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Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 16. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 16. Mai 1920
[Spaltenumbruch] bald aufgehalten werde und der Aufstieg beginne. Das
Lebensinteresse des ganzen Volkes erfordert es, alle Kreise
sind daran beteiligt mit alleiniger Ausnahme derer, die
den Umsturz wollen. Es sollte also möglich sein, alle, die
es mit dem Volke wohl meinen, zu der gemeinsamen Arbeit
des Aufbaues zu vereinigen.

Manche Gegensätze müssen allerdings überbrückt wer-
den, zunächst der politische. Der Parteikampf wird nicht
aufhören, aber er könnte vielleicht etwas gemildert werden.
Bewirkt doch sonst im Leben eine gemeinsame Lebensgefahr,
aus der nur die Zusammenarbeit retten kann, daß Tod-
feinde ihren Streit vertagen. So viel wird hier von den
Parteien nicht einmal verlangt. Sie brauchen sich nur
darauf zu besinnen, daß sie neben gegensätzlichen auch ge-
meinsame Ziele haben. Wenn die Ziele nur durch Zusam-
menarbeit erreicht werden können, so sollten sich hierzu
auch politische Gegner vereinigen können. Wir sind jetzt
so überpolitisiert, daß es vielen schwer sein wird, die Ab-
neigung und das Mißtrauen soweit, als hierzu nötig ist,
zu überwinden. Die Führer der Parteien im Reich, in den
Ländern und den einzelnen Orten, die sich der dringenden
Notwendigkeit dieser Forderung sicher nicht verschließen
werden, wenn sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, soll-
ten aber die Parole ausgeben, daß die Aufbaubestrebungen
neutrales Gebiet seien und parteiseitig nicht bekämpft, son-
dern gefördert würden.

Die Organisation der Berufsgenossen ist jetzt nahezu
restlos durchgeführt, namentlich haben auch die Lehrer, Au-
gestellten und Beamten sich sowohl zentral wie zu einzelnen
Interessentengruppen zusammengeschlossen. Sie entfalten
eine eifrige Tätigkeit, um ihre soziale und wirtschaftliche
Lage zu bessern. Den Kernpunkt bilden die wirtschaftlichen
Bestrebungen. Sie können sie nicht besser fördern als durch
Unterstützung des Aufbaus. Bei ihrer politischen Macht ist
es ihnen gelungen und wird es ihnen weiter gelingen, von
den Regierungen Zugeständnisse zu erlangen. Aber was nützt
ihnen im Grunde die Bewilligung höherer Bezüge? Wenn sie
zusammen mit den Arbeitern für ihre Tätigkeit ein Entgelt
erlangen, das ihnen für den Augenblick ermöglicht, die
Teuerung zu ertragen, so ist dies zugleich die Ursache wei-
teren Steigens der Teuerung. Der Kampf geht also weiter
und nötigt zu weiteren Staatsausgaben, für die die
Deckung fehlt. Unsere Standesorganisationen, die den wich-
tigsten Teil unseres Volkes vertreten und planmäßig
arbeiten, sollten daher die Frage, wie die Befriedigung
ihrer Forderungen dauernd gewährleistet werden kann,
energisch aufgreifen und an ihrer Lösung eifrigst mit-
arbeiten. Sie müßten den Aufbaubestrebungen beitreten,
die andrerseits alles zu vermeiden haben, was die nächsten
Ziele dieser Kreise beeinträchtigt.

Zu den geborenen Dertretern dieser Bestrebungen ge-
hören alle Leute mit einem festen Einkommen, also die
Rentner aller Art. Ihre Lage ist wirklich traurig, ihr Ruin
so gut wie besiegelt, wenn die Teuerung nicht bald wirk-
sam bekämpft wird. Sie müssen also für den Aufbau
kämpfen, wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm
greift. (Schluß folgt.)

Die Wahlbewegung in Baden.

