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Allgemeine Zeitung, Nr. 42, 17. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch]
Die letzten Nachrichten.
Aus Westen.

WTB. Großes Hauptquartier, 15. Okt., mittags.
(Amtlich.) Bei Antwerpen wurden im ganzen 4--5000 Gefan-
gene gemacht. Es ist anzunehmen, daß in nächster Zeit noch eine
große Zahl belgischer Soldaten, welche Zivilkleidung angezogen
haben, dingfest gemacht werden. Nach Mitteilungen des Konsuls
von Terneuzen sind etwa 20,000 belgische Soldaten und 2000 Eng-
länder auf holländisches Gebiet übergetreten, wo sie entwaffnet wor-
den sind. Ihre Flucht muß in großer Hast vor sich gegangen sein.
Hierfür zeugen Massen weggeworfener Kleidungsstücke, besonders
von der englischen Royal-Naval-Division.

Die Kriegsbeute in Antwerpen ist groß. Mindestens 500
Geschütze, eine Unmenge Munition, Massen von Sätteln, Voylachs,
sehr viel Sanitätsmaterial, zahlreiche Kraftwagen, viele Lokomotiven
und Waggons, vier Millionen Kilogramm Getreide, viel Mehl, Koh-
len, Flachs, für 10 Millionen Mark Wolle, Kupfer und Silber im
Wert von etwa einer halben Million Mark, ein Panzereisenbahnzug,
mehrere gefüllte Verpflegungszüge, große Viehbestände. Belgische
und englische Schiffe befanden sich nicht mehr in Antwerpen. Die
bei Kriegsausbruch im Hafen von Antwerpen befindlichen 34 deut-
schen Dampfer und drei Segler sind mit einer Ausnahme vorhanden;
jedoch sind die Maschinen unbrauchbar. Angebohrt und versenkt
wurde nur die "Gneisenau" des Norddeutschen Lloyd. Die große
Hafenschleuse ist intakt, aber zunächst durch mit Steinen beschwerte
versenkte Kähne nicht benutzbar. Die Hafenanlagen sind unbeschä-
digt, die Stadt Antwerpen hat wenig gelitten, die Bevölkerung ver-
hält sich ruhig und scheint froh zu sein, daß die Tage des Schreckens
zu Ende sind, besonders da der Pöbel bereits zu plündern begonnen
hatte.

Die Reste der belgischen Armee haben bei Annäherung unserer
Truppen Gent schleunigst geräumt. Die belgische Regierung, mit
Ausnahme des Kriegsministers, soll sich nach Le Havre begeben
haben.

Angriffe der Franzosen in der Gegend von Albert wurden
unter erheblichen Verlusten für sie abgewiesen; sonst im Westen keine
Veränderungen.

16. Oktober. Auch Brügge und Ostende sind unser.

Vom östlichen Kriegsschauplatz.

WTB. Großes Hauptquartier, 15. Okt. Im Osten ist
der russische, mit starken Kräften unternommene Vorstoß auf Ost-
preußen
als gescheitert anzusehen. Der Angriff unserer, in Polen
Schulter an Schulter mit dem österreichischen Heer kämpfenden Trup-
pen befindet sich im Fortschreiten. Unsere Truppen stehen vor War-
schau. Ein mit acht Armeekorps aus der Linie Iwangorod-War-
schau über die Weichsel unternommener russischer Vorstoß wurde
auf der ganzen Linie und unter schweren Verlusten für die Russen
zurückgeworfen.

Die in russischen Zeitungen verbreiteten Gerüchte über erbeutete
deutsche Geschütze entbehren jeder Begründung.

W. Wien, 14. Okt., mittags. Amtlich wird gemeldet: In der
Linie Sary-Sombor-Medtyka sind befestigte Stellungen des Feindes.
Unsere Truppen greifen an. Diese Kämpfe nehmen an Ausdehnung
zu. In den Karpathen nahmen wir Toronya nach viertägigem
Kampfe und verfolgten die Russen gegen Wyskow. Kleinere erfolg-
reiche Gefechte mit zurückgehenden feindlichen Abteilungen fanden
auch im Vissotale statt.

Vorsicht! Spione!

