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Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 3. Februar 1850.

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Sonntag.
Beilage zu Nr. 34 der Allg. Zeitung.
3 Februar 1850.

[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Peter v. Cornelius' Compositionen für die Friedhofhalle in Berlin.
(III.) -- Politische Genrebilder aus einem deutschen Kleinstaat. (III.)
-- München. (Die Kammer der Reichsräthe über die Gerichtsverfassung.)
-- Die Justizreform in Ungarn. -- Wainwright.



Peter v. Cornelius' Compositionen für die Friedhof-
halle in Berlin.
III.

e Daß das Ganze Cornelius' größtes und reifstes Werk ist, glau-
ben wir gezeigt zu haben. Die Feder kann freilich nur andeuten, nur
den Sinn hinlenken auf das was geleistet ist; empfänglichen, mit Phan-
tasten begabten Lesern wird aber damit zugleich eine Anschauung ge-
geben seyn.

Die Bilder des Campo Santo sind aber nicht nur das größte und
reifste Werk des Meisters: sie sind der Gipfelpunkt der neuen deutschen Kunst.

Wir kommen damit wieder auf den Anfang unsers Aufsatzes zurück.
Die neuere deutsche Kunst, wie wir gesehen, begann damit die Muster-
bilder antiker und mittelalterlicher Kunst in ihrem innern Wesen aufzu-
fassen, den Geist und die Empfindung zu durchdringen aus welcher die
großen Vorgänger geschaffen hatten, um für neuere Productionen den höhern
Inhalt und Standpunkt wieder zu gewinnen. Die begabtesten der jungen
Künstler welche die deutsche Schule bildeten, gingen bei den Meistern frü-
herer Zeiten in die Lehre, sie suchten sich ihren Sinn und Styl wieder
anzueignen, mit dem ausgesprochenen Zweck, mit diesen Erwerbungen
selbständige Bahnen zu gehen. In gewisser Beziehung ist dieß allen ge-
lungen. Auch die weicher organisirten brachten bei ihrer Hingebung an
die Kunst und Denkart des Mittelalters, wobei sie jedoch den Geist ihrer
Zeit nicht verläugnen konnten, eigenthümliche Werke hervor, die das wirk-
liche Gefühl einer Zeitrichtung ausdrücken. Andere lernten Gegenstände
der heiligen und der Welt-Geschichte mit größerer Kraft und freierer An-
mutb behandeln, und vermochten ihren Schöpfungen entschiedener den
Charakter der Selbstständigkeit zu geben. Der Gewinn der Heranbildung
an den Meisterwerken der alten und neuen Zeit trat in der innigeren Em-
pfindung des Gegenstandes, in der höheren Würde und lebendigeren Schön-
heit überall hervor. Einem aber war es vorbehalten die verschiedenen
Richtungen zusammenzufassen, und nach glücklichster Entfaltung seiner
Kräfte das Werk zu schaffen in dem wir die vollendetste Frucht der neuen
Kunstbestrebungen erkennen müssen.

Welche Gunst Cornelius vom Geschick erfuhr, wie sehr sein äußerer
Lebensgang seinem Talent und seiner Neigung entsprach, haben wir ge-
sehen. Nicht geschaffen sich an eine Art und Kunst hinzugeben, vielmehr
offen für den Genius der alten und neuen Zeit, hatte er das Glück Auf-
gaben zu erhalten die ihn nacheinander in beide Welten führten, die ihm
das Studium des Griechenthums wie des Christenthums zur Pflicht mach-
ten. Er begann damit ihr eigenthümliches Leben in der Tiefe zu empfin-
den und kraftvoll hinzustellen. Allein die wahre Kraft führt in natür-
licher Entwickelung zur freien Schönheit. Die mangelhafte Begabung
muß nach Gehalt ringen -- die angeborne Fülle hat nichts anderes zu
thun, und wird auch kein anderes Verlangen empfinden als sich selbst in
schöner Form darzustellen. In diesem Streben fühlen sich die wahren
Genien Eins, der Nachfolgende lernt von dem Vorgänger und wird durch
ihn gesteigert. Wie die großen Künstler des sechzehnten Jahrhunderts
von den Meistern des Alterthums lernten, so sah sich auch der deutsche
Künstler durch die Musterwerke alter und neuer Zeit gefördert. Und als
sich ihm nun endlich, nach vieljährigem Schaffen und vieljährigem Stu-
dium, die seinem Vermögen entsprechendste Aufgabe darbot, da war es
kein Wunder daß er nicht nur sein größtes Werk hervorbrachte, sondern
auch das größte Werk der ganzen neuen Kunstentwicklung.