Aus Baden wird uns geschrieben:

Der Aufmarsch der Parteien ist vollzogen und die Wahl-
bewegung hat energisch eingesetzt. Aber so recht geschlossen steht
eigentlich keine Partei da. Es kriselt überall. Und das ist nicht
zu verwundern. Denn die zürnende, in allen politischen, sozialen
und wirtschaftlichen Grundfesten erschütterte Gesellschaft ist
nervös geworden. Großen Kreisen erscheinen soziale und wirt-
schaftliche Interessen stark verletzt. Insbesondere erzeugen die
Lohn-, Gehalts- und Einkommensperschiebungen große Unruhe.
Das gewaltige Vorrücken der Handarbeiter und der im kauf-
männischen Betrieb beschäftigten Angestellten -- Kommis er-
halten 1100--1200 M. im Monat, Lehrlinge wöchentlich 50 M. --
erregt eine an Verbitterung grenzende Stimmung in jenen
Kreisen, die sich zu den geistigen Arbeitern rechnen, zu schweigen
[Spaltenumbruch] von den Akademikern, die nicht auf Rosen gebettet sind, wenn
sie nicht, wie in bedingtem Ausmaß Aerzte und Rechtsanwälte,
sich durch Erhöhung der Taxen schadlos halten können.

Man soll diese Stimmung nicht unterschätzen; sie hat eine
Tendenz gegen links und wird allen Rechtsstehenden nützen. Das
zeigt sich bei allen bürgerlichen Parteien. Am schärfsten wohl bei
der demokratischen Partei, die programmatisch sozial ist,
es aber kaum erreichen wird, alle ihre Anhänger auf politisch
weitsichtige, sozialpolitische Ziele einzustellen. Der typische
Bourgeois ist eben auch in der demokratischen Partei die regel-
mäßige Erscheinung. Zumal es jeder Bürger eben auch deutlich
fühlt, daß alle Sozialisierung bis jetzt immer in einer exaktierten
Lohn- und Gehaltserhöhung ausmündete. Daß, streng genom-
men, die Sozialisierungspläne an diesen Erscheinungen keine
Schuld tragen, daß sie vielmehr die natürliche Konsequenz einer
Weltteuerung sind, die sich in Deutschland am schärfsten zeigt,
weil wir der am stärksten tangierte Staat sind, wird übersehen,
da wirtschaftliche Erscheinungen im Zusammenhang zu beurteilen
nicht jedermanns Sache ist. So hat es die demokratische Partei
besonders schwer. Und da neuerdings die altnationalliberale
Partei besondere Anstrengungen macht, so wird die demokratische
Partei sicher mit einem Abgang von Stimmen rechnen müssen.
Daß sie aus anderen Lagern Ersatz bekommen wird, ist kaum an-
zunehmen, wenigstens nicht so viel, daß es numerisch erheblich
ins Gewicht fiele. Zu alledem kommen auch noch Unstimmig-
keiten im engeren Schoß der Partei. Antisemitische Strömungen
zeigen sich auch in der demokratischen Partei; sie haben selbst-
verständlich nicht den Charakter des vulgären Antisemitismus,
aber sie zielen darauf hin, die jüdischen Mitglieder der Partei
nicht an die ersten und führenden Stellen kommen zu lassen.
Man hat es hier mit einem Niederschlag der allgemeinen anti-
semitischen Bewegung zu tun, die im Volke herrscht und durch
eine skrupellose Agitation künstlich vermehrt wird. So zeigen
sich im Schoße der demokratischen Partei Strömungen gegen
Dr. Ludwig Haas, der zu den besten Köpfen der Partei zählt
und als Mensch und Tharakter durchaus integer ist. Aber er
hat sich in früheren Kämpfen zweifellos persönlich weit vor-
gewagt und hat insbesondere die Rechte -- mit Einschluß der
Nationalliberalen -- oft persönlich scharf angegriffen. Das rächt
sich jetzt. Solche Dinge nützt man nunmehr agitatorisch aus; in
Wahrheit steckt aber nur die Furcht vor der antisemitischen
Strömung dahinter; man fürchtet, daß die demokratische Partei
sich "kompromittiert" und an Zugkraft einbüßt, wenn jüdische
Namen wieder an erster Stelle erscheinen. Der derzeitige
politische Agitationswert des Antisemitismus erhellt wohl am
besten daraus, daß in einer Versammlung der deutsch-
nationalen Volkspartei
die Reden des Parteiführers
Düringer -- eines gemäßigten und staatsmännisch operieren-
den Politikers -- nur den Beifall hatten, wo die Aeußerungen
antisemitisch interpretiert werden konnten.

