Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 31. Januar 1850.[Spaltenumbruch]
Die Ritrische Bibliothek im brittischen Museum. * Leipzig, Anfang Januars. So eben heimgekehrt von neuen For- Außer der h. Schrift selbst ist es die Litteratur der ersten christlichen Orientalische Gesellschaft von Boston. ** New-York, 15 Dec. Die amerikanische orientalische Gesell- [Spaltenumbruch]
Die Ritriſche Bibliothek im brittiſchen Muſeum. * Leipzig, Anfang Januars. So eben heimgekehrt von neuen For- Außer der h. Schrift ſelbſt iſt es die Litteratur der erſten chriſtlichen Orientaliſche Geſellſchaft von Boſton. ** New-York, 15 Dec. Die amerikaniſche orientaliſche Geſell- <TEI> <text> <body> <div> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0014" n="494"/> <cb/> </div> </div> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die Ritriſche Bibliothek im brittiſchen Muſeum.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline>* <hi rendition="#b">Leipzig,</hi> Anfang Januars.</dateline> <p>So eben heimgekehrt von neuen For-<lb/> ſchungen auf den Bibliotheken zu Paris und zu London, beeile ich mich<lb/> Ihnen einige Nachrichten über die großen litterariſchen Schätze zu geben<lb/> die bekanntlich vor wenig Jahren das brittiſche Muſeum aus den kopti-<lb/> ſchen Klöſtern der Nitriſchen Wüſte gewonnen hat. Soviel ich weiß, hat<lb/> das deutſche Publicum bis jetzt nur wenig Andeutungen über dieſe koſt-<lb/> bare Bibliothek erhalten, und zwar noch mehr über die Art wie <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Tat-<lb/> tam die ſchwierige Erlangung derſelben gelungen iſt, als über ihren be-<lb/> deutungsvollen Inhalt. Die claſſiſche Litteratur wird in nächſter Zukunft<lb/> durch die Herausgabe des Homeriſchen Palimpſeſten bereichert werden.<lb/> Es haben ſich nämlich in einem ſyriſch-griechiſchen Palimpſeſten nicht we-<lb/> niger als viertauſend Verſe der Iliade vorgefunden, die allem Anſchein<lb/> nach im fünften Jahrhundert geſchrieben ſind, während mit Ausnahme<lb/> geringer Fragmente kein anderes bekanntes Document für den Text des<lb/> Homer über das zehnte Jahrhundert hinaufreicht. Die Herausgabe ſelbſt,<lb/> unter den Händen Curetons, des neuernannten Domherrn vom Weſtmin-<lb/> ſter, wird des brittiſchen Muſeums, auf deſſen Koſten ſie geſchieht, voll-<lb/> kommen würdig ſeyn. Sechs Blätter werden als Facſimile ausgeführt,<lb/> deren jedes dem Pariſer Künſtler Lepelle mit hundert Pfund Sterling<lb/> bezahlt wird. Was bereits davon fertig iſt, iſt in hohem Grade gelungen.<lb/> Aber weit mehr als der claſſiſchen, gehört dieſe Nitriſche Bibliothek der<lb/> chriſtlichen Litteratur an. Für den ſyriſchen Text der geſammten Bibel<lb/> enthält ſie eine ſehr große Anzahl Manuſeripte, zum Theil vom höchſten<lb/> Alter. Die Akademie in Oxford wird zunächſt das Alte Teſtament daraus<lb/> nach Curetons Bearbeitung veröffentlichen. Für das Neue Teſtament<lb/> ſtehen größere Arbeiten von Tregelles zu erwarten; und Cureton hat be-<lb/> reits das merkwürdigſte der evangeliſchen Manuſeripte zum Abdruck ge-<lb/> bracht und zu baldiger Herausgabe mit gelehrtem Commentar beſtimmt.