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Allgemeine Zeitung, Nr. 347, 15. Dezember 1890.

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erste Seite
Nr. 347. -- 92. Jahrgang.
Abendblatt.
München, Montag, 15. December 1890.
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für d. Ausl, mit ent-
sprebendem Zuschlag.
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Allgemeine Zeitung.
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gen i. gewöhnl Schrift
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tion befinden sich
Schwanthalerstr. 73
in München.


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aufleäge an die Ex-
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amt in Wien oder Triest; für Nordamerika F. W. Christern, E. Steigeru, Co., Gust. E. Stechert,
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710 Broadway, in New York.
Verantwortlicher Redakteur: Hugo Jacobi in München.

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In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
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Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner. New York bei der Intern. Publishing Ageney, 710 Broadway.
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[Spaltenumbruch]
Inhalts-Uebersicht.
Politische Rundschau.
Deutsches Reich. §§ Berlin: Reichstag und Landtag. # Un-
fall- und Reconvalescentenhaus. = Geschäftslage des Reichstags.
Zum Zuckersteuergesetz. Landtagsangelegenheiten. Schulreform-
conferenz. Erlaß des evangelischen Oberkirchenraths über die
Ehefrage. Eingaben an den Reichstag. * Hof- und Personal-
nachrichten. Verkehrserleichterungen. Commentar zum Invaliditäts-
und Altersversicherungsgesetze. l Meiningen: Vorlagen für
die Landessynode. (*) Coburg: Vom Hofe. infinity Stuttgart:
Wahlbewegung. 𝓞 Gegen die Jesuiten.
Oesterreich-Ungarn. Wien: Parlamentarisches. Neue tschechische
Partei. Die Handelsvertragsverhandlungen. Einfuhr russischer
Kartoffeln. Staatsrechnungsabschluß. Oesterreichische Officiere in
Rußland. Pest: Bischofsconferenz. Reichstag. Aus Agram.
Hiezu: Zweites Abendblatt und Beilage.
München, 15. December.

Zu der vielerörterten preußischen Stempelerlaß-
angelegenheit,
welche der Abg. Nichter nun auch in
einer Anfrage an das Staatsministerium vor den Landtag
gebracht hat, führen die "Hamb. Nachr." in ihrer Sonn-
tagsnummer den Nachweis, daß in dieser Frage res
judicala
durch den Landtag selbst vorliegt, welcher im
Jahre 1885 einen solchen Stempelerlaß bewilligt hat.
Die "Hamb. Nachr." halten es für zweifellos, daß die
preußische Verfassung dem Könige das Recht zum Erlaß
des Fideicommißstempels aus eigener Machtvollkommenheit
nicht entzogen habe, wollen jedoch einstweilen diese Frage
auf sich beruhen lassen und nur der Meinung Ausdruck
geben, "daß, wenn der Erlaß des Fideicommißstempels
als eine so exorbitante Begünstigung der betreffenden
Person, ja geradezu als eine Verletzung von Recht und
Verfassung zu betrachten wäre, es denn doch mindestens
sehr auffällig wäre, daß in einem gegebenen Fall in beiden
Häusern des Landtages der Monarchie keine einzige Stimme
gegen den Erlaß des Fideicommißstempels sich erhoben hat,
als der Landtag darüber zu entscheiden hatte."
Der Fall
ist folgender:

In Gemäßheit einer allerhöchsten Resolution vom 20. März
1885 wurde dem Landtag ein Gesetzentwurf betreffend
Schadloshaltung des herzoglich schleswig-holsteinischen Hauses
durch den Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten
Dr. Lucius, den Minister der Justiz Dr. Friedberg und den Finanz-
minister Dr. v. Scholz zur Beschlußfassung vorgelegt, Inhalts
dessen unter anderem dem herzoglichen Hause eine, vom 1. April
1885 ab vierteljährlich im voraus zu zahlende Jahresrente von
300,000 M. unter den in der Anlage zum Entwurf enthaltenen
näheren Maßgaben bewilligt werden sollte. In dieser Anlage heißt
es unter II. Absatz 3: "Die Errichtung des Fideicommisses
und die Regelung des Grundbuches erfolgt stempel-
und kostenfrei.
" Dieser Gesetzentwurf wurde ohne irgend
eine Debatte
in den beiden Häusern der Monarchie angenommen,
und ist am 1. April 1885 mit der in der gedachten Anlage ent-
[Spaltenumbruch] haltenen, vorerwähnten Bestimmung über den Stempelerlaß als
Gesetz publicirt worden.

Die "Hamb. Nachr." führen nun weiter aus, daß
allerdings dieser Vorgang die Frage nicht unmittelbar be-
rühre, ob die Krone aus eigener Machtvollkommenheit den
Fideicommißstempel und überhaupt Steuern erlassen könne,
aber die beiden Häuser des Landtags seien damals doch
offenbar von der Bejahung dieser Frage ausgegangen,
"denn wenn der Art. 101 der Verfassungs-Urkunde vor-
schreibt, daß in Betreff der Steuern Bevorzugungen nicht
eingeführt werden können, und in dem Erlaß des Fidei-
commißstempels für das herzoglich schleswig holsteinische
Fürstenhaus doch unzweifelhaft eine ausnahmsweise
Bevorzugung desselben lag, so hätte, wenn dem Könige die
Befugniß zu dem Erlaß des Stempels damals nicht bei-
gemessen worden wäre, der vorgelegte Gesetzentwurf über
die Schadloshaltung des schleswig holsteinischen Fürsten-
hauses eben wegen der darin ertheilten, dem Artikel 101
der Verfassung widerstreitenden Vergünstigung nach dem
Artikel 101 der Verfassung als eine Verfassungsänderung
enthaltend behandelt werden müssen."
Eine solche Auf-
fassung sei jedoch damals von keinem Mitgliede eines der
beiden Häuser des Landtags verlautbart, der Gesetzentwurf
vielmehr in beiden Kammern ohne jegliche Debatte auge-
nommen worden. "Die Art. 101 und 107 der Ver-
fassung waren den Mitgliedern des Landtages selbst-
verständlich nicht unbekannt, und wenn auf selbige
leine Nücksicht genommen wurde, so hatte dies,
wie damals weuigstens vielfach geäußert wurde, eben darin
seinen Grund, daß dem Könige das Recht ohne weiteres
zusteht, den Fideicommißstempel zu erlassen, und daß die
Aufnahme hinsichtlich dieses Erlasses in das Gesetz nur
zur Vollständigkeit der hinsichtlich des Fideicommisses ge-
troffenen Bestimmungen geschehen sei."
Hätten einzelne
Mitglieder des Landtags das Recht des Königs zum Erlaß
des Fideicommißstempels damals nicht anertannt, aber
doch dazu geschwiegen, so würden sie -- schließt der
Artikel -- gegen die Verfassung verstoßen haben.

Neben dieser Angelegenheit, welche leicht sehr erregte
Discussionen im Abgeordnetenhause zur Folge haben könnte,
da es dem Abgeordneten Richter dabei ebenso um An-
fechtung eines von der Krone beanspruchten und geübten
Rechtes, wie um einen Angriff gegen den Fürsten Bismarck
zu thun ist, zieht am Horizont dieser Körperschaft noch
eine andere Wolke in Gestalt der Berliner Dombaufrage
herauf. Wiederholt war in Anknüpfung an das von
Kaiser Friedrich III. genehmigte, in seinen Grundzügen
von dem hochseligen Monarchen selbst herrührende Nasch-
dorff'sche Project, welches Kaiser Wilhelm II. als Ver-
mächtniß übernommen hat, von einem Kostenaufwand von
22 Millionen Mark die Rede. Die "Nat.-Ztg." erklärte
[Spaltenumbruch] vor einigen Tagen peremptorisch, daß der Landtag für
mehr als höchstens 8 Millionen nicht zu haben sein werde,
worauf die "Nordd. Allg. Ztg." erwiderte, Se. Majestät
der Kaiser habe seine Entscheidung dahin getroffen, daß ein
Dom als Predigt- und Gruftkirche mit einem Kostenaufwand
von etwa 10 Mill. Mark erbaut werden soll. Dem mit dem
Berliner Dombau betrauten Architekten Geh. Rath Raschdorff sei
die Bearbeitung eines diesem Plane entsprechenden Projectes
aufgetragen worden. Die "Nat.-Ztg." meint nun, daß
-- die Bestätigung dieser Nachricht vorausgesetzt -- die
Angelegenheit damit in ein neues Stadium getreten sei.
Wie in gutunterrichteten Berliner Kreisen früher und auch
jetzt wieder verlautet, hängt das Verbleiben des Ministers
v. Goßler im Amt wesentlich mit der Dombaufrage zusam-
men, und somit gewinnt auch von diesem Gesichtspunkt
aus die weitere Entwicklung dieser Angelegenheit allgemei-
neres Interesse.

