Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
[Spaltenumbruch] Interesse. Diese Politisierung, die der Zivilisationsliterat
mit allen Mitteln und Mächten erstrebt und die den Men-
schen nicht einmal geistig-seelisch sich selbst gehören lassen
will, macht den Geschäftsgeist zum Lebensinhalt des Men-
schen, den internationalen Geschäftsgeist, und löst den Deut-
schen vollends los von all seinen Bindungen der Rasse und
des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der
Demokratie an sich auf, sondern als Feind der Politisierung,
als Verteidiger der deutschen Seele und Innerlichkeit, als
ein wesenhaft Deutscher, der noch höhere als nur politische
Ziele und Beschäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die
Gebiete des nationalen Universalismus, die Gebiete des
deutschen Geistes und der deutschen Seele. Die ganze ethische
Persönlichkeit Thomas Manns setzte sich hier für deutsche
Art und Gesittung ein mit unerschütterlichem Mut und
offenster Mannhaftigkeit, sich bekennend zur menschlichen
Lebenssphäre, die das Gebiet der Kunst und Religion um-
faßt. Kunst und Fortschritt, Kunst und Freiheit blieben ihm
ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunst ihm nur
rein aus der Quelle der Menschlichkeit, der Ehrfurcht und
Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an sich
selbst; Stille und Tiefe sind die Mutter der Kunst, nie der
Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas
Mann schloß sich mit seinen "Betrachtungen" an das Goethe-
sche Deutschland an, weil seine Natur diesen Anschluß ver-
langte. Vorbereitet war dieser Anschluß schon in "Königliche
Hoheit". Vollends bewiesen ihn die letzten Früchte seines
hünstlerischen Schaffens, die Idyllen "Ver Herr und der
Hund
" und "Gesang vom Kindchen".

Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,
aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters
Seele. Sie hatte sich einen Bezirk geschaffen, wo sie ungestört
dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit
und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen
zu der Natur, wie sie sich gab im Wesen seines Hundes und
in ihre Liebe zum rein Menschlichen, wie sie sich gab im
ersten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine
Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungestört
Erlebender und ganz Einsamer, Idylliker des vorüberflie-
ßenden Augenblicks "Hermann und Dorothea"-Stimmungen
fingen sich hier ein.

Mit kleiner, fein humoristischer Selbstverspottung wird
die Liebe zu seinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den
Spaziergängen, in der Landschaft des Isartales, im Hause
und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,
mit inniger Andacht zum kleinsten, mit einer Stifterschen
Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-
meierschen umständlichen Wichtigtuerei und reservierter Auf-
richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat sich ein sensi-
tiver Mensch mit Gbsicht in eine problemfreie Atmosphäre
gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll
erschütternder Tragik beschert. Die harmonische Heiterkeit
der Idylle, dieser Friede auf den Spaziergängen ist gewollt
mit aller geistigen Energie: es ist ein Zeugnis von der
Größe Thomas Mannscher Gestaltungskraft, daß sich diese
gewollte Idyllenwelt in eine selbstverständliche und wirklich
lebendige umsetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieses Dich-
ters grenzt Ich und Welt scharf und glaubhaft voneinander
ab und stellt eine in sich abgeschlossene Welt hin, die erlöst
für Stunden von der Qual der Zeit, weil sie aufgehen läßt
in peinlichst genaue Beobachtung, die Selbstgenuß bedeutet.

Stärker klopft die Zeit schon wieder an die Kinder-
zimmertür, die der Dichter in dem kleinen "Gesang vom
Kindchen
" öffnet, Lässige Hexameter bestimmen den leis
elegischen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-
nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachsenen Mannes
mit anderen Augen als einst der jünglingshaften Leiden-
schaft wie ein Geschenk der Gnade ansieht. Ganz persönlich
tritt der Dichter in Erscheinung: an der Badewanne des eben
erwachten Wesens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und
hin und wieder schallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-
ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand
den Ausdrucksstil für diese beseelte Welt, die einzige, die
heute unangetastetes Eigentum des einzelnen bleibt.

[Spaltenumbruch]

