Allgemeine Zeitung, Nr. 335, 3. Dezember 1890.München, Mittwoch Allgemeine Beitung 3. December 1890. Morgenblatt Nr. 335. [Spaltenumbruch] Deutsches Reich. und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat, Bei der Feier vor dem Denkmal des Großen Kur- * Berlin, 1. Dec. Die Aeußerungen des Kaisers über die Der Centralverein für Hebung der deutschen Fluß- und Der Bischof von Münster, Dr. Hermann Dingelstadt, * Die "Deutsche Revue" veröffentlicht in einer Biographie "Berlin, 19. 6. 66. Aus Ihrem Schweigen während des Das Entlassungsgesuch wurde natürlich nicht abgesandt. Oesterreich-Ungarn. [] Pest, 30. Nov. Die Budgetdebatte ist noch nicht zu Serbien. x Belgrad, 29. Nov. Der heute von der Skupschtina "Mit großer Befriedigung hat die nationale der ganze Passus ist aber lediglich eine Paraphrase der Thronrede. -- Feuilleton. Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erst auf Die beliebten Symphonie-Abende der Königlichen Capelle Die altbewährte Singakademie, der älteste und ehr- Von Solistenconcerten ist an erster Stelle ein Liederabend Natürlich fehlt es der Saison auch nicht an einem neuen München, Mittwoch Allgemeine Beitung 3. December 1890. Morgenblatt Nr. 335. [Spaltenumbruch] Deutſches Reich. und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat, Bei der Feier vor dem Denkmal des Großen Kur- * Berlin, 1. Dec. Die Aeußerungen des Kaiſers über die Der Centralverein für Hebung der deutſchen Fluß- und Der Biſchof von Münſter, Dr. Hermann Dingelſtadt, * Die „Deutſche Revue“ veröffentlicht in einer Biographie „Berlin, 19. 6. 66. Aus Ihrem Schweigen während des Das Entlaſſungsgeſuch wurde natürlich nicht abgeſandt. Oeſterreich-Ungarn. [] Peſt, 30. Nov. Die Budgetdebatte iſt noch nicht zu Serbien. × Belgrad, 29. Nov. Der heute von der Skupſchtina „Mit großer Befriedigung hat die nationale der ganze Paſſus iſt aber lediglich eine Paraphraſe der Thronrede. — Feuilleton. Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erſt auf Die beliebten Symphonie-Abende der Königlichen Capelle Die altbewährte Singakademie, der älteſte und ehr- Von Soliſtenconcerten iſt an erſter Stelle ein Liederabend Natürlich fehlt es der Saiſon auch nicht an einem neuen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Mittwoch Allgemeine Beitung</hi> 3. December 1890. <hi rendition="#b">Morgenblatt Nr.</hi> 335.</fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> </head> <div xml:id="a01b" prev="#a01a" type="jArticle" n="3"> <p>und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat,<lb/> das iſt die Baſis geweſen, auf der unſer Reich auf-<lb/> erſtanden iſt. Wahrlich mit Recht hat der große König<lb/> geſagt, als er am Sarge dieſes hohen Fürſten ſtand: <cit><quote>’Für-<lb/> wahr, der Mann hat viel gethan!’ Ja, Meine Herren, Ich<lb/> kann nur wiederholen, was Ich heute früh ſagte, und was<lb/> auch Ihnen, den Vertretern des Regiments des Großen Kur-<lb/> fürſten, gilt: Wir wollen fortfahren feſtzuhalten an der Gottes-<lb/> furcht, Treue, Hingebung und am Gehorſam! Ich erhebe Mein<lb/> Glas und trinke es auf das Wohl Brandenburg-Preußens:<lb/> Hurrah! — Hurrah! — Hurrah!“</quote></cit></p><lb/> <p>Bei der Feier <hi rendition="#g">vor dem Denkmal des Großen Kur-<lb/> fürſten</hi> hielt der <hi rendition="#g">Kaiſer</hi> an die Truppen folgende Anſprache:<lb/><cit><quote>„Cameraden! Wir feiern das Andenken der 250jährigen Thron-<lb/> beſteigung Meines großen Ahnherrn, des Großen Kurſürſten. Er<lb/> war es, der den erſten Grundſtein zur Feſtigung des Kurfürſten-<lb/> thums Brandenburg gelegt hat, aus dem demnächſt das Königreich<lb/> Preußen und ſchließlich das deutſche Kaiſerthum hervorging. Er<lb/> gründete ſich ein neues Heer, in dem Gottesfurcht, Treue, un-<lb/> bedingter Gehorſam und unentwegtes Zuſammenhalten herrſch-<lb/> ten. Wir Brandenburger wiſſen, was er in der Schlacht von<lb/> Fehrbellin unter Einſetzung ſeiner Perſönlichkeit geleiſtet hat.<lb/> Auch ſeine Thaten auf dem Felde des Friedens, wodurch er<lb/> ſeinen Staat ſtärkte, ſind von der Geſchichte unvergeſſen. Im<lb/> Andenken an die Thaten des Großen Kurfürſten rufen wir<lb/> auf das Wohl Brandenburgs, Preußens und Deutſchlands ein<lb/> dreimaliges Hurrah!“</quote></cit></p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 1. Dec.</dateline><lb/> <p>Die Aeußerungen des Kaiſers über die<lb/> Nothwendigkeit der Förderung des Baues von <hi rendition="#g">Canälen</hi> beginnt<lb/> bereits Früchte zu tragen. Der hannoverſche Landesdirector Frhr.<lb/> v. Hammerſtein, der ſich wiederholt öffentlich darüber beklagt hat,<lb/> daß er nicht zu einer Audienz beim Arbeitsminiſter wegen des<lb/><hi rendition="#g">Rhein-Weſer-Ems-Canals</hi> gelangen könne, hat dieſer Tage<lb/> eine Audienz wegen dieſer Angelegenheit bei Hrn. v. Maybach ge-<lb/> habt. Der Miniſter hat ſich bei dieſer Gelegenheit, wie ſchon tele-<lb/> graphiſch in Kürze gemeldet worden, dahin ausgeſprochen, daß er<lb/> keineswegs Gegner des Mittellandcanals (Bevergern-Minden-<lb/> Hannover-Wolmirſtedt) ſei, denſelben vielmehr für ein dringend<lb/> nothwendiges Werk halte, welches den Eiſenbahnen keine Con-<lb/> currenz machen, dieſelben vielmehr entlaſten werde. Als vor<lb/> Jahren der Küſtencanal (Oldenburg-Vegeſack-Stade) den Vorzug<lb/> erhalten habe, ſei dies aus militäriſchen Gründen geſchehen; man<lb/> habe eine binnenländiſche Waſſerverbindung zwiſchen Wilhelms-<lb/> haven und dem Nordſee-Caual zu ſchaffen gewünſcht. Nachdem<lb/> nun aber Helgoland erworben, ſei dieſer Grund weggefallen.<lb/> Wenn die Canalvereine dem Miniſterium die geſammelten Gelder<lb/> für die Vorarbeiten geben wollen — es ſind zu dieſem Zwecke<lb/> bekanntlich 55,000 M. beiſammen — ſo werde er die Sache mit<lb/> allen Kräften fördern und hoffentlich bald zu einem endgültigen<lb/> Project ausgeſtalten können. — Am 4. December ſoll in Hannover<lb/> eine Verſammlung der Canalvorſtände ſtattfinden.