<lb/> Dieſe Evangelienhandſchrift, ausdrücklich datirt aus dem vierten Jahr-<lb/> hundert, bietet einen Text des Matthäus dar der ſich von allen bekannten<lb/> Texten weſentlich unterſcheidet, und der beſonders durch ſein eige thüm-<lb/> liches Verhältniß zu Lucas auf die Vermuthung einer directen Ableitung<lb/> aus dem hebräiſchen Evangelium des Matthäus führt. Wer es weiß daß<lb/> dieſer hebräiſche Matthäus ſchon im früheſten Alterthum verſchwunden<lb/> iſt, von den meiſten Forſchern in der Kirche ſeit dem zweiten Jahrhundert<lb/> angenommen, jedoch auch von einzelnen, beſonders in neuerer Zeit, be-<lb/> zweifelt oder geläugnet worden iſt, daß viele gelehrte Theorien über den<lb/> Urſprung und das gegenſeitige Verhältniß unſerer ſynoptiſchen Evange-<lb/> lien mit dieſer unbekannten Größe aufs engſte zuſammenhängen, daß<lb/> unter anderm Papſt Nikolaus, nach dem Fall des griechiſchen Kaiſerthums,<lb/> einen Preis von fünftauſend Scudi auf die Entdeckung dieſes Evange-<lb/> liums geſetzt hat, der wird das außerordentliche Intereſſe begreifen das<lb/> ſich an dieſen ſyriſchen Fund knüpft. Von den anderen bibliſchen Hand-<lb/> ſchriften verdienen noch zwei eine beſondere Hervorhebung; es ſind zwei<lb/> Palimpſeſte, von denen der eine einen griechiſchen Text des Lucas aus<lb/> dem ſechsten Jahrhundert, der andere um hundert Jahre jüngere Frag-<lb/> mente aus den vier Evangelien oder vielmehr aus einem Evangeliſtarium<lb/> enthält. Was ich in beiden geleſen, werde ich bald bekannt machen; doch<lb/> wird wahrſcheinlich Cureton beiden Palimpſeſten umfaſſendere Arbeiten<lb/> widmen.</p><lb/> <p>Außer der h. Schrift ſelbſt iſt es die Litteratur der erſten chriſtlichen<lb/> Jahrhunderte, über deren gefeiertſte Namen die Nitriſche Bibliothek zu<lb/> London neues Licht verbreitet. Zweierlei davon iſt bereits aus der Preſſe<lb/> hervorgegangen nach der verdienſtvollen Bearbeitung Curetons: 1) die<lb/> Briefe des Ignatius nach einer neuen und zwar ſolchen Textrecenſion die<lb/> der Originalſchrift des großen Schülers des Johannes am nächſten zu<lb/> ſtehen ſcheint, worüber auch Bunſen gelehrt und ſcharfſinnig geſchrieben;<lb/> 2) die faſt gänzlich verloren geweſenen Feſtbriefe des Athanaſius. Von<lb/> dem aber was der Bearbeitung und Veröffentlichung erſt noch entgegen-<lb/> ſieht, erwähne ich vorzugsweiſe daß ſich verloren geglaubte Schriften oder<lb/> Schriftfragmente vom Gnoſtiker Bardeſanes, von Melito von Sardes,<lb/> von Irenäus, von Hippolytus, von Titus von Boſtra vorgefunden haben,<lb/> ſowie ein ſyriſcher Text der Recognitionen des Clemens. Dieſer letztere<lb/> iſt vom höchſten Intereſſe, da der griechiſche Originaltext dieſer merkwür-<lb/> digen Schrift längſt verloren gegangen, die lateiniſche Ueberſetzung Ru-<lb/> fins aber, nach ſeinem eigenen Geſtändniß, keineswegs treu und vollſtän-<lb/> dig iſt. Die entdeckte ſyriſche Verſion beanſprucht um ſo höhere Autorität,<lb/> da ſie ſogar nach dem Datum der Handſchrift über die Zeit Rufins’ hin-<lb/> aufreicht, und alſo ohne Zweifel aus der urſprünglichen Schrift des Cle-<lb/> mens hergefloſſen iſt. Ihre eigene Stellung zwiſchen beiden Ueberſetzun-<lb/> gen der Recognitionen, der ſyriſchen und der lateiniſchen, werden die<lb/> Fragmente einnehmen die ich vom griechiſchen Originaltext ſelber unlängſt<lb/> aufgefunden habe. Schließlich mache ich noch auf das hohe Gewicht auf-<lb/><cb/> merkſam welches die Nitriſchen