Die Bilder des Campo Santo sind, wie mir scheint, das größte
Werk der neuern deutschen Kunst, weil in ihnen am vollkommensten er-
reicht ist was diese Kunst von Anfang an erstrebt hat. Hier ist jener
höhere Gehalt, jener würdigste Gegenstand, welchen die jugendliche Ge-
nossenschaft in Rom für die Kunst wieder zu gewinnen trachtete! Hier
ist jene Seele inniger Empfindung die sie als den wahren Grund der Schön-
heit in den Werken der alten Meister erkannte! Hier ist jener große
Styl den sie an antiken und mittelalterlichen Schöpfungen bewunderte
und wiedereinzuführen strebte! Inhalt und Form der edelsten Kunst ist
[Spaltenumbruch] mit männlichem, tiefeingehendem Geiste wiedererobert und zum Eigen-
thum unserer Zeit gemacht. Der Künstler hat den Flug in die höchsten
Regionen gewagt, und seine Meisterschaft hat sich in ihnen bewährt. Das
Erhabene ist in seinen Darstellungen Gegenwart und Natur geworden.
Wunderbare, himmlische Vorgänge sind uns durch die lebendige Auf-
fassung angenähert und wieder vertraut gemacht. Wie viel auch die großen
Talente die mit Cornelius lebten und strebten geleistet, wie sehr sie die
Ziele die sie sich stellten erreicht haben -- die Ideale welche jene deutschen
Maler in Rom begeisterten, in deren Anschauen sie sich losrissen von der
seelenlosen, beengten Kunst des achtzehnten Jahrhunderts: hier vor allen
sind sie in Erfüllung gegangen!

Es versteht sich von selbst daß dieß alles nur möglich war von eigen-
thümlicher Kraft aus, und daß die Bilder des Campo Santo noch etwas
anderes sind als eine, wenn auch freie Reproduction antiker und mittel-
alterlicher Kunst. Der deutsche Genius hat in ihnen seine Aufgabe er-
füllt, das edelste Leben vergangener Zeiten sich anzueignen; aber er hat
sich dabei behauptet in seiner Selbständigkeit, und in Verschmelzung der
lebendig erfaßten Tradition mit den eignen schöpferischen Gedanken, zu-
gleich etwas wesentlich neues und selbständiges hinzustellen vermocht.

Worin aber -- wird man uns fragen -- besteht dieses Neue? Wir
antworten: in der Ausprägung der Eigenschaften, die vorzugsweise dem
germanischen, dem deutschen Stamme, und besonders der Gegenwart
angehören.

Es ist immer mißlich, von einer Kraft zu reden welche eine Natio-
nalität vor der andern voraus habe, weil dieselbe der andern Nationalität
nicht eigentlich fehlt, sondern nur in anderm Maße und anderer Weise in
ihr vorhanden ist, so daß strenggenommen nur von einem Mehr oder Weniger,
nur von einer eigenthümlichen Gestaltung jener Kraft die Rede seyn kann.
Ein solches Mehr und Weniger, eine verschiedene Begabung der Nationen
und Racen in diesem Sinne existirt aber, und niemand der die letzteren
in ihren Lebensäußerungen und Schöpfungen miteinander verglichen hat,
wird sie in Abrede stellen. Weder die italienische, noch die französische
Nation konnte einen Shakspeare, einen Goethe hervorbringen -- die
Vorzüge dieser Nationen liegen nach einer andern Seite hin. Was aber
die beiden germanischen Dichter vor den romanischen auszeichnet, das wer-
den wir nicht anders als Gemüthstiefe und Naturfrische nennen
können. Diese beiden Eigenschaften in eigenthümlich nationaler und in-
dividueller Ausbildung sind es die ihren Werken ein besonderes Wesen
und, wenn wir so sagen dürfen, einen besondern Geschmack verleihen,
durch den sie sich von romanischen Dichtungen aufs bestimmteste unter-
scheiden. Eben diese Eigenschaften sind es auch, die, nach der Individua-
lität des Künstlers, in den Bildern des Campo Santo sich offenbaren,
und einen entschieden eigenthümlichen Eindruck hervorbringen.