</p><lb/> <p>Der Centralverein für Hebung der deutſchen Fluß- und<lb/> Canalſchifffahrt wird ſich in ſeiner am 17. December d. J. ſtatt-<lb/> findenden Sitzung mit der Frage der <hi rendition="#g">Canaliſirung der<lb/> Moſel</hi> beſchäftigen. Der Vericht ruht in den Händen des Re-<lb/> gierungsbaumeiſters Haveſtedt-Berlin. Stadtbaurath Frühling-<lb/> Königsberg wird in derſelben Sitzung über den Maſuriſchen Canal<lb/> ſprechen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Der <hi rendition="#g">Biſchof von Münſter,</hi> <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Hermann <hi rendition="#g">Dingelſtadt,</hi><lb/> hat an ſeinen Diöceſanklerus einen eindringlichen Erlaß zur Be-<lb/> kämpfung der <hi rendition="#g">Socialdemokratie</hi> gerichtet. Die Seelforger<lb/> des Bisthums werden „zu einer ganz ausnehmenden Wachſamkeit<lb/> und zu geſteigerter Vorſicht“ ermahnt. Der Biſchof empfiehlt den-<lb/> ſelben das Studium der ſocialiſtiſchen Lehren und der bezeichnend-<lb/> ſten Auslaſſungen der ſocialdemokratiſchen Führer, damit ſie jeder-<lb/> zeit im Stande ſeien, die wahren Ziele ſocialiſtiſcher Agitationen<lb/> ebenſo klar wie beſtimmt darzulegen und den Widerſtreit ihrer<lb/> Forderungen mit den chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehren, ſowie<lb/> die Undurchſührbarkeit derſelben zu beleuchten. Ferner wird den<lb/> Geiſtlichen empfohlen, die Verbreitung klar gefaßter und gemein-<lb/> verſtändlicher Flugſchriften über denſelben Gegenſtand ſich angelegen<lb/> ſein zu laſſen. Als beſonders geeignet wird für den erſten Zweck<lb/> die Schrift „Der Socialismus“ von Victor Cathrein, für den letz-<lb/> teren das Werkchen „Der Socialdemokrat kommt! Ein Warnungs-<lb/> ruf von einem alten Dorfpfarrer“, genannt. Zum Schluß werden<lb/> die Geiſtlichen gebeten, die öffentlichen Verſammlungen der Social-<lb/> demokraten, wo es angeht, ſelbſt zu beſuchen und darauf hinzu-<lb/> wirken, daß ein möglichſt zahlreicher Beſuch auch von Seiten der<lb/> gutgeſinnten Gemeinde-Eingeſeſſenen und namentlich ſolcher ſtatt-<lb/><cb/> finde, welche auf die Vorträge der Anſtifter in klaren Widerlegungen<lb/> zu erwidern vermögen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>* Die „Deutſche Revue“ veröffentlicht in einer Biographie<lb/> des verſtorbenen Kriegsminiſters v. <hi rendition="#g">Roon</hi> verſchiedene inter-<lb/> eſſante Schriftſtücke, darunter in dem neueſten Heft ein Schrei-<lb/> ben des <hi rendition="#g">Kaiſers Wilhelm,</hi> durch welches dieſer eine Dif-<lb/> ferenz mit ſeinem Kriegsminiſter beilegte und das für den Edel-<lb/> ſinn des Monarchen ſehr charakteriſtiſch iſt. In einer am<lb/> 19. Juni 1866 abgehaltenen Conferenz kam, nach Roons darüber<lb/> gemachten Notizen — die künftige Verwendung der in der<lb/> Formation begriffenen vierten <hi rendition="#g">Bataillone</hi> zur Sprache. Die<lb/> Erörterung war lebhaſt und der König wies den bezüglichen<lb/> Vorſchlag Roons mit ungeduldigen Aeußerungen zurück, durch<lb/> welche dieſer ſo verletzt wurde, daß er ſich weiterer Rathſchläge<lb/> enthielt und gleich nachher an Bismarck die Mittheilung machte:<lb/> „Ich fordere noch heute meine Verabſchiedung als Miniſter, ich<lb/> laſſe mich nicht ſo ...... behandeln.“ Auf der Stelle ant-<lb/> wortete ihm <hi rendition="#g">Bismarck:</hi> „Thun Sie nichts Naſches, mein<lb/> Herzensfreund, in übler Lage! Der König iſt im Begriff,<lb/> Ihnen zu ſchreiben. Er hat ſich, wie es ſcheint, geärgert, weil<lb/> Sie boudirten oder ſo ſchienen. Ihr v. B.“ Während Roon<lb/> dennoch ſein Geſuch ſchrieb (in welchem er um eine andere,<lb/> „wenn auch untergeordnete Verwendung vor dem Feinde“ bitten<lb/> wollte), war in der That das <hi rendition="#g">königliche Handſchreiben</hi><lb/> ſchon unterwegs. Es lautete:</p><lb/> <cit> <quote>„<date>Berlin, 19. 6. 66.</date> Aus Ihrem Schweigen während des<lb/> zweiten Theiles der heutigen Berathung muß Ich leider entnehmen,<lb/> daß Sie ſich verſtimmt fühlten über Meine gereizten nervöſen<lb/> Aeußerungen. Wenn Ich Sie damit verletzt habe, ſo war dies<lb/> natürlich nie Meine Abſicht, da Ich Ihnen zu unendlich viel ver-<lb/> danke! und thut Mir dies aufrichtig leid und bitte Ich von Herzen<lb/> dieſerhalb um Vergebung. Um ſo mehr verwunderte Mich Ihr<lb/> Schweigen, da wir über die Sache, die Formationen <hi rendition="#aq">quest.</hi> einig<lb/> ſind, und nur nicht über die Verwendung derſelben, die Mir ſebr<lb/> bedenklich erſcheint. Doch bis dahin iſt noch Zeit, um zu berathen<lb/> und zu überlegen. Sie wiſſen es ebenſo gut wie Ich, was Nervo-<lb/> ſität iſt, alſo haben Sie Nachſicht mit Mir! denn Meine Nerven<lb/> ſind ſeit 3 Wochen hallaly! Ihr dankbarſt ergebener <hi rendition="#g">Wilhelm</hi>.“</quote> </cit><lb/> <p>Das Entlaſſungsgeſuch wurde natürlich nicht abgeſandt.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Oeſterreich-Ungarn.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"><lb/> <dateline><supplied>&#xfffc;</supplied><hi rendition="#b">Peſt,</hi> 30. Nov.</dateline><lb/> <p>Die Budgetdebatte iſt noch nicht zu<lb/> Ende, noch ſind das Juſtiz- und Landesvertheidigungsminiſterium<lb/> zu verhandeln; ſchon aber kann das Cabinet Szap<hi rendition="#aq">á</hi>ry die<lb/> Bilanz ziehen, und fürwahr, dieſelbe wird nicht zu Ungunſten<lb/> der Regierung ausfallen. Die parlamentariſchen Geſchehniſſe<lb/> der jüngſten Wochen haben in erſter Reihe ein Reſultat zu Tage<lb/> gefördert, das eigentlich gar nicht beabſichtigt geweſen, heute<lb/> jedoch, da es exiſtirt, die Stellung des gegenwärtigen Cabinets<lb/> in ungeahntem Maße befeſtigt hat. Es zeigte ſich nämlich,<lb/> daß an der Spitze der einzelnen Reſſorts Männer ſtehen, die<lb/> nicht nur in Ermangelung beſſerer Kräfte ſchlecht und recht ihr<lb/> Amt zu verwalten wiſſen und von heute auf morgen interi-<lb/> miſtiſch als brauchbare Nothbehelfe zu verwenden ſind, ſondern<lb/> daß ſie durch ihre ſelbſt- und zielbewußte Politik, vermöge ihrer<lb/> geiſtigen Capacität und Charakterſtärke in allen Verhältniſſen<lb/> ihren Mann zu ſtellen vermögen. Diejenigen, die das Cabinet<lb/> Szar<hi rendition="#aq">á</hi>ry nur für ein Uebergangsminiſterium hielten, haben im<lb/> Laufe der Budgetdebatte die Erfahrung machen können, daß<lb/> dieſes Cabinet alle Erforderniſſe der Dauerhaftigkeit in ſich<lb/> trägt. Und