An diesen Idyllen war Thomas Manns gesamte Natur
ebenso stark beteiligt wie an den gedanklich und künstlerisch
umfassenderen Werken: alle Kräfte seines Wesens mitarbei-
ten lassen beim schöpferischen Akt in völliger Bewußtheit
und in willenmäßig bestimmtem Streben zur Form ist ihm
Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethische Erfüllung
seines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine
Naivität des Formungsweges zulassen. Gefühl und Verstand
arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verstand ver-
objektivierte Empfinden wird Kunstwerk, Erkennen, Beob-
achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannscher
Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte
in letzter Wahrhaftigkeit zu gestalten, nacherkennbar, mit-
beobachtbar, nacherlebbar, bestimmt die Form. Einer Syn-
these von Kunst und Wissenschaft strebt dieser Dichter ent-
gegen: im Gehalt wie in der Form sollen die in beiden
menschlichen Geistesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.
Schönheit und Wahrheit bleiben sein Ziel. Er bleibt stets
ästhetischer und ethischer Mensch zugleich. Und oft ist uns,
als habe Thomas Mann die Synthese beider schon erreicht.
Noch nicht im Bedeutendsten, was von diesem Dichter er-
wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen seiner
Meisterschaft, als Epiker, der in früher Selbsterkenntnis sich
nie an ihm wesensfremde Kunstformen verschwendete, stehen
wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.
Wir erhoffen von ihm noch das Kunstwerk der Zeit. Die
große Tat, die befreiend und menschheitsfördernd zugleich
wirkt. Ueberall liegen die Ansätze dazu verstreut: sie sind
in stetem Wachsen. Nirgends fehlen Ernst und Zucht, Ein-
sicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm gestellten Auf-
gabe gerecht zu werden: über Flaubertsches Künstlertum
hinauszuwachsen zur Lebens- und Kunstbewältigung im
Goetheschen Sinne.

Bayerisches Nationalmuseum.

Ausstellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917--1919.

Unter vielfach erschwerenden Umständen und mit recht be-
schränkten Mitteln ist es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem
Nationalmuseum zum Teil hochwertige Objekte, besonders der
Groß- und Kleinplastik, zuzuführen. Neben dem staatlichen Zu-
schuß von nur 90,000 M verstand es Direktor Halm, manchen
uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der
Sammlung zu gewinnen.

Die Großplastik fällt zunächst durch eine Maria mit dem
Kind -- wahrscheinlich von Gregor Erhart, dem Meister des
Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der sich Spätgotik und
Renaissance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,
1450--1460, hat in seiner kraftvoll-rassigen Art Qualität. Eind
Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg
in Niederbayern, um 1520, gotisch in Frührenaissanceumrahmung.
Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweist stilistische und
malerische Dorzüge besonderer Art. Einer der Glanzpunkte der
neuen Sammlung ist die monumental und doch verinnerlicht wir-
kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutsch aus der Bodensee-
gegend stammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfassung
ganz einzig in ihrer Art wirkt.

Stark gegensätzlich zu diesen ernst-monumentalen Erschei-
nungen empfinden wir eine im "schmelzenden Gefühlsüber-
schwang des Rokoko" gestaltete schmerzhafte Mutter Gottes,
bayerisch, um 1750.

Zahlreiche Stücke weist die Kleinplastik auf, von der Gotik
bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-
statuette einer weiblichen Heiligen, bayerisch, um 1430, fällt
die Peter Flötner zugeschriebene Statuette (Renaissance) eines
Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenso eine deutsche Bronze,
Knabe mit Hündchen, wahrscheinlich Peter Discher, Anfang des
16. Jahrhunderts.

Entsprechend dem Charakter unseres Bayerischen National-
museums ist das Porzellan süddeutscher Herkunft sehr reich ver-
treten. Besonders freuen wir uns, Franz Bustelli (1754--1763),
den genialen Nymphenburger Plastiker und Regenerator mit
Arlequino, Colombine und Pulcinella der italienischen Stegreif-
komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein
hervorragendes Stüch Nymphenburg ist eine Wasserblase mit
sitzender Damenfigur von Bustelli, das, aus der Sammlung
Dr. Georg Hirth stammend, auf 21,000 M zu stehen kam. Ein
zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden sein. Auch Bustellis
Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765--1785) zeigt sich mit
qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-
medaillon Kurfürst Max III. Joseph. Frankenthal-Fr. Lück
(1758--1764) ist mit charakteristischen Plastiken: Die Komödie,
mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, usw.
vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plastiken von Laut (Bacchus,

Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
[Spaltenumbruch] Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliterat
mit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men-
ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen
will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men-
ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut-
ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und
des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der
Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung,
als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als
ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche
Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die
Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des
deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche
Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche
Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und
offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen
Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um-
faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm
ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur
rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und
Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich
ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der
Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas
Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe-
ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver-
langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche
Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines
hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „Ver Herr und der
Hund
“ und „Geſang vom Kindchen“.

Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,
aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters
Seele. Sie hatte ſich einen Bezirk geſchaffen, wo ſie ungeſtört
dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit
und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen
zu der Natur, wie ſie ſich gab im Weſen ſeines Hundes und
in ihre Liebe zum rein Menſchlichen, wie ſie ſich gab im
erſten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine
Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungeſtört
Erlebender und ganz Einſamer, Idylliker des vorüberflie-
ßenden Augenblicks „Hermann und Dorothea“-Stimmungen
fingen ſich hier ein.

Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird
die Liebe zu ſeinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den
Spaziergängen, in der Landſchaft des Iſartales, im Hauſe
und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,
mit inniger Andacht zum kleinſten, mit einer Stifterſchen
Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-
meierſchen umſtändlichen Wichtigtuerei und reſervierter Auf-
richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat ſich ein ſenſi-
tiver Menſch mit Gbſicht in eine problemfreie Atmoſphäre
gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll
erſchütternder Tragik beſchert. Die harmoniſche Heiterkeit
der Idylle, dieſer Friede auf den Spaziergängen iſt gewollt
mit aller geiſtigen Energie: es iſt ein Zeugnis von der
Größe Thomas Mannſcher Geſtaltungskraft, daß ſich dieſe
gewollte Idyllenwelt in eine ſelbſtverſtändliche und wirklich
lebendige umſetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieſes Dich-
ters grenzt Ich und Welt ſcharf und glaubhaft voneinander
ab und ſtellt eine in ſich abgeſchloſſene Welt hin, die erlöſt
für Stunden von der Qual der Zeit, weil ſie aufgehen läßt
in peinlichſt genaue Beobachtung, die Selbſtgenuß bedeutet.

Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder-
zimmertür, die der Dichter in dem kleinen „Geſang vom
Kindchen
“ öffnet, Läſſige Hexameter beſtimmen den leis
elegiſchen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-
nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachſenen Mannes
mit anderen Augen als einſt der jünglingshaften Leiden-
ſchaft wie ein Geſchenk der Gnade anſieht. Ganz perſönlich
tritt der Dichter in Erſcheinung: an der Badewanne des eben
erwachten Weſens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und
hin und wieder ſchallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-
ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand
den Ausdrucksſtil für dieſe beſeelte Welt, die einzige, die
heute unangetaſtetes Eigentum des einzelnen bleibt.

[Spaltenumbruch]

An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur
ebenſo ſtark beteiligt wie an den gedanklich und künſtleriſch
umfaſſenderen Werken: alle Kräfte ſeines Weſens mitarbei-
ten laſſen beim ſchöpferiſchen Akt in völliger Bewußtheit
und in willenmäßig beſtimmtem Streben zur Form iſt ihm
Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethiſche Erfüllung
ſeines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine
Naivität des Formungsweges zulaſſen. Gefühl und Verſtand
arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verſtand ver-
objektivierte Empfinden wird Kunſtwerk, Erkennen, Beob-
achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannſcher
Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte
in letzter Wahrhaftigkeit zu geſtalten, nacherkennbar, mit-
beobachtbar, nacherlebbar, beſtimmt die Form. Einer Syn-
theſe von Kunſt und Wiſſenſchaft ſtrebt dieſer Dichter ent-
gegen: im Gehalt wie in der Form ſollen die in beiden
menſchlichen Geiſtesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.
Schönheit und Wahrheit bleiben ſein Ziel. Er bleibt ſtets
äſthetiſcher und ethiſcher Menſch zugleich. Und oft iſt uns,
als habe Thomas Mann die Syntheſe beider ſchon erreicht.
Noch nicht im Bedeutendſten, was von dieſem Dichter er-
wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen ſeiner
Meiſterſchaft, als Epiker, der in früher Selbſterkenntnis ſich
nie an ihm weſensfremde Kunſtformen verſchwendete, ſtehen
wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.
Wir erhoffen von ihm noch das Kunſtwerk der Zeit. Die
große Tat, die befreiend und menſchheitsfördernd zugleich
wirkt. Ueberall liegen die Anſätze dazu verſtreut: ſie ſind
in ſtetem Wachſen. Nirgends fehlen Ernſt und Zucht, Ein-
ſicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm geſtellten Auf-
gabe gerecht zu werden: über Flaubertſches Künſtlertum
hinauszuwachſen zur Lebens- und Kunſtbewältigung im
Goetheſchen Sinne.

Bayeriſches Nationalmuſeum.

Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919.

Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be-
ſchränkten Mitteln iſt es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem
Nationalmuſeum zum Teil hochwertige Objekte, beſonders der
Groß- und Kleinplaſtik, zuzuführen. Neben dem ſtaatlichen Zu-
ſchuß von nur 90,000 M verſtand es Direktor Halm, manchen
uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der
Sammlung zu gewinnen.

Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem
Kind — wahrſcheinlich von Gregor Erhart, dem Meiſter des
Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der ſich Spätgotik und
Renaiſſance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,
1450—1460, hat in ſeiner kraftvoll-raſſigen Art Qualität. Eind
Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg
in Niederbayern, um 1520, gotiſch in Frührenaiſſanceumrahmung.
Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweiſt ſtiliſtiſche und
maleriſche Dorzüge beſonderer Art. Einer der Glanzpunkte der
neuen Sammlung iſt die monumental und doch verinnerlicht wir-
kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutſch aus der Bodenſee-
gegend ſtammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfaſſung
ganz einzig in ihrer Art wirkt.