Auch in der Zentrumspartei zeigen sich Zersetzungs-
erscheinungen. Die bayerische Volkspartei hat ja wohl ihre be-
sondere Note; ihre politische Struktur ist doch wohl von par-
tikularistischen Rücksichten hauptsächlich bestimmt und sie kann,
als Separatbewegung, nicht mit den rheinländischen Reformern,
die sich als christliche Volkspartei auftun wollen, oder mit der
badischen Sonderbewegung in Vergleich gestellt werden. Diese
ist übrigens nicht von großem Belang. Es handelt sich um einige
Eigenbrötler, besonders aus akademischen Kreisen, die eben ihre
vermeintliche gesellschaftliche Entthronung nicht verschmerzen
können. Man will als Professor und akademischer Bürger nicht
kaltlächelnd mit der Masse gleichgestellt sein, deren Wochenlöhne
manchmal höher sind als die Monatsgehälter mancher Aka-
demiker. Es fällt eben vielen Leuten schwer, die neue sozial-
wirtschaftliche Graduation anzuerkennen. Die Zentrumspartei
nimmt übrigens, und mit gutem Recht, diesen Abgang nicht
tragisch, der auch zahlenmäßig nicht ins Gewicht fällt. Es steckt
im übrigen ein gut Stück Heuchelei darin, wenn man gerade
aus altliberalen Kreisen dem Zentrum einen Vorwurf daraus
macht, deß man mit den Sozialdemokraten zusammengeht, denn
die nationalliberole Partei hat doch durch Jahre hindurch mit
den Sozialdemokraten den Großblock gebildet zur Sicherung, wie
man sagte, der "kulturellen Errungenschaften". Und wenn neuer-
dings Zentrumsakademiker so empfindlich sind, weil die So-
zialisten in Arbeitsgemeinschaft mit dem Zentrum stehen, so

Allgemeine Zeitung 16. Mai 1920
[Spaltenumbruch] bald aufgehalten werde und der Aufſtieg beginne. Das
Lebensintereſſe des ganzen Volkes erfordert es, alle Kreiſe
ſind daran beteiligt mit alleiniger Ausnahme derer, die
den Umſturz wollen. Es ſollte alſo möglich ſein, alle, die
es mit dem Volke wohl meinen, zu der gemeinſamen Arbeit
des Aufbaues zu vereinigen.

Manche Gegenſätze müſſen allerdings überbrückt wer-
den, zunächſt der politiſche. Der Parteikampf wird nicht
aufhören, aber er könnte vielleicht etwas gemildert werden.
Bewirkt doch ſonſt im Leben eine gemeinſame Lebensgefahr,
aus der nur die Zuſammenarbeit retten kann, daß Tod-
feinde ihren Streit vertagen. So viel wird hier von den
Parteien nicht einmal verlangt. Sie brauchen ſich nur
darauf zu beſinnen, daß ſie neben gegenſätzlichen auch ge-
meinſame Ziele haben. Wenn die Ziele nur durch Zuſam-
menarbeit erreicht werden können, ſo ſollten ſich hierzu
auch politiſche Gegner vereinigen können. Wir ſind jetzt
ſo überpolitiſiert, daß es vielen ſchwer ſein wird, die Ab-
neigung und das Mißtrauen ſoweit, als hierzu nötig iſt,
zu überwinden. Die Führer der Parteien im Reich, in den
Ländern und den einzelnen Orten, die ſich der dringenden
Notwendigkeit dieſer Forderung ſicher nicht verſchließen
werden, wenn ſie ihre Aufmerkſamkeit darauf lenken, ſoll-
ten aber die Parole ausgeben, daß die Aufbaubeſtrebungen
neutrales Gebiet ſeien und parteiſeitig nicht bekämpft, ſon-
dern gefördert würden.