das ſcheint uns das wichtigſte Moment zu ſein,<lb/> das ſich aus dieſer Debatte ergeben. In allen auftauchenden<lb/> Fragen zeigte ſich nicht nur die einmüthigſte Solidarität unter<lb/> den Mitgliedern der Regierung; es erwies ſich auch, daß hier<lb/> nach einem einheitlichen Programme vorgegangen wird, über deſſen<lb/> einzelne Punkte völlige Klarheit herrſcht, und daß der feſte Wille be-<lb/> ſteht, dieſes Programm mit aller Energie, aber dabei doch mit kluger<lb/> Vorſicht, ohne Ueberſtürzung und mit möglichſter Schonung<lb/> des Beſtehenden durchzuführen. Am meiſten trug zu den<lb/> Siegen des Cabinets der Cultus- und Unterrichtsminiſter Graf<lb/> Albin Cſ<hi rendition="#aq">á</hi>ky bei, dem die Verhandlungen betreffend die Weg-<lb/> taufungsfrage reichliche Gelegenheit boten, nicht nur ſeine ora-<lb/> toriſchen Talente zu bekunden, ſondern auch einen ſo tiefen<lb/> ſtaatsmänniſchen Sinn und ſolch unerſchütterliche Charakter-<lb/> feſtigkeit zu zeigen, daß ſein Auftreten und Eingreifen in die<lb/> Debatte jedesmal geradezu imponirend wirkte und ihn von<lb/> Triumph zu Triumph führte. Knapp vor dem Beginn dieſer<lb/> Verhandlungen haben wir an dieſer Stelle eine Darſtellung<lb/> des gegenwärtigen Standes der Wegtaufungsfrage gegeben;<lb/><cb/> an dieſem Stande iſt im Laufe der Debatte wenig geändert<lb/> worden; die Frage ſelbſt iſt in kein neues Stadium getreten;<lb/> aber ſie iſt doch mit dem bedeutſamen Ergebniſſe abgeſchloſſen<lb/> worden, daß an der Spitze des Cultusreſſorts ein Mann ſteht,<lb/> der gegenüber dem Andrängen der confeſſionellen und politiſchen<lb/> Extremen unverrückt den Standpunkt des ausſchließlich <hi rendition="#g">ſtaat-<lb/> lichen</hi> Intereſſes im Auge behält, der unbeirrt von dem mäch-<lb/> tigen Einfluſſe des Klerus einzig und allein den Anforderungen<lb/> des <hi rendition="#g">Staates</hi> Genüge zu leiſten beſtrebt iſt. Dieſes zweite<lb/> Reſultat der Budgetdebatte fällt nicht minder ſchwer zu Gunſten<lb/> der Regierung in die Wagſchale, als das Zeugniß ihrer Dauer-<lb/> haſtigkeit.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Serbien.</hi> </head><lb/> <div xml:id="a03a" next="#a03b" type="jArticle" n="3"> <dateline>× <hi rendition="#b">Belgrad,</hi> 29. Nov.</dateline><lb/> <p>Der heute von der Skupſchtina<lb/> angenommene <hi rendition="#g">Adreßentwurf</hi> der radicalen Majorität ſchließt<lb/> ſich in den Fragen der <hi rendition="#g">innern Politik</hi> vollkommen<lb/> den in der Thronrede entwickelten Geſichtspunkten an und<lb/> ſagt dann wörtlich: <floatingText><body><div n="1"><p>„Mit großer Befriedigung hat die nationale<lb/> Volksverſammlung vernommen, daß unſre Beziehungen zu allen<lb/> Staaten befriedigend und freundſchaftlich ſind, weil ſie es voll-<lb/> kommen zu würdigen weiß, wie werthvoll dieſe guten Beziehungen<lb/> in dem heute ſo ſehr entwickelten internationalen Verkehre ſind,<lb/> beſonders aber für einen Staat, der, wie der unſre, mit ſeiner innern<lb/> politiſchen und ökonomiſchen Umgeſtaltung und mit ſeiner finan-<lb/> ziellen Conſolidirung beſchäftigt iſt. Noch größer iſt die Befriedi-<lb/> gung der nationalen Volksverſammlung darüber, daß die nationale<lb/> Politik, die den Traditionen und Beſtrebungen der Nation ent-<lb/> ſpricht, bei den großen europäiſchen Staaten Vertrauen und freund-<lb/> ſchaftliches Wohlwollen findet. Indem die nationale Volksverſamm-<lb/> lung für dieſe wohlwollende Geſinnung den Mächten ihren Dank<lb/> auspricht, erachtet ſie es für ihre Pflicht, auch bei dieſem feierlichen<lb/> Anlaſſe die ſtete <hi rendition="#g">tiefe Erkenntlichkeit des ſerbiſchen<lb/> Volkes dem erhabenen Kaiſer des uns brüderlichen<lb/> ruſſiſchen Volkes</hi> auszudrücken, der, wie immer, ſo auch in neueſter<lb/> Zeit, dem Königreich Serbien und dem ſerbiſchen Volke beſondere<lb/> Beweiſe ſeines Wohlwollens gegeben hat; dies iſt uns eine mächtige<lb/> und ſichere Bürgſchaft, daß die Bande aufrichtiger Freundſchaft<lb/> zwiſchen dem ruſſiſchen und ſerbiſchen Volke ſich dauernd erhalten<lb/> werden. Die nationale Volksverſammlung bedauert es, daß ſie<lb/> gelegentlich dieſer Verſicherungen ihrer Befriedigung auch des<lb/> ſchweren Eindruckes gedenken muß, welchen auf das ſerbiſche Volk<lb/> gewiſſe Ereigniſſe und Erſcheinungen hervorgerufen haben, welche<lb/> die internationalen Intereſſen und die Würde unſres Staates be-<lb/> rühren. Zu dieſen Ereigniſſen gehört vor allem die meuchleriſche<lb/> Ermordung unſeres Viceconſuls in Priſtina, welche die Gefühle des<lb/> ſerbiſchen Volkes, das ſtets zu allen Opfern bereit iſt, wenn es<lb/> die nationale Ehre und die Würde des Staates zu wahren gilt,<lb/> tief verletzt hat. Unter dem ſchweren Eindrucke dieſes Ereigniſſes,<lb/> zugleich auf die je beſſeren Beziehungen zu dem osmaniſchen Kaiſer-<lb/> reiche einen großen Werth legend, erwartet die nationale Volks-<lb/> vertretung, daß ſich je eher die Zuverſicht bewahrheite, daß dieſe<lb/> Frage bald im Einvernehmen mit der hohen Pforte aus-<lb/> getragen werde, und zwar auf eine ſolche Weiſe, die der<lb/> Würde der einen wie der andern Seite entſpricht und den<lb/> verletzten Gefühlen des ſerbiſchen Volkes Genugthuung gibt.<lb/> Die zweite unangenehme Erſcheinung auf dem Gebiete unſrer<lb/> internationalen Beziehungen beſtand in der Erſchwerung eines<lb/> Theiles unſrer Landesausfuhr in Folge der außerordentlichen Maß-<lb/> nahmen, die eine Zeit lang an unſrer Grenze angewendet wurden.<lb/> Die nationale Volksverſammlung freut ſich, daß es der Regierung<lb/> gelungen iſt, durch gegenſeitige Aufklärung und Verſtändigung<lb/> mit der benachbarten öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie die er-<lb/> wähnten Hinderniſſe zu beſeitigen und den vertragsmäßigen Zu-<lb/> ſtand wiederherzuſtellen. In vollſtändiger Würdigung der Noth-<lb/> wendigkeit guter und freundſchaftlicher Beziehungen zu dem großen<lb/> Nachbarſtaate erwartet die nationale Volksverſammlung, daß durch<lb/> loyales gegenſeitiges Entgegenkommen in Zukunft ſolche Vor-<lb/> kommniſſe vermieden werden; aber unter allen Umſtänden erachtet<lb/> ſie, daß die Regierung zugleich im Einvernehmen mit der nationalen<lb/> Volksvertretung zur Realiſirung aller Maßregeln ſchreiten ſoll,<lb/> welche nöthig ſind, damit uns eventuelle ähnliche Ereigniſſe nicht<lb/> überraſchen und unvorbereitet treffen können. Die nationale Volks-<lb/> verſammlung freut ſich, daß auch unſer Staat an dem culturellen<lb/> Werke, welches nach den Beſtimmungen des Berliner Vertrags<lb/> ſeitens der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie zur Regelung des<lb/> Eiſernen Thores in Angriff genommen wurde, mitzuwirken ver-<lb/> mochte.