Cornelius hat schon durch sein erstes Auftreten bewiesen daß er von
der Mutter Natur ein besonderes Theil germanischer Markigkeit und Le-
bensfülle erhalten. Er bildete diese Gaben mit Lust und Liebe aus, und
nicht zu verwundern ist es wenn er mit ihnen hier und da auch die Linie
überschritt, und in seinen Darstellungen ins Gewaltsame und Schwere
verfiel. Je mehr er sie aber im Verlauf seiner Ausbildung bemeistern
lernte, um so mehr traten sie bei ihm auch in ihrer Tugend hervor. In
seinem neuesten Werke hat er, von ihnen getragen, einem Theil der Bilder
den Ausdruck urgewaltiger Kraft, die sich in bemessenen Bahnen der Kunst
bewegt, andern die Innigkeit und gesättigte Empfindung, andern die
Frische und Heimlichkeit gegeben die uns in ihnen so erquickend anspricht.
So wie diese Eigenschaften in ihnen hervortreten, sind die Bilder des Campo
Santo wesentlich deutsch; durch den Vortrag des edelsten Styls unter-
scheiden sie sich aber auch von den deutschen Werken und erscheinen als
einzig in ihrer Art.

Damit hängt eine andere Eigenschaft genau zusammen. Wie die Na-
tionen sich unterscheiden durch das größere oder geringere Maß gewisser
natürlicher Gaben, so die Zeiten durch das größere oder geringere Maß
geistiger Freiheit. Die Perfectibilität des Menschengeschlechts mag in
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Geist immer höherer Selbständigkeit zuschreitet, daß die spätere Ent-
wicklungsstufe der Menschheit auch die bewußtere ist. Das Gepräge
dieses Bewußtseyns werden aber alle Werke an sich tragen die in einer
solchen Epoche aus ursprünglicher Kraft geschaffen worden sind: aus
allen wird die freiere Seele, die Blüthe der fortgeschrittenen Gesammt-
bildung, dem lebenden Geschlechte vertrauter, hervorblicken, und die
Schöpfung wird sich eben durch sie von denen früherer Jahrhunderte un-
terscheiden. Die Darstellungen des Campo Santo eröffnen uns ideale
Regionen, die Gestalten dürfen hier nicht den individuellen Ausdruck

Sonntag.
Beilage zu Nr. 34 der Allg. Zeitung.
3 Februar 1850.

[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Peter v. Cornelius’ Compoſitionen für die Friedhofhalle in Berlin.
(III.) — Politiſche Genrebilder aus einem deutſchen Kleinſtaat. (III.)
— München. (Die Kammer der Reichsräthe über die Gerichtsverfaſſung.)
— Die Juſtizreform in Ungarn. — Wainwright.



Peter v. Cornelius’ Compoſitionen für die Friedhof-
halle in Berlin.
III.

ɞ Daß das Ganze Cornelius’ größtes und reifſtes Werk iſt, glau-
ben wir gezeigt zu haben. Die Feder kann freilich nur andeuten, nur
den Sinn hinlenken auf das was geleiſtet iſt; empfänglichen, mit Phan-
taſten begabten Leſern wird aber damit zugleich eine Anſchauung ge-
geben ſeyn.

Die Bilder des Campo Santo ſind aber nicht nur das größte und
reifſte Werk des Meiſters: ſie ſind der Gipfelpunkt der neuen deutſchen Kunſt.

