Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 23. Januar 1929.
Der Justizetat Minister Gürtner über die bayerische Justiz Bayern und die Todesstrafe * Redner in der Debatte In der Dienstag- Bezüglich der Eingehende Aufschlüsse gab der Minister aufgefordert wurde, ihm besondere Aufmerk- Von Verhängung höherer Geldstrafen Das Urteil im Westdeutschen Leipzig, 22. Jan.Industriekonflikt Nach 41/2stündiger Be- Seit 17 Jahren spurlos verschwunden Gestern abend wurden es 17 Jahre, daß der Bundeskanzler Dr. Seipel über: München, 23. Jan."Kritik der Demokratie" Ein zweiter Vortrag des österreichischen Bundeskanzlers Der weite Raum des Audi- Nach herzlichen Worten der Begrüßung durch [Abbildung]
Dr. Seipel Die Zeit, die jetzt einige Jahre hinter uns liege, zu können, wann der einzelne Körper reif ge Das sei ein Irrtum. Man müsse nur die Der Bundeskanzler wies dann darauf hin, daß Er finde, daß diese Kritik, so sehr sie als Mit bloßen Formeln, durch Einführung gesetz- Man würde sich aber täuschen, wenn man Es müsse ein anderer Weg gegangen werden. Der Kanzler schloß, die bloße Ministerverant- Der Sonnenburger Zuchthausprozeß Der Mörder mit den 12 Schlüsseln "Altverwertung" und neue Drillichjacken In dem gestern Aufsehen erregte die Mitteilung, daß dem Zur Sprache kam ferner, daß sich unter für 1,25 Mark abgegeben, zu entsprechend Eingehende Fragen des Vorsitzenden und Der Reichspostminister behält sich vor Die Bayerische Volkspartei gegen Die Reichskorre- Richtig ist vielmehr, daß im Kabinett tat-
Der Justizetat Miniſter Gürtner über die bayeriſche Juſtiz Bayern und die Todesſtrafe * Redner in der Debatte In der Dienstag- Bezüglich der Eingehende Aufſchlüſſe gab der Miniſter aufgefordert wurde, ihm beſondere Aufmerk- Von Verhängung höherer Geldſtrafen Das Urteil im Weſtdeutſchen Leipzig, 22. Jan.Induſtriekonflikt Nach 4½ſtündiger Be- Seit 17 Jahren ſpurlos verſchwunden Geſtern abend wurden es 17 Jahre, daß der Bundeskanzler Dr. Seipel über: München, 23. Jan.„Kritik der Demokratie“ Ein zweiter Vortrag des öſterreichiſchen Bundeskanzlers Der weite Raum des Audi- Nach herzlichen Worten der Begrüßung durch [Abbildung]
Dr. Seipel Die Zeit, die jetzt einige Jahre hinter uns liege, zu können, wann der einzelne Körper reif ge Das ſei ein Irrtum. Man müſſe nur die Der Bundeskanzler wies dann darauf hin, daß Er finde, daß dieſe Kritik, ſo ſehr ſie als Mit bloßen Formeln, durch Einführung geſetz- Man würde ſich aber täuſchen, wenn man Es müſſe ein anderer Weg gegangen werden. Der Kanzler ſchloß, die bloße Miniſterverant- Der Sonnenburger Zuchthausprozeß Der Mörder mit den 12 Schlüſſeln „Altverwertung“ und neue Drillichjacken In dem geſtern Aufſehen erregte die Mitteilung, daß dem Zur Sprache kam ferner, daß ſich unter für 1,25 Mark abgegeben, zu entſprechend Eingehende Fragen des Vorſitzenden und Der Reichspoſtminiſter behält ſich vor Die Bayeriſche Volkspartei gegen Die Reichskorre- Richtig iſt vielmehr, daß im Kabinett tat- <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <cit> <quote> <pb facs="#f0002" n="Seite 2[2]"/> <fw place="top" type="header">„AZ am Abend“ Nr. 19 Mittwoch, den 23. Januar</fw><lb/> <p>von Hilfsmaterialien unmöglich macht. Wer alſo<lb/> das Muſeum unterſtützen will, der ſchreie nach<lb/> Geld, der ſammle Geld, der ſchenke Geld! Ich<lb/> glaube verſprechen zu können, daß wir es ſach-<lb/> gemäß und richtig anwenden werden.<lb/> Nun noch einige Einzelheiten Ihres Aufſatzes:<lb/> Die Trachtenſammlung der neueren Zeit wurde<lb/> bereits 1924 der Oeffentlichkeit zugänglich ge-<lb/> macht. Wir haben damals alle Zeitungen Mün-<lb/> chens zur Beſichtigung eingeladen. Wenn in der<lb/> Oeffentlichkeit ſo wenig Aufmerkſamkeit auf den<lb/> neuen Saal gelenkt wurde, ſo iſt das nicht unſere<lb/> Schuld. Das gleiche iſt der Fall mit dem 1927<lb/> eröffneten Saal der deutſchen Bronzen, ſeinem<lb/> Inhalte nach eine Sehenswürdigkeit erſten Ran-<lb/> ges. Die Neuaufſtellung der Sammlung der<lb/> kirchlichen Gewänder ſtockt wegen Geldmangel.<lb/> Das Hauptgeſchoß des Muſeums leidet an ſolcher<lb/> Ueberfüllung, daß Luft geſchaffen werden muß;<lb/> das heißt leerſtehende Säle des Oberſtocks müſſen<lb/> bezogen werden. Das Muſeum ſelbſt kann nicht<lb/> zugeben, daß dieſer gewiſſermaßen als zweit-<lb/> rangiges Lokal gegenüber den unteren Sälen ent-<lb/> wertet wird.</p><lb/> <p>Es iſt auch unmöglich, die Einrichtung, wie ſie<lb/> Seidl und Seitz ſchufen, nun unverändert durch<lb/> die Jahrhunderte zu konſervieren; man kann<lb/> nicht aus der Einrichtung der Muſeumsräume<lb/> ihrerſeits wieder ein Muſeumsſtück machen. Das<lb/><cb/> hieße das Muſeum zum Abſterben verurteilen,<lb/> da es dann unmöglich wäre, die Neuzugänge<lb/> ihrer jeweiligen Bedeutung nach einzuordnen.