In England hat nun sich Gladstone auch in einer
öffentlichen Ansprache über Parnell und die irische
Sache ausgesprochen (s. London). Andrerseits setzt Parnell
in Irland den Kampf um seine Stellung fort, aber mit
wechseludem Erfolge. Wenn er in Dublin und Cork
mehr als gut empfangen worden ist, kommen dafür aus
Tipperary und Newry entgegengesetzt lautende Nach-
richten. Gestern fanden an diesen beiden in letzter Zeit
vielgenanuten Orten große Versammlungen statt, in welchen
der Absetzung Parnells zugestimmt wurde. Das Erscheinen
jener Abgeordneten, welche für Irlands Sache wiederholt
ihre Person und Freiheit dort eingesetzt haben, gibt ihnen
ein Uebergewicht bei dem Volke, welchem sich Parnell seit
8 Jahren nicht gezeigt hat, da er seine Muße in anderer
Gesellschast zuzubringen pflegte. Auch die meisten Zweige
der Nationalliga sollen gegen den bisherigen Führer sein,
und mehrere derselben haben dies bereits öffentlich erklärt.
So dürfte der alte Davitt am Ende doch recht bekommen,
der die schließliche Niederlage Parnells auch beim irischen
Volke voraussieht.

Im französischen Senat hat der Senator
Boulanger am Samstag Nachmittag den Bericht des
Finanzausschusses über das Budget und das Anlehen ein-
gebracht; doch wird die Berathung des Berichts erst heute
Nachmittag beginnen, nachdem sämmtliche Senatoren in
den Besitz desselben gelangt sind. Der Finanzausschuß
des französischen Oberhauses hat, wie man sieht, sehr rasch
gearbeitet, und wahrscheinlich wird der Senat selbst diesem
Beispiele folgen. Doch soll der Senator Bardoux laut
"Figaro" beabsichtigen, die Besteuerung der Congregationen
im gleichen Sinne, wie es von Seite des Hrn. Clausel
de Coussergues in der Kammer geschehen, auch im Ober-
hause zur Verhandlung zu bringen, also Ermäßigungen
dieser Steuer zu beantragen. Die Sache wird übrigens

[Spaltenumbruch]
Kleine Zeitung.

Der Stöcker-Commers. Nächst
den großen Actionen, die sich in Reichstag und Landtag abspielen,
hat keine Frage unsres inneren politischen Lebens in Berlin so
große Erregung und Spannung hervorgerufen, wie der Rücktritt
Stöckers als Hosprediger. Die Frage: was wird er machen? be-
wegte weite Kreise, denn man mag zu ihm stehen wie man wolle,
das Eine läßt sich nicht wegstreiten, daß er zu einem bedeutsamen
politischen Factor in dem Leben der Reichshauptstadt herangewachsen
ist. Diese Frage ist nun beantwortet worden durch den Commers,
den die Bürgervereine und die ihnen verwandten Kreise am
Donnerstag in den glänzenden Räumen der Philharmonie ihrem
Führer zur Feier seines Geburtstages gegeben haben. Obgleich
die letzten Wochen in denselben Räumen zahlreiche Festversamm-
lungen vereinigt haben, z. B. den Peters- und den Moltke-Commers,
erinnern wir uns doch nicht, dort eine gleich zahlreich besuchte
Versammlung gefunden zu haben. Wer nach 9 Uhr erschien, fand
keinen Sitz mehr. Die Gallerien waren von einem dicht gedräng-
ten Kranz von Damen besetzt -- offenbar aus den besseren Ständen
-- während im Saale Handwerker im Festrock entschieden überwogen.
Im ganzen läßt die Versammlung sich auf etwa 2000 Köpfe
schätzen. Auf der reich mit Blattpflanzen geschmückten Tribüne hatte
eine vortressliche Musikcapelle Platz gesunden, davor der Tisch
des Präsidiums und die Rednertribüne. Die einleitenden Reden
-- die erste sogar in Versen -- waren überschwänglich gehalten
und thaten unserm Gefühl nach des Guten zu viel. In der Ver-
sammlung jedoch wurden sie sehr beifällig aufgenommen -- je
höher der Ton, um so stärker das Echo. Wirklich interessant
wurde der Abend erst mit Stöckers Auftreten. Man hat seine
Redeweise ja oft geschildert, sie ist ruhig, einfach, von
seltenen aber entsprechenden Geberden begleitet, im Assect
weniger wohltönend als in ihrem regelmäßigen Verlauf; in
der Form knapp, nur selten zu längeren Perioden zusammengefaßt,
nie falsch gebaut. Man kann nicht sagen, daß Stöcker in
seiner Diction durch neue Gedanken überrascht, vielmehr ist der
Vorrath seiner Ideen wohl bekannt, aber er versteht es, ihnen
immer eine actuelle Form zu geben, und selten mag ein Redner
mit solcher Meisterschaft die Tonleiter der Empfindungen seiner Zu-
hörer beherrscht haben. Auch diesmal begann Stöcker in ruhigstem Ton;
er dankte denjenigen, die ihn geladen, erinnerte mit kurzen Worten an
[Spaltenumbruch] einen verstorbenen Mitkämpfer und ließ diesen in Hinblick auf die Ver-
hältnisse, in denen Stöcker jetzt steht, sagen: "es ist gut so, du bist
nun freier!" Zwar blicke er nicht leicht in die Zukunft; die Einen
riethen ihm, sich ganz der Politik zu widmen, die Anderen sagten,
er solle in Zukunft nur als Geistlicher wirken. "Was soll ich thun?
ich denke, ich bleibe beim Alten!" Denn gerade im Hinblick auf
seine Pflichten als Geistlicher sei er ins öffentliche Leben getreten
und habe gekämpft, so gut er gekonnt; es sei nur natürlich, daß
er dabei Wunden erhalten habe, und so rede er auch jetzt zwar
als ein Verwundeter, aber nicht als ein Verzagter, fest entschlossen,
die alte Fahne: für Kirche und Vaterland, für die christlich-sociale und
die Berliner Vewegung, auch serner hochzuhalten. Als er 1874 nach
Berlin gekommen, da habe die religiöse Verwüstung des Volkes
in ihm den Entschluß wachgerufen, sein Leben daran zu setzen, daß
die Hauptstadt des Deutschen Reichs nicht sittlich zu Grunde gehe.
In seiner packenden Weise knüpfte Stöcker hieran eine Schilderung
derjenigen Zustände, die in den Tagen des großen Krachs und nach
demselben Berlin beherrschten. Allmählich aber hätten immer mehr
Männer sich um ihn geschaart, und wenn es heute heiße: der
Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen, so
klinge das, als habe man ihn angestiftet oder abcommandirt zu
thun, was er gethan. Er habe aber nie eine Ermunterung oder
einen Wink von der Stelle erhalten, an welcher man Mohren dressire
oder abcommandire. Die weiteren Ausführungen Stöckers über die
Richtung seiner Thätigkeit und über die zu bekämpfenden Gefahren
trugen ganz den aus seinen früheren Reden bekannten Charakter,
und ein Hoch auf Deutschland bildete den mit nicht enden-
wollendem Jubel aufgenommenen Schluß. Auch die folgenden
Redner: Professor Wagner, v. Kleist-Retzow, v. Liebermann
u. A. hielten sich im Rahmen bekannter Ausführungen. Man
hatte den Eindruck, daß die Partei entschlossen sei, den Füh-
rer nicht zu verlassen; zugleich aber auch den anderen Eindruck,
daß die Partei ohne diesen Führer sich nicht werde behaupten kön-
nen. Es ist wohl richtig, wenn Stöcker ausführt, daß er seine
Politik von den Ereignissen des Tages werde bestimmen lassen;
daß er auf gute, wie auf böse Tage rechne. Bleiben will er bei
seinem Progamm, aber die Frage der Zukunft für ihn wird wohl
die sein, wie weit er es durch die Praxis des politischen Lebens
abschleifen und ummodeln wird.