Wir kommen damit wieder auf den Anfang unſers Aufſatzes zurück.
Die neuere deutſche Kunſt, wie wir geſehen, begann damit die Muſter-
bilder antiker und mittelalterlicher Kunſt in ihrem innern Weſen aufzu-
faſſen, den Geiſt und die Empfindung zu durchdringen aus welcher die
großen Vorgänger geſchaffen hatten, um für neuere Productionen den höhern
Inhalt und Standpunkt wieder zu gewinnen. Die begabteſten der jungen
Künſtler welche die deutſche Schule bildeten, gingen bei den Meiſtern frü-
herer Zeiten in die Lehre, ſie ſuchten ſich ihren Sinn und Styl wieder
anzueignen, mit dem ausgeſprochenen Zweck, mit dieſen Erwerbungen
ſelbſtändige Bahnen zu gehen. In gewiſſer Beziehung iſt dieß allen ge-
lungen. Auch die weicher organiſirten brachten bei ihrer Hingebung an
die Kunſt und Denkart des Mittelalters, wobei ſie jedoch den Geiſt ihrer
Zeit nicht verläugnen konnten, eigenthümliche Werke hervor, die das wirk-
liche Gefühl einer Zeitrichtung ausdrücken. Andere lernten Gegenſtände
der heiligen und der Welt-Geſchichte mit größerer Kraft und freierer An-
mutb behandeln, und vermochten ihren Schöpfungen entſchiedener den
Charakter der Selbſtſtändigkeit zu geben. Der Gewinn der Heranbildung
an den Meiſterwerken der alten und neuen Zeit trat in der innigeren Em-
pfindung des Gegenſtandes, in der höheren Würde und lebendigeren Schön-
heit überall hervor. Einem aber war es vorbehalten die verſchiedenen
Richtungen zuſammenzufaſſen, und nach glücklichſter Entfaltung ſeiner
Kräfte das Werk zu ſchaffen in dem wir die vollendetſte Frucht der neuen
Kunſtbeſtrebungen erkennen müſſen.

Welche Gunſt Cornelius vom Geſchick erfuhr, wie ſehr ſein äußerer
Lebensgang ſeinem Talent und ſeiner Neigung entſprach, haben wir ge-
ſehen. Nicht geſchaffen ſich an eine Art und Kunſt hinzugeben, vielmehr
offen für den Genius der alten und neuen Zeit, hatte er das Glück Auf-
gaben zu erhalten die ihn nacheinander in beide Welten führten, die ihm
das Studium des Griechenthums wie des Chriſtenthums zur Pflicht mach-
ten. Er begann damit ihr eigenthümliches Leben in der Tiefe zu empfin-
den und kraftvoll hinzuſtellen. Allein die wahre Kraft führt in natür-
licher Entwickelung zur freien Schönheit. Die mangelhafte Begabung
muß nach Gehalt ringen — die angeborne Fülle hat nichts anderes zu
thun, und wird auch kein anderes Verlangen empfinden als ſich ſelbſt in
ſchöner Form darzuſtellen. In dieſem Streben fühlen ſich die wahren
Genien Eins, der Nachfolgende lernt von dem Vorgänger und wird durch
ihn geſteigert. Wie die großen Künſtler des ſechzehnten Jahrhunderts
von den Meiſtern des Alterthums lernten, ſo ſah ſich auch der deutſche
Künſtler durch die Muſterwerke alter und neuer Zeit gefördert. Und als
ſich ihm nun endlich, nach vieljährigem Schaffen und vieljährigem Stu-
dium, die ſeinem Vermögen entſprechendſte Aufgabe darbot, da war es
kein Wunder daß er nicht nur ſein größtes Werk hervorbrachte, ſondern
auch das größte Werk der ganzen neuen Kunſtentwicklung.

Die Bilder des Campo Santo ſind, wie mir ſcheint, das größte
Werk der neuern deutſchen Kunſt, weil in ihnen am vollkommenſten er-
reicht iſt was dieſe Kunſt von Anfang an erſtrebt hat. Hier iſt jener
höhere Gehalt, jener würdigſte Gegenſtand, welchen die jugendliche Ge-
noſſenſchaft in Rom für die Kunſt wieder zu gewinnen trachtete! Hier
iſt jene Seele inniger Empfindung die ſie als den wahren Grund der Schön-
heit in den Werken der alten Meiſter erkannte! Hier iſt jener große
Styl den ſie an antiken und mittelalterlichen Schöpfungen bewunderte
und wiedereinzuführen ſtrebte! Inhalt und Form der edelſten Kunſt iſt
[Spaltenumbruch] mit männlichem, tiefeingehendem Geiſte wiedererobert und zum Eigen-
thum unſerer Zeit gemacht. Der Künſtler hat den Flug in die höchſten
Regionen gewagt, und ſeine Meiſterſchaft hat ſich in ihnen bewährt. Das
Erhabene iſt in ſeinen Darſtellungen Gegenwart und Natur geworden.
Wunderbare, himmliſche Vorgänge ſind uns durch die lebendige Auf-
faſſung angenähert und wieder vertraut gemacht. Wie viel auch die großen
Talente die mit Cornelius lebten und ſtrebten geleiſtet, wie ſehr ſie die
Ziele die ſie ſich ſtellten erreicht haben — die Ideale welche jene deutſchen
Maler in Rom begeiſterten, in deren Anſchauen ſie ſich losriſſen von der
ſeelenloſen, beengten Kunſt des achtzehnten Jahrhunderts: hier vor allen
ſind ſie in Erfüllung gegangen!

