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Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 16. Juni 1860.

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AUGSBURG. Das Abonnement,
welches je vierteljährlich und halb-
jährlich angenommen wird, beträgt in
Bayern vierteljährlich 4 fl. 45 kr.
Feremsmünze.

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Allgemeine Zeitung.
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Inserate werden von der Expedition
aufgenommen und der Raum einer
dreispaltigen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der
Beilage mit 9 kr.



Sonnabend
Nr. 168.
16 Junius 1860.


Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
Man abonnirt bei allen Postämtern Deutschlands Oesterreichs und der Schwetz: für Frankreich, Sardinien, Spamen und Portugal bei G. A. Alexandre in Strasburg, Paris bei demselben,
2 Cour du Commerce St. Andre des Arts, und bei der deutschen Buchhandlung von F. Klincksieck, Nr. 44 rue de Lille, oder bei dem Postamt in Karlsruhe; für England bei Williams & Norgate,
14 Henriette-Street, Covent-Garden in London für Nordamerika bei dem königl. preussischen Postamt Cöln oder Westermann & Comp. in New-York; für Italien bei den k. k. Postämtern zu
innsbruck, Verona, Venedig, Triest und Mailand; im Kirchenstaat und den Herzogthumern Lucca, Modena, Parma und Toscana bei Buchhändler H. F. Münster in Verona: für Neapel und
Sicilien bei Buchhändler Albert Detken in Neapel; für Griechenland, Türket und die Levante etc. beim k. k. Postamt in Triest.


Uebersicht.
Die Zurücknahme der Russell'schen Reformbill.
Die Einnahme Palermo's. III.
Deutschland. München (aus der Sitzung der physikalisch-mathe-
matischen Classe der Akademie der Wissenschaften. Das König Max-Stand-
bild für Bayreuth. Eine Schwester Platens +. Comite zur Aufsindung des
Reisenden Dr. Vogel); Stuttgart (die Zusammenkunft in Baden); Aus
Baden
(der Ankauf der Thiersch'schen Antikensammlung); Kassel (zum
neuen Wahlgesetz); Dresden (Hr. v. Beust. Eine Petition in Betreff des
Handelsgesetzbuchs); Berlin (statistische Litteratur. Der Prinz-Regent und
die Conferenz in Baden. Preußens auswärtige Beziehungen. Der Herzog
v. Osunda. Aus Südrußland. Erlaß des Oberkirchenraths. Preußische Uni-
formen für die siamesische Regierung); Wien (der Reicherath. Berichtigung
von Seiten des niederösterreichischen Gewerbevereins. Die neuen Verordnun-
gen über das lombardisch-venetianische Königreich. Das Finanzcomite des
Reichsraths. Reorganisation der Controlbehörden).
Schweiz. Bern (Garibaldi-Subscription. Pariser Correspondenzen
über die Zusammenkunft des Prinz-Regenten mit Louis Napoleon. Ein neues
Resultat Napoleonischer Studien. Besetzung von Chambery); Genf (die
Frage der Rheingränzen in der Revue de Geneve. Der Anschluß Savoyens.
John Perrier).
Großbritannien. Die Erklärungen Lord Palmerstons über Sicilien.
Frankreich. Die Annexion und die Verträge von 1815. Die Hausse
und das Mißtrauen.
Italien. Neapel (die Räumung Catania's und Palermo's. Verwun-
dete. Commendatore di Martino); Turin (Vertrag über die Cession. Diritto
über Manzoni. Perseveranza. Militärisches. General Roselli. Garibaldi's
Plane. Vorfall in Syracus. Decrete Garibaldi's. Ernennungen. Procla-
mation von Malta an die Calabrer); Mailand (Marschall Vaillant.
Tumulte in Monza. Aufhebung der Supertaxe).
Dänemark. Etikettenfrage in Bezug auf den Besuch des Schweden-
königs. Eiderdänische und regierungsfeindliche Reden. Prof. Claussen gegen
Minister Raaslöff).
Rußland und Polen. St. Petersburg (die Staatshandelsbank.
Militärische Vorgänge im Kaukasus. Lobanoff decorirt. Schifffahrtsverkehr.
Anklagen gegen Oesterreich. Der Spielteufel).
Neueste Posten. Dresden (der König nach Baden-Baden. Hr.
v. Seebach).