<lb/> Unter den mancherlei Mängeln des Hauſes iſt<lb/> nicht der geringſte der, daß ſowohl hinſichtlich<lb/> des Sammlungsbeſtandes wie des vorhandenen<lb/> Raumes die <hi rendition="#g">Rokokoplaſtik Bayerns</hi> —<lb/> einer der größten Ruhmestitel des Landes —<lb/> durchaus vernachläſſigt iſt. Rokokoplaſtik braucht<lb/> einen Raum mit zerſtreutem Licht, während<lb/> Stadtmodelle nichts anderes brauchen wie gutes<lb/> Licht. Ich halte ihre Unterbringung in dem<lb/> ſonſt unbrauchbaren Trausnitzſaal und ſeinem<lb/> Nachbar für durchaus genügend. Wir haben mit<lb/> aller Abſicht die Modelle auf niedrigere Tiſche<lb/> geſtellt als die bisherigen, weil ihre Sichtbarkeit<lb/> dadurch gewonnen hat. Man ſoll übrigens nicht<lb/> immer alles auf Seitz und Seidl ſchieben: die<lb/> Modelle ſtanden bisher auf ganz kleinen, daher<lb/> der Verhängung bedürftigen Tiſchen, die noch aus<lb/> der Zeit der Vereinigten Sammlungen ſtammten.<lb/> — Wenn wir von der Sitte der jährlichen Aus-<lb/> ſtellung der Neuerwerbungen abgekommen ſind,<lb/> ſo erfolgte das notgedrungen, weil eben die Zahl<lb/> der vorzuführenden Zugänge der einzelnen Jahre<lb/> ſo gering iſt, daß eine beſondere Ausſtellung ſich<lb/> nicht lohnt. In den nächſten Wochen ſollte die<lb/> Ausſtellung der Neuerwerbungen der letzten zwei-<lb/> einhalb Jahre ſowieſo eröffnet werden.“</p> </quote> </cit> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Der Justizetat</hi><lb/> Miniſter Gürtner über die bayeriſche Juſtiz</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#b">Bayern und die Todesſtrafe * Redner in der Debatte</hi> </p> </argument><lb/> <dateline><hi rendition="#b">München,</hi> 22. Januar.</dateline><lb/> <p>In der Dienstag-<lb/> Sitzung des Staatshaltsausſchuſſes des<lb/> Bayeriſchen Landtags nahm bei Fortſetzung<lb/> der Ausſprache zum Juſtizetat<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Juſtizminiſter Gürtner</hi></hi><lb/> das Wort. Er führte dabei aus, daß der Vor-<lb/> wurf, die bayeriſche Juſtizverwaltung ſei<lb/> rückſtändig, unberechtigt ſei. Die Aufwen-<lb/> dungen Bayerns für dieſen Zweck ſeien<lb/> nahezu gleich hoch wie die Preußens. Mit<lb/> geringerem Perſonal werde heute mehr ge-<lb/> leiſtet als im Frieden. Der Miniſter ging<lb/> dann auf die<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Haltung Bayerns zur Juſtizreform</hi></hi><lb/> ein. Die in Ausſicht genommene Dreigliede-<lb/> rung der Gerichte würde eine Kapitalinveſti-<lb/> tion von vielen Millionen erfordern, ſo daß<lb/> es wohl bei der bisherigen Viergliederung<lb/> bleiben dürfte. Zur Frage Kollegial- oder<lb/> Einzelgerichte erinnert er an den Beſchluß<lb/> des Bayeriſchen Landtages, darauf hinzu-<lb/> wirken, daß bei den Amtsgerichten die dem<lb/> Einzelrichter zugewieſenen Verbrechen und<lb/> Vergehen wieder an Schöffengerichte kom-<lb/> men. Mit dieſer Meinung findet Bayern<lb/> keine Mehrheit. Eine Anzahl von Vergehen<lb/> werde zweifellos dem Einzelrichter zur Ab-<lb/> urteilung verbleiben. Zur Frage des In-<lb/> ſtanzenzuges müſſe an dem Grundſatz feſtge-<lb/> halten werden, daß auch der kleinſte Mann<lb/> in der kleinſten Streitſache Anſpruch darauf<lb/> habe, ſein Recht zu finden.</p><lb/> <p>Bezüglich der<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Rationaliſierung des inneren Betriebes</hi></hi><lb/> ſei der Vorwurf, Bayern ſei in dieſer Rich-<lb/> tung rückſtändig, ungerechtfertigt. Man habe<lb/> ſich die verſchiedenſten techniſchen Neuerungen<lb/> zu eigen gemacht, auch wenn ihre Anſchaf-<lb/> fung größere Koſten verurſachte. Auf die<lb/> Frage, wie ſich die bayeriſche Regierung<lb/> zur Anregung verhalte, bis zur endgültigen<lb/> Entſcheidung des Reichstags über die<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Todesſtrafe</hi></hi><lb/> die Vollſtreckung von Todesurteilen auszu-<lb/> ſetzen. antwortete der Miniſter, das bayeri-<lb/> ſche Kabinett habe noch keine Gelegenheit ge-<lb/> habt, zu dieſer Anregung Stellung zu neh-<lb/> men, weil bisher alle ihm unterbreiteten<lb/> Fälle zur Begnadigung empfohlen werden<lb/> konnten. Die Anregung habe viele Bedenken<lb/> gegen ſich. Es bedeute ein Martyrum ohne-<lb/> gleichen, die Entſcheidung auf unbeſtimmte<lb/> Zeit hinauszuſchieben. In der Praxis wür-<lb/> den außerdem ſchwere Ungerechtigkeiten ent-<lb/> ſtehen bezüglich ſchon ergangener und erſt<lb/> zu erfüllender Urteile, die unter den neuen<lb/> Schutz fallen würden. Dieſe Frage dürfe<lb/> nicht lange unentſchieden bleiben. Bezüglich<lb/> der grundſätzlichen Stellungnahme Bayerns<lb/> zur Todesſtrafe überhaupt, erklärte der<lb/> Miniſter, ſie ſolle<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">als abſolute Strafe beſeitigt</hi></hi><lb/> werden und es ſollten auch beim Mord<lb/> mildernde Umſtände zugebilligt werden kön-<lb/> nen, aber als Drohung ſolle die Todesſtrafe<lb/> für beſondere Fälle beſtehen bleiben.</p><lb/> <p>Eingehende Aufſchlüſſe gab der Miniſter<lb/> zum<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Salzburger Juriſtentag</hi></hi><lb/> und trat der Auffaſſung entgegen, als ob zu<lb/> ihm eine zu große Zahl Beamter delegiert<lb/> worden wäre und zu hohe Aufwendungen<lb/> gemacht wurden. Im großen und ganzen<lb/> habe man ſich an das Vorbild des Bamber-<lb/> ger Juriſtentages gehalten. Wenn <hi rendition="#g">etwas</hi><lb/> mehr geſchah, ſo war dies deswegen der<lb/> Fall, weil ſchon vor dem Salzbunger Tag</p><lb/> <cb/> <p>aufgefordert wurde, ihm beſondere Aufmerk-<lb/> ſamkeit zuzuwenden. Die Aufwendungen<lb/> Bayerns waren geringer als die anderer<lb/> Länder.