Man schreibt uns aus Rotterdam: Am 17. und 18. ds.
finden zu Heerenveen (Friesland) die großen vom Niederländischen
Schlittschuhläuferbunde ausgeschriebenen internationalen Wett-
[Spaltenumbruch] laufen
statt. Die bekanntesten Schlittschuhfahrer der Welt, wie
Donoghue aus Amerika, Grunden aus Stockholm und Frederiks
aus Dänemark kämpfen mit. Zu Amsterdam wird am 22. und
23. ds. eine internationale Schlittschuhwettfahrt um die Meister-
schaft der Welt abgehalten werden.

* Ueber Henrik Ibsens neues Drama berichtet die
"Freie Bühne": Bei einer Zusammenkunft im Cafe Maximilian
in München, das für die Ibsen-Verehrer schon so etwas wie ein
classischer Ort geworden ist, den man aufsucht, den Dichter zu
sprechen, oder doch wenigstens zu sehen, gab Ibsen einige inter-
essante Mittheilungen über sein neues Werk. Solange er an der
Arbeit ist, erfährt Niemand als seine Galtin von seinen Plänen;
nun, da er das Stück in Druck gegeben (es erscheint gleichzeitig in sechs
Sprachen: dänisch, deutsch, englisch, französisch, italienisch und
ungarisch), ging er sreier mit der Sprache heraus. Das Stück hat sechs
Hauptpersonen und eine Nebenperson; im Mittelpunkt stehen zwei
verheirathete Frauen, Contrastsiguren, ungleich an Jahren und an
Art. Die eine, jüngere, wenn wir recht verstanden haben, ist die
Heldin Hedda Gabler. Nach ihr soll das Stück heißen, wie die
Zeitungen gemeldet haben; doch sind wir nicht ganz sicher, ob das
nicht ein Deckblatt ist, hinter dem der eigentliche Titel sich ver-
birgt. Von einem Problem, einer These sei er weniger denn je
ausgegangen, meinte Ibsen. "Ich habe mich bestrebt, Menschen zu
schildern, so exact wie möglich, so detaillirt wie möglich, nichts
darüber. Es kann wohl sein, daß man in dem Drama etwas
Revolutionäres finden wird, aber das bleibt im Hintergrund; die
Gestalten allein sprechen, nicht ich."
Wie zur Bestätigung fügte
Jbsen noch hinzu: das Stück enthalte "einige neue Teufeleien".

* Unter dem Titel "Deutsche Heerführer", ein deutsches
Heldenbuch in Wort und Bild, gibt Jos. Albert, Hofkunst-
anstalt und Verlag in München, ein in acht Lieferungen in Groß-
folioformat erscheinendes Prachtwerk heraus. Die soeben erschienene
erste Lieferung desselben enthält das Bildniß Kaiser Wilhelms in
Heliogravure und die Portraits des Reichskanzlers und Generals
v. Caprivi, des Chefs des Generalstabs Grafen Waldersee, des
Generals Frhrn. v. Meerscheidt-Hüllessem und des Generalobersten
v. Pape, letztere sämmtlich in Albertotypie. Die Bildnisse sind
alle wohl getroffen und wahre Kunstleistungen; sie werden von
biographisch-historischen Einleitungen begleitet. Das ganze Werk
wird nach seiner Vollendung allen Angehörigen des deutschen
Heeres, und diesen nicht allein, eine Gabe von ebenso großem
künstlerischen als patriotischen Werthe sein.

Nr. 347. — 92. Jahrgang.
Abendblatt.
München, Montag, 15. December 1890.
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Abonnementspreis
in München b. d. Ex-
pedition oder den im
Stadtbezirk ertichte-
ten Depots abgeholt
monatt. M. 2. —, bei
2malig. Zuſiellung ins
Haus M. 2.50; durch
d. Poſt bejogen: vier-
teljährlich f. Deutſchl.
u. Oeſterreich M. 9. —,
für d. Ausl, mit ent-
ſprebendem Zuſchlag.
Direlier Bezug
unter Streifband für
Deutſchland
a. Oeſterreich monatl.
M. 4. —, Rusland
M. 5. 60.

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Allgemeine Zeitung.
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Inſertionspreis
p. Colonelzeile 25 Pf.;
ſinanzielle Anzelgen
35 Pf.; Lokalanzeigen
20 Pf.; kleine Anzei-
gen i. gewöhnl Schrift
3 Pf., in ſetter Schrift
5 Pf. für das Wort.



Redaktion u. Expedi-
tion befinden ſich
Schwanthalerſtr. 73
in München.


Berichte ſind an die
Redaktion, Inſerat-
aufleäge an die Ex-
pedition franko einzu-
ſenden.

[Spaltenumbruch]

Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str. London; für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat.
Bocca
in Turin, Florenz und Rom, U. Hoepli in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt-
amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steigeru, Co., Guſt. E. Stechert,
Weſtermann u. Co., International Publiſhing Agency.
710 Broadway, in New York.
Verantwortlicher Redakteur: Hugo Jacobi in München.

[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]

Inſeratenannahme in München b. d. Erpedition, Schwanthalerſtraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln,
Leivzig, Franlfurta M., Stuttgart, Nürnbera. Wien, Paris, London, Zürich, Baſel ꝛc. b d Annoncenbureaux G. L Daube
u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe.
In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
Dresden. Leipzig. Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner. New York bei der Intern. Publiſhing Ageney, 710 Broadway.
Druck und Yerlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachſolger in Stuttgart und München.

[Spaltenumbruch]
Inhalts-Ueberſicht.
Politiſche Rundſchau.
Deutſches Reich. §§ Berlin: Reichstag und Landtag. # Un-
fall- und Reconvaleſcentenhaus. = Geſchäftslage des Reichstags.
Zum Zuckerſteuergeſetz. Landtagsangelegenheiten. Schulreform-
conferenz. Erlaß des evangeliſchen Oberkirchenraths über die
Ehefrage. Eingaben an den Reichstag. * Hof- und Perſonal-
nachrichten. Verkehrserleichterungen. Commentar zum Invaliditäts-
und Altersverſicherungsgeſetze. λ Meiningen: Vorlagen für
die Landesſynode. (*) Coburg: Vom Hofe. ∞ Stuttgart:
Wahlbewegung. 𝓞 Gegen die Jeſuiten.
Oeſterreich-Ungarn. Wien: Parlamentariſches. Neue tſchechiſche
Partei. Die Handelsvertragsverhandlungen. Einfuhr ruſſiſcher
Kartoffeln. Staatsrechnungsabſchluß. Oeſterreichiſche Officiere in
Rußland. Peſt: Biſchofsconferenz. Reichstag. Aus Agram.
Hiezu: Zweites Abendblatt und Beilage.
München, 15. December.