Manuſcripte zu London nicht nur für die<lb/> ſyriſche, ſondern auch, was noch viel mehr iſt, für die griechiſche Paläo-<lb/> graphie haben. Es finden ſich nämlich unter den ſyriſchen Manuſcripten<lb/> von ſehr hohem Datum mehrere die mit griechiſchen Randnoten ausge-<lb/> ſtattet ſind, z. B. eine Ueberſetzung des Epiphanius von den Häreſien vom<lb/> Jahr 561. Somit iſt ein ſicherer Anhaltspunkt dafür gewonnen wie man<lb/> in Syrien in den betreffenden Jahrhunderten den griechiſchen Schriftcha-<lb/> rakter handhabte. <hi rendition="#et">C. <hi rendition="#g">Tiſchendorf.</hi></hi></p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Orientaliſche Geſellſchaft von Boſton.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline>** <hi rendition="#b">New-York,</hi> 15 Dec.</dateline> <p>Die amerikaniſche orientaliſche Geſell-<lb/> ſchaft in Boſton hat das vierte Heft ihrer Arbeiten herausgegeben, es iſt<lb/> bogenreicher und namhaft beſſer als die früheren, und läßt hoffen daß die<lb/> Geſellſchaft ſich ausbildet und erſtarkt. Orientaliſche Litteratur iſt in den<lb/> Vereinigten Staaten noch etwas ſehr neues; es wird viel Hebräiſch in den<lb/> Seminarien und Gymnaſien gelehrt in denen Theologen erzogen werden,<lb/> aber auch darin haben ſich die Amerikaner bisher faſt damit begnügt<lb/> deutſche Arbeiten zu überſetzen, und einige Gelehrte haben ſich dadurch<lb/> einen localen amerikaniſchen Ruhm gemacht, der aber wohl ſchwerlich in<lb/> Europa viel Nachklang haben wird. Der ausgezeichnetſte der bibliſchen<lb/> Gelehrten in den Vereinigten Staaten iſt Profeſſor Robinſon, den ſeine<lb/> Reiſen in Paläſtina auch in Deutſchland bekannt gemacht haben. Die<lb/> übrigen orientaliſchen Sprachen ſind bis jetzt wenig ſtudirt, einige Ame-<lb/> rikaner, wie z. B. E. Salisbury, haben in Paris orientaliſche Curſe mit<lb/> gutem Erfolg beſucht, aber es fehlt noch an einem Publicum, an Biblio-<lb/> theken, an Druckereien, an gelehrten Anſtalten deren Lehrer nicht mit<lb/> Lehrpflichten überhäuft wären, kurz an dem ganzen Humus in welchem<lb/> allein ein Studium dieſer Art gedeihen kann und den nur der Lauf der<lb/> Zeit in einem Land nach und nach hervorbringt. Das kaufmänniſche<lb/> Leben, die Unſicherheit und übermäßige Beſchäftigung geiſtlicher Stellen,<lb/> der Mangel an reichen Leuten die eine gelehrte oder wenigſtens liberale<lb/> Erziehung genoſſen und freie Zeit für Studien haben, die Geld koſten und<lb/> keines einbringen, ſind bis jetzt unüberſteigliche Hinderniſſe. Man hat<lb/> hier mehr und nähere Sorgen als ſich um das Alterthum und orientaliſche<lb/> Litteraturen viel zu bekümmern, und um die Sache nach einem ganz ame-<lb/> rikaniſchen Maßſtab zu bemeſſen, die Finanzen der orientaliſchen Geſell-<lb/> ſchaft, deren Einkünfte ſich nicht auf mehr als 300 Dollars jährlich be-<lb/> laufen, bezeugen hinlänglich wie neu die ganze Sache iſt. Aber man<lb/> muß deßwegen nicht daran verzweifeln daß auch ſolche Studien in einer<lb/> vielleicht nicht ſehr langen Zeit hier mit Auszeichnung betrieben werden,<lb/> der Ehrgeiz oder vielleicht die Eitelkeit der Amerikaner ſich in allem aus-<lb/> zuzeichnen, das ungemeſſene Lob das ſie jedem unter ſich ſpenden den ſie<lb/> in irgendetwas mit den Europäern in Vergleichung bringen können, und<lb/> die