Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
Preußen. µ Berlin, 15 Jun. Der in seiner Sphäre bekanntlich D Berlin, 16 Jun. Man fängt hier bereits an die Badener "Zu- Berlin, 16 Jun. Die N. Preuß. Zeitung sagt über die Fürsten- "Gern sprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der [Spaltenumbruch]
Preußen. µ Berlin, 15 Jun. Der in ſeiner Sphäre bekanntlich Δ Berlin, 16 Jun. Man fängt hier bereits an die Badener „Zu- Berlin, 16 Jun. Die N. Preuß. Zeitung ſagt über die Fürſten- „Gern ſprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <pb facs="#f0004" n="2832"/> <cb/> </div> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Preußen.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>µ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 15 Jun.</dateline> <p>Der in ſeiner Sphäre bekanntlich<lb/> gern ſouveräne Berliner Pöbel hatte ſich die kurze Anweſenheit des Königs<lb/> von Hannover am Mittwoch nicht entgehen laſſen wollen ohne ſich ebenfalls<lb/> an der hohen Politik zu belheiligen. Der König war bekanntlich direct<lb/> zum H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel ſeines Geſandten gefahren; dort war der Wagen des Königs,<lb/> oder wie von anderer Seite verlautet, ein Gepäckwagen desſelben vor dem<lb/> Hauſe ſtehen geblieben, während Se. Maj. ſich in der Stadt einer dieſſeitigen<lb/> Hofequipage bedient hatte. Das hannoveriſche Wappen des Wagens erregte<lb/> Aufmerkſamkeit, man erfuhr die Anweſenheit des Königs, und bald hatten<lb/> ſich Hunderte von müßigen Gaffern vor dem H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel verſammelt, welche<lb/> ſchreiend und pfeifend nach dem „Grafen Borries“ verlangten, indem ſie ſich<lb/> in dem bekannten Berliner Straßenwitz über hannoveriſche Politik und<lb/> hannoveriſche Zuſtände verbreiteten, Vennigſen leben ließen u. ſ. w.<lb/> Leider befanden ſich darunter auch zahlreiche Perſonen der beſſern<lb/> Stände. Die Polizei war offenbar in großer Verlegenheit, da der Zuſpruch<lb/> der anweſenden Schutzmänner erfolglos blieb, und Anwendung von zwingenderen<lb/> Mitteln zur Vermeidung größern Aufſehens möglichſt vermieden werden ſollte.<lb/> Man kam endlich auf den geſcheidten Einfall den Wagen ſo weit abzuladen<lb/> daß er in das H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel geſchoben werden konnte, und letzteres zu verſchließen,<lb/> worauf ſich die Menge, des ſichtbaren Mittelpunkts ihrer Beſtrebungen be-<lb/> raubt, allmählich verlief. Es iſt das die nothwendige Folge der fortgeſetzten<lb/> unverſtändigen Hetzereien in den für die unterſten Claſſen beſtimmten Orga-<lb/> nen, denn der Pöbel iſt immer bereit dazu auf ſeine Weiſe einen praktiſchen<lb/> Commentar zu liefern. — Bekanntlich wird hier noch immer darüber verhan-<lb/> delt, was mit den Fonds zu machen ſey welche durch die große Gewerbs-Em-<lb/> bleme-Ausſtellung bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm zuſam-<lb/> mengebracht worden ſind. Der Vorſtand der hieſigen Tiſchlerinnung war end-<lb/> lich auf den Vorſchlag gekommen den Betrag, der nach manchen Wohlthätig-<lb/> keitsabzügen ſich noch auf 6000 bis 7000 Thaler belaufen ſoll, dem deutſchen<lb/> Nationalverein für ſeine Zwecke zu überlaſſen, und die hieſige Volkszeitung,<lb/> reſp. Nationalzeitung, Voſſiſche Zeitung und Conſorten unterließen nicht dieß<lb/> als ein bedeutſames Stimmungszeichen der Zeit in die Welt hinauszupofau-<lb/> nen. In dieſen Tagen hat nun eine Generalverſammlung der ſämmtlichen<lb/> Vorſtände der hieſigen Meiſterſchaften und Geſellenſchaften ſtattgefunden<lb/> um über die Fonds zu beſchließen, den Antrag wegen des Nationalvereins aber<lb/> unter allſeitiger Heiterkeit einſtimmig abgelehnt. Das iſt wohl auch ein<lb/> Stimmungszeichen der Zeit. Ueber die Verwendung der Fonds ſelbſt ſoll<lb/> man ſich noch nicht geeinigt haben. — Der Großherzog von Mecklenburg-<lb/> Schwerin hat hierſelbſt einen längern Aufenthalt genommen, um ſich ei-<lb/> nes Halsübels wegen der Behandlung des Geh. Medicinalraths Profeſſor<lb/> Frerichs anzuvertrauen. Es war anfänglich gewünſcht worden daß Hr. Frerichs<lb/> nach Schwerin kommen möge, da dieß aber bei einer dauernden Cur nicht<lb/> ansführbar erſchien, ſo hat der Großherzog ſeinerſeits ſeinen Wohnſitz nach<lb/> Charlottenburg verlegt. — Der Pariſer Broſchüre von Horn über Ungarn<lb/> ſind bekanntlich allerlei Manipulationen vorausgegangen, welche geeignet<lb/> waren die Aufmerkſamkeit des politiſchen Leſepublicums zu ſpannen. Der<lb/> matte und beweisloſe, meiſt auf die nackte Behauptung geſtützte Inhalt der<lb/> Broſchüre daß Ungarn für Oeſterreich verloren ſey, entſpricht jenen Voran-<lb/> ſtrengungen ſo wenig, daß ſelbſt die „Nationalzeitung“ zugeſteht: wer von den<lb/> Horn’ſchen Behauptungen nicht ſchon vorher überzeugt geweſen, werde es<lb/> durch die Broſchüre gewiß nicht werden. Man wird ſich indeß den Humbug<lb/> leicht erklären, wenn man nicht außer Acht läßt daß Hr. Horn ein nach Paris<lb/> übergeſiedelter, dort bei verſchiedenen Zeitungen beſchäftigter ungariſcher<lb/> Jude iſt. Der Induſtrialismus, welcher nicht bloß in „alten Kladern“ macht,<lb/> ſuchte ſich einmal wieder in der Litteratur zur Geltung zu bringen; „weiter<lb/> hat es keinen Zweck“ würden die Berliner ſagen.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>Δ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 16 Jun.