</p><lb/> <p>Von Verhängung höherer Geldſtrafen<lb/> gegen Angehörige des Reichsbanners und<lb/> ähnlicher Organiſationen könne keine Rede<lb/> ſein. Bezüglich der<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Verfaſſungsmäßigkeit von Juſtiksrats-<lb/> titeln</hi></hi><lb/> erinnerte der Juſtizminiſter daran, daß der<lb/> Landtag ſchon in Bamberg ſich ſehr ſchwer<lb/> von den Titeln getrennt habe und fünf Jahre<lb/> ſpäter im Ausſchuß vom Mitberichterſtatter<lb/> angeregt wurde, den Juſtizratstitel als<lb/> Standesbezeichnung wieder einzuführen,<lb/> welchen Standpunkt der ſozialdemokratiſche<lb/> Abgeordnete <hi rendition="#g">Timm</hi> unterſtützte. Dann ſei<lb/> von demokratiſcher Seite ein formeller An-<lb/> trag erfolgt. Uebrigens habe auch die Reichs-<lb/> regierung die Titel Juſtizrat und Geheimer<lb/> Juſtizrat verliehen.<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">In der weiteren Ausſprache</hi></hi><lb/> trat Abg. <hi rendition="#g">Bayer</hi> (D. Vpt.) für die Ein-<lb/> führung der Zwangsverſicherung für An-<lb/> wälte ein und vertrat die Intereſſen der<lb/> ſog. Anwaltsaſſiſtenten. Abg. <hi rendition="#g">Högner</hi><lb/> (Soz.) verlangte Aufſchlüſſe über die Ver-<lb/> wendung der Gelder für Titelverleihungen.<lb/> Abg. <hi rendition="#g">Streicher</hi> (Nat. Soz.) wiederholte<lb/> die Behauptungen ſeines Parteifreundes<lb/> Buttmann wegen Durchſtechereien beim<lb/> Staatskonkurs und meinte u. a. derartiges<lb/> dürfe nicht geduldet werden, wenn es auch<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">im jüdiſchen Norddeutſchland</hi></hi><lb/> eine Selbſtverſtändlichkeit ſei. Der Vorſit-<lb/> zende <hi rendition="#g">Stang</hi> wies dieſe verallgemeinernde<lb/> Behauptung mit großer Entſchiedenheit zu-<lb/> rück, was wiederum den Abg. Streicher zu<lb/> ſcharfen Gegenbemerkungen veranlaßte. Un-<lb/> ter allgemeinem Beifall des Geſamtaus-<lb/> ſchuſſes beharrte der Vorſitzende Abg. Stang<lb/> auf ſeiner Rüge. Zum Schluß nahm noch<lb/> einmal Juſtizminiſter Gürtner das Wort und<lb/> bemerkte gegenüber den Ausführungen des<lb/> Abg. Buttmann, er möge ihm nur einen<lb/> Fall nennen und ſei es auch nur perſönlich.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das Urteil im Weſtdeutſchen<lb/> Induſtriekonflikt</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#g">Leipzig,</hi> 22. Jan.</dateline><lb/> <p>Nach 4½ſtündiger Be-<lb/> ratung eröffnete um 10 Uhr abends Senats-<lb/> präſident Oegg des Reichsarbeitsgerichts folgen-<lb/> des Urteil: Das Urteil des Landesarbeitsgerichts<lb/> in Duisburg vom 24. November 1928 wird auf-<lb/> gehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das<lb/> Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 12. No-<lb/> vember 1928 wird mit der Maßgabe zurückgewie-<lb/> ſen, daß die Entſcheidung folgenden Wortlaut<lb/> hat: Der in der Streitſache der Parteien er-<lb/> gangene und für verbindlich erklärte Schiedsſpruch<lb/> iſt nichtig. Die Koſten des Rechtsſtreites werden<lb/> den Beklagten auferlegt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Seit 17 Jahren ſpurlos verſchwunden</hi> </head><lb/> <p>Geſtern abend wurden es 17 Jahre, daß der<lb/> damals 24ährige ledige Käſer Johann Erber aus<lb/> Schwabmünchen ſpurlos verſchwunden iſt. Er<lb/> hatte hier ein gutgehendes Geſchäft und lebte in<lb/> vollſtändig geordneten Verhältniſſen. In ſeiner<lb/> Wohnung ſchien eine Kaſſette erbrochen zu ſein,<lb/> in der 2000 Mark Bargeld, ein Pfandbrief über<lb/> 1000 Mark und eine Uhr mit goldener Kette<lb/> geweſen ſein ſollen. Für die Annahme einer<lb/> Flucht fehlt jeder Anhaltspunkt, es kann alſo nur<lb/> ein Verbrechen vorliegen.</p><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Bundeskanzler Dr. Seipel über:</hi><lb/> „Kritik der Demokratie“<lb/> Ein zweiter Vortrag des öſterreichiſchen Bundeskanzlers</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">München,</hi> 23. Jan.</dateline><lb/> <p>Der weite Raum des Audi-<lb/> torium Maximum der Univerſität und die Ga-<lb/> lerie waren überfüllt, als Bundeskanzler Dr.<lb/> Seipel unter dem herzlichen Willkomm der zahl-<lb/> reich Verſammelten das Podium zu ſeinem zwei-<lb/> ten Vortrag in München betrat. Auch diesmal<lb/> waren prominente Perſönlichkeiten in großer Zahl<lb/> erſchienen, unter ihnen Kardinal Erzbiſchof Faul-<lb/> haber, Weihbiſchof Schauer, Miniſterpräſident Dr.<lb/> Held mit Finanzminiſter Dr. Schmelzle und<lb/> Staatsrat Dr. Bleyer, Landtagspräſident Dr.<lb/> Königbauer, der preußiſche Geſandte Dr. Denk<lb/> und Regierungsrat Krebs von der Reichsgeſandt-<lb/> ſchaft.</p><lb/> <p>Nach herzlichen Worten der Begrüßung durch<lb/> den Vorſitzenden akademiſch gebildeter Katholiken<lb/> Münchens, Geheimrat Dr. <hi rendition="#g">Beyerle,</hi> der Dr.