“</p></div></body></floatingText> Weiter bezieht ſich die Adreſſe auf die Balkanſtaaten,<lb/> der ganze Paſſus iſt aber lediglich eine Paraphraſe der Thronrede. —</p> </div> </div> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Feuilleton</hi>.</hi> </head><lb/> <div xml:id="a02b" prev="#a02a" type="jComment" n="2"> <p>Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erſt auf<lb/> der Bühne erzielen. Die Künſtlerin war bekanntlich als contract-<lb/> brüchig von den deutſchen Theaterdirectoren in die Acht erklärt,<lb/> wurde aber, ſo viel man hört, nach ihrer Rückkehr aus Amerika<lb/> durch kaiſerliche Huld begnadigt und wird hoffentlich bald<lb/> wieder auf unſern Bühnen erſcheinen. Bei dem Mangel an<lb/> wirklich hervorragenden Vertreterinnen des dramatiſchen Faches<lb/> kann dieſe Ausſicht nur mit Freuden begrüßt werden. Lobendes<lb/> iſt ferner über eine Novität zu ſagen, mit welcher ein junger,<lb/> aus Mannheim ſtammender Componiſt, <hi rendition="#g">Robert Kahn,</hi> bei<lb/> Bülow debütirte, der ſeine Studien bei Kiel und Herzogenberg<lb/> gemacht hat und ſchließlich noch einige Zeit bei Meiſter Jo-<lb/> hannes Brahms war. Bereits im vorigen Jahre brachte das<lb/> Joachim’ſche Quartett, das mit Recht ſehr wähleriſch in der<lb/> Aufführung moderner Werke iſt, ein Quartett von dieſem un-<lb/> gemein begabten Tonkünſtler. Auch fanden ſeitens des trefflichen<lb/> Hochſchulenchors ſchon mehrere ſeiner kleineren Chorwerke und<lb/> Lieder <hi rendition="#aq">a capella</hi> eine beachtenswerthe Aufſührung. Im dritten<lb/> Concert endlich hörten wir Schumanns Frühlings-Symphonie<lb/><hi rendition="#aq">B-dur,</hi> Beethovens achte, <hi rendition="#aq">F-dur,</hi> und eine neue norwegiſche<lb/> Rhapſodie von <hi rendition="#g">Johann Svendſen,</hi> die gegen dieſe Meiſter-<lb/> werke freilich einigermaßen abfiel. Der Soliſt dieſes Abends<lb/> war <hi rendition="#g">C<hi rendition="#aq">é</hi>ſar Thomſon,</hi> der mit vortrefflichen techniſchen<lb/> Mitteln Bruchs zweites Violinconcert vortrug.</p><lb/> <p>Die beliebten Symphonie-Abende der <hi rendition="#g">Königlichen Capelle</hi><lb/> zum Beſten ihres Wittwen- und Waiſenfonds im Opernhauſe<lb/> haben in ſo fern eine Aenderung erfahren, als ſie in Zukunft<lb/> nicht mehr im Foyer, ſondern im Theaterraum der Oper ſtatt-<lb/> finden. Die Einrichtung iſt derart getroffen, daß der eiſerne<lb/> Vorhang den ganzen Abend heruntergelaſſen bleibt, und daß<lb/> vor demſelben in gleicher Höhe der Bühne für die ſehr zahl-<lb/> reiche Capelle über dem gewöhnlichen, tiefliegenden Orcheſter-<lb/> raum ein Podium in das Proſcenium hineingebaut wird. Der<lb/> Anblick der rieſigen ſchwarzen Maſſe der eiſernen Wand war<lb/> freilich recht unſchön, und es dürfte wohl zeitgemäß ſein, ſolche<lb/> düſteren Ungethüme ein wenig durch möglichſt gute Malereien<lb/> zu verſchönern und aufzufriſchen, ſo daß ſie ſich dem übrigen<lb/> Schmucke eines Kunſttempels anpaſſen. Die Capelle felbſt zeigte<lb/> ſich ganz auf der Höhe ihres feſtbegründeten Nufes. Die Aus-<lb/> führung wechfelt je nach der individuellen Verſchiedenheit der<lb/> beiden Dirigenten, der Capellmeiſter Kahl und Sucher. Das<lb/> erſte Concert brachte am Geburtstage des Kaiſers Friedrich<lb/><cb/> Beethovens Eroica-Symphonie, deren Trauermarſch den Manen<lb/> des hohen Verſtorbenen galt, Schumanns <hi rendition="#aq">C-dur</hi>-Symphonie,<lb/> mehrere ſehr günſtig aufgenommene Geſangsvorträge der Frau<lb/><hi rendition="#g">Emilie Herzog</hi> und zum Andenken an den verſtorbenen, ſo<lb/> vielbeſprochenen Capellmeiſter Deppe eine Ouverture zu Körners<lb/> „Zriny“ von <hi rendition="#g">Ludwig Deppe,</hi> anerkennenswerthe, brave<lb/> Capellmeiſtermuſik, aber auch nicht mehr. Der zweite Abend<lb/> friſchte unter anderm die ſymphoniſche Dichtung „Taſſo“ von<lb/> Lifzt in einer ſehr ſchwungvollen Wiedergabe auf und erfreute<lb/> durch Schumanns Manfred-Muſik mit Declamation der Mit-<lb/> glieder des königlichen Schauſpielhauſes, Frl. Clara Meyer und<lb/> Hrn. Kahle.</p><lb/> <p>Die altbewährte <hi rendition="#g">Singakademie,</hi> der älteſte und ehr-<lb/> würdigſte Geſangverein, den Berlin beſitzt, der im Mai des<lb/> nächſten Jahres ſein hundertjähriges Stiftungsfeſt feiern wird,<lb/> für welches ſchon jetzt umfangreiche Vorbereitungen getroffen<lb/> werden, begann ihre Abonnementsconcerte mit Händels Ora-<lb/> torium „Salomo“. Es war erſt die fünfte Aufführung dieſes<lb/> 1749 entſtandenen Werkes während des langen Zeitraums<lb/> des Wirkens des Vereins, aber doch der vollgültige Beweis für<lb/> die Friſche der gewaltigen Händel’ſchen Kunſt. Neben den Chören<lb/> gibt es hier ſehr anziehende, zum Theil ziemlich opernmäßige<lb/> Arien und Concertnummern. Die Stimmung iſt vorwiegend<lb/> heiter und friedlich. Man verſpürt nichts von der trotzigen<lb/> Kraft und Ernſthaftigkeit mächtiger Völkerkämpfe wie im<lb/> „Meſſias“, „Joſua“ und „Iſrael“. Salomo erſcheint als der<lb/> jugendfriſche König, der von Glück und Glanz umſtrahlt iſt. Im<lb/> erſten Theile wird ſeine Macht und Größe im neuerbauten<lb/> Tempel geprieſen und die Liebe zu ſeiner tugendreichen Königin<lb/> geſchildert. Glanzſtellen ſind ein warmes herzliches Duett<lb/> und ein freilich etwas ſüßlicher Schlußchor voll Nachtigallen-<lb/> ſang und Blumenduſt, der zweite Theil veranſchaulicht den<lb/> Streit der beiden Frauen um ihr Kind und Salomo’s weiſes<lb/> Urtheil, wobei Gelegenheit zu trefflicher Charakteriſtik in<lb/> Chören, Duetten und Terzetten gegeben iſt. Der dritte Theil<lb/> bringt die Huldigung der Königin von Saba, einige conven-<lb/> tionelle Arien, dafür aber deſto ſchönere Chöre, namentlich den<lb/> kräftigen Kriegergeſang und den ergreifenden Chor von der<lb/> hoffnungsloſen Liebe Qual und Schmerz, wie ſie Tod und<lb/> Verzweiflung bringt. Die Chöre unter <hi rendition="#g">Martin Blumners</hi><lb/> Leitung gingen vortrefflich. Von den Soliſten waren nur<lb/> die beiden Damen hervorragend, namentlich Hermine Spies<lb/><cb/> als Salomo. Sie wußte wieder einmal ihre ſchöne Altſtimme<lb/> mit weiſer Mäßigung auf der Bahn claſſiſcher Auffaſſung zu<lb/> halten, und auch Fräulein Helene Oberbeck aus Dortmund<lb/> erfreute durch ernſtes künſtleriſches Streben.