</dateline> <p>Man fängt hier bereits an die Badener „Zu-<lb/> ſammenkunft“ die ſich über Nacht gleichſam in einen Congreß der deutſchen<lb/> Fürſten mit Napoleon verwandelt hat, mit etwas mißtrauiſcheren Blicken zu<lb/> betrachten. Sollte Napoleon, fragt man, nachdem ſeiner Viſite bei Gelegen-<lb/> heit der Rhein Nahebahn erſt eben ein höflicher Abſagebrief geworden war,<lb/> nicht mehr als gewöhnliche Motive gehabt haben die Verweigerung zu verſchlucken<lb/> und alsbald ſeinen zweiten Beſuch anzukündigen? Der Prinz-Regent hatte,<lb/> wie ich früher meldete, das zweite oder dritte Anerbieten nicht wieder ableh-<lb/> nen mögen, wohl aber die Bedingung der Mittheilnahme anderer deutſchen<lb/> Fürſten geſtellt. Napoleon war anſcheinend auch dieſes Verlangen gern und<lb/> harmlos unbefangen eingegangen. Sollte er aber, fragt man weiter, nicht<lb/> gewußt haben daß ohnedieß in Folge der Bemühungen des Königs von Bayern<lb/> eine Zuſammenkunft deutſcher Fürſten in Baden-Baden bevorſtehe, und ſollte<lb/> ihm nicht vielleicht gerade Hauptſache geweſen ſeyn bei dieſem Congreß<lb/> als Dritter im Bund aufzutreten? Dann war das was der Prinz-Regent<lb/> als möglicherweiſe vom Kaiſer vorausgeſehene vorſichtsvolle Bedingung ſtellte,<lb/> recht eigentlich beabſichtigter Zweck und Ziel der franzöfiſchen Politik. Es<lb/> gewinnt dieſe Auffaſſung hier an Gewicht, ſeitdem man die auffällige Wahr-<lb/> nehmung zu machen glaubt daß die franzöfiſche Diplomatie ſich in aller Stille<lb/><cb/> während der letzten Tage lebhaft dafür intereſſirt hat möglichſt viele deutſche<lb/> Fürſten nach dem Rhein zu treiben. Es ſoll ſogar die plötzliche Reiſe des<lb/> Königs von Hannover, welche wieder die des Königs von Sachfen zur Folge<lb/> gehabt hat, dieſen Inſtigationen nicht ganz fern ſeyn, bei welchen das Son-<lb/> derintereſſe der einzelnen Staaten, der Glanz ihrer Souveräne und die Noth-<lb/> wendigkeit nicht den einen hinter den andern zurückbleiben zu laſſen als Haupt-<lb/> argumente zur geſchickten Geltung gebracht wären. Ich kann bei einer ge-<lb/> wiſſen erwartungsvollen Aufregung der Gemüther nicht jedes einzelne Wort<lb/> verbürgen, aber es wäre doch ſchon gefährlich genug für die deutſchen Inter-<lb/> eſſen wenn es der franzöſiſchen Diplomatie gelungen ſeyn ſollte ſtatt einer,<lb/> deutſchen Einheitsbeſtrebungen zugewandten, Fürſtenverſammlung einen eifer-<lb/> ſüchtigen Congreß größerer und kleinerer Souveränetätsinhaber um Napo-<lb/> leon zu verſammeln. Napoleon wäre ganz der Mann dieß auszubeuten, und<lb/> er würde dann um ſo leichteres Spiel haben die ihm drohenden Gefahren der<lb/> Einheitsbeſtrebungen in ebenſoviele Vortheile neuer Spaltungen und Zerriſ-<lb/> ſenheiten umzuwandeln. Wenn, wie es jetzt ſcheint, Oeſterreich bei dieſer<lb/> Zuſammenkunft völlig ausbleibt, ſo muß das unter allen Umſtänden ſchon<lb/> allein als ſehr verhängnißvoll betrachtet werden, und kann nur dahin führen<lb/> die von allen wahren Patrioten angeſtrebte engere Allianz der beiden deut-<lb/> ſchen Großmächte von neuem zu erſchweren. Von dieſem Standpunkt ange-<lb/> fehen, der ſich freilich erſt in den letzten Tagen aufdrängt, behält die Zuſam-<lb/> menkunft dann keineswegs mehr den ihr früher vindicirten bloß nutzloſen<lb/> und einflußloſen Charakter, ſondern ſie führt zu ſchweren Bedenken,<lb/> und vielleicht zu großen Gefahren. Vieles wird allerdings von dem<lb/> Tact, der Einſicht und Vorausſicht abhängen, mit welcher die deutſchen<lb/> Fürſten in dieſen Stunden ihre Stellung in Baden-Baden begreifen.