<lb/> Seipel als den Repräſentanten der wahren<lb/> Volksgemeinſchaft feierte, nahm der Bundeskanz-<lb/> ler das Wort zu ſeinem Thema „Kritik der<lb/> Demokratie“, indem er einleitend bemerkte, er<lb/> glaube, daß eine Zeit kommen werde, in der<lb/> niemand mehr an der Demokratie Kritik üben<lb/> werde. Er bekenne ſich zu dem Glauben, daß es<lb/> keine beſſere Form geben könne und werde, in<lb/> der die Menſchen ihre ſtaatliche Gemeinſchaft ver-<lb/> walten könnten, als die Form der wahren richtig<lb/> verſtandenen Demokratie. Er ſehe das Problem<lb/> der Menſchheit in ihrem Erdenwallen als ein<lb/> großes Problem der Erziehung. Gott führe die<lb/> Menſchheit und wolle, daß ſie heranwachſe zur<lb/> vollkommenen Freiheit auch in ihren Gemein-<lb/> ſchaftsbedingungen. Wenn man heute trotzdem<lb/> berechtigte Kritik an der Demokratie zu üben<lb/> habe, ſo komme das daher,<lb/><hi rendition="#c">daß ſicher nicht alle Menſchen, auch nicht die,<lb/> die berufen ſeien zu führen, ſchon für die<lb/> Demokratie reif ſind.</hi></p><lb/> <figure> <p><hi rendition="#b">Dr. Seipel</hi><lb/> (Originalkarikatur der „AZ“.)</p> </figure><lb/> <p>Die Zeit, die jetzt einige Jahre hinter uns liege,<lb/> habe große Fehler gemacht. Sie habe geglaubt,<lb/> durch irgendeine Norm oder Formel beſtimmen</p><lb/> <cb/> <p>zu können, wann der einzelne Körper reif ge<lb/> worden ſei, um einzutreten in die Selbſtverwal-<lb/> tung ihrer öffentlichen Angelegenheiten. Man<lb/> habe die Demokratie in dieſen Jahren überſchätzt<lb/> und aus dieſer Ueberſchätzung heraus komme<lb/> jetzt eine gewiſſe Enttäuſchung und man glaube<lb/> nun, etwas anderes an die Stelle der Demokratie<lb/> ſetzen zu müſſen.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">Das ſei ein Irrtum. Man müſſe nur die<lb/> Völker reif machen für die Demokratie und<lb/> man müſſe nur die wirkliche Demokratie<lb/> herſtellen.</hi> </p><lb/> <p>Der Bundeskanzler wies dann darauf hin, daß<lb/> die Völker außenpolitiſch und innerpolitiſch große<lb/> Hoffnungen auf die Demokratie ſetzten, die ſich<lb/> nicht erfüllten. Nun ſetze um ſo ſtärker die Kritik<lb/> ein.</p><lb/> <p><hi rendition="#c">Er finde, daß dieſe Kritik, ſo ſehr ſie als<lb/> Ausfluß von Enttäuſchungen berechtigt ſein<lb/> könne, große Gefahren in ſich berge,</hi><lb/> denn er finde, daß dieſe Kritik zum weitaus<lb/> größten Teil darauf hinauslaufe, die Demokratie<lb/> durch etwas anderes zu erſetzen, ohne daß eine<lb/> innerliche Veränderung in den Menſchen ange-<lb/> ſtrebt werde. Man glaube, an der Demokratie<lb/> Kritik üben zu müſſen, indem man an ihren<lb/> Aeußerlichkeiten Kritik übe.</p><lb/> <p>Mit bloßen Formeln, durch Einführung geſetz-<lb/> licher Beſtimmungen ohne Rückſicht darauf, ob<lb/> die Menſchen, die einen Staat erfüllen, damit<lb/> etwas aufbauen können, werde der Weg zur<lb/> wahren Demokratie nicht gefunden. Wahlrecht,<lb/> Wahlordnung und Wahlſyſtem hätten eine Be-<lb/> deutung. Das richtige wäre es, wenn ſie in jedem<lb/> Volk organiſch ausgebildet würden, ſo daß ein<lb/> immer größerer Kreis von Menſchen mit heran-<lb/> gezogen würde, aktiv an der Führer- und Ver-<lb/> treterausleſe mitzuwirken. Man ſtehe mitten in<lb/> einer Demokratie, die auf das allgemeine gleiche<lb/> Wahlrecht in der breiteſten Form aufgebaut ſei.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">Man würde ſich aber täuſchen, wenn man<lb/> glaube, hier das Rad zurückdrehen zu können.</hi> </p><lb/> <p>Es müſſe ein anderer Weg gegangen werden.<lb/> Die Menſchen müßten um ſo energiſcher und<lb/> gründlicher erzogen werden, daß ſie alle reif<lb/> werden zur Selbſtverwaltung. Ein Volk verdiene<lb/> die Demokratie dann, wenn Verantwortungs-<lb/> gefühl, Verantwortungsbewußtſein da iſt bei<lb/> denen, die berufen ſind, die Ausleſe der Führer<lb/> vorzunehmen, aber auch bei denen, die bei der<lb/> Führerausleſe berufen worden ſind, das Gemein-<lb/> weſen zu führen.</p><lb/> <p>Der Kanzler ſchloß, die bloße Miniſterverant-<lb/> wortlichkeit vor einem Parlament oder Staats-<lb/> gerichtshof oder die Verantwortung vor der Ge-<lb/> ſchichte genüge jedoch nicht allein, zu dieſen Ver-<lb/> antwortlichkeiten müſſe eine höhere Verantwort-<lb/> lichkeit hinzutreten, eine wirkliche Verantwortung,<lb/> wie ſie der Demokratie, je größer das Maß der<lb/> Freiheit der Geführten und das Maß der Macht<lb/> der Führer ſein werde, am beſten geſichert ſei<lb/> bei denen, die ſich verantwortlich wiſſen vor einer<lb/> Macht, die abſolut genug iſt, um die Verant-<lb/> wortung irgendeines Menſchen zur Geltung zu<lb/> bringen. Das Schickſal der Völker ſei am beſten<lb/> aufgehoben in den Händen derer, die ſich verant-<lb/> wortlich wiſſen vor Gott. Damit ſei mit einem<lb/> Wort geſagt, welche Kritik an der Demokratie<lb/> die richtigſte iſt, es ſei der Weg der Erziehung<lb/> des Volkes und der Selbſterziehung des einzelnen<lb/> im Volk zur wahren Verantwortung.