</p><lb/> <p>Von Soliſtenconcerten iſt an erſter Stelle ein Liederabend<lb/> von Frau <hi rendition="#g">Amalie Joachim</hi> hervorzuheben, ein Abend, den<lb/> man über allem Schönen und Schönſten, das der Winter<lb/> bringt, ſchwerlich vergeſſen kann. Bemerkenswerth war ferner<lb/> ein Concert von <hi rendition="#g">Lillian Sanderſon,</hi> welche unter anderm<lb/> fünf ſehr günſtig aufgenommene Stücke aus den Volks- und<lb/> Handwerkerliedern (<hi rendition="#aq">op.</hi> 49) von Auguſt Lungert ſang, von<lb/> denen ſich namentlich der „Schuhmacher“ als wirkſam erwies.<lb/> In einem Kirchenconcert erhielten die Damen v. <hi rendition="#g">Schelhorn</hi><lb/> und <hi rendition="#g">Schmidtlein</hi> mit Duetten von Clani und Pergoleſi ver-<lb/> dienten Beifall. <hi rendition="#g">Eugen Gura</hi> gab zwei gut beſuchte Lieder-<lb/> abende, und <hi rendition="#g">Eduard Feßler</hi> zeigte ſich als routinirter<lb/> Theaterſänger. Unter den Clavierſpielern ragte bisher unſtreitig<lb/> Profeſſor <hi rendition="#g">Heinrich Barth</hi> hervor, einer der zuverläſſigſten,<lb/> geſchulteſten und fleißigſten Virtuoſen der Neuzeit, der großen<lb/> Ernſt mit feinem Geſchmack verbindet, der mit männlicher Neife<lb/> die Technik beherrſcht wie Wenige. Einen guten Eindruck<lb/> hinterließ ferner der Pianiſt <hi rendition="#g">Paul Pabſt</hi> an zwei Clavier-<lb/> abenden, einmal mit Orcheſter, wenngleich das Publicum noch<lb/> nicht ſo zahlreich erſchienen war, wie er es verdiente. Der<lb/> bisher wenig bekannte Clavierkünſtler zeigte ſich in allen Sätteln<lb/> gerecht, in virtuoſenhaften ruſſiſchen Compoſitionen, wie in<lb/> ernſten ehrwürdigen Stücken von Bach und Händel, in der<lb/> tieſſinnigen <hi rendition="#aq">C-moll</hi>-Sonate <hi rendition="#aq">op.</hi> 111 von Beethoven, in den<lb/><hi rendition="#aq">Etudes symphoniques</hi> von Schumann und in der Inter-<lb/> pretation von Chopin’ſchen und Brahms’ſchen Werken.</p><lb/> <p>Natürlich fehlt es der Saiſon auch nicht an einem neuen<lb/> Wunderkinde: <hi rendition="#g">Otto Hegner,</hi> der bereits dreimal vor das<lb/> Publicum getreten iſt und trotz ſeiner dreizehn Jahre wie ein<lb/> Erwachſener das Beſte mit beſtem Geſchmack zu interpretiren verſteht.<lb/> Bach, Beethoven, Chopin, Lifzt, Mendelsſohn und — Hegner<lb/> (eine gutgearbeitete fünfſätzige Suite) waren die Autoren, die<lb/> er uns vorführte, in einer Weiſe, die ſeinem Lehrer Hans Huber<lb/> in Baſel Ehre machte, ihn ſelbſt aber im Zuſtande einer Reife,<lb/> Sicherheit und Vertrautheit mit den Geheimniſſen der Kunſt<lb/> zeigte, die manchen berühmten Meiſter beſchämen könnte.</p><lb/> <byline><hi rendition="#g">Hans Müller</hi>.</byline> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
München, Mittwoch Allgemeine Beitung 3. December 1890. Morgenblatt Nr. 335.
Deutſches Reich.und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat,
das iſt die Baſis geweſen, auf der unſer Reich auf-
erſtanden iſt. Wahrlich mit Recht hat der große König
geſagt, als er am Sarge dieſes hohen Fürſten ſtand: ’Für-
wahr, der Mann hat viel gethan!’ Ja, Meine Herren, Ich
kann nur wiederholen, was Ich heute früh ſagte, und was
auch Ihnen, den Vertretern des Regiments des Großen Kur-
fürſten, gilt: Wir wollen fortfahren feſtzuhalten an der Gottes-
furcht, Treue, Hingebung und am Gehorſam! Ich erhebe Mein
Glas und trinke es auf das Wohl Brandenburg-Preußens:
Hurrah! — Hurrah! — Hurrah!“
Bei der Feier vor dem Denkmal des Großen Kur-
fürſten hielt der Kaiſer an die Truppen folgende Anſprache:
„Cameraden! Wir feiern das Andenken der 250jährigen Thron-
beſteigung Meines großen Ahnherrn, des Großen Kurſürſten. Er
war es, der den erſten Grundſtein zur Feſtigung des Kurfürſten-
thums Brandenburg gelegt hat, aus dem demnächſt das Königreich
Preußen und ſchließlich das deutſche Kaiſerthum hervorging. Er
gründete ſich ein neues Heer, in dem Gottesfurcht, Treue, un-
bedingter Gehorſam und unentwegtes Zuſammenhalten herrſch-
ten. Wir Brandenburger wiſſen, was er in der Schlacht von
Fehrbellin unter Einſetzung ſeiner Perſönlichkeit geleiſtet hat.
Auch ſeine Thaten auf dem Felde des Friedens, wodurch er
ſeinen Staat ſtärkte, ſind von der Geſchichte unvergeſſen. Im
Andenken an die Thaten des Großen Kurfürſten rufen wir
auf das Wohl Brandenburgs, Preußens und Deutſchlands ein
dreimaliges Hurrah!“
* Berlin, 1. Dec.
Die Aeußerungen des Kaiſers über die
Nothwendigkeit der Förderung des Baues von Canälen beginnt
bereits Früchte zu tragen. Der hannoverſche Landesdirector Frhr.
v. Hammerſtein, der ſich wiederholt öffentlich darüber beklagt hat,
daß er nicht zu einer Audienz beim Arbeitsminiſter wegen des
Rhein-Weſer-Ems-Canals gelangen könne, hat dieſer Tage
eine Audienz wegen dieſer Angelegenheit bei Hrn. v. Maybach ge-
habt. Der Miniſter hat ſich bei dieſer Gelegenheit, wie ſchon tele-
graphiſch in Kürze gemeldet worden, dahin ausgeſprochen, daß er
keineswegs Gegner des Mittellandcanals (Bevergern-Minden-
Hannover-Wolmirſtedt) ſei, denſelben vielmehr für ein dringend
nothwendiges Werk halte, welches den Eiſenbahnen keine Con-
currenz machen, dieſelben vielmehr entlaſten werde. Als vor
Jahren der Küſtencanal (Oldenburg-Vegeſack-Stade) den Vorzug
erhalten habe, ſei dies aus militäriſchen Gründen geſchehen; man
habe eine binnenländiſche Waſſerverbindung zwiſchen Wilhelms-
haven und dem Nordſee-Caual zu ſchaffen gewünſcht. Nachdem
nun aber Helgoland erworben, ſei dieſer Grund weggefallen.