Zu der vielerörterten preußiſchen Stempelerlaß-
angelegenheit,
welche der Abg. Nichter nun auch in
einer Anfrage an das Staatsminiſterium vor den Landtag
gebracht hat, führen die „Hamb. Nachr.“ in ihrer Sonn-
tagsnummer den Nachweis, daß in dieſer Frage res
judicala
durch den Landtag ſelbſt vorliegt, welcher im
Jahre 1885 einen ſolchen Stempelerlaß bewilligt hat.
Die „Hamb. Nachr.“ halten es für zweifellos, daß die
preußiſche Verfaſſung dem Könige das Recht zum Erlaß
des Fideicommißſtempels aus eigener Machtvollkommenheit
nicht entzogen habe, wollen jedoch einſtweilen dieſe Frage
auf ſich beruhen laſſen und nur der Meinung Ausdruck
geben, „daß, wenn der Erlaß des Fideicommißſtempels
als eine ſo exorbitante Begünſtigung der betreffenden
Perſon, ja geradezu als eine Verletzung von Recht und
Verfaſſung zu betrachten wäre, es denn doch mindeſtens
ſehr auffällig wäre, daß in einem gegebenen Fall in beiden
Häuſern des Landtages der Monarchie keine einzige Stimme
gegen den Erlaß des Fideicommißſtempels ſich erhoben hat,
als der Landtag darüber zu entſcheiden hatte.“
Der Fall
iſt folgender:

In Gemäßheit einer allerhöchſten Reſolution vom 20. März
1885 wurde dem Landtag ein Geſetzentwurf betreffend
Schadloshaltung des herzoglich ſchleswig-holſteiniſchen Hauſes
durch den Miniſter für Landwirthſchaft, Domänen und Forſten
Dr. Lucius, den Miniſter der Juſtiz Dr. Friedberg und den Finanz-
miniſter Dr. v. Scholz zur Beſchlußfaſſung vorgelegt, Inhalts
deſſen unter anderem dem herzoglichen Hauſe eine, vom 1. April
1885 ab vierteljährlich im voraus zu zahlende Jahresrente von
300,000 M. unter den in der Anlage zum Entwurf enthaltenen
näheren Maßgaben bewilligt werden ſollte. In dieſer Anlage heißt
es unter II. Abſatz 3: „Die Errichtung des Fideicommiſſes
und die Regelung des Grundbuches erfolgt ſtempel-
und koſtenfrei.
“ Dieſer Geſetzentwurf wurde ohne irgend
eine Debatte
in den beiden Häuſern der Monarchie angenommen,
und iſt am 1. April 1885 mit der in der gedachten Anlage ent-
[Spaltenumbruch] haltenen, vorerwähnten Beſtimmung über den Stempelerlaß als
Geſetz publicirt worden.

Die „Hamb. Nachr.“ führen nun weiter aus, daß
allerdings dieſer Vorgang die Frage nicht unmittelbar be-
rühre, ob die Krone aus eigener Machtvollkommenheit den
Fideicommißſtempel und überhaupt Steuern erlaſſen könne,
aber die beiden Häuſer des Landtags ſeien damals doch
offenbar von der Bejahung dieſer Frage ausgegangen,
„denn wenn der Art. 101 der Verfaſſungs-Urkunde vor-
ſchreibt, daß in Betreff der Steuern Bevorzugungen nicht
eingeführt werden können, und in dem Erlaß des Fidei-
commißſtempels für das herzoglich ſchleswig holſteiniſche
Fürſtenhaus doch unzweifelhaft eine ausnahmsweiſe
Bevorzugung desſelben lag, ſo hätte, wenn dem Könige die
Befugniß zu dem Erlaß des Stempels damals nicht bei-
gemeſſen worden wäre, der vorgelegte Geſetzentwurf über
die Schadloshaltung des ſchleswig holſteiniſchen Fürſten-
hauſes eben wegen der darin ertheilten, dem Artikel 101
der Verfaſſung widerſtreitenden Vergünſtigung nach dem
Artikel 101 der Verfaſſung als eine Verfaſſungsänderung
enthaltend behandelt werden müſſen.“
Eine ſolche Auf-
faſſung ſei jedoch damals von keinem Mitgliede eines der
beiden Häuſer des Landtags verlautbart, der Geſetzentwurf
vielmehr in beiden Kammern ohne jegliche Debatte auge-
nommen worden. „Die Art. 101 und 107 der Ver-
faſſung waren den Mitgliedern des Landtages ſelbſt-
verſtändlich nicht unbekannt, und wenn auf ſelbige
leine Nückſicht genommen wurde, ſo hatte dies,
wie damals weuigſtens vielfach geäußert wurde, eben darin
ſeinen Grund, daß dem Könige das Recht ohne weiteres
zuſteht, den Fideicommißſtempel zu erlaſſen, und daß die
Aufnahme hinſichtlich dieſes Erlaſſes in das Geſetz nur
zur Vollſtändigkeit der hinſichtlich des Fideicommiſſes ge-
troffenen Beſtimmungen geſchehen ſei.“
Hätten einzelne
Mitglieder des Landtags das Recht des Königs zum Erlaß
des Fideicommißſtempels damals nicht anertannt, aber
doch dazu geſchwiegen, ſo würden ſie — ſchließt der
Artikel — gegen die Verfaſſung verſtoßen haben.

Neben dieſer Angelegenheit, welche leicht ſehr erregte
Discuſſionen im Abgeordnetenhauſe zur Folge haben könnte,
da es dem Abgeordneten Richter dabei ebenſo um An-
fechtung eines von der Krone beanſpruchten und geübten
Rechtes, wie um einen Angriff gegen den Fürſten Bismarck
zu thun iſt, zieht am Horizont dieſer Körperſchaft noch
eine andere Wolke in Geſtalt der Berliner Dombaufrage
herauf. Wiederholt war in Anknüpfung an das von
Kaiſer Friedrich III. genehmigte, in ſeinen Grundzügen
von dem hochſeligen Monarchen ſelbſt herrührende Naſch-
dorff’ſche Project, welches Kaiſer Wilhelm II. als Ver-
mächtniß übernommen hat, von einem Koſtenaufwand von
22 Millionen Mark die Rede. Die „Nat.-Ztg.“ erklärte
[Spaltenumbruch] vor einigen Tagen peremptoriſch, daß der Landtag für
mehr als höchſtens 8 Millionen nicht zu haben ſein werde,
worauf die „Nordd. Allg. Ztg.“ erwiderte, Se. Majeſtät
der Kaiſer habe ſeine Entſcheidung dahin getroffen, daß ein
Dom als Predigt- und Gruftkirche mit einem Koſtenaufwand
von etwa 10 Mill. Mark erbaut werden ſoll. Dem mit dem
Berliner Dombau betrauten Architekten Geh. Rath Raſchdorff ſei
die Bearbeitung eines dieſem Plane entſprechenden Projectes
aufgetragen worden. Die „Nat.-Ztg.“ meint nun, daß
— die Beſtätigung dieſer Nachricht vorausgeſetzt — die
Angelegenheit damit in ein neues Stadium getreten ſei.
Wie in gutunterrichteten Berliner Kreiſen früher und auch
jetzt wieder verlautet, hängt das Verbleiben des Miniſters
v. Goßler im Amt weſentlich mit der Dombaufrage zuſam-
men, und ſomit gewinnt auch von dieſem Geſichtspunkt
aus die weitere Entwicklung dieſer Angelegenheit allgemei-
neres Intereſſe.

In England hat nun ſich Gladſtone auch in einer
öffentlichen Anſprache über Parnell und die iriſche
Sache ausgeſprochen (ſ. London). Andrerſeits ſetzt Parnell
in Irland den Kampf um ſeine Stellung fort, aber mit
wechſeludem Erfolge. Wenn er in Dublin und Cork
mehr als gut empfangen worden iſt, kommen dafür aus
Tipperary und Newry entgegengeſetzt lautende Nach-
richten. Geſtern fanden an dieſen beiden in letzter Zeit
vielgenanuten Orten große Verſammlungen ſtatt, in welchen
der Abſetzung Parnells zugeſtimmt wurde. Das Erſcheinen
jener Abgeordneten, welche für Irlands Sache wiederholt
ihre Perſon und Freiheit dort eingeſetzt haben, gibt ihnen
ein Uebergewicht bei dem Volke, welchem ſich Parnell ſeit
8 Jahren nicht gezeigt hat, da er ſeine Muße in anderer
Geſellſchaſt zuzubringen pflegte. Auch die meiſten Zweige
der Nationalliga ſollen gegen den bisherigen Führer ſein,
und mehrere derſelben haben dies bereits öffentlich erklärt.
So dürfte der alte Davitt am Ende doch recht bekommen,
der die ſchließliche Niederlage Parnells auch beim iriſchen
Volke vorausſieht.