<lb/> Aber auch die Preſſe hat eine wichtige Miſſion. Es wird an Intriguen,<lb/> an Verdächtigungen, an politiſchen und unpolitiſchen Geſchichten kein Mangel<lb/> werden, und dabei mit ſchärffter Kritik zu fichten iſt höchſte patriotiſche Aufgabe.<lb/> Die beherzigenswerthe „Warnung,“ welche Sie dieſerhalb bereits in Nr. 164<lb/> aus München gebracht haben, kann nicht genug empfohlen werden. — Die<lb/> Notiz daß der Juſtizminiſter Simons gegen den Polizeidirector Stieber,<lb/> wegen der bekannten Aeußerung des letzteren in ſeiner gerichtlichen Vertheidi-<lb/> gungsrede, die Unterſuchung habe einleiten laſſen, kann ich Ihnen als falſch<lb/> bezeichnen. Hr. Simons ſoll nur geäußert haben, er würde ſich zu dieſem<lb/> Schritt genöthigt ſehen wenn Hr. Stieber ſeine Aeußerungen in der zweiten<lb/> Inſtanz wiederholen ſollte; ob aber dieſe zweite Inſtanz überhaupt je zu Tage<lb/> kommen wird, erſcheint zweifelhafter als je. Hr. Simons hat vielleicht mehr<lb/> Grund die beregten Aeußerungen des Hrn. Stieber der gerichtlichen<lb/> Cognition nicht unterſtellt zu ſehen, als letzterer ſelbſt. Dagegen bereitet<lb/> Hr. Oberſtaatsanwalt Schwarck allerdings eine neue Anklage gegen<lb/> Stieber vor, und hat dieſen bereits verantwortlich darüber vernehmen laſſen.<lb/> Wie indeß die Freunde des letzteren mit großer Zuverſicht behaupten, würde die<lb/> Staatsanwaltſchaft dabei noch kläglicher unterliegen als das erſtemal. Außerdem<lb/> verlautet immer beſtimmter daß Hr. Schwarck binnen kurzem von hier entfernt<lb/> werden würde. Man ſoll ihm ſein unzweifelhaft leidenſchaftliches Verfahren<lb/> höhern Orts ſehr übel aufgenommen haben, namentlich da dasſelbe in ſeinen<lb/> Conſequenzen für ſehr excluſive Kreiſe höchſt peinlich zu werden anfängt.<lb/> Ganz beſonders ſind aber in neueſter Zeit ſcharfe politiſche Anklagen gegen<lb/> ihn ins Gewicht gefallen, die aus dem Jahr 1848 herrühren. So enthält<lb/> das Beiblatt der Kreuzzeitung, das Preußiſche Volksblatt, folgende bezeichnende<lb/> Anfrage: „Welcher jetzt in Berlin in großem Anſehen ſtehende, außerordent-<lb/> lich miniſterielle Mann mag es geweſen ſeyn der im Jahr 1848 in Ratibor<lb/> durchaus keine ſolche Nolle geſpielt hat die ihn zu einem Vertheidiger der Vor-<lb/> rechte der Krone geſchickt macht? Wer war es der im März 1848 eines<lb/> Abends mit einem Haufen Tumultuanten vor das in Ratibor belegene H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel<lb/> zum Prinzen von Preußen zog und dort unter Schimpfen und Toben eigen-<lb/> händig den Schild mit dem Namen des Prinzen abriß und zur Erde warf?