Stark gegenſätzlich zu dieſen ernſt-monumentalen Erſchei-
nungen empfinden wir eine im „ſchmelzenden Gefühlsüber-
ſchwang des Rokoko“ geſtaltete ſchmerzhafte Mutter Gottes,
bayeriſch, um 1750.

Zahlreiche Stücke weiſt die Kleinplaſtik auf, von der Gotik
bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-
ſtatuette einer weiblichen Heiligen, bayeriſch, um 1430, fällt
die Peter Flötner zugeſchriebene Statuette (Renaiſſance) eines
Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenſo eine deutſche Bronze,
Knabe mit Hündchen, wahrſcheinlich Peter Diſcher, Anfang des
16. Jahrhunderts.

Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National-
muſeums iſt das Porzellan ſüddeutſcher Herkunft ſehr reich ver-
treten. Beſonders freuen wir uns, Franz Buſtelli (1754—1763),
den genialen Nymphenburger Plaſtiker und Regenerator mit
Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieniſchen Stegreif-
komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein
hervorragendes Stüch Nymphenburg iſt eine Waſſerblaſe mit
ſitzender Damenfigur von Buſtelli, das, aus der Sammlung
Dr. Georg Hirth ſtammend, auf 21,000 M zu ſtehen kam. Ein
zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden ſein. Auch Buſtellis
Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765—1785) zeigt ſich mit
qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-
medaillon Kurfürſt Max III. Joſeph. Frankenthal-Fr. Lück
(1758—1764) iſt mit charakteriſtiſchen Plaſtiken: Die Komödie,
mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, uſw.
vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plaſtiken von Laut (Bacchus,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jCulturalNews" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0006" n="176"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 9. Mai 1920</fw><lb/><cb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e. Die&#x017F;e Politi&#x017F;ierung, die der Zivili&#x017F;ationsliterat<lb/>
mit allen Mitteln und Mächten er&#x017F;trebt und die den Men-<lb/>
&#x017F;chen nicht einmal gei&#x017F;tig-&#x017F;eeli&#x017F;ch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gehören la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
will, macht den Ge&#x017F;chäftsgei&#x017F;t zum Lebensinhalt des Men-<lb/>
&#x017F;chen, den internationalen Ge&#x017F;chäftsgei&#x017F;t, und lö&#x017F;t den Deut-<lb/>
&#x017F;chen vollends los von all &#x017F;einen Bindungen der Ra&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der<lb/>
Demokratie an &#x017F;ich auf, &#x017F;ondern als Feind der Politi&#x017F;ierung,<lb/>
als Verteidiger der deut&#x017F;chen Seele und Innerlichkeit, als<lb/>
ein we&#x017F;enhaft Deut&#x017F;cher, der noch höhere als nur politi&#x017F;che<lb/>
Ziele und Be&#x017F;chäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die<lb/>
Gebiete des nationalen Univer&#x017F;alismus, die Gebiete des<lb/>
deut&#x017F;chen Gei&#x017F;tes und der deut&#x017F;chen Seele. Die ganze ethi&#x017F;che<lb/>
Per&#x017F;önlichkeit Thomas Manns &#x017F;etzte &#x017F;ich hier für deut&#x017F;che<lb/>
Art und Ge&#x017F;ittung ein mit uner&#x017F;chütterlichem Mut und<lb/>
offen&#x017F;ter Mannhaftigkeit, &#x017F;ich bekennend zur men&#x017F;chlichen<lb/>
Lebens&#x017F;phäre, die das Gebiet der Kun&#x017F;t und Religion um-<lb/>
faßt. Kun&#x017F;t und Fort&#x017F;chritt, Kun&#x017F;t und Freiheit blieben ihm<lb/>
ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kun&#x017F;t ihm nur<lb/>
rein aus der Quelle der Men&#x017F;chlichkeit, der Ehrfurcht und<lb/>
Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t; Stille und Tiefe &#x017F;ind die Mutter der Kun&#x017F;t, nie der<lb/>
Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas<lb/>
Mann &#x017F;chloß &#x017F;ich mit &#x017F;einen &#x201E;Betrachtungen&#x201C; an das Goethe-<lb/>
&#x017F;che Deut&#x017F;chland an, weil &#x017F;eine Natur die&#x017F;en An&#x017F;chluß ver-<lb/>
langte. Vorbereitet war die&#x017F;er An&#x017F;chluß &#x017F;chon in &#x201E;Königliche<lb/>
Hoheit&#x201C;. Vollends bewie&#x017F;en ihn die letzten Früchte &#x017F;eines<lb/>
hün&#x017F;tleri&#x017F;chen Schaffens, die Idyllen &#x201E;<hi rendition="#g">Ver Herr und der<lb/>
Hund</hi>&#x201C; und &#x201E;<hi rendition="#g">Ge&#x017F;ang vom Kindchen</hi>&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,<lb/>
aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters<lb/>
Seele. Sie hatte &#x017F;ich einen Bezirk ge&#x017F;chaffen, wo &#x017F;ie unge&#x017F;tört<lb/>
dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit<lb/>