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Der Sonnenburger Zuchthausprozeß</hi><lb/> Der Mörder mit den 12 Schlüſſeln</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#b">„Altverwertung“ und neue Drillichjacken</hi> </p> </argument><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Sonnenburg,</hi> 22. Januar.</dateline><lb/> <p>In dem geſtern<lb/> begonnenen großen Prozeß gegen 24 Be-<lb/> amte der Strafanſtalt Sonnenburg, die des<lb/> Diebſtahles, der Hehlerei, Unterſchlagung und<lb/> Verleitung zum Meineide beſchuldigt wer-<lb/> den, beſtritt heute Oberwachtmeiſter <hi rendition="#g">Köp-<lb/> pen,</hi> ſich unrechtmäßig bereichert zu haben.<lb/> Welchen Umfang die Durchſtechereien mit<lb/> Lebens- und Genußmitteln im Zuchthaus<lb/> Sonnenburg angenommen hatten, geht dar-<lb/> aus hervor, daß<lb/><hi rendition="#c">bei einem einzigen Gefangenen einmal<lb/> 17 Pakete Tabak beſchlagnahmt</hi><lb/> wurden, bei einem anderen ganze Pakete<lb/> Schmalz, Butter und Speck. Der Staats-<lb/> anwalt betonte hierzu, daß nach Bekundun-<lb/> gen von Sträflingen dieſe Durchſtechereien<lb/> von Beamten ſelbſt verübt worden ſeien,<lb/> und zwar in der Hauptſache für die in der<lb/> Schneiderſtube tätigen Gefangenen.</p><lb/> <p>Aufſehen erregte die Mitteilung, daß dem<lb/> Strafgefangenen Paaſch, einem Mörder, bei<lb/> Einleitung der Unterſuchung wegen der<lb/> Unterſchlagungen<lb/><hi rendition="#c">nicht weniger als 12 Schlüſſel zu allen<lb/> möglichen Türen und Portalen abge-<lb/> nommen</hi><lb/> wurden, die er von dem Werkmeiſter Gra-<lb/> funder der Firma Schwarzſchild erhalten<lb/> habe.</p><lb/> <p>Zur Sprache kam ferner, daß ſich unter<lb/> dem der Firma Schwarzſchild zur „Altver-<lb/> wertung“ übergebenen Heeresgut zum Teil<lb/> nagelneue Drillichjacken befanden, die noch<lb/> mit dem Fabrikationsetikett verſehen und<lb/> überhaupt noch nicht getragen waren. An<lb/> die Beamten des Zuchthauſes wurden<lb/> Drillichhoſen für eine Mark, Drillichjacken</p><lb/> <cb/> <p>für 1,25 Mark abgegeben, zu entſprechend<lb/> niedrigen Preiſen auch ſonſtige Kleidungs-<lb/> ſtücke.</p><lb/> <p>Eingehende Fragen des Vorſitzenden und<lb/> der Staatsanwaltſchaft ergaben wiederholt<lb/> die Erwähnung des Oberwachtmeiſters Nau-<lb/> mann, der die Verladungen der Heeresgut-<lb/> transporte auf dem Bahnhof Sonnenburg<lb/> leitete und nach der Anklage einer der<lb/> Hauptvermittler bei den Schiebungen ge-<lb/> weſen ſein ſoll. Gegen Naumann wird ge-<lb/> trennt verhandelt werden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Reichspoſtminiſter<lb/> behält ſich vor</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#b">Die Bayeriſche Volkspartei gegen<lb/> Hilferdings Programm</hi> </p> </argument><lb/> <dateline><hi rendition="#b">München,</hi> 23. Januar.</dateline><lb/> <p>Die Reichskorre-<lb/> ſpondenz der Bayeriſchen Volkspartei teilt<lb/> mit: Die am letzten Samstag durch die Preſſe<lb/> gegangene Meldung, daß ſich der Ver-<lb/> trauensmann der Bayeriſchen Volkspartei im<lb/> Reichskabinett, Reichspoſtminiſter Dr.<lb/><hi rendition="#g">Schätzel,</hi> für die Hilferdingſchen Steuer-<lb/> pläne ausgeſprochen hat, iſt in einzelnen<lb/> Blättern inzwiſchen dahin korrigiert wor-<lb/> den, daß in den Kabinettsſitzungen der<lb/> Reichsregierung überhaupt keine Beſchlüſſe<lb/> gefaßt worden ſeien. Die eine Darſtellung<lb/> iſt ſo unzutreffend wie die andere.</p><lb/> <p>Richtig iſt vielmehr, daß im Kabinett tat-<lb/> ſächlich über die Steuervorlage abgeſtimmt<lb/> wurde, und zwar unter dem betonten Wider-<lb/> ſpruche des Reichspoſtminiſters Dr. Schätzel,<lb/> der ſich alle Konſequenzen vorbehalten hat.</p> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [Seite 2[2]/0002]
„AZ am Abend“ Nr. 19 Mittwoch, den 23. Januar
von Hilfsmaterialien unmöglich macht. Wer alſo
das Muſeum unterſtützen will, der ſchreie nach
Geld, der ſammle Geld, der ſchenke Geld! Ich
glaube verſprechen zu können, daß wir es ſach-
gemäß und richtig anwenden werden.
Nun noch einige Einzelheiten Ihres Aufſatzes:
Die Trachtenſammlung der neueren Zeit wurde
bereits 1924 der Oeffentlichkeit zugänglich ge-
macht. Wir haben damals alle Zeitungen Mün-
chens zur Beſichtigung eingeladen. Wenn in der
Oeffentlichkeit ſo wenig Aufmerkſamkeit auf den
neuen Saal gelenkt wurde, ſo iſt das nicht unſere
Schuld. Das gleiche iſt der Fall mit dem 1927
eröffneten Saal der deutſchen Bronzen, ſeinem
Inhalte nach eine Sehenswürdigkeit erſten Ran-
ges. Die Neuaufſtellung der Sammlung der
kirchlichen Gewänder ſtockt wegen Geldmangel.
Das Hauptgeſchoß des Muſeums leidet an ſolcher
Ueberfüllung, daß Luft geſchaffen werden muß;
das heißt leerſtehende Säle des Oberſtocks müſſen
bezogen werden. Das Muſeum ſelbſt kann nicht
zugeben, daß dieſer gewiſſermaßen als zweit-
rangiges Lokal gegenüber den unteren Sälen ent-
wertet wird.
Es iſt auch unmöglich, die Einrichtung, wie ſie
Seidl und Seitz ſchufen, nun unverändert durch
die Jahrhunderte zu konſervieren; man kann
nicht aus der Einrichtung der Muſeumsräume
ihrerſeits wieder ein Muſeumsſtück machen. Das
hieße das Muſeum zum Abſterben verurteilen,
da es dann unmöglich wäre, die Neuzugänge
ihrer jeweiligen Bedeutung nach einzuordnen.