“<lb/> Es iſt ein öffentliches Geheimniß daß dieſer Angriff auf Hrn. Schwarck zielt,<lb/> ohne daß letzterer etwas darauf erwiedert hätte. Mit dem Staatsanwalt<lb/> Nörner ſind Unterhandlungen wegen ſeiner Ernennung zum Rechtsanwalt<lb/> am hieſigen Stadtgericht eingeleitet. Er würde dann zugleich den Titel als<lb/> geheimer Juſtizrath erhalten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 16 Jun.</dateline> <p>Die N. <hi rendition="#g">Preuß. Zeitung</hi> ſagt über die Fürſten-<lb/> zuſammenkunſt in Baden-Baden:</p><lb/> <cit> <quote>„Gern ſprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der<lb/> eigenthümlichen Schwierigkeiten, der Lage und der vorausſichtlichen Folgen einer<lb/> eiwaigen Ablehnung den Entſchluß der Zuſammenkunft an fich nicht zu mißbilligen<lb/> wiſſen. Was wir mißbilligen, iſt weſentlich die Politik welche in dieſe Schwierig-<lb/> keiten hineingeführt; jedoch geben wir uns auch hier der Hoffnung hin daß der ſo<lb/> weiſe und löbliche Entſchluß, den Kaiſer der Franzoſen nur in Gemeinſchaft der<lb/> deutſchen Fürſten empfangen zu wollen, etwaigen bedenklichen Tendenzen der fran-<lb/> zöſiſchen Politik von Haus aus die Spitze abgebrochen hat. War ſchon die jüngſte<lb/> Anweſenheit des Königs von Hannover in Berlin eine erfreuliche Antwort auf dieſe<lb/> Wendung der deuſchen Politik Preußens, — wir ſind gewiß, und haben es jeder Zeit<lb/> mit lauter Stimme ausgeſprochen daß auf dieſem Weg (aber auch <hi rendition="#g">nur</hi> auf dieſem)<lb/> Preußen noch größere Reſultate in Deutſchland erzielen und in der That moraliſche<lb/></quote> </cit> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2832/0004]
Preußen.
µ Berlin, 15 Jun. Der in ſeiner Sphäre bekanntlich
gern ſouveräne Berliner Pöbel hatte ſich die kurze Anweſenheit des Königs
von Hannover am Mittwoch nicht entgehen laſſen wollen ohne ſich ebenfalls
an der hohen Politik zu belheiligen. Der König war bekanntlich direct
zum Hôtel ſeines Geſandten gefahren; dort war der Wagen des Königs,
oder wie von anderer Seite verlautet, ein Gepäckwagen desſelben vor dem
Hauſe ſtehen geblieben, während Se. Maj. ſich in der Stadt einer dieſſeitigen
Hofequipage bedient hatte. Das hannoveriſche Wappen des Wagens erregte
Aufmerkſamkeit, man erfuhr die Anweſenheit des Königs, und bald hatten
ſich Hunderte von müßigen Gaffern vor dem Hôtel verſammelt, welche
ſchreiend und pfeifend nach dem „Grafen Borries“ verlangten, indem ſie ſich
in dem bekannten Berliner Straßenwitz über hannoveriſche Politik und
hannoveriſche Zuſtände verbreiteten, Vennigſen leben ließen u. ſ. w.
Leider befanden ſich darunter auch zahlreiche Perſonen der beſſern
Stände. Die Polizei war offenbar in großer Verlegenheit, da der Zuſpruch
der anweſenden Schutzmänner erfolglos blieb, und Anwendung von zwingenderen
Mitteln zur Vermeidung größern Aufſehens möglichſt vermieden werden ſollte.