Im franzöſiſchen Senat hat der Senator
Boulanger am Samſtag Nachmittag den Bericht des
Finanzausſchuſſes über das Budget und das Anlehen ein-
gebracht; doch wird die Berathung des Berichts erſt heute
Nachmittag beginnen, nachdem ſämmtliche Senatoren in
den Beſitz desſelben gelangt ſind. Der Finanzausſchuß
des franzöſiſchen Oberhauſes hat, wie man ſieht, ſehr raſch
gearbeitet, und wahrſcheinlich wird der Senat ſelbſt dieſem
Beiſpiele folgen. Doch ſoll der Senator Bardoux laut
„Figaro“ beabſichtigen, die Beſteuerung der Congregationen
im gleichen Sinne, wie es von Seite des Hrn. Clauſel
de Couſſergues in der Kammer geſchehen, auch im Ober-
hauſe zur Verhandlung zu bringen, alſo Ermäßigungen
dieſer Steuer zu beantragen. Die Sache wird übrigens

[Spaltenumbruch]
Kleine Zeitung.

Der Stöcker-Commers. Nächſt
den großen Actionen, die ſich in Reichstag und Landtag abſpielen,
hat keine Frage unſres inneren politiſchen Lebens in Berlin ſo
große Erregung und Spannung hervorgerufen, wie der Rücktritt
Stöckers als Hoſprediger. Die Frage: was wird er machen? be-
wegte weite Kreiſe, denn man mag zu ihm ſtehen wie man wolle,
das Eine läßt ſich nicht wegſtreiten, daß er zu einem bedeutſamen
politiſchen Factor in dem Leben der Reichshauptſtadt herangewachſen
iſt. Dieſe Frage iſt nun beantwortet worden durch den Commers,
den die Bürgervereine und die ihnen verwandten Kreiſe am
Donnerſtag in den glänzenden Räumen der Philharmonie ihrem
Führer zur Feier ſeines Geburtstages gegeben haben. Obgleich
die letzten Wochen in denſelben Räumen zahlreiche Feſtverſamm-
lungen vereinigt haben, z. B. den Peters- und den Moltke-Commers,
erinnern wir uns doch nicht, dort eine gleich zahlreich beſuchte
Verſammlung gefunden zu haben. Wer nach 9 Uhr erſchien, fand
keinen Sitz mehr. Die Gallerien waren von einem dicht gedräng-
ten Kranz von Damen beſetzt — offenbar aus den beſſeren Ständen
— während im Saale Handwerker im Feſtrock entſchieden überwogen.
Im ganzen läßt die Verſammlung ſich auf etwa 2000 Köpfe
ſchätzen. Auf der reich mit Blattpflanzen geſchmückten Tribüne hatte
eine vortreſſliche Muſikcapelle Platz geſunden, davor der Tiſch
des Präſidiums und die Rednertribüne. Die einleitenden Reden
— die erſte ſogar in Verſen — waren überſchwänglich gehalten
und thaten unſerm Gefühl nach des Guten zu viel. In der Ver-
ſammlung jedoch wurden ſie ſehr beifällig aufgenommen — je
höher der Ton, um ſo ſtärker das Echo. Wirklich intereſſant
wurde der Abend erſt mit Stöckers Auftreten. Man hat ſeine
Redeweiſe ja oft geſchildert, ſie iſt ruhig, einfach, von
ſeltenen aber entſprechenden Geberden begleitet, im Aſſect
weniger wohltönend als in ihrem regelmäßigen Verlauf; in
der Form knapp, nur ſelten zu längeren Perioden zuſammengefaßt,
nie falſch gebaut. Man kann nicht ſagen, daß Stöcker in
ſeiner Diction durch neue Gedanken überraſcht, vielmehr iſt der
Vorrath ſeiner Ideen wohl bekannt, aber er verſteht es, ihnen
immer eine actuelle Form zu geben, und ſelten mag ein Redner
mit ſolcher Meiſterſchaft die Tonleiter der Empfindungen ſeiner Zu-
hörer beherrſcht haben. Auch diesmal begann Stöcker in ruhigſtem Ton;
er dankte denjenigen, die ihn geladen, erinnerte mit kurzen Worten an
[Spaltenumbruch] einen verſtorbenen Mitkämpfer und ließ dieſen in Hinblick auf die Ver-
hältniſſe, in denen Stöcker jetzt ſteht, ſagen: „es iſt gut ſo, du biſt
nun freier!“ Zwar blicke er nicht leicht in die Zukunft; die Einen
riethen ihm, ſich ganz der Politik zu widmen, die Anderen ſagten,
er ſolle in Zukunft nur als Geiſtlicher wirken. „Was ſoll ich thun?
ich denke, ich bleibe beim Alten!“ Denn gerade im Hinblick auf
ſeine Pflichten als Geiſtlicher ſei er ins öffentliche Leben getreten
und habe gekämpft, ſo gut er gekonnt; es ſei nur natürlich, daß
er dabei Wunden erhalten habe, und ſo rede er auch jetzt zwar
als ein Verwundeter, aber nicht als ein Verzagter, feſt entſchloſſen,
die alte Fahne: für Kirche und Vaterland, für die chriſtlich-ſociale und
die Berliner Vewegung, auch ſerner hochzuhalten. Als er 1874 nach
Berlin gekommen, da habe die religiöſe Verwüſtung des Volkes
in ihm den Entſchluß wachgerufen, ſein Leben daran zu ſetzen, daß
die Hauptſtadt des Deutſchen Reichs nicht ſittlich zu Grunde gehe.
In ſeiner packenden Weiſe knüpfte Stöcker hieran eine Schilderung
derjenigen Zuſtände, die in den Tagen des großen Krachs und nach
demſelben Berlin beherrſchten. Allmählich aber hätten immer mehr
Männer ſich um ihn geſchaart, und wenn es heute heiße: der
Mohr hat ſeine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen, ſo
klinge das, als habe man ihn angeſtiftet oder abcommandirt zu
thun, was er gethan. Er habe aber nie eine Ermunterung oder
einen Wink von der Stelle erhalten, an welcher man Mohren dreſſire
oder abcommandire. Die weiteren Ausführungen Stöckers über die
Richtung ſeiner Thätigkeit und über die zu bekämpfenden Gefahren
trugen ganz den aus ſeinen früheren Reden bekannten Charakter,
und ein Hoch auf Deutſchland bildete den mit nicht enden-
wollendem Jubel aufgenommenen Schluß. Auch die folgenden
Redner: Profeſſor Wagner, v. Kleiſt-Retzow, v. Liebermann
u. A. hielten ſich im Rahmen bekannter Ausführungen. Man
hatte den Eindruck, daß die Partei entſchloſſen ſei, den Füh-
rer nicht zu verlaſſen; zugleich aber auch den anderen Eindruck,
daß die Partei ohne dieſen Führer ſich nicht werde behaupten kön-
nen. Es iſt wohl richtig, wenn Stöcker ausführt, daß er ſeine
Politik von den Ereigniſſen des Tages werde beſtimmen laſſen;
daß er auf gute, wie auf böſe Tage rechne. Bleiben will er bei
ſeinem Progamm, aber die Frage der Zukunft für ihn wird wohl
die ſein, wie weit er es durch die Praxis des politiſchen Lebens
abſchleifen und ummodeln wird.

⁑ Man ſchreibt uns aus Rotterdam: Am 17. und 18. ds.
finden zu Heerenveen (Friesland) die großen vom Niederländiſchen
Schlittſchuhläuferbunde ausgeſchriebenen internationalen Wett-
[Spaltenumbruch] laufen
ſtatt. Die bekannteſten Schlittſchuhfahrer der Welt, wie
Donoghue aus Amerika, Grunden aus Stockholm und Frederiks
aus Dänemark kämpfen mit. Zu Amſterdam wird am 22. und
23. ds. eine internationale Schlittſchuhwettfahrt um die Meiſter-
ſchaft der Welt abgehalten werden.