Unter den mancherlei Mängeln des Hauſes iſt
nicht der geringſte der, daß ſowohl hinſichtlich
des Sammlungsbeſtandes wie des vorhandenen
Raumes die Rokokoplaſtik Bayerns —
einer der größten Ruhmestitel des Landes —
durchaus vernachläſſigt iſt. Rokokoplaſtik braucht
einen Raum mit zerſtreutem Licht, während
Stadtmodelle nichts anderes brauchen wie gutes
Licht. Ich halte ihre Unterbringung in dem
ſonſt unbrauchbaren Trausnitzſaal und ſeinem
Nachbar für durchaus genügend. Wir haben mit
aller Abſicht die Modelle auf niedrigere Tiſche
geſtellt als die bisherigen, weil ihre Sichtbarkeit
dadurch gewonnen hat. Man ſoll übrigens nicht
immer alles auf Seitz und Seidl ſchieben: die
Modelle ſtanden bisher auf ganz kleinen, daher
der Verhängung bedürftigen Tiſchen, die noch aus
der Zeit der Vereinigten Sammlungen ſtammten.
— Wenn wir von der Sitte der jährlichen Aus-
ſtellung der Neuerwerbungen abgekommen ſind,
ſo erfolgte das notgedrungen, weil eben die Zahl
der vorzuführenden Zugänge der einzelnen Jahre
ſo gering iſt, daß eine beſondere Ausſtellung ſich
nicht lohnt. In den nächſten Wochen ſollte die
Ausſtellung der Neuerwerbungen der letzten zwei-
einhalb Jahre ſowieſo eröffnet werden.“
Der Justizetat
Miniſter Gürtner über die bayeriſche Juſtiz
Bayern und die Todesſtrafe * Redner in der Debatte
München, 22. Januar.
In der Dienstag-
Sitzung des Staatshaltsausſchuſſes des
Bayeriſchen Landtags nahm bei Fortſetzung
der Ausſprache zum Juſtizetat
Juſtizminiſter Gürtner
das Wort. Er führte dabei aus, daß der Vor-
wurf, die bayeriſche Juſtizverwaltung ſei
rückſtändig, unberechtigt ſei. Die Aufwen-
dungen Bayerns für dieſen Zweck ſeien
nahezu gleich hoch wie die Preußens. Mit
geringerem Perſonal werde heute mehr ge-
leiſtet als im Frieden. Der Miniſter ging
dann auf die
Haltung Bayerns zur Juſtizreform
ein. Die in Ausſicht genommene Dreigliede-
rung der Gerichte würde eine Kapitalinveſti-
tion von vielen Millionen erfordern, ſo daß
es wohl bei der bisherigen Viergliederung
bleiben dürfte. Zur Frage Kollegial- oder
Einzelgerichte erinnert er an den Beſchluß
des Bayeriſchen Landtages, darauf hinzu-
wirken, daß bei den Amtsgerichten die dem
Einzelrichter zugewieſenen Verbrechen und
Vergehen wieder an Schöffengerichte kom-
men. Mit dieſer Meinung findet Bayern
keine Mehrheit. Eine Anzahl von Vergehen
werde zweifellos dem Einzelrichter zur Ab-
urteilung verbleiben. Zur Frage des In-
ſtanzenzuges müſſe an dem Grundſatz feſtge-
halten werden, daß auch der kleinſte Mann
in der kleinſten Streitſache Anſpruch darauf
habe, ſein Recht zu finden.
Bezüglich der
Rationaliſierung des inneren Betriebes
ſei der Vorwurf, Bayern ſei in dieſer Rich-
tung rückſtändig, ungerechtfertigt. Man habe
ſich die verſchiedenſten techniſchen Neuerungen
zu eigen gemacht, auch wenn ihre Anſchaf-
fung größere Koſten verurſachte. Auf die
Frage, wie ſich die bayeriſche Regierung
zur Anregung verhalte, bis zur endgültigen
Entſcheidung des Reichstags über die
Todesſtrafe
die Vollſtreckung von Todesurteilen auszu-
ſetzen. antwortete der Miniſter, das bayeri-
ſche Kabinett habe noch keine Gelegenheit ge-
habt, zu dieſer Anregung Stellung zu neh-
men, weil bisher alle ihm unterbreiteten
Fälle zur Begnadigung empfohlen werden
konnten. Die Anregung habe viele Bedenken
gegen ſich. Es bedeute ein Martyrum ohne-
gleichen, die Entſcheidung auf unbeſtimmte
Zeit hinauszuſchieben. In der Praxis wür-
den außerdem ſchwere Ungerechtigkeiten ent-
ſtehen bezüglich ſchon ergangener und erſt
zu erfüllender Urteile, die unter den neuen
Schutz fallen würden. Dieſe Frage dürfe
nicht lange unentſchieden bleiben. Bezüglich
der grundſätzlichen Stellungnahme Bayerns
zur Todesſtrafe überhaupt, erklärte der
Miniſter, ſie ſolle
als abſolute Strafe beſeitigt
werden und es ſollten auch beim Mord
mildernde Umſtände zugebilligt werden kön-
nen, aber als Drohung ſolle die Todesſtrafe
für beſondere Fälle beſtehen bleiben.
Eingehende Aufſchlüſſe gab der Miniſter
zum
Salzburger Juriſtentag
und trat der Auffaſſung entgegen, als ob zu
ihm eine zu große Zahl Beamter delegiert
worden wäre und zu hohe Aufwendungen
gemacht wurden. Im großen und ganzen
habe man ſich an das Vorbild des Bamber-
ger Juriſtentages gehalten. Wenn etwas
mehr geſchah, ſo war dies deswegen der
Fall, weil ſchon vor dem Salzbunger Tag
aufgefordert wurde, ihm beſondere Aufmerk-
ſamkeit zuzuwenden. Die Aufwendungen
Bayerns waren geringer als die anderer
Länder.
Von Verhängung höherer Geldſtrafen
gegen Angehörige des Reichsbanners und
ähnlicher Organiſationen könne keine Rede
ſein. Bezüglich der
Verfaſſungsmäßigkeit von Juſtiksrats-
titeln
erinnerte der Juſtizminiſter daran, daß der
Landtag ſchon in Bamberg ſich ſehr ſchwer
von den Titeln getrennt habe und fünf Jahre
ſpäter im Ausſchuß vom Mitberichterſtatter
angeregt wurde, den Juſtizratstitel als
Standesbezeichnung wieder einzuführen,
welchen Standpunkt der ſozialdemokratiſche
Abgeordnete Timm unterſtützte. Dann ſei
von demokratiſcher Seite ein formeller An-
trag erfolgt. Uebrigens habe auch die Reichs-
regierung die Titel Juſtizrat und Geheimer
Juſtizrat verliehen.