Man kam endlich auf den geſcheidten Einfall den Wagen ſo weit abzuladen
daß er in das Hôtel geſchoben werden konnte, und letzteres zu verſchließen,
worauf ſich die Menge, des ſichtbaren Mittelpunkts ihrer Beſtrebungen be-
raubt, allmählich verlief. Es iſt das die nothwendige Folge der fortgeſetzten
unverſtändigen Hetzereien in den für die unterſten Claſſen beſtimmten Orga-
nen, denn der Pöbel iſt immer bereit dazu auf ſeine Weiſe einen praktiſchen
Commentar zu liefern. — Bekanntlich wird hier noch immer darüber verhan-
delt, was mit den Fonds zu machen ſey welche durch die große Gewerbs-Em-
bleme-Ausſtellung bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm zuſam-
mengebracht worden ſind. Der Vorſtand der hieſigen Tiſchlerinnung war end-
lich auf den Vorſchlag gekommen den Betrag, der nach manchen Wohlthätig-
keitsabzügen ſich noch auf 6000 bis 7000 Thaler belaufen ſoll, dem deutſchen
Nationalverein für ſeine Zwecke zu überlaſſen, und die hieſige Volkszeitung,
reſp. Nationalzeitung, Voſſiſche Zeitung und Conſorten unterließen nicht dieß
als ein bedeutſames Stimmungszeichen der Zeit in die Welt hinauszupofau-
nen. In dieſen Tagen hat nun eine Generalverſammlung der ſämmtlichen
Vorſtände der hieſigen Meiſterſchaften und Geſellenſchaften ſtattgefunden
um über die Fonds zu beſchließen, den Antrag wegen des Nationalvereins aber
unter allſeitiger Heiterkeit einſtimmig abgelehnt. Das iſt wohl auch ein
Stimmungszeichen der Zeit. Ueber die Verwendung der Fonds ſelbſt ſoll
man ſich noch nicht geeinigt haben. — Der Großherzog von Mecklenburg-
Schwerin hat hierſelbſt einen längern Aufenthalt genommen, um ſich ei-
nes Halsübels wegen der Behandlung des Geh. Medicinalraths Profeſſor
Frerichs anzuvertrauen. Es war anfänglich gewünſcht worden daß Hr. Frerichs
nach Schwerin kommen möge, da dieß aber bei einer dauernden Cur nicht
ansführbar erſchien, ſo hat der Großherzog ſeinerſeits ſeinen Wohnſitz nach
Charlottenburg verlegt. — Der Pariſer Broſchüre von Horn über Ungarn
ſind bekanntlich allerlei Manipulationen vorausgegangen, welche geeignet
waren die Aufmerkſamkeit des politiſchen Leſepublicums zu ſpannen. Der
matte und beweisloſe, meiſt auf die nackte Behauptung geſtützte Inhalt der
Broſchüre daß Ungarn für Oeſterreich verloren ſey, entſpricht jenen Voran-
ſtrengungen ſo wenig, daß ſelbſt die „Nationalzeitung“ zugeſteht: wer von den
Horn’ſchen Behauptungen nicht ſchon vorher überzeugt geweſen, werde es
durch die Broſchüre gewiß nicht werden. Man wird ſich indeß den Humbug
leicht erklären, wenn man nicht außer Acht läßt daß Hr. Horn ein nach Paris
übergeſiedelter, dort bei verſchiedenen Zeitungen beſchäftigter ungariſcher
Jude iſt. Der Induſtrialismus, welcher nicht bloß in „alten Kladern“ macht,
ſuchte ſich einmal wieder in der Litteratur zur Geltung zu bringen; „weiter
hat es keinen Zweck“ würden die Berliner ſagen.
Δ Berlin, 16 Jun. Man fängt hier bereits an die Badener „Zu-
ſammenkunft“ die ſich über Nacht gleichſam in einen Congreß der deutſchen
Fürſten mit Napoleon verwandelt hat, mit etwas mißtrauiſcheren Blicken zu
betrachten. Sollte Napoleon, fragt man, nachdem ſeiner Viſite bei Gelegen-
heit der Rhein Nahebahn erſt eben ein höflicher Abſagebrief geworden war,
nicht mehr als gewöhnliche Motive gehabt haben die Verweigerung zu verſchlucken
und alsbald ſeinen zweiten Beſuch anzukündigen? Der Prinz-Regent hatte,
wie ich früher meldete, das zweite oder dritte Anerbieten nicht wieder ableh-
nen mögen, wohl aber die Bedingung der Mittheilnahme anderer deutſchen
Fürſten geſtellt. Napoleon war anſcheinend auch dieſes Verlangen gern und
harmlos unbefangen eingegangen. Sollte er aber, fragt man weiter, nicht