* Ueber Henrik Ibſens neues Drama berichtet die
„Freie Bühne“: Bei einer Zuſammenkunft im Café Maximilian
in München, das für die Ibſen-Verehrer ſchon ſo etwas wie ein
claſſiſcher Ort geworden iſt, den man aufſucht, den Dichter zu
ſprechen, oder doch wenigſtens zu ſehen, gab Ibſen einige inter-
eſſante Mittheilungen über ſein neues Werk. Solange er an der
Arbeit iſt, erfährt Niemand als ſeine Galtin von ſeinen Plänen;
nun, da er das Stück in Druck gegeben (es erſcheint gleichzeitig in ſechs
Sprachen: däniſch, deutſch, engliſch, franzöſiſch, italieniſch und
ungariſch), ging er ſreier mit der Sprache heraus. Das Stück hat ſechs
Hauptperſonen und eine Nebenperſon; im Mittelpunkt ſtehen zwei
verheirathete Frauen, Contraſtſiguren, ungleich an Jahren und an
Art. Die eine, jüngere, wenn wir recht verſtanden haben, iſt die
Heldin Hedda Gabler. Nach ihr ſoll das Stück heißen, wie die
Zeitungen gemeldet haben; doch ſind wir nicht ganz ſicher, ob das
nicht ein Deckblatt iſt, hinter dem der eigentliche Titel ſich ver-
birgt. Von einem Problem, einer Theſe ſei er weniger denn je
ausgegangen, meinte Ibſen. „Ich habe mich beſtrebt, Menſchen zu
ſchildern, ſo exact wie möglich, ſo detaillirt wie möglich, nichts
darüber. Es kann wohl ſein, daß man in dem Drama etwas
Revolutionäres finden wird, aber das bleibt im Hintergrund; die
Geſtalten allein ſprechen, nicht ich.“
Wie zur Beſtätigung fügte
Jbſen noch hinzu: das Stück enthalte „einige neue Teufeleien“.

* Unter dem Titel „Deutſche Heerführer“, ein deutſches
Heldenbuch in Wort und Bild, gibt Joſ. Albert, Hofkunſt-
anſtalt und Verlag in München, ein in acht Lieferungen in Groß-
folioformat erſcheinendes Prachtwerk heraus. Die ſoeben erſchienene
erſte Lieferung desſelben enthält das Bildniß Kaiſer Wilhelms in
Heliogravure und die Portraits des Reichskanzlers und Generals
v. Caprivi, des Chefs des Generalſtabs Grafen Walderſee, des
Generals Frhrn. v. Meerſcheidt-Hülleſſem und des Generaloberſten
v. Pape, letztere ſämmtlich in Albertotypie. Die Bildniſſe ſind
alle wohl getroffen und wahre Kunſtleiſtungen; ſie werden von
biographiſch-hiſtoriſchen Einleitungen begleitet. Das ganze Werk
wird nach ſeiner Vollendung allen Angehörigen des deutſchen
Heeres, und dieſen nicht allein, eine Gabe von ebenſo großem
künſtleriſchen als patriotiſchen Werthe ſein.