Wenn die Canalvereine dem Miniſterium die geſammelten Gelder
für die Vorarbeiten geben wollen — es ſind zu dieſem Zwecke
bekanntlich 55,000 M. beiſammen — ſo werde er die Sache mit
allen Kräften fördern und hoffentlich bald zu einem endgültigen
Project ausgeſtalten können. — Am 4. December ſoll in Hannover
eine Verſammlung der Canalvorſtände ſtattfinden.
Der Centralverein für Hebung der deutſchen Fluß- und
Canalſchifffahrt wird ſich in ſeiner am 17. December d. J. ſtatt-
findenden Sitzung mit der Frage der Canaliſirung der
Moſel beſchäftigen. Der Vericht ruht in den Händen des Re-
gierungsbaumeiſters Haveſtedt-Berlin. Stadtbaurath Frühling-
Königsberg wird in derſelben Sitzung über den Maſuriſchen Canal
ſprechen.
Der Biſchof von Münſter, Dr. Hermann Dingelſtadt,
hat an ſeinen Diöceſanklerus einen eindringlichen Erlaß zur Be-
kämpfung der Socialdemokratie gerichtet. Die Seelforger
des Bisthums werden „zu einer ganz ausnehmenden Wachſamkeit
und zu geſteigerter Vorſicht“ ermahnt. Der Biſchof empfiehlt den-
ſelben das Studium der ſocialiſtiſchen Lehren und der bezeichnend-
ſten Auslaſſungen der ſocialdemokratiſchen Führer, damit ſie jeder-
zeit im Stande ſeien, die wahren Ziele ſocialiſtiſcher Agitationen
ebenſo klar wie beſtimmt darzulegen und den Widerſtreit ihrer
Forderungen mit den chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehren, ſowie
die Undurchſührbarkeit derſelben zu beleuchten. Ferner wird den
Geiſtlichen empfohlen, die Verbreitung klar gefaßter und gemein-
verſtändlicher Flugſchriften über denſelben Gegenſtand ſich angelegen
ſein zu laſſen. Als beſonders geeignet wird für den erſten Zweck
die Schrift „Der Socialismus“ von Victor Cathrein, für den letz-
teren das Werkchen „Der Socialdemokrat kommt! Ein Warnungs-
ruf von einem alten Dorfpfarrer“, genannt. Zum Schluß werden
die Geiſtlichen gebeten, die öffentlichen Verſammlungen der Social-
demokraten, wo es angeht, ſelbſt zu beſuchen und darauf hinzu-
wirken, daß ein möglichſt zahlreicher Beſuch auch von Seiten der
gutgeſinnten Gemeinde-Eingeſeſſenen und namentlich ſolcher ſtatt-
finde, welche auf die Vorträge der Anſtifter in klaren Widerlegungen
zu erwidern vermögen.
* Die „Deutſche Revue“ veröffentlicht in einer Biographie
des verſtorbenen Kriegsminiſters v. Roon verſchiedene inter-
eſſante Schriftſtücke, darunter in dem neueſten Heft ein Schrei-
ben des Kaiſers Wilhelm, durch welches dieſer eine Dif-
ferenz mit ſeinem Kriegsminiſter beilegte und das für den Edel-
ſinn des Monarchen ſehr charakteriſtiſch iſt. In einer am
19. Juni 1866 abgehaltenen Conferenz kam, nach Roons darüber
gemachten Notizen — die künftige Verwendung der in der
Formation begriffenen vierten Bataillone zur Sprache. Die
Erörterung war lebhaſt und der König wies den bezüglichen
Vorſchlag Roons mit ungeduldigen Aeußerungen zurück, durch
welche dieſer ſo verletzt wurde, daß er ſich weiterer Rathſchläge
enthielt und gleich nachher an Bismarck die Mittheilung machte:
„Ich fordere noch heute meine Verabſchiedung als Miniſter, ich
laſſe mich nicht ſo ...... behandeln.“ Auf der Stelle ant-
wortete ihm Bismarck: „Thun Sie nichts Naſches, mein
Herzensfreund, in übler Lage! Der König iſt im Begriff,
Ihnen zu ſchreiben. Er hat ſich, wie es ſcheint, geärgert, weil
Sie boudirten oder ſo ſchienen. Ihr v. B.“ Während Roon
dennoch ſein Geſuch ſchrieb (in welchem er um eine andere,
„wenn auch untergeordnete Verwendung vor dem Feinde“ bitten
wollte), war in der That das königliche Handſchreiben
ſchon unterwegs. Es lautete:
„Berlin, 19. 6. 66. Aus Ihrem Schweigen während des
zweiten Theiles der heutigen Berathung muß Ich leider entnehmen,
daß Sie ſich verſtimmt fühlten über Meine gereizten nervöſen
Aeußerungen. Wenn Ich Sie damit verletzt habe, ſo war dies
natürlich nie Meine Abſicht, da Ich Ihnen zu unendlich viel ver-
danke! und thut Mir dies aufrichtig leid und bitte Ich von Herzen
dieſerhalb um Vergebung. Um ſo mehr verwunderte Mich Ihr
Schweigen, da wir über die Sache, die Formationen quest. einig
ſind, und nur nicht über die Verwendung derſelben, die Mir ſebr
bedenklich erſcheint. Doch bis dahin iſt noch Zeit, um zu berathen
und zu überlegen. Sie wiſſen es ebenſo gut wie Ich, was Nervo-
ſität iſt, alſo haben Sie Nachſicht mit Mir! denn Meine Nerven
ſind ſeit 3 Wochen hallaly! Ihr dankbarſt ergebener Wilhelm.“
Das Entlaſſungsgeſuch wurde natürlich nicht abgeſandt.
Oeſterreich-Ungarn.
 Peſt, 30. Nov.
Die Budgetdebatte iſt noch nicht zu
Ende, noch ſind das Juſtiz- und Landesvertheidigungsminiſterium
zu verhandeln; ſchon aber kann das Cabinet Szapáry die
Bilanz ziehen, und fürwahr, dieſelbe wird nicht zu Ungunſten
der Regierung ausfallen. Die parlamentariſchen Geſchehniſſe
der jüngſten Wochen haben in erſter Reihe ein Reſultat zu Tage
gefördert, das eigentlich gar nicht beabſichtigt geweſen, heute
jedoch, da es exiſtirt, die Stellung des gegenwärtigen Cabinets
in ungeahntem Maße befeſtigt hat. Es zeigte ſich nämlich,
daß an der Spitze der einzelnen Reſſorts Männer ſtehen, die
nicht nur in Ermangelung beſſerer Kräfte ſchlecht und recht ihr
Amt zu verwalten wiſſen und von heute auf morgen interi-
miſtiſch als brauchbare Nothbehelfe zu verwenden ſind, ſondern
daß ſie durch ihre ſelbſt- und zielbewußte Politik, vermöge ihrer
geiſtigen Capacität und Charakterſtärke in allen Verhältniſſen
ihren Mann zu ſtellen vermögen. Diejenigen, die das Cabinet
Szaráry nur für ein Uebergangsminiſterium hielten, haben im
Laufe der Budgetdebatte die Erfahrung machen können, daß
dieſes Cabinet alle Erforderniſſe der Dauerhaftigkeit in ſich
trägt. Und das ſcheint uns das wichtigſte Moment zu ſein,
das ſich aus dieſer Debatte ergeben. In allen auftauchenden
Fragen zeigte ſich nicht nur die einmüthigſte Solidarität unter
den Mitgliedern der Regierung; es erwies ſich auch, daß hier
nach einem einheitlichen Programme vorgegangen wird, über deſſen
einzelne Punkte völlige Klarheit herrſcht, und daß der feſte Wille be-
ſteht, dieſes Programm mit aller Energie, aber dabei doch mit kluger
Vorſicht, ohne Ueberſtürzung und mit möglichſter Schonung
des Beſtehenden durchzuführen. Am meiſten trug zu den
Siegen des Cabinets der Cultus- und Unterrichtsminiſter Graf
Albin Cſáky bei, dem die Verhandlungen betreffend die Weg-
taufungsfrage reichliche Gelegenheit boten, nicht nur ſeine ora-
toriſchen Talente zu bekunden, ſondern auch einen ſo tiefen
ſtaatsmänniſchen Sinn und ſolch unerſchütterliche Charakter-
feſtigkeit zu zeigen, daß ſein Auftreten und Eingreifen in die
Debatte jedesmal geradezu imponirend wirkte und ihn von
Triumph zu Triumph führte. Knapp vor dem Beginn dieſer
Verhandlungen haben wir an dieſer Stelle eine Darſtellung
des gegenwärtigen Standes der Wegtaufungsfrage gegeben;
an dieſem Stande iſt im Laufe der Debatte wenig geändert
worden; die Frage ſelbſt iſt in kein neues Stadium getreten;
aber ſie iſt doch mit dem bedeutſamen Ergebniſſe abgeſchloſſen
worden, daß an der Spitze des Cultusreſſorts ein Mann ſteht,
der gegenüber dem Andrängen der confeſſionellen und politiſchen
Extremen unverrückt den Standpunkt des ausſchließlich ſtaat-
lichen Intereſſes im Auge behält, der unbeirrt von dem mäch-
tigen Einfluſſe des Klerus einzig und allein den Anforderungen
des Staates Genüge zu leiſten beſtrebt iſt. Dieſes zweite
Reſultat der Budgetdebatte fällt nicht minder ſchwer zu Gunſten
der Regierung in die Wagſchale, als das Zeugniß ihrer Dauer-
haſtigkeit.