Es verſteht ſich von ſelbſt daß dieß alles nur möglich war von eigen-
thümlicher Kraft aus, und daß die Bilder des Campo Santo noch etwas
anderes ſind als eine, wenn auch freie Reproduction antiker und mittel-
alterlicher Kunſt. Der deutſche Genius hat in ihnen ſeine Aufgabe er-
füllt, das edelſte Leben vergangener Zeiten ſich anzueignen; aber er hat
ſich dabei behauptet in ſeiner Selbſtändigkeit, und in Verſchmelzung der
lebendig erfaßten Tradition mit den eignen ſchöpferiſchen Gedanken, zu-
gleich etwas weſentlich neues und ſelbſtändiges hinzuſtellen vermocht.

Worin aber — wird man uns fragen — beſteht dieſes Neue? Wir
antworten: in der Ausprägung der Eigenſchaften, die vorzugsweiſe dem
germaniſchen, dem deutſchen Stamme, und beſonders der Gegenwart
angehören.

Es iſt immer mißlich, von einer Kraft zu reden welche eine Natio-
nalität vor der andern voraus habe, weil dieſelbe der andern Nationalität
nicht eigentlich fehlt, ſondern nur in anderm Maße und anderer Weiſe in
ihr vorhanden iſt, ſo daß ſtrenggenommen nur von einem Mehr oder Weniger,
nur von einer eigenthümlichen Geſtaltung jener Kraft die Rede ſeyn kann.
Ein ſolches Mehr und Weniger, eine verſchiedene Begabung der Nationen
und Racen in dieſem Sinne exiſtirt aber, und niemand der die letzteren
in ihren Lebensäußerungen und Schöpfungen miteinander verglichen hat,
wird ſie in Abrede ſtellen. Weder die italieniſche, noch die franzöſiſche
Nation konnte einen Shakſpeare, einen Goethe hervorbringen — die
Vorzüge dieſer Nationen liegen nach einer andern Seite hin. Was aber
die beiden germaniſchen Dichter vor den romaniſchen auszeichnet, das wer-
den wir nicht anders als Gemüthstiefe und Naturfriſche nennen
können. Dieſe beiden Eigenſchaften in eigenthümlich nationaler und in-
dividueller Ausbildung ſind es die ihren Werken ein beſonderes Weſen
und, wenn wir ſo ſagen dürfen, einen beſondern Geſchmack verleihen,
durch den ſie ſich von romaniſchen Dichtungen aufs beſtimmteſte unter-
ſcheiden. Eben dieſe Eigenſchaften ſind es auch, die, nach der Individua-
lität des Künſtlers, in den Bildern des Campo Santo ſich offenbaren,
und einen entſchieden eigenthümlichen Eindruck hervorbringen.

Cornelius hat ſchon durch ſein erſtes Auftreten bewieſen daß er von
der Mutter Natur ein beſonderes Theil germaniſcher Markigkeit und Le-
bensfülle erhalten. Er bildete dieſe Gaben mit Luſt und Liebe aus, und
nicht zu verwundern iſt es wenn er mit ihnen hier und da auch die Linie
überſchritt, und in ſeinen Darſtellungen ins Gewaltſame und Schwere
verfiel. Je mehr er ſie aber im Verlauf ſeiner Ausbildung bemeiſtern
lernte, um ſo mehr traten ſie bei ihm auch in ihrer Tugend hervor. In
ſeinem neueſten Werke hat er, von ihnen getragen, einem Theil der Bilder
den Ausdruck urgewaltiger Kraft, die ſich in bemeſſenen Bahnen der Kunſt
bewegt, andern die Innigkeit und geſättigte Empfindung, andern die
Friſche und Heimlichkeit gegeben die uns in ihnen ſo erquickend anſpricht.
So wie dieſe Eigenſchaften in ihnen hervortreten, ſind die Bilder des Campo
Santo weſentlich deutſch; durch den Vortrag des edelſten Styls unter-
ſcheiden ſie ſich aber auch von den deutſchen Werken und erſcheinen als
einzig in ihrer Art.