Telegraphische Berichte.

Die Könige sind um 3 Uhr hier an-
gekommen; hierauf gegenseitige Besuche. Eine vorläusige Fürsten-
besprechung ergab eine erfreuliche Uebereinstimmung in allen die Bezie-
hungen Deutschlands zum Ausland betreffenden Fragen. Um 7 Uhr
Abends traf Kaiser Napoleon in Civilkleidung ein; einige Franzosen
riefen ihr Vive l'Empereur.

(Ueber Genua.)

Die Regierung or-
ganisirt militärische (?) Manifestationen im constitutionellen Sinn. --
Messina, 10 Jun. Ein geheimes Comite druckt Bulletins, und
correspondirt mit Garibaldi. Officiere desertiren. Die Insurrection
Calabriens wird widersprochen.



Die Zurücknahme der Russell'schen Reformbill.

Lord J. Russell spielte gestern Nachts die Schluß-
scene der dießjährigen Reformbill-Posse, indem er, seine väterlichen Regungen
bemeisternd, die unglückselige Maßregel zurücknahm -- dießmal ohne Thränen.*)
Bom ersten Augenblick ihrer Vorführung an war sie mit allen Waffen der
Lächerlichkeit angegriffen worden, und mir war ihr Schicksal keinen Augenblick
zweifelhaft, wie ich Ihnen das in meinen Briefen wiederholt aussprach. Der
ganze Vorschlag war eine Gaukelei, und auch angenommen daß es dem Lord
selbst Ernst war, so fand seine Bill keine aufrichtige Unterstützung, weder bei
seinen Collegen, noch bei dem Parlament oder der Nation.

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Gleichwohl ist die geheime politische Geschichte der letzten 14 Tage nicht
ohne Interesse, und sie hätte zu einer Ministerkrisis führen können. Vor un-
gefähr 12 Tagen nämlich hatte in einem Cabinetsrath, zum Erstaunen seiner
Collegen, Hr. Gladstone sich mit solcher Wärme der Reformbill angenom-
men, daß er die Ansicht aussprach: die Regierung müsse eher abtreten als
diese Maßregel aufgeben. Diese extreme Meinung des Schatzkanzlers wurde
natürlich überstimmt, aber es gab einen Moment wo sein, Hrn. Gladstone's,
Verbleiben im Cabinet sehr zweifelhaft war, und wenn er austrat, so würde
ihn Lord Hännschen begleitet haben. Ich brauche kaum erst beizufügen daß
Hrn. Gladstone's Wunsch seiner Amtsbürde los zu werden keineswegs aus
einem Feuereifer für Parlamentsreform entspringt, sondern daß ihn die Ver-
legenheit drückt worein er sich persönlich durch seine Finanzpolitik gebracht hat
Das wird bald noch offenbarer werden. Es stellt sich jetzt heraus daß die
wirklichen Staatsbedürfnisse des laufenden Jahrs Hrn. Gladstone's Voran-
schläge um beinahe drei Millionen Pfd. St. übersteigen werden.
Sehr zum Glück für die Staatscasse und das Land ist also das Haus der
Lords ins Mittel getreten, und hat, indem es die Abschaffung der Papiersteuer
verbinderte, 11/2 Millionen Staatseinkommen gerettet. Aber außer dieser
Summe, die in Hrn. Gladstone's Budget bereits gestrichen war, braucht er
nun weitere anderthalb Millionen für die Kosten des chinesischen Kriegs.

Dieser Voranschlag steht ganz abgesondert von dem außerordentlichen
Gelderforderniß für Befestigungswerke, dessen ich in einem neulichen Brief
(Nr. 154 der Allg. Ztg., Beilage) gedachte, und welches 5 bis 6 Jahre lang
ein Votum von je 2 Millionen in sich schließen wird. Diese Thatsachen, wenn
sie erst in England zur vollen Oeffentlichkeit gelangen, dürften das finanzielle
Prästigium Hrn. Gladstone's und seines Budgets für 1860 vollends zerstören.
Das fühlt Hr. Gladstone, und darum wünschte er, unter erheucheltem Enthu-
siasmus für jene Russell'sche Mißgeburt, durch eine Seitenthür aus dem
Cabinet zu entschlüpfen.