und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen<lb/>
zu der Natur, wie &#x017F;ie &#x017F;ich gab im We&#x017F;en &#x017F;eines Hundes und<lb/>
in ihre Liebe zum rein Men&#x017F;chlichen, wie &#x017F;ie &#x017F;ich gab im<lb/>
er&#x017F;ten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine<lb/>
Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und unge&#x017F;tört<lb/>
Erlebender und ganz Ein&#x017F;amer, Idylliker des vorüberflie-<lb/>
ßenden Augenblicks &#x201E;Hermann und Dorothea&#x201C;-Stimmungen<lb/>
fingen &#x017F;ich hier ein.</p><lb/>
          <p>Mit kleiner, fein humori&#x017F;ti&#x017F;cher Selb&#x017F;tver&#x017F;pottung wird<lb/>
die Liebe zu &#x017F;einem Hunde und zum Leben mit ihm auf den<lb/>
Spaziergängen, in der Land&#x017F;chaft des I&#x017F;artales, im Hau&#x017F;e<lb/>
und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,<lb/>
mit inniger Andacht zum klein&#x017F;ten, mit einer Stifter&#x017F;chen<lb/>
Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-<lb/>
meier&#x017F;chen um&#x017F;tändlichen Wichtigtuerei und re&#x017F;ervierter Auf-<lb/>
richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat &#x017F;ich ein &#x017F;en&#x017F;i-<lb/>
tiver Men&#x017F;ch mit Gb&#x017F;icht in eine problemfreie Atmo&#x017F;phäre<lb/>
gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll<lb/>
er&#x017F;chütternder Tragik be&#x017F;chert. Die harmoni&#x017F;che Heiterkeit<lb/>
der Idylle, die&#x017F;er Friede auf den Spaziergängen i&#x017F;t gewollt<lb/>
mit aller gei&#x017F;tigen Energie: es i&#x017F;t ein Zeugnis von der<lb/>
Größe Thomas Mann&#x017F;cher Ge&#x017F;taltungskraft, daß &#x017F;ich die&#x017F;e<lb/>
gewollte Idyllenwelt in eine &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändliche und wirklich<lb/>
lebendige um&#x017F;etzt. Die Konzentrationsfähigkeit die&#x017F;es Dich-<lb/>
ters grenzt Ich und Welt &#x017F;charf und glaubhaft voneinander<lb/>
ab und &#x017F;tellt eine in &#x017F;ich abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Welt hin, die erlö&#x017F;t<lb/>
für Stunden von der Qual der Zeit, weil &#x017F;ie aufgehen läßt<lb/>
in peinlich&#x017F;t genaue Beobachtung, die Selb&#x017F;tgenuß bedeutet.</p><lb/>
          <p>Stärker klopft die Zeit &#x017F;chon wieder an die Kinder-<lb/>
zimmertür, die der Dichter in dem kleinen &#x201E;<hi rendition="#g">Ge&#x017F;ang vom<lb/>
Kindchen</hi>&#x201C; öffnet, Lä&#x017F;&#x017F;ige Hexameter be&#x017F;timmen den leis<lb/>
elegi&#x017F;chen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-<lb/>
nen Spätling, den die Vaterliebe des erwach&#x017F;enen Mannes<lb/>
mit anderen Augen als ein&#x017F;t der jünglingshaften Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft wie ein Ge&#x017F;chenk der Gnade an&#x017F;ieht. Ganz per&#x017F;önlich<lb/>
tritt der Dichter in Er&#x017F;cheinung: an der Badewanne des eben<lb/>
erwachten We&#x017F;ens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und<lb/>
hin und wieder &#x017F;challt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-<lb/>
ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand<lb/>
den Ausdrucks&#x017F;til für die&#x017F;e be&#x017F;eelte Welt, die einzige, die<lb/>
heute unangeta&#x017F;tetes Eigentum des einzelnen bleibt.</p><lb/>
          <cb/>
          <p>An die&#x017F;en Idyllen war Thomas Manns ge&#x017F;amte Natur<lb/>
eben&#x017F;o &#x017F;tark beteiligt wie an den gedanklich und kün&#x017F;tleri&#x017F;ch<lb/>
umfa&#x017F;&#x017F;enderen Werken: alle Kräfte &#x017F;eines We&#x017F;ens mitarbei-<lb/>
ten la&#x017F;&#x017F;en beim &#x017F;chöpferi&#x017F;chen Akt in völliger Bewußtheit<lb/>
und in willenmäßig be&#x017F;timmtem Streben zur Form i&#x017F;t ihm<lb/>
Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethi&#x017F;che Erfüllung<lb/>
&#x017F;eines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine<lb/>
Naivität des Formungsweges zula&#x017F;&#x017F;en. Gefühl und Ver&#x017F;tand<lb/>
arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Ver&#x017F;tand ver-<lb/>
objektivierte Empfinden wird Kun&#x017F;twerk, Erkennen, Beob-<lb/>
achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mann&#x017F;cher<lb/>
Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte<lb/>
in letzter Wahrhaftigkeit zu ge&#x017F;talten, nacherkennbar, mit-<lb/>
beobachtbar, nacherlebbar, be&#x017F;timmt die Form. Einer Syn-<lb/>
the&#x017F;e von Kun&#x017F;t und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;trebt die&#x017F;er Dichter ent-<lb/>
gegen: im Gehalt wie in der Form &#x017F;ollen die in beiden<lb/>