Damit hängt eine andere Eigenſchaft genau zuſammen. Wie die Na-
tionen ſich unterſcheiden durch das größere oder geringere Maß gewiſſer
natürlicher Gaben, ſo die Zeiten durch das größere oder geringere Maß
geiſtiger Freiheit. Die Perfectibilität des Menſchengeſchlechts mag in
anderer Beziehung ſehr problematiſch ſeyn — ſicher iſt daß der menſchliche
Geiſt immer höherer Selbſtändigkeit zuſchreitet, daß die ſpätere Ent-
wicklungsſtufe der Menſchheit auch die bewußtere iſt. Das Gepräge
dieſes Bewußtſeyns werden aber alle Werke an ſich tragen die in einer
ſolchen Epoche aus urſprünglicher Kraft geſchaffen worden ſind: aus
allen wird die freiere Seele, die Blüthe der fortgeſchrittenen Geſammt-
bildung, dem lebenden Geſchlechte vertrauter, hervorblicken, und die
Schöpfung wird ſich eben durch ſie von denen früherer Jahrhunderte un-
terſcheiden. Die Darſtellungen des Campo Santo eröffnen uns ideale
Regionen, die Geſtalten dürfen hier nicht den individuellen Ausdruck

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[0009] Sonntag. Beilage zu Nr. 34 der Allg. Zeitung. 3 Februar 1850. Ueberſicht. Peter v. Cornelius’ Compoſitionen für die Friedhofhalle in Berlin. (III.) — Politiſche Genrebilder aus einem deutſchen Kleinſtaat. (III.) — München. (Die Kammer der Reichsräthe über die Gerichtsverfaſſung.) — Die Juſtizreform in Ungarn. — Wainwright. Peter v. Cornelius’ Compoſitionen für die Friedhof- halle in Berlin. III. ɞ Daß das Ganze Cornelius’ größtes und reifſtes Werk iſt, glau- ben wir gezeigt zu haben. Die Feder kann freilich nur andeuten, nur den Sinn hinlenken auf das was geleiſtet iſt; empfänglichen, mit Phan- taſten begabten Leſern wird aber damit zugleich eine Anſchauung ge- geben ſeyn. Die Bilder des Campo Santo ſind aber nicht nur das größte und reifſte Werk des Meiſters: ſie ſind der Gipfelpunkt der neuen deutſchen Kunſt. Wir kommen damit wieder auf den Anfang unſers Aufſatzes zurück. Die neuere deutſche Kunſt, wie wir geſehen, begann damit die Muſter- bilder antiker und mittelalterlicher Kunſt in ihrem innern Weſen aufzu- faſſen, den Geiſt und die Empfindung zu durchdringen aus welcher die großen Vorgänger geſchaffen hatten, um für neuere Productionen den höhern Inhalt und Standpunkt wieder zu gewinnen. Die begabteſten der jungen Künſtler welche die deutſche Schule bildeten, gingen bei den Meiſtern frü- herer Zeiten in die Lehre, ſie ſuchten ſich ihren Sinn und Styl wieder anzueignen, mit dem ausgeſprochenen Zweck, mit dieſen Erwerbungen ſelbſtändige Bahnen zu gehen. In gewiſſer Beziehung iſt dieß allen ge- lungen. Auch die weicher organiſirten brachten bei ihrer Hingebung an die Kunſt und Denkart des Mittelalters, wobei ſie jedoch den Geiſt ihrer Zeit nicht verläugnen konnten, eigenthümliche Werke hervor, die das wirk- liche Gefühl einer Zeitrichtung ausdrücken. Andere lernten Gegenſtände der heiligen und der Welt-Geſchichte mit größerer Kraft und freierer An- mutb behandeln, und vermochten ihren Schöpfungen entſchiedener den Charakter der Selbſtſtändigkeit zu geben. Der Gewinn der Heranbildung an den Meiſterwerken der alten und neuen Zeit trat in der innigeren Em- pfindung des Gegenſtandes, in der höheren Würde und lebendigeren Schön- heit überall hervor. Einem aber war es vorbehalten die verſchiedenen Richtungen zuſammenzufaſſen, und nach glücklichſter Entfaltung ſeiner Kräfte das Werk zu ſchaffen in dem wir die vollendetſte Frucht der neuen Kunſtbeſtrebungen erkennen müſſen. Welche Gunſt Cornelius vom Geſchick erfuhr, wie ſehr ſein