Was die Controvers zwischen beiden Parlamentshäusern über die in der
Papiersteuerbill enthaltene Privilegienfrage betrifft, so hat die heftigere Partei
im Hause der Gemeinen, von Lord J. Russell und Hrn. Bright angestiftet,
alles mögliche gethan um diesen Streit zu erhitzen und zu verbittern, in-
dem sie die Pairie einer verfassungswidrigen Einmischung in eine Geldbill be-
schuldigt. Man hat, wie Sie wissen, die Sache an einen Sonderausschuß
der Gemeinen verwiesen. Die große Mehrheit dieses Ausschusses ist der
Ansicht daß die Antecedentien des fraglichen Falls das Verfahren des
Oberhauses, welches die Bill verwarf, reichlich rechtfertigen. Aber Russell
und Bright hetzen an der Committee in entgegengesetztem Sinn. Die De-
batten derselben (welche bei verschlossenen Thüren sitzt) waren gestern Bor-
mittags so heftig daß beide Seiten ihre Fassung verloren, und man gereizt und
resultatlos auseinander gieng. Die Wirkung dieser gemeinsamen Action
Russells und Brights war bald hernach sehr deutlich zu sehen, als Lord John
Nachmittags in das Haus trat um die Reformbill zurückzuziehen. Hr. Bright
folgte ihm fast auf dem Fuß, und, weit entfernt die Regierung ob ihres
Wankelmuths anzugreifen, hielt er seinen Schild über den unglücklichen Mini-
ster, und sprach in ungewöhnlich fanstem Ton. Dieß aus dem Grunde weil
er seinen Freund John in der Privilegiumsfrage zu compromittiren hofft. Aber
welchen Einfluß Hr. Bright auch auf Lord J. Russell gewonnen haben mag, ge-
wiß ist es daß er keinen Einfluß auf den in der Politik zählenden Theil des eng-
lischen Volks besitzt, und daß dieses, je mehr er agitirt, nur immer conservativer
wird. So sind namentlich in der Privilegiumsfrage alle seine Bemühungen
eine Aufregung in den Provincialstädten hervorzubringen gänzlich gescheitert.
Das Publicum gibt der Pairie vollkommen Recht, und dankt es ihr daß sie
dem Staat die unentbehrlichen anderthalb Millionen gerettet hat. Ebenso
hat sich die Ansicht der Mittelclassen in den Manufacturbezirken hinsichtlich der
Reformbill vollständig ernüchtert; sie begreifen nachgerade daß jene Maßregel
nur die Wirkung gehabt haben würde das Wahlrecht, das jetzt seinen Schwer-
punkt im gebildeten Mittelstand hat, in die Hände der Arbeiterclassen hinüber-
zuspielen, |und so auf gut amerikanisch zu demokcatisiren, oder richtiger: eine
Ochlokratie in England einzuführen. Es soll mich nicht wundern wenn die
Opposition gegen eine weitere Parlamentsreform überhaupt in Jahr und Tag
eine fast unüberwindliche. Stärke gewonnen haben wird.



*) Lord John vergoß nämlich bittere Thränen als er im Jahr 1852 sein dama-
liges Reformproject zurückzog. "Dießmal benahm er sich," sagt der M. Adver-
tiser,
"kalk und trocken wie ein Todtengräber von Profession. Er scheint sich
an den frühen Tod seiner schwächlichen Wechselbälge zu gewöhnen."
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AUGSBURG. Das Abonnement,
welches je vierteljährlich und halb-
jährlich angenommen wird, beträgt in
Bayern vierteljährlich 4 fl. 45 kr.
Feremsmünze.

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Allgemeine Zeitung.
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Inserate werden von der Expedition
aufgenommen und der Raum einer
dreispaltigen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der
Beilage mit 9 kr.



Sonnabend
Nr. 168.
16 Junius 1860.