In der weiteren Ausſprache
trat Abg. Bayer (D. Vpt.) für die Ein-
führung der Zwangsverſicherung für An-
wälte ein und vertrat die Intereſſen der
ſog. Anwaltsaſſiſtenten. Abg. Högner
(Soz.) verlangte Aufſchlüſſe über die Ver-
wendung der Gelder für Titelverleihungen.
Abg. Streicher (Nat. Soz.) wiederholte
die Behauptungen ſeines Parteifreundes
Buttmann wegen Durchſtechereien beim
Staatskonkurs und meinte u. a. derartiges
dürfe nicht geduldet werden, wenn es auch
im jüdiſchen Norddeutſchland
eine Selbſtverſtändlichkeit ſei. Der Vorſit-
zende Stang wies dieſe verallgemeinernde
Behauptung mit großer Entſchiedenheit zu-
rück, was wiederum den Abg. Streicher zu
ſcharfen Gegenbemerkungen veranlaßte. Un-
ter allgemeinem Beifall des Geſamtaus-
ſchuſſes beharrte der Vorſitzende Abg. Stang
auf ſeiner Rüge. Zum Schluß nahm noch
einmal Juſtizminiſter Gürtner das Wort und
bemerkte gegenüber den Ausführungen des
Abg. Buttmann, er möge ihm nur einen
Fall nennen und ſei es auch nur perſönlich.
Das Urteil im Weſtdeutſchen
Induſtriekonflikt
Leipzig, 22. Jan.
Nach 4½ſtündiger Be-
ratung eröffnete um 10 Uhr abends Senats-
präſident Oegg des Reichsarbeitsgerichts folgen-
des Urteil: Das Urteil des Landesarbeitsgerichts
in Duisburg vom 24. November 1928 wird auf-
gehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das
Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 12. No-
vember 1928 wird mit der Maßgabe zurückgewie-
ſen, daß die Entſcheidung folgenden Wortlaut
hat: Der in der Streitſache der Parteien er-
gangene und für verbindlich erklärte Schiedsſpruch
iſt nichtig. Die Koſten des Rechtsſtreites werden
den Beklagten auferlegt.
Seit 17 Jahren ſpurlos verſchwunden
Geſtern abend wurden es 17 Jahre, daß der
damals 24ährige ledige Käſer Johann Erber aus
Schwabmünchen ſpurlos verſchwunden iſt. Er
hatte hier ein gutgehendes Geſchäft und lebte in
vollſtändig geordneten Verhältniſſen. In ſeiner
Wohnung ſchien eine Kaſſette erbrochen zu ſein,
in der 2000 Mark Bargeld, ein Pfandbrief über
1000 Mark und eine Uhr mit goldener Kette
geweſen ſein ſollen. Für die Annahme einer
Flucht fehlt jeder Anhaltspunkt, es kann alſo nur
ein Verbrechen vorliegen.
Bundeskanzler Dr. Seipel über:
„Kritik der Demokratie“
Ein zweiter Vortrag des öſterreichiſchen Bundeskanzlers
München, 23. Jan.
Der weite Raum des Audi-
torium Maximum der Univerſität und die Ga-
lerie waren überfüllt, als Bundeskanzler Dr.
Seipel unter dem herzlichen Willkomm der zahl-
reich Verſammelten das Podium zu ſeinem zwei-
ten Vortrag in München betrat. Auch diesmal
waren prominente Perſönlichkeiten in großer Zahl
erſchienen, unter ihnen Kardinal Erzbiſchof Faul-
haber, Weihbiſchof Schauer, Miniſterpräſident Dr.
Held mit Finanzminiſter Dr. Schmelzle und
Staatsrat Dr. Bleyer, Landtagspräſident Dr.
Königbauer, der preußiſche Geſandte Dr. Denk
und Regierungsrat Krebs von der Reichsgeſandt-
ſchaft.
Nach herzlichen Worten der Begrüßung durch
den Vorſitzenden akademiſch gebildeter Katholiken
Münchens, Geheimrat Dr. Beyerle, der Dr.
Seipel als den Repräſentanten der wahren
Volksgemeinſchaft feierte, nahm der Bundeskanz-
ler das Wort zu ſeinem Thema „Kritik der
Demokratie“, indem er einleitend bemerkte, er
glaube, daß eine Zeit kommen werde, in der
niemand mehr an der Demokratie Kritik üben
werde. Er bekenne ſich zu dem Glauben, daß es
keine beſſere Form geben könne und werde, in
der die Menſchen ihre ſtaatliche Gemeinſchaft ver-
walten könnten, als die Form der wahren richtig
verſtandenen Demokratie. Er ſehe das Problem
der Menſchheit in ihrem Erdenwallen als ein
großes Problem der Erziehung. Gott führe die
Menſchheit und wolle, daß ſie heranwachſe zur
vollkommenen Freiheit auch in ihren Gemein-
ſchaftsbedingungen. Wenn man heute trotzdem
berechtigte Kritik an der Demokratie zu üben
habe, ſo komme das daher,
daß ſicher nicht alle Menſchen, auch nicht die,
die berufen ſeien zu führen, ſchon für die
Demokratie reif ſind.
[Abbildung Dr. Seipel
(Originalkarikatur der „AZ“.)]
Die Zeit, die jetzt einige Jahre hinter uns liege,
habe große Fehler gemacht. Sie habe geglaubt,
durch irgendeine Norm oder Formel beſtimmen
zu können, wann der einzelne Körper reif ge
worden ſei, um einzutreten in die Selbſtverwal-
tung ihrer öffentlichen Angelegenheiten. Man
habe die Demokratie in dieſen Jahren überſchätzt
und aus dieſer Ueberſchätzung heraus komme
jetzt eine gewiſſe Enttäuſchung und man glaube
nun, etwas anderes an die Stelle der Demokratie
ſetzen zu müſſen.
Das ſei ein Irrtum. Man müſſe nur die
Völker reif machen für die Demokratie und
man müſſe nur die wirkliche Demokratie
herſtellen.
Der Bundeskanzler wies dann darauf hin, daß
die Völker außenpolitiſch und innerpolitiſch große
Hoffnungen auf die Demokratie ſetzten, die ſich
nicht erfüllten. Nun ſetze um ſo ſtärker die Kritik
ein.