Serbien.
× Belgrad, 29. Nov.
Der heute von der Skupſchtina
angenommene Adreßentwurf der radicalen Majorität ſchließt
ſich in den Fragen der innern Politik vollkommen
den in der Thronrede entwickelten Geſichtspunkten an und
ſagt dann wörtlich: „Mit großer Befriedigung hat die nationale
Volksverſammlung vernommen, daß unſre Beziehungen zu allen
Staaten befriedigend und freundſchaftlich ſind, weil ſie es voll-
kommen zu würdigen weiß, wie werthvoll dieſe guten Beziehungen
in dem heute ſo ſehr entwickelten internationalen Verkehre ſind,
beſonders aber für einen Staat, der, wie der unſre, mit ſeiner innern
politiſchen und ökonomiſchen Umgeſtaltung und mit ſeiner finan-
ziellen Conſolidirung beſchäftigt iſt. Noch größer iſt die Befriedi-
gung der nationalen Volksverſammlung darüber, daß die nationale
Politik, die den Traditionen und Beſtrebungen der Nation ent-
ſpricht, bei den großen europäiſchen Staaten Vertrauen und freund-
ſchaftliches Wohlwollen findet. Indem die nationale Volksverſamm-
lung für dieſe wohlwollende Geſinnung den Mächten ihren Dank
auspricht, erachtet ſie es für ihre Pflicht, auch bei dieſem feierlichen
Anlaſſe die ſtete tiefe Erkenntlichkeit des ſerbiſchen
Volkes dem erhabenen Kaiſer des uns brüderlichen
ruſſiſchen Volkes auszudrücken, der, wie immer, ſo auch in neueſter
Zeit, dem Königreich Serbien und dem ſerbiſchen Volke beſondere
Beweiſe ſeines Wohlwollens gegeben hat; dies iſt uns eine mächtige
und ſichere Bürgſchaft, daß die Bande aufrichtiger Freundſchaft
zwiſchen dem ruſſiſchen und ſerbiſchen Volke ſich dauernd erhalten
werden. Die nationale Volksverſammlung bedauert es, daß ſie
gelegentlich dieſer Verſicherungen ihrer Befriedigung auch des
ſchweren Eindruckes gedenken muß, welchen auf das ſerbiſche Volk
gewiſſe Ereigniſſe und Erſcheinungen hervorgerufen haben, welche
die internationalen Intereſſen und die Würde unſres Staates be-
rühren. Zu dieſen Ereigniſſen gehört vor allem die meuchleriſche
Ermordung unſeres Viceconſuls in Priſtina, welche die Gefühle des
ſerbiſchen Volkes, das ſtets zu allen Opfern bereit iſt, wenn es
die nationale Ehre und die Würde des Staates zu wahren gilt,
tief verletzt hat. Unter dem ſchweren Eindrucke dieſes Ereigniſſes,
zugleich auf die je beſſeren Beziehungen zu dem osmaniſchen Kaiſer-
reiche einen großen Werth legend, erwartet die nationale Volks-
vertretung, daß ſich je eher die Zuverſicht bewahrheite, daß dieſe
Frage bald im Einvernehmen mit der hohen Pforte aus-
getragen werde, und zwar auf eine ſolche Weiſe, die der
Würde der einen wie der andern Seite entſpricht und den
verletzten Gefühlen des ſerbiſchen Volkes Genugthuung gibt.
Die zweite unangenehme Erſcheinung auf dem Gebiete unſrer
internationalen Beziehungen beſtand in der Erſchwerung eines
Theiles unſrer Landesausfuhr in Folge der außerordentlichen Maß-
nahmen, die eine Zeit lang an unſrer Grenze angewendet wurden.
Die nationale Volksverſammlung freut ſich, daß es der Regierung
gelungen iſt, durch gegenſeitige Aufklärung und Verſtändigung
mit der benachbarten öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie die er-
wähnten Hinderniſſe zu beſeitigen und den vertragsmäßigen Zu-
ſtand wiederherzuſtellen. In vollſtändiger Würdigung der Noth-
wendigkeit guter und freundſchaftlicher Beziehungen zu dem großen
Nachbarſtaate erwartet die nationale Volksverſammlung, daß durch
loyales gegenſeitiges Entgegenkommen in Zukunft ſolche Vor-
kommniſſe vermieden werden; aber unter allen Umſtänden erachtet
ſie, daß die Regierung zugleich im Einvernehmen mit der nationalen
Volksvertretung zur Realiſirung aller Maßregeln ſchreiten ſoll,
welche nöthig ſind, damit uns eventuelle ähnliche Ereigniſſe nicht
überraſchen und unvorbereitet treffen können. Die nationale Volks-
verſammlung freut ſich, daß auch unſer Staat an dem culturellen
Werke, welches nach den Beſtimmungen des Berliner Vertrags
ſeitens der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie zur Regelung des
Eiſernen Thores in Angriff genommen wurde, mitzuwirken ver-
mochte.“
Weiter bezieht ſich die Adreſſe auf die Balkanſtaaten,
der ganze Paſſus iſt aber lediglich eine Paraphraſe der Thronrede. —
Feuilleton.
Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erſt auf
der Bühne erzielen. Die Künſtlerin war bekanntlich als contract-
brüchig von den deutſchen Theaterdirectoren in die Acht erklärt,
wurde aber, ſo viel man hört, nach ihrer Rückkehr aus Amerika
durch kaiſerliche Huld begnadigt und wird hoffentlich bald
wieder auf unſern Bühnen erſcheinen. Bei dem Mangel an
wirklich hervorragenden Vertreterinnen des dramatiſchen Faches
kann dieſe Ausſicht nur mit Freuden begrüßt werden. Lobendes
iſt ferner über eine Novität zu ſagen, mit welcher ein junger,
aus Mannheim ſtammender Componiſt, Robert Kahn, bei
Bülow debütirte, der ſeine Studien bei Kiel und Herzogenberg
gemacht hat und ſchließlich noch einige Zeit bei Meiſter Jo-
hannes Brahms war. Bereits im vorigen Jahre brachte das
Joachim’ſche Quartett, das mit Recht ſehr wähleriſch in der
Aufführung moderner Werke iſt, ein Quartett von dieſem un-
gemein begabten Tonkünſtler. Auch fanden ſeitens des trefflichen
Hochſchulenchors ſchon mehrere ſeiner kleineren Chorwerke und
Lieder a capella eine beachtenswerthe Aufſührung. Im dritten
Concert endlich hörten wir Schumanns Frühlings-Symphonie
B-dur, Beethovens achte, F-dur, und eine neue norwegiſche
Rhapſodie von Johann Svendſen, die gegen dieſe Meiſter-
werke freilich einigermaßen abfiel. Der Soliſt dieſes Abends
war Céſar Thomſon, der mit vortrefflichen techniſchen
Mitteln Bruchs zweites Violinconcert vortrug.