Die Organiſation der Berufsgenoſſen iſt jetzt nahezu
reſtlos durchgeführt, namentlich haben auch die Lehrer, Au-
geſtellten und Beamten ſich ſowohl zentral wie zu einzelnen
Intereſſentengruppen zuſammengeſchloſſen. Sie entfalten
eine eifrige Tätigkeit, um ihre ſoziale und wirtſchaftliche
Lage zu beſſern. Den Kernpunkt bilden die wirtſchaftlichen
Beſtrebungen. Sie können ſie nicht beſſer fördern als durch
Unterſtützung des Aufbaus. Bei ihrer politiſchen Macht iſt
es ihnen gelungen und wird es ihnen weiter gelingen, von
den Regierungen Zugeſtändniſſe zu erlangen. Aber was nützt
ihnen im Grunde die Bewilligung höherer Bezüge? Wenn ſie
zuſammen mit den Arbeitern für ihre Tätigkeit ein Entgelt
erlangen, das ihnen für den Augenblick ermöglicht, die
Teuerung zu ertragen, ſo iſt dies zugleich die Urſache wei-
teren Steigens der Teuerung. Der Kampf geht alſo weiter
und nötigt zu weiteren Staatsausgaben, für die die
Deckung fehlt. Unſere Standesorganiſationen, die den wich-
tigſten Teil unſeres Volkes vertreten und planmäßig
arbeiten, ſollten daher die Frage, wie die Befriedigung
ihrer Forderungen dauernd gewährleiſtet werden kann,
energiſch aufgreifen und an ihrer Löſung eifrigſt mit-
arbeiten. Sie müßten den Aufbaubeſtrebungen beitreten,
die andrerſeits alles zu vermeiden haben, was die nächſten
Ziele dieſer Kreiſe beeinträchtigt.

Zu den geborenen Dertretern dieſer Beſtrebungen ge-
hören alle Leute mit einem feſten Einkommen, alſo die
Rentner aller Art. Ihre Lage iſt wirklich traurig, ihr Ruin
ſo gut wie beſiegelt, wenn die Teuerung nicht bald wirk-
ſam bekämpft wird. Sie müſſen alſo für den Aufbau
kämpfen, wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm
greift. (Schluß folgt.)

Die Wahlbewegung in Baden.

Aus Baden wird uns geſchrieben:

Der Aufmarſch der Parteien iſt vollzogen und die Wahl-
bewegung hat energiſch eingeſetzt. Aber ſo recht geſchloſſen ſteht
eigentlich keine Partei da. Es kriſelt überall. Und das iſt nicht
zu verwundern. Denn die zürnende, in allen politiſchen, ſozialen
und wirtſchaftlichen Grundfeſten erſchütterte Geſellſchaft iſt
nervös geworden. Großen Kreiſen erſcheinen ſoziale und wirt-
ſchaftliche Intereſſen ſtark verletzt. Insbeſondere erzeugen die
Lohn-, Gehalts- und Einkommensperſchiebungen große Unruhe.
Das gewaltige Vorrücken der Handarbeiter und der im kauf-
männiſchen Betrieb beſchäftigten Angeſtellten — Kommis er-
halten 1100—1200 M. im Monat, Lehrlinge wöchentlich 50 M. —
erregt eine an Verbitterung grenzende Stimmung in jenen
Kreiſen, die ſich zu den geiſtigen Arbeitern rechnen, zu ſchweigen
[Spaltenumbruch] von den Akademikern, die nicht auf Roſen gebettet ſind, wenn
ſie nicht, wie in bedingtem Ausmaß Aerzte und Rechtsanwälte,
ſich durch Erhöhung der Taxen ſchadlos halten können.