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          <p>* Unter dem Titel &#x201E;<hi rendition="#g">Deut&#x017F;che Heerführer</hi>&#x201C;, ein deut&#x017F;ches<lb/>
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[0001] Nr. 347. — 92. Jahrgang. Abendblatt. München, Montag, 15. December 1890. Abonnementspreis in München b. d. Ex- pedition oder den im Stadtbezirk ertichte- ten Depots abgeholt monatt. M. 2. —, bei 2malig. Zuſiellung ins Haus M. 2.50; durch d. Poſt bejogen: vier- teljährlich f. Deutſchl. u. Oeſterreich M. 9. —, für d. Ausl, mit ent- ſprebendem Zuſchlag. Direlier Bezug unter Streifband für Deutſchland a. Oeſterreich monatl. M. 4. —, Rusland M. 5. 60. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis p. Colonelzeile 25 Pf.; ſinanzielle Anzelgen 35 Pf.; Lokalanzeigen 20 Pf.; kleine Anzei- gen i. gewöhnl Schrift 3 Pf., in ſetter Schrift 5 Pf. für das Wort. Redaktion u. Expedi- tion befinden ſich Schwanthalerſtr. 73 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufleäge an die Ex- pedition franko einzu- ſenden. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str. London; für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. 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Inhalts-Ueberſicht. Politiſche Rundſchau. Deutſches Reich. §§ Berlin: Reichstag und Landtag. # Un- fall- und Reconvaleſcentenhaus. = Geſchäftslage des Reichstags. Zum Zuckerſteuergeſetz. Landtagsangelegenheiten. Schulreform- conferenz. Erlaß des evangeliſchen Oberkirchenraths über die Ehefrage. Eingaben an den Reichstag. * Hof- und Perſonal- nachrichten. Verkehrserleichterungen. Commentar zum Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetze. λ Meiningen: Vorlagen für die Landesſynode. (*) Coburg: Vom Hofe. ∞ Stuttgart: Wahlbewegung. &#x1D4DE; Gegen die Jeſuiten. Oeſterreich-Ungarn. Wien: Parlamentariſches. Neue tſchechiſche Partei. Die Handelsvertragsverhandlungen. Einfuhr ruſſiſcher Kartoffeln. Staatsrechnungsabſchluß. Oeſterreichiſche Officiere in Rußland. Peſt: Biſchofsconferenz. Reichstag. Aus Agram. Hiezu: Zweites Abendblatt und Beilage. München, 15. December. Zu der vielerörterten preußiſchen Stempelerlaß- angelegenheit, welche der Abg. Nichter nun auch in einer Anfrage an das Staatsminiſterium vor den Landtag gebracht hat, führen die „Hamb. Nachr.“ in ihrer Sonn- tagsnummer den Nachweis, daß in dieſer Frage res judicala durch den Landtag ſelbſt vorliegt, welcher im Jahre 1885 einen ſolchen Stempelerlaß bewilligt hat. Die „Hamb. Nachr.“ halten es für zweifellos, daß die preußiſche Verfaſſung dem Könige das Recht zum Erlaß des Fideicommißſtempels aus eigener Machtvollkommenheit nicht entzogen habe, wollen jedoch einſtweilen dieſe Frage auf ſich beruhen laſſen und nur der Meinung Ausdruck geben, „daß, wenn der Erlaß des Fideicommißſtempels als eine ſo exorbitante Begünſtigung der betreffenden Perſon, ja geradezu als eine Verletzung von Recht und Verfaſſung zu betrachten wäre, es denn doch mindeſtens ſehr auffällig wäre, daß in einem gegebenen Fall in beiden Häuſern des Landtages der Monarchie keine einzige Stimme gegen den Erlaß des Fideicommißſtempels ſich erhoben hat, als der Landtag darüber zu entſcheiden hatte.“ Der Fall iſt folgender: In Gemäßheit einer allerhöchſten Reſolution vom 20. März 1885 wurde dem Landtag ein Geſetzentwurf betreffend Schadloshaltung des herzoglich ſchleswig-holſteiniſchen Hauſes durch den Miniſter für Landwirthſchaft, Domänen und Forſten Dr. Lucius, den Miniſter der Juſtiz Dr. Friedberg und den Finanz- miniſter Dr. v. Scholz zur Beſchlußfaſſung vorgelegt, Inhalts deſſen unter anderem dem herzoglichen Hauſe eine, vom 1. April 1885 ab vierteljährlich im voraus zu zahlende Jahresrente von 300,000 M. unter den in der Anlage zum Entwurf enthaltenen näheren Maßgaben bewilligt werden ſollte. In dieſer Anlage heißt es unter II. Abſatz 3: „Die Errichtung des Fideicommiſſes und die Regelung des Grundbuches erfolgt ſtempel- und koſtenfrei.“ Dieſer Geſetzentwurf wurde ohne irgend eine Debatte in den beiden Häuſern der Monarchie angenommen, und iſt am 1. April 1885 mit der in der gedachten Anlage ent- haltenen, vorerwähnten Beſtimmung über den Stempelerlaß als Geſetz publicirt worden. Die „Hamb. Nachr.“ führen nun weiter aus, daß allerdings dieſer Vorgang die Frage nicht unmittelbar be- rühre, ob die Krone aus eigener Machtvollkommenheit den Fideicommißſtempel und überhaupt Steuern erlaſſen könne, aber die beiden Häuſer des Landtags ſeien damals doch offenbar von der Bejahung dieſer Frage ausgegangen, „denn wenn der Art. 101 der Verfaſſungs-Urkunde vor- ſchreibt, daß in Betreff der Steuern Bevorzugungen nicht eingeführt werden können, und in dem Erlaß des Fidei- commißſtempels für das herzoglich ſchleswig holſteiniſche Fürſtenhaus doch unzweifelhaft eine ausnahmsweiſe Bevorzugung desſelben lag, ſo hätte, wenn dem Könige die Befugniß zu dem Erlaß des Stempels damals nicht bei- gemeſſen worden wäre, der vorgelegte Geſetzentwurf über die Schadloshaltung des ſchleswig holſteiniſchen Fürſten- hauſes eben wegen der darin ertheilten, dem Artikel 101 der Verfaſſung widerſtreitenden Vergünſtigung nach dem Artikel 101 der Verfaſſung als eine Verfaſſungsänderung enthaltend behandelt werden müſſen.“ Eine ſolche Auf- faſſung ſei jedoch damals von keinem Mitgliede eines der beiden Häuſer des Landtags verlautbart, der Geſetzentwurf vielmehr in beiden Kammern ohne jegliche Debatte auge- nommen worden. „Die Art. 101 und 107 der Ver- faſſung waren den Mitgliedern des Landtages ſelbſt- verſtändlich nicht unbekannt, und wenn auf ſelbige leine Nückſicht genommen wurde, ſo hatte dies, wie damals weuigſtens vielfach geäußert wurde, eben darin ſeinen Grund, daß dem Könige das Recht ohne weiteres zuſteht, den Fideicommißſtempel zu erlaſſen, und daß die Aufnahme hinſichtlich dieſes Erlaſſes in das Geſetz nur zur Vollſtändigkeit der hinſichtlich des Fideicommiſſes ge- troffenen Beſtimmungen geſchehen ſei.“ Hätten einzelne Mitglieder des Landtags das Recht des Königs zum Erlaß des Fideicommißſtempels damals nicht anertannt, aber doch dazu geſchwiegen, ſo würden ſie — ſchließt der Artikel — gegen die Verfaſſung verſtoßen haben. Neben dieſer Angelegenheit, welche leicht ſehr erregte Discuſſionen im Abgeordnetenhauſe zur Folge haben könnte, da es dem Abgeordneten Richter dabei ebenſo um An- fechtung eines von der Krone beanſpruchten und geübten Rechtes, wie um einen Angriff gegen den Fürſten Bismarck zu thun iſt, zieht am Horizont dieſer Körperſchaft noch eine andere Wolke in Geſtalt der Berliner Dombaufrage herauf. Wiederholt war in Anknüpfung an das von Kaiſer Friedrich III. genehmigte, in ſeinen Grundzügen von dem hochſeligen Monarchen ſelbſt herrührende Naſch- dorff’ſche Project, welches Kaiſer Wilhelm II. als Ver- mächtniß übernommen hat, von einem Koſtenaufwand von 22 Millionen Mark die Rede. Die „Nat.-Ztg.“ erklärte vor einigen Tagen peremptoriſch, daß der Landtag für mehr als höchſtens 8 Millionen nicht zu haben ſein werde, worauf die „Nordd. Allg. Ztg.“ erwiderte, Se. Majeſtät der Kaiſer habe ſeine Entſcheidung dahin getroffen, daß ein Dom als Predigt- und Gruftkirche mit einem Koſtenaufwand von etwa 10 Mill. Mark erbaut werden ſoll. Dem mit dem Berliner Dombau betrauten Architekten Geh. Rath Raſchdorff ſei die Bearbeitung eines dieſem Plane entſprechenden Projectes aufgetragen worden. Die „Nat.-Ztg.“ meint nun, daß — die Beſtätigung dieſer Nachricht vorausgeſetzt — die Angelegenheit damit in ein neues Stadium getreten ſei. Wie in gutunterrichteten Berliner Kreiſen früher und auch jetzt wieder verlautet, hängt das Verbleiben des Miniſters v. Goßler im Amt weſentlich mit der Dombaufrage zuſam- men, und ſomit gewinnt auch von dieſem Geſichtspunkt aus die weitere Entwicklung dieſer Angelegenheit allgemei- neres Intereſſe. In England hat nun ſich Gladſtone auch in einer öffentlichen Anſprache über Parnell und die iriſche Sache ausgeſprochen (ſ. London). Andrerſeits ſetzt Parnell in Irland den Kampf um ſeine Stellung fort, aber mit wechſeludem Erfolge. Wenn er in Dublin und Cork mehr als gut empfangen worden iſt, kommen dafür aus Tipperary und Newry entgegengeſetzt lautende Nach- richten. Geſtern fanden an dieſen beiden in letzter Zeit vielgenanuten Orten große Verſammlungen ſtatt, in welchen der Abſetzung Parnells zugeſtimmt wurde. Das Erſcheinen jener Abgeordneten, welche für Irlands Sache wiederholt ihre Perſon und Freiheit dort eingeſetzt haben, gibt ihnen ein Uebergewicht bei dem Volke, welchem ſich Parnell ſeit 8 Jahren nicht gezeigt hat, da er ſeine Muße in anderer Geſellſchaſt zuzubringen pflegte. Auch die meiſten Zweige der Nationalliga ſollen gegen den bisherigen Führer ſein, und mehrere derſelben haben dies bereits öffentlich erklärt. So