung vornehmlich den Bemühungen des Gra-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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