men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.<lb/>
Schönheit und Wahrheit bleiben &#x017F;ein Ziel. Er bleibt &#x017F;tets<lb/>
ä&#x017F;theti&#x017F;cher und ethi&#x017F;cher Men&#x017F;ch zugleich. Und oft i&#x017F;t uns,<lb/>
als habe Thomas Mann die Synthe&#x017F;e beider &#x017F;chon erreicht.<lb/>
Noch nicht im Bedeutend&#x017F;ten, was von die&#x017F;em Dichter er-<lb/>
wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen &#x017F;einer<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft, als Epiker, der in früher Selb&#x017F;terkenntnis &#x017F;ich<lb/>
nie an ihm we&#x017F;ensfremde Kun&#x017F;tformen ver&#x017F;chwendete, &#x017F;tehen<lb/>
wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.<lb/>
Wir erhoffen von ihm noch das Kun&#x017F;twerk der Zeit. Die<lb/>
große Tat, die befreiend und men&#x017F;chheitsfördernd zugleich<lb/>
wirkt. Ueberall liegen die An&#x017F;ätze dazu ver&#x017F;treut: &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
in &#x017F;tetem Wach&#x017F;en. Nirgends fehlen Ern&#x017F;t und Zucht, Ein-<lb/>
&#x017F;icht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm ge&#x017F;tellten Auf-<lb/>
gabe gerecht zu werden: über Flaubert&#x017F;ches Kün&#x017F;tlertum<lb/>
hinauszuwach&#x017F;en zur Lebens- und Kun&#x017F;tbewältigung im<lb/>
Goethe&#x017F;chen Sinne.</p><lb/>
        </div>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Bayeri&#x017F;ches Nationalmu&#x017F;eum.</hi> </head><lb/>
          <argument>
            <p>Aus&#x017F;tellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917&#x2014;1919.</p>
          </argument><lb/>
          <p>Unter vielfach er&#x017F;chwerenden Um&#x017F;tänden und mit recht be-<lb/>
&#x017F;chränkten Mitteln i&#x017F;t es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem<lb/>
Nationalmu&#x017F;eum zum Teil hochwertige Objekte, be&#x017F;onders der<lb/>
Groß- und Kleinpla&#x017F;tik, zuzuführen. Neben dem &#x017F;taatlichen Zu-<lb/>
&#x017F;chuß von nur 90,000 M ver&#x017F;tand es Direktor Halm, manchen<lb/>
uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der<lb/>
Sammlung zu gewinnen.</p><lb/>
          <p>Die Großpla&#x017F;tik fällt zunäch&#x017F;t durch eine Maria mit dem<lb/>
Kind &#x2014; wahr&#x017F;cheinlich von Gregor Erhart, dem Mei&#x017F;ter des<lb/>
Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der &#x017F;ich Spätgotik und<lb/>
Renai&#x017F;&#x017F;ance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,<lb/>
1450&#x2014;1460, hat in &#x017F;einer kraftvoll-ra&#x017F;&#x017F;igen Art Qualität. Eind<lb/>
Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg<lb/>
in Niederbayern, um 1520, goti&#x017F;ch in Frührenai&#x017F;&#x017F;anceumrahmung.<lb/>
Maria, die das Kind im Leibe trägt, erwei&#x017F;t &#x017F;tili&#x017F;ti&#x017F;che und<lb/>
maleri&#x017F;che Dorzüge be&#x017F;onderer Art. Einer der Glanzpunkte der<lb/>
neuen Sammlung i&#x017F;t die monumental und doch verinnerlicht wir-<lb/>
kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeut&#x017F;ch aus der Boden&#x017F;ee-<lb/>
gegend &#x017F;tammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
ganz einzig in ihrer Art wirkt.</p><lb/>
          <p>Stark gegen&#x017F;ätzlich zu die&#x017F;en ern&#x017F;t-monumentalen Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen empfinden wir eine im &#x201E;&#x017F;chmelzenden Gefühlsüber-<lb/>
&#x017F;chwang des Rokoko&#x201C; ge&#x017F;taltete &#x017F;chmerzhafte Mutter Gottes,<lb/>
bayeri&#x017F;ch, um 1750.</p><lb/>
          <p>Zahlreiche Stücke wei&#x017F;t die Kleinpla&#x017F;tik auf, von der Gotik<lb/>
bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-<lb/>
&#x017F;tatuette einer weiblichen Heiligen, bayeri&#x017F;ch, um 1430, fällt<lb/>
die Peter Flötner zuge&#x017F;chriebene Statuette (Renai&#x017F;&#x017F;ance) eines<lb/>
Mädchens in Buchsbaumholz auf, eben&#x017F;o eine deut&#x017F;che Bronze,<lb/>
Knabe mit Hündchen, wahr&#x017F;cheinlich Peter Di&#x017F;cher, Anfang des<lb/>
16. Jahrhunderts.</p><lb/>
          <p>Ent&#x017F;prechend dem Charakter un&#x017F;eres Bayeri&#x017F;chen National-<lb/>
mu&#x017F;eums i&#x017F;t das Porzellan &#x017F;üddeut&#x017F;cher Herkunft &#x017F;ehr reich ver-<lb/>
treten. Be&#x017F;onders freuen wir uns, Franz Bu&#x017F;telli (1754&#x2014;1763),<lb/>
den genialen Nymphenburger Pla&#x017F;tiker und Regenerator mit<lb/>
Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieni&#x017F;chen Stegreif-<lb/>
komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein<lb/>
hervorragendes Stüch Nymphenburg i&#x017F;t eine Wa&#x017F;&#x017F;erbla&#x017F;e mit<lb/>