Er finde, daß dieſe Kritik, ſo ſehr ſie als
Ausfluß von Enttäuſchungen berechtigt ſein
könne, große Gefahren in ſich berge,
denn er finde, daß dieſe Kritik zum weitaus
größten Teil darauf hinauslaufe, die Demokratie
durch etwas anderes zu erſetzen, ohne daß eine
innerliche Veränderung in den Menſchen ange-
ſtrebt werde. Man glaube, an der Demokratie
Kritik üben zu müſſen, indem man an ihren
Aeußerlichkeiten Kritik übe.
Mit bloßen Formeln, durch Einführung geſetz-
licher Beſtimmungen ohne Rückſicht darauf, ob
die Menſchen, die einen Staat erfüllen, damit
etwas aufbauen können, werde der Weg zur
wahren Demokratie nicht gefunden. Wahlrecht,
Wahlordnung und Wahlſyſtem hätten eine Be-
deutung. Das richtige wäre es, wenn ſie in jedem
Volk organiſch ausgebildet würden, ſo daß ein
immer größerer Kreis von Menſchen mit heran-
gezogen würde, aktiv an der Führer- und Ver-
treterausleſe mitzuwirken. Man ſtehe mitten in
einer Demokratie, die auf das allgemeine gleiche
Wahlrecht in der breiteſten Form aufgebaut ſei.
Man würde ſich aber täuſchen, wenn man
glaube, hier das Rad zurückdrehen zu können.
Es müſſe ein anderer Weg gegangen werden.
Die Menſchen müßten um ſo energiſcher und
gründlicher erzogen werden, daß ſie alle reif
werden zur Selbſtverwaltung. Ein Volk verdiene
die Demokratie dann, wenn Verantwortungs-
gefühl, Verantwortungsbewußtſein da iſt bei
denen, die berufen ſind, die Ausleſe der Führer
vorzunehmen, aber auch bei denen, die bei der
Führerausleſe berufen worden ſind, das Gemein-
weſen zu führen.
Der Kanzler ſchloß, die bloße Miniſterverant-
wortlichkeit vor einem Parlament oder Staats-
gerichtshof oder die Verantwortung vor der Ge-
ſchichte genüge jedoch nicht allein, zu dieſen Ver-
antwortlichkeiten müſſe eine höhere Verantwort-
lichkeit hinzutreten, eine wirkliche Verantwortung,
wie ſie der Demokratie, je größer das Maß der
Freiheit der Geführten und das Maß der Macht
der Führer ſein werde, am beſten geſichert ſei
bei denen, die ſich verantwortlich wiſſen vor einer
Macht, die abſolut genug iſt, um die Verant-
wortung irgendeines Menſchen zur Geltung zu
bringen. Das Schickſal der Völker ſei am beſten
aufgehoben in den Händen derer, die ſich verant-
wortlich wiſſen vor Gott. Damit ſei mit einem
Wort geſagt, welche Kritik an der Demokratie
die richtigſte iſt, es ſei der Weg der Erziehung
des Volkes und der Selbſterziehung des einzelnen
im Volk zur wahren Verantwortung.
Der Sonnenburger Zuchthausprozeß
Der Mörder mit den 12 Schlüſſeln
„Altverwertung“ und neue Drillichjacken
Sonnenburg, 22. Januar.
In dem geſtern
begonnenen großen Prozeß gegen 24 Be-
amte der Strafanſtalt Sonnenburg, die des
Diebſtahles, der Hehlerei, Unterſchlagung und
Verleitung zum Meineide beſchuldigt wer-
den, beſtritt heute Oberwachtmeiſter Köp-
pen, ſich unrechtmäßig bereichert zu haben.
Welchen Umfang die Durchſtechereien mit
Lebens- und Genußmitteln im Zuchthaus
Sonnenburg angenommen hatten, geht dar-
aus hervor, daß
bei einem einzigen Gefangenen einmal
17 Pakete Tabak beſchlagnahmt
wurden, bei einem anderen ganze Pakete
Schmalz, Butter und Speck. Der Staats-
anwalt betonte hierzu, daß nach Bekundun-
gen von Sträflingen dieſe Durchſtechereien
von Beamten ſelbſt verübt worden ſeien,
und zwar in der Hauptſache für die in der
Schneiderſtube tätigen Gefangenen.
Aufſehen erregte die Mitteilung, daß dem
Strafgefangenen Paaſch, einem Mörder, bei
Einleitung der Unterſuchung wegen der
Unterſchlagungen
nicht weniger als 12 Schlüſſel zu allen
möglichen Türen und Portalen abge-
nommen
wurden, die er von dem Werkmeiſter Gra-
funder der Firma Schwarzſchild erhalten
habe.
Zur Sprache kam ferner, daß ſich unter
dem der Firma Schwarzſchild zur „Altver-
wertung“ übergebenen Heeresgut zum Teil
nagelneue Drillichjacken befanden, die noch
mit dem Fabrikationsetikett verſehen und
überhaupt noch nicht getragen waren. An
die Beamten des Zuchthauſes wurden
Drillichhoſen für eine Mark, Drillichjacken
für 1,25 Mark abgegeben, zu entſprechend
niedrigen Preiſen auch ſonſtige Kleidungs-
ſtücke.
Eingehende Fragen des Vorſitzenden und
der Staatsanwaltſchaft ergaben wiederholt
die Erwähnung des Oberwachtmeiſters Nau-
mann, der die Verladungen der Heeresgut-
transporte auf dem Bahnhof Sonnenburg
leitete und nach der Anklage einer der
Hauptvermittler bei den Schiebungen ge-
weſen ſein ſoll. Gegen Naumann wird ge-
trennt verhandelt werden.
Der Reichspoſtminiſter
behält ſich vor
Die Bayeriſche Volkspartei gegen
Hilferdings Programm
München, 23. Januar.
Die Reichskorre-
ſpondenz der Bayeriſchen Volkspartei teilt
mit: Die am letzten Samstag durch die Preſſe
gegangene Meldung, daß ſich der Ver-
trauensmann der Bayeriſchen Volkspartei im
Reichskabinett, Reichspoſtminiſter Dr.
Schätzel, für die Hilferdingſchen Steuer-
pläne ausgeſprochen hat, iſt in einzelnen
Blättern inzwiſchen dahin korrigiert wor-
den, daß in den Kabinettsſitzungen der
Reichsregierung überhaupt keine Beſchlüſſe
gefaßt worden ſeien. Die eine Darſtellung
iſt ſo unzutreffend wie die andere.
Richtig iſt vielmehr, daß im Kabinett tat-
ſächlich über die Steuervorlage abgeſtimmt
wurde, und zwar unter dem betonten Wider-
ſpruche des Reichspoſtminiſters Dr. Schätzel,
der ſich alle Konſequenzen vorbehalten hat.
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(2023-01-02T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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