ungemeine Freigebigkeit der Kaufleute wenn ſie glauben durch ein großes<lb/> Geldopfer dem Ruhm ihres Landes ein neues Feld eröffnen zu können,<lb/> ſind gar keine verächtlichen Elemente für irgendein Studium das einmal<lb/> die öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen hat. Für orientaliſche<lb/> Litteratur werden die Amerikaner dabei in ihren Miſſionen eine große<lb/> Hülfe finden, da dieſe eine Menge Leute von Talent und Kenntniſſen<lb/> zählen, wahrſcheinlich mehr als die Miſſionen irgendeines andern Landes.<lb/> Perkins und der zu früh verſtorbene <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Grant bei den Neſtorianern in<lb/> Kurdiſtan, Dwight in Armenien, Stoddard in Perſien, Eli Smith in<lb/> Beiruth, Stevenſon in Bombay, Comſtock in Arracan, <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Bridgman<lb/> (der Herausgeber des <hi rendition="#aq">Chinese Repository</hi> und der chineſiſchen Chreſto-<lb/> mathie) und Wells Williams in Canton ſind wirklich gebildete wiſſen-<lb/> ſchaftliche Männer, die ſchon viel gethan haben und mehr verſprechen.<lb/> Die amerikaniſchen Miſſionen haben in Afrika 33, in Weſtaften 33, in<lb/> Indien 66, in Birma und Siam 29, in China 43 und in Oceanien 27<lb/> Miſſionen, und ſie beſitzen Druckereien für Sanskrit, Mahrattiſch, Tamu-<lb/> liſch, Ceyloneſiſch, Aſſamefiſch, Perſiſch, Birmaniſch, Siameſiſch, Chi-<lb/> neſiſch und Japaniſch. Wenn die Errichtung der orientaliſchen Geſell-<lb/> fchaft in Boſton keinen andern Vortheil hätte als daß ſie einen wiſſen-<lb/> ſchaftlichen Mittelpunkt für die Arbeiten dieſer Miſſionen gibt, ſo wäre<lb/> ihr Beſtehen ſchon hinlänglich gerechtfertigt, denn wenn dieſe einmal<lb/> wiſſen daß ſie hier ein Organ finden das ihre Arbeiten, inſofern ſie über<lb/> unmittelbare Miſſionszwecke hinausgehen, bekannt macht, ſo wird dieß<lb/> ein mächtiger Sporn für wiſſenſchaftliche Arbeiten bei ihnen werden. Es<lb/> fehlt den Miſſionären aller Länder ſehr an einer ſolchen Aufmunterung<lb/> für Benützung der mannichfachen Gelegenheiten die ſie haben Kenntniſſe<lb/> zu erwerben die allen übrigen Europäern zugänglich ſind. Sie haben<lb/> ſelten Zeit regelmäßige Bücher zu ſchreiben, aber alle haben Gelegenheit<lb/> Materialien zu ſammeln, und würden es thun wenn eine gelehrte Geſell-<lb/> ſchaft ſich die Mühe geben will ſich vor das Publicum zu legen. Die<lb/> Miſſionsgefellſchaften ſelbſt können dieß nicht wohl thun. Was ſie für<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [494/0014]
Die Ritriſche Bibliothek im brittiſchen Muſeum.
* Leipzig, Anfang Januars. So eben heimgekehrt von neuen For-
ſchungen auf den Bibliotheken zu Paris und zu London, beeile ich mich
Ihnen einige Nachrichten über die großen litterariſchen Schätze zu geben
die bekanntlich vor wenig Jahren das brittiſche Muſeum aus den kopti-
ſchen Klöſtern der Nitriſchen Wüſte gewonnen hat. Soviel ich weiß, hat
das deutſche Publicum bis jetzt nur wenig Andeutungen über dieſe koſt-
bare Bibliothek erhalten, und zwar noch mehr über die Art wie Dr. Tat-
tam die ſchwierige Erlangung derſelben gelungen iſt, als über ihren be-
deutungsvollen Inhalt. Die claſſiſche Litteratur wird in nächſter Zukunft
durch die Herausgabe des Homeriſchen Palimpſeſten bereichert werden.