Man ſoll dieſe Stimmung nicht unterſchätzen; ſie hat eine
Tendenz gegen links und wird allen Rechtsſtehenden nützen. Das
zeigt ſich bei allen bürgerlichen Parteien. Am ſchärfſten wohl bei
der demokratiſchen Partei, die programmatiſch ſozial iſt,
es aber kaum erreichen wird, alle ihre Anhänger auf politiſch
weitſichtige, ſozialpolitiſche Ziele einzuſtellen. Der typiſche
Bourgeois iſt eben auch in der demokratiſchen Partei die regel-
mäßige Erſcheinung. Zumal es jeder Bürger eben auch deutlich
fühlt, daß alle Sozialiſierung bis jetzt immer in einer exaktierten
Lohn- und Gehaltserhöhung ausmündete. Daß, ſtreng genom-
men, die Sozialiſierungspläne an dieſen Erſcheinungen keine
Schuld tragen, daß ſie vielmehr die natürliche Konſequenz einer
Weltteuerung ſind, die ſich in Deutſchland am ſchärfſten zeigt,
weil wir der am ſtärkſten tangierte Staat ſind, wird überſehen,
da wirtſchaftliche Erſcheinungen im Zuſammenhang zu beurteilen
nicht jedermanns Sache iſt. So hat es die demokratiſche Partei
beſonders ſchwer. Und da neuerdings die altnationalliberale
Partei beſondere Anſtrengungen macht, ſo wird die demokratiſche
Partei ſicher mit einem Abgang von Stimmen rechnen müſſen.
Daß ſie aus anderen Lagern Erſatz bekommen wird, iſt kaum an-
zunehmen, wenigſtens nicht ſo viel, daß es numeriſch erheblich
ins Gewicht fiele. Zu alledem kommen auch noch Unſtimmig-
keiten im engeren Schoß der Partei. Antiſemitiſche Strömungen
zeigen ſich auch in der demokratiſchen Partei; ſie haben ſelbſt-
verſtändlich nicht den Charakter des vulgären Antiſemitismus,
aber ſie zielen darauf hin, die jüdiſchen Mitglieder der Partei
nicht an die erſten und führenden Stellen kommen zu laſſen.
Man hat es hier mit einem Niederſchlag der allgemeinen anti-
ſemitiſchen Bewegung zu tun, die im Volke herrſcht und durch
eine ſkrupelloſe Agitation künſtlich vermehrt wird. So zeigen
ſich im Schoße der demokratiſchen Partei Strömungen gegen
Dr. Ludwig Haas, der zu den beſten Köpfen der Partei zählt
und als Menſch und Tharakter durchaus integer iſt. Aber er
hat ſich in früheren Kämpfen zweifellos perſönlich weit vor-
gewagt und hat insbeſondere die Rechte — mit Einſchluß der
Nationalliberalen — oft perſönlich ſcharf angegriffen. Das rächt
ſich jetzt. Solche Dinge nützt man nunmehr agitatoriſch aus; in
Wahrheit ſteckt aber nur die Furcht vor der antiſemitiſchen
Strömung dahinter; man fürchtet, daß die demokratiſche Partei
ſich „kompromittiert“ und an Zugkraft einbüßt, wenn jüdiſche
Namen wieder an erſter Stelle erſcheinen. Der derzeitige
politiſche Agitationswert des Antiſemitismus erhellt wohl am
beſten daraus, daß in einer Verſammlung der deutſch-
nationalen Volkspartei
die Reden des Parteiführers
Düringer — eines gemäßigten und ſtaatsmänniſch operieren-
den Politikers — nur den Beifall hatten, wo die Aeußerungen
antiſemitiſch interpretiert werden konnten.