Correſpondenzen ſind an die Redaction, Inſerate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adreſſiren.
Man abonnirt bei allen Postämtern Deutschlands Oesterreichs und der Schwetz: für Frankreich, Sardinien, Spamen und Portugal bei G. A. Alexandre in Strasburg, Paris bei demselben,
2 Cour du Commerce St. André des Arts, und bei der deutschen Buchhandlung von F. Klincksieck, Nr. 44 rue de Lille, oder bei dem Postamt in Karlsruhe; für England bei Williams & Norgate,
14 Henriette-Street, Covent-Garden in London für Nordamerika bei dem königl. preussischen Postamt Cöln oder Westermann & Comp. in New-York; für Italien bei den k. k. Postämtern zu
innsbruck, Verona, Venedig, Triest und Mailand; im Kirchenstaat und den Herzogthumern Lucca, Modena, Parma und Toscana bei Buchhändler H. F. Münster in Verona: für Neapel und
Sicilien bei Buchhändler Albert Detken in Neapel; für Griechenland, Türket und die Levante etc. beim k. k. Postamt in Triest.


Ueberſicht.
Die Zurücknahme der Ruſſell’ſchen Reformbill.
Die Einnahme Palermo’s. III.
Deutſchland. München (aus der Sitzung der phyſikaliſch-mathe-
matiſchen Claſſe der Akademie der Wiſſenſchaften. Das König Max-Stand-
bild für Bayreuth. Eine Schweſter Platens †. Comité zur Aufſindung des
Reiſenden Dr. Vogel); Stuttgart (die Zuſammenkunft in Baden); Aus
Baden
(der Ankauf der Thierſch’ſchen Antikenſammlung); Kaſſel (zum
neuen Wahlgeſetz); Dresden (Hr. v. Beuſt. Eine Petition in Betreff des
Handelsgeſetzbuchs); Berlin (ſtatiſtiſche Litteratur. Der Prinz-Regent und
die Conferenz in Baden. Preußens auswärtige Beziehungen. Der Herzog
v. Oſuña. Aus Südrußland. Erlaß des Oberkirchenraths. Preußiſche Uni-
formen für die ſiameſiſche Regierung); Wien (der Reichērath. Berichtigung
von Seiten des niederöſterreichiſchen Gewerbevereins. Die neuen Verordnun-
gen über das lombardiſch-venetianiſche Königreich. Das Finanzcomité des
Reichsraths. Reorganiſation der Controlbehörden).
Schweiz. Bern (Garibaldi-Subſcription. Pariſer Correſpondenzen
über die Zuſammenkunft des Prinz-Regenten mit Louis Napoleon. Ein neues
Reſultat Napoleoniſcher Studien. Beſetzung von Chambery); Genf (die
Frage der Rheingränzen in der Revue de Genève. Der Anſchluß Savoyens.
John Perrier).
Großbritannien. Die Erklärungen Lord Palmerſtons über Sicilien.
Frankreich. Die Annexion und die Verträge von 1815. Die Hauſſe
und das Mißtrauen.
Italien. Neapel (die Räumung Catania’s und Palermo’s. Verwun-
dete. Commendatore di Martino); Turin (Vertrag über die Ceſſion. Diritto
über Manzoni. Perſeveranza. Militäriſches. General Roſelli. Garibaldi’s
Plane. Vorfall in Syracus. Decrete Garibaldi’s. Ernennungen. Procla-
mation von Malta an die Calabrer); Mailand (Marſchall Vaillant.
Tumulte in Monza. Aufhebung der Supertaxe).
Dänemark. Etikettenfrage in Bezug auf den Beſuch des Schweden-
königs. Eiderdäniſche und regierungsfeindliche Reden. Prof. Clauſſen gegen
Miniſter Raaslöff).
Rußland und Polen. St. Petersburg (die Staatshandelsbank.
Militäriſche Vorgänge im Kaukaſus. Lobanoff decorirt. Schifffahrtsverkehr.
Anklagen gegen Oeſterreich. Der Spielteufel).
Neueſte Poſten. Dresden (der König nach Baden-Baden. Hr.
v. Seebach).


Telegraphiſche Berichte.

Die Könige ſind um 3 Uhr hier an-
gekommen; hierauf gegenſeitige Beſuche. Eine vorläuſige Fürſten-
beſprechung ergab eine erfreuliche Uebereinſtimmung in allen die Bezie-
hungen Deutſchlands zum Ausland betreffenden Fragen. Um 7 Uhr
Abends traf Kaiſer Napoleon in Civilkleidung ein; einige Franzoſen
riefen ihr Vive l’Empereur.