Es haben ſich nämlich in einem ſyriſch-griechiſchen Palimpſeſten nicht we-
niger als viertauſend Verſe der Iliade vorgefunden, die allem Anſchein
nach im fünften Jahrhundert geſchrieben ſind, während mit Ausnahme
geringer Fragmente kein anderes bekanntes Document für den Text des
Homer über das zehnte Jahrhundert hinaufreicht. Die Herausgabe ſelbſt,
unter den Händen Curetons, des neuernannten Domherrn vom Weſtmin-
ſter, wird des brittiſchen Muſeums, auf deſſen Koſten ſie geſchieht, voll-
kommen würdig ſeyn. Sechs Blätter werden als Facſimile ausgeführt,
deren jedes dem Pariſer Künſtler Lepelle mit hundert Pfund Sterling
bezahlt wird. Was bereits davon fertig iſt, iſt in hohem Grade gelungen.
Aber weit mehr als der claſſiſchen, gehört dieſe Nitriſche Bibliothek der
chriſtlichen Litteratur an. Für den ſyriſchen Text der geſammten Bibel
enthält ſie eine ſehr große Anzahl Manuſeripte, zum Theil vom höchſten
Alter. Die Akademie in Oxford wird zunächſt das Alte Teſtament daraus
nach Curetons Bearbeitung veröffentlichen. Für das Neue Teſtament
ſtehen größere Arbeiten von Tregelles zu erwarten; und Cureton hat be-
reits das merkwürdigſte der evangeliſchen Manuſeripte zum Abdruck ge-
bracht und zu baldiger Herausgabe mit gelehrtem Commentar beſtimmt.
Dieſe Evangelienhandſchrift, ausdrücklich datirt aus dem vierten Jahr-
hundert, bietet einen Text des Matthäus dar der ſich von allen bekannten
Texten weſentlich unterſcheidet, und der beſonders durch ſein eige thüm-
liches Verhältniß zu Lucas auf die Vermuthung einer directen Ableitung
aus dem hebräiſchen Evangelium des Matthäus führt. Wer es weiß daß
dieſer hebräiſche Matthäus ſchon im früheſten Alterthum verſchwunden
iſt, von den meiſten Forſchern in der Kirche ſeit dem zweiten Jahrhundert
angenommen, jedoch auch von einzelnen, beſonders in neuerer Zeit, be-
zweifelt oder geläugnet worden iſt, daß viele gelehrte Theorien über den
Urſprung und das gegenſeitige Verhältniß unſerer ſynoptiſchen Evange-
lien mit dieſer unbekannten Größe aufs engſte zuſammenhängen, daß
unter anderm Papſt Nikolaus, nach dem Fall des griechiſchen Kaiſerthums,
einen Preis von fünftauſend Scudi auf die Entdeckung dieſes Evange-
liums geſetzt hat, der wird das außerordentliche Intereſſe begreifen das
ſich an dieſen ſyriſchen Fund knüpft. Von den anderen bibliſchen Hand-
ſchriften verdienen noch zwei eine beſondere Hervorhebung; es ſind zwei
Palimpſeſte, von denen der eine einen griechiſchen Text des Lucas aus
dem ſechsten Jahrhundert, der andere um hundert Jahre jüngere Frag-
mente aus den vier Evangelien oder vielmehr aus einem Evangeliſtarium
enthält. Was ich in beiden geleſen, werde ich bald bekannt machen; doch
wird wahrſcheinlich Cureton beiden Palimpſeſten umfaſſendere Arbeiten
widmen.