Auch in der Zentrumspartei zeigen ſich Zerſetzungs-
erſcheinungen. Die bayeriſche Volkspartei hat ja wohl ihre be-
ſondere Note; ihre politiſche Struktur iſt doch wohl von par-
tikulariſtiſchen Rückſichten hauptſächlich beſtimmt und ſie kann,
als Separatbewegung, nicht mit den rheinländiſchen Reformern,
die ſich als chriſtliche Volkspartei auftun wollen, oder mit der
badiſchen Sonderbewegung in Vergleich geſtellt werden. Dieſe
iſt übrigens nicht von großem Belang. Es handelt ſich um einige
Eigenbrötler, beſonders aus akademiſchen Kreiſen, die eben ihre
vermeintliche geſellſchaftliche Entthronung nicht verſchmerzen
können. Man will als Profeſſor und akademiſcher Bürger nicht
kaltlächelnd mit der Maſſe gleichgeſtellt ſein, deren Wochenlöhne
manchmal höher ſind als die Monatsgehälter mancher Aka-
demiker. Es fällt eben vielen Leuten ſchwer, die neue ſozial-
wirtſchaftliche Graduation anzuerkennen. Die Zentrumspartei
nimmt übrigens, und mit gutem Recht, dieſen Abgang nicht
tragiſch, der auch zahlenmäßig nicht ins Gewicht fällt. Es ſteckt
im übrigen ein gut Stück Heuchelei darin, wenn man gerade
aus altliberalen Kreiſen dem Zentrum einen Vorwurf daraus
macht, deß man mit den Sozialdemokraten zuſammengeht, denn
die nationalliberole Partei hat doch durch Jahre hindurch mit
den Sozialdemokraten den Großblock gebildet zur Sicherung, wie
man ſagte, der „kulturellen Errungenſchaften“. Und wenn neuer-
dings Zentrumsakademiker ſo empfindlich ſind, weil die So-
zialiſten in Arbeitsgemeinſchaft mit dem Zentrum ſtehen, ſo