äußerer Lebensgang ſeinem Talent und ſeiner Neigung entſprach, haben wir ge- ſehen. Nicht geſchaffen ſich an eine Art und Kunſt hinzugeben, vielmehr offen für den Genius der alten und neuen Zeit, hatte er das Glück Auf- gaben zu erhalten die ihn nacheinander in beide Welten führten, die ihm das Studium des Griechenthums wie des Chriſtenthums zur Pflicht mach- ten. Er begann damit ihr eigenthümliches Leben in der Tiefe zu empfin- den und kraftvoll hinzuſtellen. Allein die wahre Kraft führt in natür- licher Entwickelung zur freien Schönheit. Die mangelhafte Begabung muß nach Gehalt ringen — die angeborne Fülle hat nichts anderes zu thun, und wird auch kein anderes Verlangen empfinden als ſich ſelbſt in ſchöner Form darzuſtellen. In dieſem Streben fühlen ſich die wahren Genien Eins, der Nachfolgende lernt von dem Vorgänger und wird durch ihn geſteigert. Wie die großen Künſtler des ſechzehnten Jahrhunderts von den Meiſtern des Alterthums lernten, ſo ſah ſich auch der deutſche Künſtler durch die Muſterwerke alter und neuer Zeit gefördert. Und als ſich ihm nun endlich, nach vieljährigem Schaffen und vieljährigem Stu- dium, die ſeinem Vermögen entſprechendſte Aufgabe darbot, da war es kein Wunder daß er nicht nur ſein größtes Werk hervorbrachte, ſondern auch das größte Werk der ganzen neuen Kunſtentwicklung. Die Bilder des Campo Santo ſind, wie mir ſcheint, das größte Werk der neuern deutſchen Kunſt, weil in ihnen am vollkommenſten er- reicht iſt was dieſe Kunſt von Anfang an erſtrebt hat. Hier iſt jener höhere Gehalt, jener würdigſte Gegenſtand, welchen die jugendliche Ge- noſſenſchaft in Rom für die Kunſt wieder zu gewinnen trachtete! Hier iſt jene Seele inniger Empfindung die ſie als den wahren Grund der Schön- heit in den Werken der alten Meiſter erkannte! Hier iſt jener große Styl den ſie an antiken und mittelalterlichen Schöpfungen bewunderte und wiedereinzuführen ſtrebte! Inhalt und Form der edelſten Kunſt iſt mit männlichem, tiefeingehendem Geiſte wiedererobert und zum Eigen- thum unſerer Zeit gemacht. Der Künſtler hat den Flug in die höchſten Regionen gewagt, und ſeine Meiſterſchaft hat ſich in ihnen bewährt. Das Erhabene iſt in ſeinen Darſtellungen Gegenwart und Natur geworden. Wunderbare, himmliſche Vorgänge ſind uns durch die lebendige Auf- faſſung angenähert und wieder vertraut gemacht. Wie viel auch die großen Talente die mit Cornelius lebten und ſtrebten geleiſtet, wie ſehr ſie die Ziele die ſie ſich ſtellten erreicht haben — die Ideale welche jene deutſchen Maler in Rom begeiſterten, in deren Anſchauen ſie ſich losriſſen von der ſeelenloſen, beengten Kunſt des achtzehnten Jahrhunderts: hier vor allen ſind ſie in Erfüllung gegangen! Es verſteht ſich von ſelbſt daß dieß alles nur möglich war von eigen- thümlicher Kraft aus, und daß die Bilder des Campo Santo noch etwas anderes ſind als eine, wenn auch freie Reproduction antiker und mittel- alterlicher Kunſt. Der deutſche Genius hat in ihnen ſeine Aufgabe er- füllt, das edelſte Leben vergangener Zeiten ſich anzueignen; aber er hat ſich dabei behauptet in ſeiner Selbſtändigkeit, und in Verſchmelzung der lebendig erfaßten Tradition mit den eignen ſchöpferiſchen Gedanken, zu- gleich etwas weſentlich neues und ſelbſtändiges hinzuſtellen vermocht. Worin aber — wird man uns fragen — beſteht dieſes Neue? Wir antworten: in der Ausprägung der Eigenſchaften, die vorzugsweiſe dem germaniſchen, dem deutſchen Stamme, und beſonders der Gegenwart angehören. Es iſt immer mißlich, von einer Kraft zu