(Ueber Genua.)

Die Regierung or-
ganiſirt militäriſche (?) Manifeſtationen im conſtitutionellen Sinn. —
Meſſina, 10 Jun. Ein geheimes Comité druckt Bulletins, und
correſpondirt mit Garibaldi. Officiere deſertiren. Die Inſurrection
Calabriens wird widerſprochen.



Die Zurücknahme der Ruſſell’ſchen Reformbill.

Lord J. Ruſſell ſpielte geſtern Nachts die Schluß-
ſcene der dießjährigen Reformbill-Poſſe, indem er, ſeine väterlichen Regungen
bemeiſternd, die unglückſelige Maßregel zurücknahm — dießmal ohne Thränen.*)
Bom erſten Augenblick ihrer Vorführung an war ſie mit allen Waffen der
Lächerlichkeit angegriffen worden, und mir war ihr Schickſal keinen Augenblick
zweifelhaft, wie ich Ihnen das in meinen Briefen wiederholt ausſprach. Der
ganze Vorſchlag war eine Gaukelei, und auch angenommen daß es dem Lord
ſelbſt Ernſt war, ſo fand ſeine Bill keine aufrichtige Unterſtützung, weder bei
ſeinen Collegen, noch bei dem Parlament oder der Nation.

[Spaltenumbruch]

Gleichwohl iſt die geheime politiſche Geſchichte der letzten 14 Tage nicht
ohne Intereſſe, und ſie hätte zu einer Miniſterkriſis führen können. Vor un-
gefähr 12 Tagen nämlich hatte in einem Cabinetsrath, zum Erſtaunen ſeiner
Collegen, Hr. Gladſtone ſich mit ſolcher Wärme der Reformbill angenom-
men, daß er die Anſicht ausſprach: die Regierung müſſe eher abtreten als
dieſe Maßregel aufgeben. Dieſe extreme Meinung des Schatzkanzlers wurde
natürlich überſtimmt, aber es gab einen Moment wo ſein, Hrn. Gladſtone’s,
Verbleiben im Cabinet ſehr zweifelhaft war, und wenn er austrat, ſo würde
ihn Lord Hännschen begleitet haben. Ich brauche kaum erſt beizufügen daß
Hrn. Gladſtone’s Wunſch ſeiner Amtsbürde los zu werden keineswegs aus
einem Feuereifer für Parlamentsreform entſpringt, ſondern daß ihn die Ver-
legenheit drückt worein er ſich perſönlich durch ſeine Finanzpolitik gebracht hat
Das wird bald noch offenbarer werden. Es ſtellt ſich jetzt heraus daß die
wirklichen Staatsbedürfniſſe des laufenden Jahrs Hrn. Gladſtone’s Voran-
ſchläge um beinahe drei Millionen Pfd. St. überſteigen werden.
Sehr zum Glück für die Staatscaſſe und das Land iſt alſo das Haus der
Lords ins Mittel getreten, und hat, indem es die Abſchaffung der Papierſteuer
verbinderte, 1½ Millionen Staatseinkommen gerettet. Aber außer dieſer
Summe, die in Hrn. Gladſtone’s Budget bereits geſtrichen war, braucht er
nun weitere anderthalb Millionen für die Koſten des chineſiſchen Kriegs.

Dieſer Voranſchlag ſteht ganz abgeſondert von dem außerordentlichen
Gelderforderniß für Befeſtigungswerke, deſſen ich in einem neulichen Brief
(Nr. 154 der Allg. Ztg., Beilage) gedachte, und welches 5 bis 6 Jahre lang
ein Votum von je 2 Millionen in ſich ſchließen wird. Dieſe Thatſachen, wenn
ſie erſt in England zur vollen Oeffentlichkeit gelangen, dürften das finanzielle
Präſtigium Hrn. Gladſtone’s und ſeines Budgets für 1860 vollends zerſtören.
Das fühlt Hr. Gladſtone, und darum wünſchte er, unter erheucheltem Enthu-
ſiasmus für jene Ruſſell’ſche Mißgeburt, durch eine Seitenthür aus dem
Cabinet zu entſchlüpfen.