gewußt haben daß ohnedieß in Folge der Bemühungen des Königs von Bayern
eine Zuſammenkunft deutſcher Fürſten in Baden-Baden bevorſtehe, und ſollte
ihm nicht vielleicht gerade Hauptſache geweſen ſeyn bei dieſem Congreß
als Dritter im Bund aufzutreten? Dann war das was der Prinz-Regent
als möglicherweiſe vom Kaiſer vorausgeſehene vorſichtsvolle Bedingung ſtellte,
recht eigentlich beabſichtigter Zweck und Ziel der franzöfiſchen Politik. Es
gewinnt dieſe Auffaſſung hier an Gewicht, ſeitdem man die auffällige Wahr-
nehmung zu machen glaubt daß die franzöfiſche Diplomatie ſich in aller Stille
während der letzten Tage lebhaft dafür intereſſirt hat möglichſt viele deutſche
Fürſten nach dem Rhein zu treiben. Es ſoll ſogar die plötzliche Reiſe des
Königs von Hannover, welche wieder die des Königs von Sachfen zur Folge
gehabt hat, dieſen Inſtigationen nicht ganz fern ſeyn, bei welchen das Son-
derintereſſe der einzelnen Staaten, der Glanz ihrer Souveräne und die Noth-
wendigkeit nicht den einen hinter den andern zurückbleiben zu laſſen als Haupt-
argumente zur geſchickten Geltung gebracht wären. Ich kann bei einer ge-
wiſſen erwartungsvollen Aufregung der Gemüther nicht jedes einzelne Wort
verbürgen, aber es wäre doch ſchon gefährlich genug für die deutſchen Inter-
eſſen wenn es der franzöſiſchen Diplomatie gelungen ſeyn ſollte ſtatt einer,
deutſchen Einheitsbeſtrebungen zugewandten, Fürſtenverſammlung einen eifer-
ſüchtigen Congreß größerer und kleinerer Souveränetätsinhaber um Napo-
leon zu verſammeln. Napoleon wäre ganz der Mann dieß auszubeuten, und
er würde dann um ſo leichteres Spiel haben die ihm drohenden Gefahren der
Einheitsbeſtrebungen in ebenſoviele Vortheile neuer Spaltungen und Zerriſ-
ſenheiten umzuwandeln. Wenn, wie es jetzt ſcheint, Oeſterreich bei dieſer
Zuſammenkunft völlig ausbleibt, ſo muß das unter allen Umſtänden ſchon
allein als ſehr verhängnißvoll betrachtet werden, und kann nur dahin führen
die von allen wahren Patrioten angeſtrebte engere Allianz der beiden deut-
ſchen Großmächte von neuem zu erſchweren. Von dieſem Standpunkt ange-
fehen, der ſich freilich erſt in den letzten Tagen aufdrängt, behält die Zuſam-
menkunft dann keineswegs mehr den ihr früher vindicirten bloß nutzloſen
und einflußloſen Charakter, ſondern ſie führt zu ſchweren Bedenken,
und vielleicht zu großen Gefahren. Vieles wird allerdings von dem
Tact, der Einſicht und Vorausſicht abhängen, mit welcher die deutſchen
Fürſten in dieſen Stunden ihre Stellung in Baden-Baden begreifen.
Aber auch die Preſſe hat eine wichtige Miſſion. Es wird an Intriguen,
an Verdächtigungen, an politiſchen und unpolitiſchen Geſchichten kein Mangel
werden, und dabei mit ſchärffter Kritik zu fichten iſt höchſte patriotiſche Aufgabe.
Die beherzigenswerthe „Warnung,“ welche Sie dieſerhalb bereits in Nr. 164
aus München gebracht haben, kann nicht genug empfohlen werden. — Die
Notiz daß der Juſtizminiſter Simons gegen den Polizeidirector Stieber,
wegen der bekannten Aeußerung des letzteren in ſeiner gerichtlichen Vertheidi-
gungsrede, die Unterſuchung habe einleiten laſſen, kann ich Ihnen als falſch
bezeichnen. Hr. Simons ſoll nur geäußert haben, er würde ſich zu dieſem
Schritt genöthigt ſehen wenn Hr. Stieber ſeine Aeußerungen in der zweiten
Inſtanz wiederholen ſollte; ob aber dieſe zweite Inſtanz überhaupt je zu Tage
kommen wird, erſcheint zweifelhafter als je. Hr. Simons hat vielleicht mehr
Grund die beregten Aeußerungen des Hrn. Stieber der gerichtlichen
Cognition nicht unterſtellt zu ſehen, als letzterer ſelbſt. Dagegen bereitet
Hr. Oberſtaatsanwalt Schwarck allerdings eine neue Anklage gegen
Stieber vor, und hat dieſen bereits verantwortlich darüber vernehmen laſſen.