reden welche eine Natio- nalität vor der andern voraus habe, weil dieſelbe der andern Nationalität nicht eigentlich fehlt, ſondern nur in anderm Maße und anderer Weiſe in ihr vorhanden iſt, ſo daß ſtrenggenommen nur von einem Mehr oder Weniger, nur von einer eigenthümlichen Geſtaltung jener Kraft die Rede ſeyn kann. Ein ſolches Mehr und Weniger, eine verſchiedene Begabung der Nationen und Racen in dieſem Sinne exiſtirt aber, und niemand der die letzteren in ihren Lebensäußerungen und Schöpfungen miteinander verglichen hat, wird ſie in Abrede ſtellen. Weder die italieniſche, noch die franzöſiſche Nation konnte einen Shakſpeare, einen Goethe hervorbringen — die Vorzüge dieſer Nationen liegen nach einer andern Seite hin. Was aber die beiden germaniſchen Dichter vor den romaniſchen auszeichnet, das wer- den wir nicht anders als Gemüthstiefe und Naturfriſche nennen können. Dieſe beiden Eigenſchaften in eigenthümlich nationaler und in- dividueller Ausbildung ſind es die ihren Werken ein beſonderes Weſen und, wenn wir ſo ſagen dürfen, einen beſondern Geſchmack verleihen, durch den ſie ſich von romaniſchen Dichtungen aufs beſtimmteſte unter- ſcheiden. Eben dieſe Eigenſchaften ſind es auch, die, nach der Individua- lität des Künſtlers, in den Bildern des Campo Santo ſich offenbaren, und einen entſchieden eigenthümlichen Eindruck hervorbringen. Cornelius hat ſchon durch ſein erſtes Auftreten bewieſen daß er von der Mutter Natur ein beſonderes Theil germaniſcher Markigkeit und Le- bensfülle erhalten. Er bildete dieſe Gaben mit Luſt und Liebe aus, und nicht zu verwundern iſt es wenn er mit ihnen hier und da auch die Linie überſchritt, und in ſeinen Darſtellungen ins Gewaltſame und Schwere verfiel. Je mehr er ſie aber im Verlauf ſeiner Ausbildung bemeiſtern lernte, um ſo mehr traten ſie bei ihm auch in ihrer Tugend hervor. In ſeinem neueſten Werke hat er, von ihnen getragen, einem Theil der Bilder den Ausdruck urgewaltiger Kraft, die ſich in bemeſſenen Bahnen der Kunſt bewegt, andern die Innigkeit und geſättigte Empfindung, andern die Friſche und Heimlichkeit gegeben die uns in ihnen ſo erquickend anſpricht. So wie dieſe Eigenſchaften in ihnen hervortreten, ſind die Bilder des Campo Santo weſentlich deutſch; durch den Vortrag des edelſten Styls unter- ſcheiden ſie ſich aber auch von den deutſchen Werken und erſcheinen als einzig in ihrer Art. Damit hängt eine andere Eigenſchaft genau zuſammen. Wie die Na- tionen ſich unterſcheiden durch das größere oder geringere Maß gewiſſer natürlicher Gaben, ſo die Zeiten durch das größere oder geringere Maß geiſtiger Freiheit. Die Perfectibilität des Menſchengeſchlechts mag in anderer Beziehung ſehr problematiſch ſeyn — ſicher iſt daß der menſchliche Geiſt immer höherer Selbſtändigkeit zuſchreitet, daß die ſpätere Ent- wicklungsſtufe der Menſchheit auch die bewußtere iſt. Das Gepräge dieſes Bewußtſeyns werden aber alle Werke an ſich tragen die in einer ſolchen Epoche aus urſprünglicher Kraft geſchaffen worden ſind: aus allen wird die freiere Seele, die Blüthe der fortgeſchrittenen Geſammt- bildung, dem lebenden Geſchlechte vertrauter, hervorblicken, und die Schöpfung wird ſich eben durch ſie von denen früherer Jahrhunderte un- terſcheiden. Die Darſtellungen des Campo Santo eröffnen uns ideale Regionen, die Geſtalten dürfen hier nicht den individuellen Ausdruck

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 3. Februar 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine34_1850/9>, abgerufen am 01.06.2024.