Was die Controvers zwiſchen beiden Parlamentshäuſern über die in der
Papierſteuerbill enthaltene Privilegienfrage betrifft, ſo hat die heftigere Partei
im Hauſe der Gemeinen, von Lord J. Ruſſell und Hrn. Bright angeſtiftet,
alles mögliche gethan um dieſen Streit zu erhitzen und zu verbittern, in-
dem ſie die Pairie einer verfaſſungswidrigen Einmiſchung in eine Geldbill be-
ſchuldigt. Man hat, wie Sie wiſſen, die Sache an einen Sonderausſchuß
der Gemeinen verwieſen. Die große Mehrheit dieſes Ausſchuſſes iſt der
Anſicht daß die Antecedentien des fraglichen Falls das Verfahren des
Oberhauſes, welches die Bill verwarf, reichlich rechtfertigen. Aber Ruſſell
und Bright hetzen an der Committee in entgegengeſetztem Sinn. Die De-
batten derſelben (welche bei verſchloſſenen Thüren ſitzt) waren geſtern Bor-
mittags ſo heftig daß beide Seiten ihre Faſſung verloren, und man gereizt und
reſultatlos auseinander gieng. Die Wirkung dieſer gemeinſamen Action
Ruſſells und Brights war bald hernach ſehr deutlich zu ſehen, als Lord John
Nachmittags in das Haus trat um die Reformbill zurückzuziehen. Hr. Bright
folgte ihm faſt auf dem Fuß, und, weit entfernt die Regierung ob ihres
Wankelmuths anzugreifen, hielt er ſeinen Schild über den unglücklichen Mini-
ſter, und ſprach in ungewöhnlich fanſtem Ton. Dieß aus dem Grunde weil
er ſeinen Freund John in der Privilegiumsfrage zu compromittiren hofft. Aber
welchen Einfluß Hr. Bright auch auf Lord J. Ruſſell gewonnen haben mag, ge-
wiß iſt es daß er keinen Einfluß auf den in der Politik zählenden Theil des eng-
liſchen Volks beſitzt, und daß dieſes, je mehr er agitirt, nur immer conſervativer
wird. So ſind namentlich in der Privilegiumsfrage alle ſeine Bemühungen
eine Aufregung in den Provincialſtädten hervorzubringen gänzlich geſcheitert.
Das Publicum gibt der Pairie vollkommen Recht, und dankt es ihr daß ſie
dem Staat die unentbehrlichen anderthalb Millionen gerettet hat. Ebenſo
hat ſich die Anſicht der Mittelclaſſen in den Manufacturbezirken hinſichtlich der
Reformbill vollſtändig ernüchtert; ſie begreifen nachgerade daß jene Maßregel
nur die Wirkung gehabt haben würde das Wahlrecht, das jetzt ſeinen Schwer-
punkt im gebildeten Mittelſtand hat, in die Hände der Arbeiterclaſſen hinüber-
zuſpielen, |und ſo auf gut amerikaniſch zu demokcatiſiren, oder richtiger: eine
Ochlokratie in England einzuführen. Es ſoll mich nicht wundern wenn die
Oppoſition gegen eine weitere Parlamentsreform überhaupt in Jahr und Tag
eine faſt unüberwindliche. Stärke gewonnen haben wird.