Wie indeß die Freunde des letzteren mit großer Zuverſicht behaupten, würde die
Staatsanwaltſchaft dabei noch kläglicher unterliegen als das erſtemal. Außerdem
verlautet immer beſtimmter daß Hr. Schwarck binnen kurzem von hier entfernt
werden würde. Man ſoll ihm ſein unzweifelhaft leidenſchaftliches Verfahren
höhern Orts ſehr übel aufgenommen haben, namentlich da dasſelbe in ſeinen
Conſequenzen für ſehr excluſive Kreiſe höchſt peinlich zu werden anfängt.
Ganz beſonders ſind aber in neueſter Zeit ſcharfe politiſche Anklagen gegen
ihn ins Gewicht gefallen, die aus dem Jahr 1848 herrühren. So enthält
das Beiblatt der Kreuzzeitung, das Preußiſche Volksblatt, folgende bezeichnende
Anfrage: „Welcher jetzt in Berlin in großem Anſehen ſtehende, außerordent-
lich miniſterielle Mann mag es geweſen ſeyn der im Jahr 1848 in Ratibor
durchaus keine ſolche Nolle geſpielt hat die ihn zu einem Vertheidiger der Vor-
rechte der Krone geſchickt macht? Wer war es der im März 1848 eines
Abends mit einem Haufen Tumultuanten vor das in Ratibor belegene Hôtel
zum Prinzen von Preußen zog und dort unter Schimpfen und Toben eigen-
händig den Schild mit dem Namen des Prinzen abriß und zur Erde warf?“
Es iſt ein öffentliches Geheimniß daß dieſer Angriff auf Hrn. Schwarck zielt,
ohne daß letzterer etwas darauf erwiedert hätte. Mit dem Staatsanwalt
Nörner ſind Unterhandlungen wegen ſeiner Ernennung zum Rechtsanwalt
am hieſigen Stadtgericht eingeleitet. Er würde dann zugleich den Titel als
geheimer Juſtizrath erhalten.
Berlin, 16 Jun. Die N. Preuß. Zeitung ſagt über die Fürſten-
zuſammenkunſt in Baden-Baden:
„Gern ſprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der
eigenthümlichen Schwierigkeiten, der Lage und der vorausſichtlichen Folgen einer
eiwaigen Ablehnung den Entſchluß der Zuſammenkunft an fich nicht zu mißbilligen
wiſſen. Was wir mißbilligen, iſt weſentlich die Politik welche in dieſe Schwierig-
keiten hineingeführt; jedoch geben wir uns auch hier der Hoffnung hin daß der ſo
weiſe und löbliche Entſchluß, den Kaiſer der Franzoſen nur in Gemeinſchaft der
deutſchen Fürſten empfangen zu wollen, etwaigen bedenklichen Tendenzen der fran-
zöſiſchen Politik von Haus aus die Spitze abgebrochen hat. War ſchon die jüngſte
Anweſenheit des Königs von Hannover in Berlin eine erfreuliche Antwort auf dieſe
Wendung der deuſchen Politik Preußens, — wir ſind gewiß, und haben es jeder Zeit
mit lauter Stimme ausgeſprochen daß auf dieſem Weg (aber auch nur auf dieſem)
Preußen noch größere Reſultate in Deutſchland erzielen und in der That moraliſche
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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