Außer der h. Schrift ſelbſt iſt es die Litteratur der erſten chriſtlichen
Jahrhunderte, über deren gefeiertſte Namen die Nitriſche Bibliothek zu
London neues Licht verbreitet. Zweierlei davon iſt bereits aus der Preſſe
hervorgegangen nach der verdienſtvollen Bearbeitung Curetons: 1) die
Briefe des Ignatius nach einer neuen und zwar ſolchen Textrecenſion die
der Originalſchrift des großen Schülers des Johannes am nächſten zu
ſtehen ſcheint, worüber auch Bunſen gelehrt und ſcharfſinnig geſchrieben;
2) die faſt gänzlich verloren geweſenen Feſtbriefe des Athanaſius. Von
dem aber was der Bearbeitung und Veröffentlichung erſt noch entgegen-
ſieht, erwähne ich vorzugsweiſe daß ſich verloren geglaubte Schriften oder
Schriftfragmente vom Gnoſtiker Bardeſanes, von Melito von Sardes,
von Irenäus, von Hippolytus, von Titus von Boſtra vorgefunden haben,
ſowie ein ſyriſcher Text der Recognitionen des Clemens. Dieſer letztere
iſt vom höchſten Intereſſe, da der griechiſche Originaltext dieſer merkwür-
digen Schrift längſt verloren gegangen, die lateiniſche Ueberſetzung Ru-
fins aber, nach ſeinem eigenen Geſtändniß, keineswegs treu und vollſtän-
dig iſt. Die entdeckte ſyriſche Verſion beanſprucht um ſo höhere Autorität,
da ſie ſogar nach dem Datum der Handſchrift über die Zeit Rufins’ hin-
aufreicht, und alſo ohne Zweifel aus der urſprünglichen Schrift des Cle-
mens hergefloſſen iſt. Ihre eigene Stellung zwiſchen beiden Ueberſetzun-
gen der Recognitionen, der ſyriſchen und der lateiniſchen, werden die
Fragmente einnehmen die ich vom griechiſchen Originaltext ſelber unlängſt
aufgefunden habe. Schließlich mache ich noch auf das hohe Gewicht auf-
merkſam welches die Nitriſchen Manuſcripte zu London nicht nur für die
ſyriſche, ſondern auch, was noch viel mehr iſt, für die griechiſche Paläo-
graphie haben. Es finden ſich nämlich unter den ſyriſchen Manuſcripten
von ſehr hohem Datum mehrere die mit griechiſchen Randnoten ausge-
ſtattet ſind, z. B. eine Ueberſetzung des Epiphanius von den Häreſien vom
Jahr 561. Somit iſt ein ſicherer Anhaltspunkt dafür gewonnen wie man
in Syrien in den betreffenden Jahrhunderten den griechiſchen Schriftcha-
rakter handhabte. C. Tiſchendorf.
Orientaliſche Geſellſchaft von Boſton.
** New-York, 15 Dec. Die amerikaniſche orientaliſche Geſell-
ſchaft in Boſton hat das vierte Heft ihrer Arbeiten herausgegeben, es iſt
bogenreicher und namhaft beſſer als die früheren, und läßt hoffen daß die
Geſellſchaft ſich ausbildet und erſtarkt. Orientaliſche Litteratur iſt in den
Vereinigten Staaten noch etwas ſehr neues; es wird viel Hebräiſch in den
Seminarien und Gymnaſien gelehrt in denen Theologen erzogen werden,
aber auch darin haben ſich die Amerikaner bisher faſt damit begnügt
deutſche Arbeiten zu überſetzen, und einige Gelehrte haben ſich dadurch
einen localen amerikaniſchen Ruhm gemacht, der aber wohl ſchwerlich in
Europa viel Nachklang haben wird. Der ausgezeichnetſte der bibliſchen
Gelehrten in den Vereinigten Staaten iſt Profeſſor Robinſon, den ſeine
Reiſen in Paläſtina auch in Deutſchland bekannt gemacht haben. Die
übrigen orientaliſchen Sprachen ſind bis jetzt wenig ſtudirt, einige Ame-
rikaner, wie z. B. E. Salisbury, haben in Paris orientaliſche Curſe mit
gutem Erfolg beſucht, aber es fehlt noch an einem Publicum, an Biblio-
theken, an Druckereien, an gelehrten Anſtalten deren Lehrer nicht mit
Lehrpflichten überhäuft wären, kurz an dem ganzen Humus in welchem