*) Lord John vergoß nämlich bittere Thränen als er im Jahr 1852 ſein dama-
liges Reformproject zurückzog. „Dießmal benahm er ſich,“ ſagt der M. Adver-
tiſer,
„kalk und trocken wie ein Todtengräber von Profeſſion. Er ſcheint ſich
an den frühen Tod ſeiner ſchwächlichen Wechſelbälge zu gewöhnen.“
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[0001] AUGSBURG. Das Abonnement, welches je vierteljährlich und halb- jährlich angenommen wird, beträgt in Bayern vierteljährlich 4 fl. 45 kr. Feremsmünze. Allgemeine Zeitung. Inserate werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreispaltigen Colonelzeile berechnet: im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage mit 9 kr. Sonnabend Nr. 168. 16 Junius 1860. Correſpondenzen ſind an die Redaction, Inſerate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adreſſiren. Man abonnirt bei allen Postämtern Deutschlands Oesterreichs und der Schwetz: für Frankreich, Sardinien, Spamen und Portugal bei G. A. Alexandre in Strasburg, Paris bei demselben, 2 Cour du Commerce St. André des Arts, und bei der deutschen Buchhandlung von F. Klincksieck, Nr. 44 rue de Lille, oder bei dem Postamt in Karlsruhe; für England bei Williams & Norgate, 14 Henriette-Street, Covent-Garden in London für Nordamerika bei dem königl. preussischen Postamt Cöln oder Westermann & Comp. in New-York; für Italien bei den k. k. Postämtern zu innsbruck, Verona, Venedig, Triest und Mailand; im Kirchenstaat und den Herzogthumern Lucca, Modena, Parma und Toscana bei Buchhändler H. F. Münster in Verona: für Neapel und Sicilien bei Buchhändler Albert Detken in Neapel; für Griechenland, Türket und die Levante etc. beim k. k. Postamt in Triest. Ueberſicht. Die Zurücknahme der Ruſſell’ſchen Reformbill. Die Einnahme Palermo’s. III. Deutſchland. München (aus der Sitzung der phyſikaliſch-mathe- matiſchen Claſſe der Akademie der Wiſſenſchaften. Das König Max-Stand- bild für Bayreuth. Eine Schweſter Platens †. Comité zur Aufſindung des Reiſenden Dr. Vogel); Stuttgart (die Zuſammenkunft in Baden); Aus Baden (der Ankauf der Thierſch’ſchen Antikenſammlung); Kaſſel (zum neuen Wahlgeſetz); Dresden (Hr. v. Beuſt. Eine Petition in Betreff des Handelsgeſetzbuchs); Berlin (ſtatiſtiſche Litteratur. Der Prinz-Regent und die Conferenz in Baden. Preußens auswärtige Beziehungen. Der Herzog v. Oſuña. Aus Südrußland. Erlaß des Oberkirchenraths. Preußiſche Uni- formen für die ſiameſiſche Regierung); Wien (der Reichērath. Berichtigung von Seiten des niederöſterreichiſchen Gewerbevereins. Die neuen Verordnun- gen über das lombardiſch-venetianiſche Königreich. Das Finanzcomité des Reichsraths. Reorganiſation der Controlbehörden). Schweiz. Bern (Garibaldi-Subſcription. Pariſer Correſpondenzen über die Zuſammenkunft des Prinz-Regenten mit Louis Napoleon. Ein neues Reſultat Napoleoniſcher Studien. Beſetzung von Chambery); Genf (die Frage der Rheingränzen in der Revue de Genève. Der Anſchluß Savoyens. John Perrier). Großbritannien. Die Erklärungen Lord Palmerſtons über Sicilien. Frankreich. Die Annexion und die Verträge von 1815. Die Hauſſe und das Mißtrauen. Italien. Neapel (die Räumung Catania’s und Palermo’s. Verwun- dete. Commendatore di Martino); Turin (Vertrag über die Ceſſion. Diritto über Manzoni. Perſeveranza. Militäriſches. General Roſelli. Garibaldi’s Plane. Vorfall in Syracus. Decrete Garibaldi’s. Ernennungen. Procla- mation von Malta an die Calabrer); Mailand (Marſchall Vaillant. Tumulte in Monza. Aufhebung der Supertaxe). Dänemark. Etikettenfrage in Bezug auf den Beſuch des Schweden- königs. Eiderdäniſche und regierungsfeindliche Reden. Prof. Clauſſen gegen Miniſter Raaslöff). Rußland und Polen. St. Petersburg (die Staatshandelsbank. Militäriſche Vorgänge im Kaukaſus. Lobanoff decorirt. Schifffahrtsverkehr. Anklagen gegen Oeſterreich. Der