&#x017F;itzender Damenfigur von Bu&#x017F;telli, das, aus der Sammlung<lb/>
Dr. Georg Hirth &#x017F;tammend, auf 21,000 M zu &#x017F;tehen kam. Ein<lb/>
zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden &#x017F;ein. Auch Bu&#x017F;tellis<lb/>
Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765&#x2014;1785) zeigt &#x017F;ich mit<lb/>
qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-<lb/>
medaillon Kurfür&#x017F;t Max <hi rendition="#aq">III.</hi> Jo&#x017F;eph. Frankenthal-Fr. Lück<lb/>
(1758&#x2014;1764) i&#x017F;t mit charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Pla&#x017F;tiken: Die Komödie,<lb/>
mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, u&#x017F;w.<lb/>
vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Pla&#x017F;tiken von Laut (Bacchus,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0006] Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920 Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliterat mit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men- ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men- ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut- ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung, als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um- faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe- ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver- langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „Ver Herr und der Hund“ und „Geſang vom Kindchen“. Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages, aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters Seele. Sie hatte ſich einen Bezirk geſchaffen, wo ſie ungeſtört dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen zu der Natur, wie ſie ſich gab im Weſen ſeines Hundes und in ihre Liebe zum rein Menſchlichen, wie ſie ſich gab im erſten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungeſtört Erlebender und ganz Einſamer, Idylliker des vorüberflie- ßenden Augenblicks „Hermann und Dorothea“-Stimmungen fingen ſich hier ein. Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird die Liebe zu ſeinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den Spaziergängen, in der Landſchaft des Iſartales, im Hauſe und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue, mit inniger Andacht zum kleinſten, mit einer Stifterſchen Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder- meierſchen umſtändlichen Wichtigtuerei und reſervierter Auf- richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat ſich ein ſenſi- tiver Menſch mit Gbſicht in eine problemfreie Atmoſphäre gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll erſchütternder Tragik beſchert. Die harmoniſche Heiterkeit der Idylle, dieſer Friede auf den Spaziergängen iſt gewollt mit aller geiſtigen Energie: es iſt ein Zeugnis von der Größe Thomas Mannſcher Geſtaltungskraft, daß ſich dieſe gewollte Idyllenwelt in eine ſelbſtverſtändliche und wirklich lebendige umſetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieſes Dich- ters grenzt Ich und Welt ſcharf und glaubhaft voneinander ab und ſtellt eine in ſich abgeſchloſſene Welt hin, die erlöſt für Stunden von der Qual der Zeit, weil ſie aufgehen läßt in peinlichſt genaue Beobachtung, die Selbſtgenuß bedeutet. Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder- zimmertür, die der Dichter in dem kleinen „Geſang vom Kindchen“ öffnet, Läſſige Hexameter beſtimmen den leis elegiſchen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei- nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachſenen Mannes mit anderen Augen als einſt der jünglingshaften Leiden- ſchaft wie ein Geſchenk der Gnade anſieht. Ganz perſönlich tritt der Dichter in Erſcheinung: an der Badewanne des eben erwachten Weſens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und hin und wieder ſchallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau- ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand den Ausdrucksſtil für dieſe beſeelte Welt, die einzige, die heute unangetaſtetes Eigentum des einzelnen bleibt. An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur ebenſo ſtark beteiligt wie an den gedanklich und künſtleriſch umfaſſenderen Werken: alle Kräfte ſeines Weſens mitarbei- ten laſſen beim ſchöpferiſchen Akt in völliger Bewußtheit und in willenmäßig beſtimmtem Streben zur Form iſt ihm Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethiſche Erfüllung ſeines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine Naivität des Formungsweges zulaſſen. Gefühl und Verſtand arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verſtand