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[182/0004] Allgemeine Zeitung 16. Mai 1920 bald aufgehalten werde und der Aufſtieg beginne. Das Lebensintereſſe des ganzen Volkes erfordert es, alle Kreiſe ſind daran beteiligt mit alleiniger Ausnahme derer, die den Umſturz wollen. Es ſollte alſo möglich ſein, alle, die es mit dem Volke wohl meinen, zu der gemeinſamen Arbeit des Aufbaues zu vereinigen. Manche Gegenſätze müſſen allerdings überbrückt wer- den, zunächſt der politiſche. Der Parteikampf wird nicht aufhören, aber er könnte vielleicht etwas gemildert werden. Bewirkt doch ſonſt im Leben eine gemeinſame Lebensgefahr, aus der nur die Zuſammenarbeit retten kann, daß Tod- feinde ihren Streit vertagen. So viel wird hier von den Parteien nicht einmal verlangt. Sie brauchen ſich nur darauf zu beſinnen, daß ſie neben gegenſätzlichen auch ge- meinſame Ziele haben. Wenn die Ziele nur durch Zuſam- menarbeit erreicht werden können, ſo ſollten ſich hierzu auch politiſche Gegner vereinigen können. Wir ſind jetzt ſo überpolitiſiert, daß es vielen ſchwer ſein wird, die Ab- neigung und das Mißtrauen ſoweit, als hierzu nötig iſt, zu überwinden. Die Führer der Parteien im Reich, in den Ländern und den einzelnen Orten, die ſich der dringenden Notwendigkeit dieſer Forderung ſicher nicht verſchließen werden, wenn ſie ihre Aufmerkſamkeit darauf lenken, ſoll- ten aber die Parole ausgeben, daß die Aufbaubeſtrebungen neutrales Gebiet ſeien und parteiſeitig nicht bekämpft, ſon- dern gefördert würden. Die Organiſation der Berufsgenoſſen iſt jetzt nahezu reſtlos durchgeführt, namentlich haben auch die Lehrer, Au- geſtellten und Beamten ſich ſowohl zentral wie zu einzelnen Intereſſentengruppen zuſammengeſchloſſen. Sie entfalten eine eifrige Tätigkeit, um ihre ſoziale und wirtſchaftliche Lage zu beſſern. Den Kernpunkt bilden die wirtſchaftlichen Beſtrebungen. Sie können ſie nicht beſſer fördern als durch Unterſtützung des Aufbaus. Bei ihrer politiſchen Macht iſt es ihnen gelungen und wird es ihnen weiter gelingen, von den Regierungen Zugeſtändniſſe zu erlangen. Aber was nützt ihnen im Grunde die Bewilligung höherer Bezüge? Wenn ſie zuſammen mit den Arbeitern für ihre Tätigkeit ein Entgelt erlangen, das ihnen für den Augenblick ermöglicht, die Teuerung zu ertragen, ſo iſt dies zugleich die Urſache wei- teren Steigens der Teuerung. Der Kampf geht alſo weiter und nötigt zu weiteren Staatsausgaben, für die die Deckung fehlt. Unſere Standesorganiſationen, die den wich- tigſten Teil unſeres Volkes vertreten und planmäßig arbeiten, ſollten daher die Frage, wie die Befriedigung ihrer Forderungen dauernd gewährleiſtet werden kann, energiſch aufgreifen und an ihrer Löſung eifrigſt mit- arbeiten. Sie müßten den Aufbaubeſtrebungen beitreten, die andrerſeits alles zu vermeiden haben, was die nächſten Ziele dieſer Kreiſe beeinträchtigt. Zu den geborenen Dertretern dieſer Beſtrebungen ge- hören alle Leute mit einem feſten Einkommen, alſo die Rentner aller Art. Ihre Lage iſt wirklich traurig, ihr Ruin ſo gut wie beſiegelt, wenn die Teuerung nicht bald wirk- ſam bekämpft wird. Sie müſſen alſo für den Aufbau kämpfen, wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm greift. (Schluß folgt.) Die Wahlbewegung in Baden. Aus Baden wird uns geſchrieben: Der Aufmarſch der Parteien iſt vollzogen und die Wahl- bewegung hat energiſch eingeſetzt. Aber ſo recht geſchloſſen ſteht eigentlich keine Partei da. Es kriſelt überall. Und das iſt nicht zu verwundern. Denn die zürnende, in allen politiſchen, ſozialen und wirtſchaftlichen Grundfeſten erſchütterte Geſellſchaft iſt nervös geworden. Großen Kreiſen erſcheinen ſoziale und wirt- ſchaftliche Intereſſen ſtark verletzt. Insbeſondere erzeugen die Lohn-, Gehalts- und Einkommensperſchiebungen große Unruhe. Das gewaltige Vorrücken der Handarbeiter und der im kauf- männiſchen Betrieb beſchäftigten Angeſtellten — Kommis er- halten 1100—1200 M. im Monat, Lehrlinge wöchentlich 50 M. — erregt eine an Verbitterung grenzende Stimmung in jenen Kreiſen, die ſich zu den geiſtigen Arbeitern rechnen, zu ſchweigen von den Akademikern, die nicht auf Roſen gebettet ſind, wenn ſie nicht, wie in bedingtem Ausmaß Aerzte und Rechtsanwälte, ſich durch Erhöhung der Taxen ſchadlos halten können. Man ſoll dieſe Stimmung nicht unterſchätzen; ſie hat eine Tendenz gegen links und wird allen Rechtsſtehenden nützen. Das zeigt ſich bei allen