Die beliebten Symphonie-Abende der Königlichen Capelle
zum Beſten ihres Wittwen- und Waiſenfonds im Opernhauſe
haben in ſo fern eine Aenderung erfahren, als ſie in Zukunft
nicht mehr im Foyer, ſondern im Theaterraum der Oper ſtatt-
finden. Die Einrichtung iſt derart getroffen, daß der eiſerne
Vorhang den ganzen Abend heruntergelaſſen bleibt, und daß
vor demſelben in gleicher Höhe der Bühne für die ſehr zahl-
reiche Capelle über dem gewöhnlichen, tiefliegenden Orcheſter-
raum ein Podium in das Proſcenium hineingebaut wird. Der
Anblick der rieſigen ſchwarzen Maſſe der eiſernen Wand war
freilich recht unſchön, und es dürfte wohl zeitgemäß ſein, ſolche
düſteren Ungethüme ein wenig durch möglichſt gute Malereien
zu verſchönern und aufzufriſchen, ſo daß ſie ſich dem übrigen
Schmucke eines Kunſttempels anpaſſen. Die Capelle felbſt zeigte
ſich ganz auf der Höhe ihres feſtbegründeten Nufes. Die Aus-
führung wechfelt je nach der individuellen Verſchiedenheit der
beiden Dirigenten, der Capellmeiſter Kahl und Sucher. Das
erſte Concert brachte am Geburtstage des Kaiſers Friedrich
Beethovens Eroica-Symphonie, deren Trauermarſch den Manen
des hohen Verſtorbenen galt, Schumanns C-dur-Symphonie,
mehrere ſehr günſtig aufgenommene Geſangsvorträge der Frau
Emilie Herzog und zum Andenken an den verſtorbenen, ſo
vielbeſprochenen Capellmeiſter Deppe eine Ouverture zu Körners
„Zriny“ von Ludwig Deppe, anerkennenswerthe, brave
Capellmeiſtermuſik, aber auch nicht mehr. Der zweite Abend
friſchte unter anderm die ſymphoniſche Dichtung „Taſſo“ von
Lifzt in einer ſehr ſchwungvollen Wiedergabe auf und erfreute
durch Schumanns Manfred-Muſik mit Declamation der Mit-
glieder des königlichen Schauſpielhauſes, Frl. Clara Meyer und
Hrn. Kahle.
Die altbewährte Singakademie, der älteſte und ehr-
würdigſte Geſangverein, den Berlin beſitzt, der im Mai des
nächſten Jahres ſein hundertjähriges Stiftungsfeſt feiern wird,
für welches ſchon jetzt umfangreiche Vorbereitungen getroffen
werden, begann ihre Abonnementsconcerte mit Händels Ora-
torium „Salomo“. Es war erſt die fünfte Aufführung dieſes
1749 entſtandenen Werkes während des langen Zeitraums
des Wirkens des Vereins, aber doch der vollgültige Beweis für
die Friſche der gewaltigen Händel’ſchen Kunſt. Neben den Chören
gibt es hier ſehr anziehende, zum Theil ziemlich opernmäßige
Arien und Concertnummern. Die Stimmung iſt vorwiegend
heiter und friedlich. Man verſpürt nichts von der trotzigen
Kraft und Ernſthaftigkeit mächtiger Völkerkämpfe wie im
„Meſſias“, „Joſua“ und „Iſrael“. Salomo erſcheint als der
jugendfriſche König, der von Glück und Glanz umſtrahlt iſt. Im
erſten Theile wird ſeine Macht und Größe im neuerbauten
Tempel geprieſen und die Liebe zu ſeiner tugendreichen Königin
geſchildert. Glanzſtellen ſind ein warmes herzliches Duett
und ein freilich etwas ſüßlicher Schlußchor voll Nachtigallen-
ſang und Blumenduſt, der zweite Theil veranſchaulicht den
Streit der beiden Frauen um ihr Kind und Salomo’s weiſes
Urtheil, wobei Gelegenheit zu trefflicher Charakteriſtik in
Chören, Duetten und Terzetten gegeben iſt. Der dritte Theil
bringt die Huldigung der Königin von Saba, einige conven-
tionelle Arien, dafür aber deſto ſchönere Chöre, namentlich den
kräftigen Kriegergeſang und den ergreifenden Chor von der
hoffnungsloſen Liebe Qual und Schmerz, wie ſie Tod und
Verzweiflung bringt. Die Chöre unter Martin Blumners
Leitung gingen vortrefflich. Von den Soliſten waren nur
die beiden Damen hervorragend, namentlich Hermine Spies
als Salomo. Sie wußte wieder einmal ihre ſchöne Altſtimme
mit weiſer Mäßigung auf der Bahn claſſiſcher Auffaſſung zu
halten, und auch Fräulein Helene Oberbeck aus Dortmund
erfreute durch ernſtes künſtleriſches Streben.
Von Soliſtenconcerten iſt an erſter Stelle ein Liederabend
von Frau Amalie Joachim hervorzuheben, ein Abend, den
man über allem Schönen und Schönſten, das der Winter
bringt, ſchwerlich vergeſſen kann. Bemerkenswerth war ferner
ein Concert von Lillian Sanderſon, welche unter anderm
fünf ſehr günſtig aufgenommene Stücke aus den Volks- und
Handwerkerliedern (op. 49) von Auguſt Lungert ſang, von
denen ſich namentlich der „Schuhmacher“ als wirkſam erwies.
In einem Kirchenconcert erhielten die Damen v. Schelhorn
und Schmidtlein mit Duetten von Clani und Pergoleſi ver-
dienten Beifall. Eugen Gura gab zwei gut beſuchte Lieder-
abende, und Eduard Feßler zeigte ſich als routinirter
Theaterſänger. Unter den Clavierſpielern ragte bisher unſtreitig
Profeſſor Heinrich Barth hervor, einer der zuverläſſigſten,
geſchulteſten und fleißigſten Virtuoſen der Neuzeit, der großen
Ernſt mit feinem Geſchmack verbindet, der mit männlicher Neife
die Technik beherrſcht wie Wenige. Einen guten Eindruck
hinterließ ferner der Pianiſt Paul Pabſt an zwei Clavier-
abenden, einmal mit Orcheſter, wenngleich das Publicum noch
nicht ſo zahlreich erſchienen war, wie er es verdiente. Der
bisher wenig bekannte Clavierkünſtler zeigte ſich in allen Sätteln
gerecht, in virtuoſenhaften ruſſiſchen Compoſitionen, wie in
ernſten ehrwürdigen Stücken von Bach und Händel, in der
tieſſinnigen C-moll-Sonate op. 111 von Beethoven, in den
Etudes symphoniques von Schumann und in der Inter-
pretation von Chopin’ſchen und Brahms’ſchen Werken.
Natürlich fehlt es der Saiſon auch nicht an einem neuen
Wunderkinde: Otto Hegner, der bereits dreimal vor das
Publicum getreten iſt und trotz ſeiner dreizehn Jahre wie ein
Erwachſener das Beſte mit beſtem Geſchmack zu interpretiren verſteht.
Bach, Beethoven, Chopin, Lifzt, Mendelsſohn und — Hegner
(eine gutgearbeitete fünfſätzige Suite) waren die Autoren, die
er uns vorführte, in einer Weiſe, die ſeinem Lehrer Hans Huber
in Baſel Ehre machte, ihn ſelbſt aber im Zuſtande einer Reife,
Sicherheit und Vertrautheit mit den Geheimniſſen der Kunſt
zeigte, die manchen berühmten Meiſter beſchämen könnte.
Hans Müller.
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(2022-03-29T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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