ver- objektivierte Empfinden wird Kunſtwerk, Erkennen, Beob- achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannſcher Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte in letzter Wahrhaftigkeit zu geſtalten, nacherkennbar, mit- beobachtbar, nacherlebbar, beſtimmt die Form. Einer Syn- theſe von Kunſt und Wiſſenſchaft ſtrebt dieſer Dichter ent- gegen: im Gehalt wie in der Form ſollen die in beiden menſchlichen Geiſtesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken. Schönheit und Wahrheit bleiben ſein Ziel. Er bleibt ſtets äſthetiſcher und ethiſcher Menſch zugleich. Und oft iſt uns, als habe Thomas Mann die Syntheſe beider ſchon erreicht. Noch nicht im Bedeutendſten, was von dieſem Dichter er- wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen ſeiner Meiſterſchaft, als Epiker, der in früher Selbſterkenntnis ſich nie an ihm weſensfremde Kunſtformen verſchwendete, ſtehen wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm. Wir erhoffen von ihm noch das Kunſtwerk der Zeit. Die große Tat, die befreiend und menſchheitsfördernd zugleich wirkt. Ueberall liegen die Anſätze dazu verſtreut: ſie ſind in ſtetem Wachſen. Nirgends fehlen Ernſt und Zucht, Ein- ſicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm geſtellten Auf- gabe gerecht zu werden: über Flaubertſches Künſtlertum hinauszuwachſen zur Lebens- und Kunſtbewältigung im Goetheſchen Sinne. Bayeriſches Nationalmuſeum. Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919. Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be- ſchränkten Mitteln iſt es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem Nationalmuſeum zum Teil hochwertige Objekte, beſonders der Groß- und Kleinplaſtik, zuzuführen. Neben dem ſtaatlichen Zu- ſchuß von nur 90,000 M verſtand es Direktor Halm, manchen uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der Sammlung zu gewinnen. Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem Kind — wahrſcheinlich von Gregor Erhart, dem Meiſter des Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der ſich Spätgotik und Renaiſſance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus, 1450—1460, hat in ſeiner kraftvoll-raſſigen Art Qualität. Eind Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg in Niederbayern, um 1520, gotiſch in Frührenaiſſanceumrahmung. Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweiſt ſtiliſtiſche und maleriſche Dorzüge beſonderer Art. Einer der Glanzpunkte der neuen Sammlung iſt die monumental und doch verinnerlicht wir- kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutſch aus der Bodenſee- gegend ſtammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfaſſung ganz einzig in ihrer Art wirkt. Stark gegenſätzlich zu dieſen ernſt-monumentalen Erſchei- nungen empfinden wir eine im „ſchmelzenden Gefühlsüber- ſchwang des Rokoko“ geſtaltete ſchmerzhafte Mutter Gottes, bayeriſch, um 1750. Zahlreiche Stücke weiſt die Kleinplaſtik auf, von der Gotik bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton- ſtatuette einer weiblichen Heiligen, bayeriſch, um 1430, fällt die Peter Flötner zugeſchriebene Statuette (Renaiſſance) eines Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenſo eine deutſche Bronze, Knabe mit Hündchen, wahrſcheinlich Peter Diſcher, Anfang des 16. Jahrhunderts. Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National- muſeums iſt das Porzellan ſüddeutſcher Herkunft ſehr reich ver- treten. Beſonders freuen wir uns, Franz Buſtelli (1754—1763), den genialen Nymphenburger Plaſtiker und Regenerator mit Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieniſchen Stegreif- komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein hervorragendes Stüch Nymphenburg iſt eine Waſſerblaſe mit ſitzender Damenfigur von Buſtelli, das, aus der Sammlung Dr. Georg Hirth ſtammend, auf 21,000 M zu ſtehen kam. Ein zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden ſein. Auch Buſtellis Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765—1785) zeigt ſich mit qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief- medaillon Kurfürſt Max III. Joſeph. Frankenthal-Fr. Lück (1758—1764) iſt mit charakteriſtiſchen Plaſtiken: Die Komödie, mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, uſw. vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plaſtiken von Laut (Bacchus,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2020-10-02T09:49:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1920
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1920/6
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1920/6>, abgerufen am 01.06.2024.