allein ein Studium dieſer Art gedeihen kann und den nur der Lauf der
Zeit in einem Land nach und nach hervorbringt. Das kaufmänniſche
Leben, die Unſicherheit und übermäßige Beſchäftigung geiſtlicher Stellen,
der Mangel an reichen Leuten die eine gelehrte oder wenigſtens liberale
Erziehung genoſſen und freie Zeit für Studien haben, die Geld koſten und
keines einbringen, ſind bis jetzt unüberſteigliche Hinderniſſe. Man hat
hier mehr und nähere Sorgen als ſich um das Alterthum und orientaliſche
Litteraturen viel zu bekümmern, und um die Sache nach einem ganz ame-
rikaniſchen Maßſtab zu bemeſſen, die Finanzen der orientaliſchen Geſell-
ſchaft, deren Einkünfte ſich nicht auf mehr als 300 Dollars jährlich be-
laufen, bezeugen hinlänglich wie neu die ganze Sache iſt. Aber man
muß deßwegen nicht daran verzweifeln daß auch ſolche Studien in einer
vielleicht nicht ſehr langen Zeit hier mit Auszeichnung betrieben werden,
der Ehrgeiz oder vielleicht die Eitelkeit der Amerikaner ſich in allem aus-
zuzeichnen, das ungemeſſene Lob das ſie jedem unter ſich ſpenden den ſie
in irgendetwas mit den Europäern in Vergleichung bringen können, und
die ungemeine Freigebigkeit der Kaufleute wenn ſie glauben durch ein großes
Geldopfer dem Ruhm ihres Landes ein neues Feld eröffnen zu können,
ſind gar keine verächtlichen Elemente für irgendein Studium das einmal
die öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen hat. Für orientaliſche
Litteratur werden die Amerikaner dabei in ihren Miſſionen eine große
Hülfe finden, da dieſe eine Menge Leute von Talent und Kenntniſſen
zählen, wahrſcheinlich mehr als die Miſſionen irgendeines andern Landes.
Perkins und der zu früh verſtorbene Dr. Grant bei den Neſtorianern in
Kurdiſtan, Dwight in Armenien, Stoddard in Perſien, Eli Smith in
Beiruth, Stevenſon in Bombay, Comſtock in Arracan, Dr. Bridgman
(der Herausgeber des Chinese Repository und der chineſiſchen Chreſto-
mathie) und Wells Williams in Canton ſind wirklich gebildete wiſſen-
ſchaftliche Männer, die ſchon viel gethan haben und mehr verſprechen.
Die amerikaniſchen Miſſionen haben in Afrika 33, in Weſtaften 33, in
Indien 66, in Birma und Siam 29, in China 43 und in Oceanien 27
Miſſionen, und ſie beſitzen Druckereien für Sanskrit, Mahrattiſch, Tamu-
liſch, Ceyloneſiſch, Aſſamefiſch, Perſiſch, Birmaniſch, Siameſiſch, Chi-
neſiſch und Japaniſch. Wenn die Errichtung der orientaliſchen Geſell-
fchaft in Boſton keinen andern Vortheil hätte als daß ſie einen wiſſen-
ſchaftlichen Mittelpunkt für die Arbeiten dieſer Miſſionen gibt, ſo wäre
ihr Beſtehen ſchon hinlänglich gerechtfertigt, denn wenn dieſe einmal
wiſſen daß ſie hier ein Organ finden das ihre Arbeiten, inſofern ſie über
unmittelbare Miſſionszwecke hinausgehen, bekannt macht, ſo wird dieß
ein mächtiger Sporn für wiſſenſchaftliche Arbeiten bei ihnen werden. Es
fehlt den Miſſionären aller Länder ſehr an einer ſolchen Aufmunterung
für Benützung der mannichfachen Gelegenheiten die ſie haben Kenntniſſe
zu erwerben die allen übrigen Europäern zugänglich ſind. Sie haben
ſelten Zeit regelmäßige Bücher zu ſchreiben, aber alle haben Gelegenheit
Materialien zu ſammeln, und würden es thun wenn eine gelehrte Geſell-
ſchaft ſich die Mühe geben will ſich vor das Publicum zu legen. Die
Miſſionsgefellſchaften ſelbſt können dieß nicht wohl thun. Was ſie für
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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