dürfte der alte Davitt am Ende doch recht bekommen, der die ſchließliche Niederlage Parnells auch beim iriſchen Volke vorausſieht. Im franzöſiſchen Senat hat der Senator Boulanger am Samſtag Nachmittag den Bericht des Finanzausſchuſſes über das Budget und das Anlehen ein- gebracht; doch wird die Berathung des Berichts erſt heute Nachmittag beginnen, nachdem ſämmtliche Senatoren in den Beſitz desſelben gelangt ſind. Der Finanzausſchuß des franzöſiſchen Oberhauſes hat, wie man ſieht, ſehr raſch gearbeitet, und wahrſcheinlich wird der Senat ſelbſt dieſem Beiſpiele folgen. Doch ſoll der Senator Bardoux laut „Figaro“ beabſichtigen, die Beſteuerung der Congregationen im gleichen Sinne, wie es von Seite des Hrn. Clauſel de Couſſergues in der Kammer geſchehen, auch im Ober- hauſe zur Verhandlung zu bringen, alſo Ermäßigungen dieſer Steuer zu beantragen. Die Sache wird übrigens Kleine Zeitung. n. Berlin, 12. Dec. Der Stöcker-Commers. Nächſt den großen Actionen, die ſich in Reichstag und Landtag abſpielen, hat keine Frage unſres inneren politiſchen Lebens in Berlin ſo große Erregung und Spannung hervorgerufen, wie der Rücktritt Stöckers als Hoſprediger. Die Frage: was wird er machen? be- wegte weite Kreiſe, denn man mag zu ihm ſtehen wie man wolle, das Eine läßt ſich nicht wegſtreiten, daß er zu einem bedeutſamen politiſchen Factor in dem Leben der Reichshauptſtadt herangewachſen iſt. Dieſe Frage iſt nun beantwortet worden durch den Commers, den die Bürgervereine und die ihnen verwandten Kreiſe am Donnerſtag in den glänzenden Räumen der Philharmonie ihrem Führer zur Feier ſeines Geburtstages gegeben haben. Obgleich die letzten Wochen in denſelben Räumen zahlreiche Feſtverſamm- lungen vereinigt haben, z. B. den Peters- und den Moltke-Commers, erinnern wir uns doch nicht, dort eine gleich zahlreich beſuchte Verſammlung gefunden zu haben. Wer nach 9 Uhr erſchien, fand keinen Sitz mehr. Die Gallerien waren von einem dicht gedräng- ten Kranz von Damen beſetzt — offenbar aus den beſſeren Ständen — während im Saale Handwerker im Feſtrock entſchieden überwogen. Im ganzen läßt die Verſammlung ſich auf etwa 2000 Köpfe ſchätzen. Auf der reich mit Blattpflanzen geſchmückten Tribüne hatte eine vortreſſliche Muſikcapelle Platz geſunden, davor der Tiſch des Präſidiums und die Rednertribüne. Die einleitenden Reden — die erſte ſogar in Verſen — waren überſchwänglich gehalten und thaten unſerm Gefühl nach des Guten zu viel. In der Ver- ſammlung jedoch wurden ſie ſehr beifällig aufgenommen — je höher der Ton, um ſo ſtärker das Echo. Wirklich intereſſant wurde der Abend erſt mit Stöckers Auftreten. Man hat ſeine Redeweiſe ja oft geſchildert, ſie iſt ruhig, einfach, von ſeltenen aber entſprechenden Geberden begleitet, im Aſſect weniger wohltönend als in ihrem regelmäßigen Verlauf; in der Form knapp, nur ſelten zu längeren Perioden zuſammengefaßt, nie falſch gebaut. Man kann nicht ſagen, daß Stöcker in ſeiner Diction durch neue Gedanken überraſcht, vielmehr iſt der Vorrath ſeiner Ideen wohl bekannt, aber er verſteht es, ihnen immer eine actuelle Form zu geben, und ſelten mag ein Redner mit ſolcher Meiſterſchaft die Tonleiter der Empfindungen ſeiner Zu- hörer beherrſcht haben. Auch diesmal begann Stöcker in ruhigſtem Ton; er dankte denjenigen, die ihn geladen, erinnerte mit kurzen Worten an einen verſtorbenen Mitkämpfer und ließ dieſen in Hinblick auf die Ver- hältniſſe, in denen Stöcker jetzt ſteht, ſagen: „es iſt gut ſo, du biſt nun freier!“ Zwar blicke er nicht leicht in die Zukunft; die Einen riethen ihm, ſich ganz der Politik zu widmen, die Anderen ſagten, er ſolle in Zukunft nur als Geiſtlicher wirken. „Was ſoll ich thun? ich denke, ich bleibe beim Alten!“ Denn gerade im Hinblick auf ſeine Pflichten als Geiſtlicher ſei er ins öffentliche Leben getreten und habe gekämpft, ſo gut er gekonnt; es ſei nur natürlich, daß er dabei Wunden erhalten habe, und ſo rede er auch jetzt zwar als ein Verwundeter, aber nicht als ein Verzagter, feſt entſchloſſen, die alte Fahne: für Kirche und Vaterland, für die chriſtlich-ſociale und die Berliner Vewegung, auch ſerner hochzuhalten. Als er 1874 nach Berlin gekommen, da habe die religiöſe Verwüſtung des Volkes in ihm den Entſchluß wachgerufen, ſein Leben daran zu ſetzen, daß die Hauptſtadt des Deutſchen Reichs nicht ſittlich zu Grunde gehe. In ſeiner packenden Weiſe knüpfte Stöcker hieran eine Schilderung derjenigen Zuſtände, die in den Tagen des großen Krachs und nach demſelben Berlin beherrſchten. Allmählich aber hätten immer mehr Männer ſich um ihn geſchaart, und wenn es heute heiße: der Mohr hat ſeine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen, ſo klinge das, als habe man ihn angeſtiftet oder abcommandirt zu thun, was er gethan. Er habe aber nie eine Ermunterung oder einen Wink von der Stelle erhalten, an welcher man Mohren dreſſire oder abcommandire. Die weiteren Ausführungen Stöckers über die Richtung ſeiner Thätigkeit und über die zu bekämpfenden Gefahren trugen ganz den aus ſeinen früheren Reden bekannten Charakter, und ein Hoch auf Deutſchland bildete den mit nicht enden- wollendem Jubel aufgenommenen Schluß. Auch die folgenden Redner: Profeſſor Wagner, v. Kleiſt-Retzow, v. Liebermann u. A. hielten ſich im Rahmen bekannter Ausführungen. Man hatte den Eindruck, daß die Partei entſchloſſen ſei, den Füh- rer nicht zu verlaſſen; zugleich aber auch den anderen Eindruck, daß die Partei ohne dieſen Führer ſich nicht werde behaupten kön- nen. Es iſt wohl richtig, wenn Stöcker ausführt, daß er ſeine Politik von den Ereigniſſen des Tages werde beſtimmen laſſen; daß er auf gute, wie auf böſe Tage rechne. Bleiben will er bei ſeinem Progamm, aber die Frage der Zukunft für ihn wird wohl die ſein, wie weit er es durch die Praxis des politiſchen Lebens abſchleifen und ummodeln wird. ⁑ Man ſchreibt uns aus Rotterdam: Am 17. und 18. ds. finden zu Heerenveen (Friesland) die großen vom Niederländiſchen Schlittſchuhläuferbunde ausgeſchriebenen internationalen Wett- laufen ſtatt. Die bekannteſten Schlittſchuhfahrer der Welt, wie Donoghue aus Amerika, Grunden aus Stockholm und Frederiks aus Dänemark kämpfen mit. Zu Amſterdam wird am 22. und 23. ds. eine internationale Schlittſchuhwettfahrt um die Meiſter- ſchaft der Welt abgehalten werden. * Ueber Henrik Ibſens neues Drama berichtet die „Freie Bühne“: Bei einer Zuſammenkunft im Café Maximilian in München, das für die Ibſen-Verehrer ſchon ſo etwas wie ein claſſiſcher Ort geworden iſt, den man aufſucht, den Dichter zu ſprechen, oder doch wenigſtens zu ſehen, gab Ibſen einige inter- eſſante Mittheilungen über ſein neues Werk. Solange er an der Arbeit iſt, erfährt Niemand als ſeine Galtin von ſeinen Plänen; nun, da er das Stück in Druck gegeben (es erſcheint gleichzeitig in ſechs Sprachen: däniſch, deutſch, engliſch, franzöſiſch, italieniſch und ungariſch), ging er ſreier mit der Sprache heraus. Das Stück hat ſechs Hauptperſonen und eine Nebenperſon; im Mittelpunkt ſtehen zwei verheirathete Frauen, Contraſtſiguren, ungleich an Jahren und an Art. Die eine, jüngere, wenn wir recht verſtanden haben, iſt die Heldin Hedda Gabler. Nach ihr ſoll das Stück heißen, wie die Zeitungen gemeldet haben; doch ſind wir nicht ganz ſicher, ob das nicht ein Deckblatt iſt, hinter dem der eigentliche Titel ſich ver- birgt. Von einem Problem, einer Theſe ſei er weniger denn je ausgegangen, meinte Ibſen. „Ich habe mich beſtrebt, Menſchen zu ſchildern, ſo exact wie möglich, ſo detaillirt wie möglich, nichts darüber. Es kann wohl ſein, daß man in dem Drama etwas Revolutionäres finden wird, aber das bleibt im Hintergrund; die Geſtalten allein ſprechen, nicht ich.“ Wie zur Beſtätigung fügte Jbſen noch hinzu: das Stück enthalte „einige neue Teufeleien“. * Unter dem Titel „Deutſche Heerführer“, ein deutſches Heldenbuch in Wort und Bild, gibt Joſ. Albert, Hofkunſt- anſtalt und Verlag in München, ein in acht Lieferungen in Groß- folioformat erſcheinendes Prachtwerk heraus. Die ſoeben erſchienene erſte Lieferung desſelben enthält das Bildniß Kaiſer Wilhelms in Heliogravure und die Portraits des Reichskanzlers und Generals v. Caprivi, des Chefs des Generalſtabs Grafen Walderſee, des Generals Frhrn. v. Meerſcheidt-Hülleſſem und des Generaloberſten v. Pape, letztere ſämmtlich in Albertotypie. Die Bildniſſe ſind alle wohl getroffen und wahre Kunſtleiſtungen; ſie werden von biographiſch-hiſtoriſchen Einleitungen begleitet. Das ganze Werk wird nach ſeiner Vollendung allen Angehörigen des deutſchen Heeres, und dieſen nicht allein, eine Gabe von ebenſo großem künſtleriſchen als patriotiſchen Werthe ſein.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 347, 15. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine347_1890/1>, abgerufen am 15.05.2024.