bürgerlichen Parteien. Am ſchärfſten wohl bei der demokratiſchen Partei, die programmatiſch ſozial iſt, es aber kaum erreichen wird, alle ihre Anhänger auf politiſch weitſichtige, ſozialpolitiſche Ziele einzuſtellen. Der typiſche Bourgeois iſt eben auch in der demokratiſchen Partei die regel- mäßige Erſcheinung. Zumal es jeder Bürger eben auch deutlich fühlt, daß alle Sozialiſierung bis jetzt immer in einer exaktierten Lohn- und Gehaltserhöhung ausmündete. Daß, ſtreng genom- men, die Sozialiſierungspläne an dieſen Erſcheinungen keine Schuld tragen, daß ſie vielmehr die natürliche Konſequenz einer Weltteuerung ſind, die ſich in Deutſchland am ſchärfſten zeigt, weil wir der am ſtärkſten tangierte Staat ſind, wird überſehen, da wirtſchaftliche Erſcheinungen im Zuſammenhang zu beurteilen nicht jedermanns Sache iſt. So hat es die demokratiſche Partei beſonders ſchwer. Und da neuerdings die altnationalliberale Partei beſondere Anſtrengungen macht, ſo wird die demokratiſche Partei ſicher mit einem Abgang von Stimmen rechnen müſſen. Daß ſie aus anderen Lagern Erſatz bekommen wird, iſt kaum an- zunehmen, wenigſtens nicht ſo viel, daß es numeriſch erheblich ins Gewicht fiele. Zu alledem kommen auch noch Unſtimmig- keiten im engeren Schoß der Partei. Antiſemitiſche Strömungen zeigen ſich auch in der demokratiſchen Partei; ſie haben ſelbſt- verſtändlich nicht den Charakter des vulgären Antiſemitismus, aber ſie zielen darauf hin, die jüdiſchen Mitglieder der Partei nicht an die erſten und führenden Stellen kommen zu laſſen. Man hat es hier mit einem Niederſchlag der allgemeinen anti- ſemitiſchen Bewegung zu tun, die im Volke herrſcht und durch eine ſkrupelloſe Agitation künſtlich vermehrt wird. So zeigen ſich im Schoße der demokratiſchen Partei Strömungen gegen Dr. Ludwig Haas, der zu den beſten Köpfen der Partei zählt und als Menſch und Tharakter durchaus integer iſt. Aber er hat ſich in früheren Kämpfen zweifellos perſönlich weit vor- gewagt und hat insbeſondere die Rechte — mit Einſchluß der Nationalliberalen — oft perſönlich ſcharf angegriffen. Das rächt ſich jetzt. Solche Dinge nützt man nunmehr agitatoriſch aus; in Wahrheit ſteckt aber nur die Furcht vor der antiſemitiſchen Strömung dahinter; man fürchtet, daß die demokratiſche Partei ſich „kompromittiert“ und an Zugkraft einbüßt, wenn jüdiſche Namen wieder an erſter Stelle erſcheinen. Der derzeitige politiſche Agitationswert des Antiſemitismus erhellt wohl am beſten daraus, daß in einer Verſammlung der deutſch- nationalen Volkspartei die Reden des Parteiführers Düringer — eines gemäßigten und ſtaatsmänniſch operieren- den Politikers — nur den Beifall hatten, wo die Aeußerungen antiſemitiſch interpretiert werden konnten. Auch in der Zentrumspartei zeigen ſich Zerſetzungs- erſcheinungen. Die bayeriſche Volkspartei hat ja wohl ihre be- ſondere Note; ihre politiſche Struktur iſt doch wohl von par- tikulariſtiſchen Rückſichten hauptſächlich beſtimmt und ſie kann, als Separatbewegung, nicht mit den rheinländiſchen Reformern, die ſich als chriſtliche Volkspartei auftun wollen, oder mit der badiſchen Sonderbewegung in Vergleich geſtellt werden. Dieſe iſt übrigens nicht von großem Belang. Es handelt ſich um einige Eigenbrötler, beſonders aus akademiſchen Kreiſen, die eben ihre vermeintliche geſellſchaftliche Entthronung nicht verſchmerzen können. Man will als Profeſſor und akademiſcher Bürger nicht kaltlächelnd mit der Maſſe gleichgeſtellt ſein, deren Wochenlöhne manchmal höher ſind als die Monatsgehälter mancher Aka- demiker. Es fällt eben vielen Leuten ſchwer, die neue ſozial- wirtſchaftliche Graduation anzuerkennen. Die Zentrumspartei nimmt übrigens, und mit gutem Recht, dieſen Abgang nicht tragiſch, der auch zahlenmäßig nicht ins Gewicht fällt. Es ſteckt im übrigen ein gut Stück Heuchelei darin, wenn man gerade aus altliberalen Kreiſen dem Zentrum einen Vorwurf daraus macht, deß man mit den Sozialdemokraten zuſammengeht, denn die nationalliberole Partei hat doch durch Jahre hindurch mit den Sozialdemokraten den Großblock gebildet zur Sicherung, wie man ſagte, der „kulturellen Errungenſchaften“. Und wenn neuer- dings Zentrumsakademiker ſo empfindlich ſind, weil die So- zialiſten in Arbeitsgemeinſchaft mit dem Zentrum ſtehen, ſo

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 16. Mai 1920, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine19_1920/4>, abgerufen am 29.05.2024.