Spielteufel). Neueſte Poſten. Dresden (der König nach Baden-Baden. Hr. v. Seebach). Telegraphiſche Berichte. ⸫ Baden, 15 Jun. Die Könige ſind um 3 Uhr hier an- gekommen; hierauf gegenſeitige Beſuche. Eine vorläuſige Fürſten- beſprechung ergab eine erfreuliche Uebereinſtimmung in allen die Bezie- hungen Deutſchlands zum Ausland betreffenden Fragen. Um 7 Uhr Abends traf Kaiſer Napoleon in Civilkleidung ein; einige Franzoſen riefen ihr Vive l’Empereur. ⸫ Neapel, 12 Jun. (Ueber Genua.) Die Regierung or- ganiſirt militäriſche (?) Manifeſtationen im conſtitutionellen Sinn. — Meſſina, 10 Jun. Ein geheimes Comité druckt Bulletins, und correſpondirt mit Garibaldi. Officiere deſertiren. Die Inſurrection Calabriens wird widerſprochen. Die Zurücknahme der Ruſſell’ſchen Reformbill. ⸫ London, 12 Jun. Lord J. Ruſſell ſpielte geſtern Nachts die Schluß- ſcene der dießjährigen Reformbill-Poſſe, indem er, ſeine väterlichen Regungen bemeiſternd, die unglückſelige Maßregel zurücknahm — dießmal ohne Thränen. *) Bom erſten Augenblick ihrer Vorführung an war ſie mit allen Waffen der Lächerlichkeit angegriffen worden, und mir war ihr Schickſal keinen Augenblick zweifelhaft, wie ich Ihnen das in meinen Briefen wiederholt ausſprach. Der ganze Vorſchlag war eine Gaukelei, und auch angenommen daß es dem Lord ſelbſt Ernſt war, ſo fand ſeine Bill keine aufrichtige Unterſtützung, weder bei ſeinen Collegen, noch bei dem Parlament oder der Nation. Gleichwohl iſt die geheime politiſche Geſchichte der letzten 14 Tage nicht ohne Intereſſe, und ſie hätte zu einer Miniſterkriſis führen können. Vor un- gefähr 12 Tagen nämlich hatte in einem Cabinetsrath, zum Erſtaunen ſeiner Collegen, Hr. 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Was die Controvers zwiſchen beiden Parlamentshäuſern über die in der Papierſteuerbill enthaltene Privilegienfrage betrifft, ſo hat die heftigere Partei im Hauſe der Gemeinen, von Lord J. Ruſſell und Hrn. Bright angeſtiftet, alles mögliche gethan um dieſen Streit zu erhitzen und zu verbittern, in- dem ſie die Pairie einer verfaſſungswidrigen Einmiſchung in eine Geldbill be- ſchuldigt. Man hat, wie Sie wiſſen, die Sache an einen Sonderausſchuß der Gemeinen verwieſen. Die große Mehrheit dieſes Ausſchuſſes iſt der Anſicht daß die Antecedentien des fraglichen Falls das Verfahren des Oberhauſes, welches die Bill verwarf, reichlich rechtfertigen. Aber Ruſſell und Bright hetzen an der Committee in entgegengeſetztem Sinn. Die De- batten derſelben (welche bei verſchloſſenen Thüren ſitzt) waren geſtern Bor- mittags ſo heftig daß beide Seiten ihre Faſſung verloren, und man gereizt und reſultatlos auseinander gieng. Die Wirkung dieſer gemeinſamen Action Ruſſells und Brights war bald hernach ſehr deutlich zu ſehen, als Lord John Nachmittags in das Haus trat um die Reformbill zurückzuziehen. Hr. Bright folgte ihm faſt auf dem Fuß, und, weit entfernt die Regierung ob ihres Wankelmuths anzugreifen, hielt er ſeinen Schild über den unglücklichen Mini- ſter, und ſprach in ungewöhnlich fanſtem Ton. Dieß aus dem Grunde weil er ſeinen Freund John in der Privilegiumsfrage zu compromittiren hofft. Aber welchen Einfluß Hr. Bright auch auf Lord J. Ruſſell gewonnen haben mag, ge- wiß iſt es daß er keinen Einfluß auf den in der Politik zählenden Theil des eng- liſchen Volks beſitzt, und daß dieſes, je mehr er agitirt, nur immer conſervativer wird. So ſind namentlich in der Privilegiumsfrage alle ſeine Bemühungen eine Aufregung in den Provincialſtädten hervorzubringen gänzlich geſcheitert. 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Er ſcheint ſich an den frühen Tod ſeiner ſchwächlichen Wechſelbälge zu gewöhnen.“

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 16. Juni 1860, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine168_1860/1>, abgerufen am 16.05.2024.