Das Wolffsche Bureau verbreitet nachstehende, der allgemeinen
Beachtung empfohlene Mahnung:

Schon in Friedenszeiten haben unsere Feinde alle Mittel ange-
wandt, um unsere militärischen Geheimnisse zu erforschen, jetzt aber
wird Deutschland von Spionen geradezu überschwemmt. Ueberall
im Inland arbeiten zahlreiche russische, französische und englische
Agenten, Männer wie Frauen, um ihre Auftraggeber zu unterrich-
ten. Sie kommen zu uns mit falschen deutschen Pässen, oder als
Angehörige neutraler Staaten, Dänemarks, Schwedens, Hollands,
der Schweiz, hören und sehen und berichten über das neutrale Aus-
land. Am schlimmsten treiben sie es in der Nähe der Grenzen, aber
auch im Innern des Landes sitzen sie in den Städten, namentlich in
Festungen, Hafenplätzen, an wichtigen Eisenbahnlinien. Daß uns
durch diese Leute schwerer Schaden zugefügt wird, braucht nicht erst
bewiesen zu werden. Wie kann man dagegen kämpfen? Nur da-
[Spaltenumbruch] durch, daß jeder sein Vaterland liebende Deutsche in dieser Zeit der
Gefahr seine Mitwirkung nicht versagt. Man achte auf jeden, der
sich durch wiederholten oder längeren Aufenthalt auf Bahnhöfen
und in der Nähe von Kasernen, Flugplätzen, Luftschiffhallen oder
Werften verdächtig macht. Man beobachte aber auch selbst Vorsicht
und Zurückhaltung in der Unterhaltung, sowohl in der Oeffentlichkeit
(Eisenbahn, Straßenbahn, Wirtshaus) als auch im eigenen Kreise.
Man sei vorsichtig in der Mitteilung von Nachrichten von dem
Kriegsschauplatz, aus Feldpostbriefen und bedenke, daß leichtfertige
Mitteilsamkeit das Leben der eigenen Angehörigen gefährden kann.
Jedes unvorsichtige Wort kann dem Feind nützen, uns aber unge-
zählte Opfer kosten und dadurch zu einer schweren Versündigung
am Vaterlande werden. Darum nochmals Aufmerksamkeit gegen-
über Verdächtigen und Zurückhaltung im Verkehr mit anderen!



Deutschland und Belgien nach Antwerpens Fall.

Mit Antwerpens Fall liegt ganz Belgien militärisch wehrlos
zu Deutschlands Füßen. Seitdem Karl V. erstmals die Stadt nach
den Plänen von San Micheli zu einer Festung ersten Ranges aus-
bauen ließ, hat sie stets eine maßgebliche Rolle in allen blutigen
Auseinandersetzungen der westeuropäischen Großmächte über ihre
Machtstreitigkeiten gespielt. Ihre geographische Lage macht sie von
Natur zu einem solchen militärpolitischen Brennpunkt. Die breite
Fahrstraße der Scheldemündung öffnet ihr den Verkehr nach der
Nordsee und dem Atlantischen Ozean in denkbar günstiger, ge-
schützter Lage; schon eine Chronik aus der Zeit des großen Kaisers
des heiligen römischen Reichs deutscher Nation rühmt, daß an ihren
Ufern sich Faktoreien von aller Herren Länder niedergelassen hätten.
Ihr überaus reiches Hinterland sichert ihr nicht nur kommerziell
Gebiete von unversieglicher Absatz- und Zufuhrfähigkeit, sondern
auch strategisch den Zufluß aller Kriegsmittel in jeder gewünschten
Fülle. Antwerpen ist das festländische London an
der Nordsee und seine Eroberung bedeutet da-
her den ersten großen Sleg Deutschlands über
England: das ist das wichtigste Ergebnis der Er-
eignisse vom 9. Oktober,
wichtiger als alle sonstigen takti-
schen Vorteile auf dem westlichen Kampfplatz, die so klar zutage
liegen, daß sie nicht näher erörtert zu werden brauchen. Und man
hat in der Themsestadt wohl erkannt, um was es sich bei der Be-
rennung des Scheldeemporiums handelte, und daher in letzter
Stunde, aber natürlich viel zu spät, soviel Hilfstruppen und schwere
Geschütze nach der "Tete de Flandre" hinübergeworfen, als man
nur irgendwie vermochte. Noch ein paar Tage vor der Erstür-
mung Antwerpens schrieb das mit jedem Tag des Kriegs auf tiefere
geistige und moralische Stufe sinkende Hauptorakel der Harms-
worth-Hetzpresse, die Times, Deutschland habe offenbar die Absicht,
die belgische Handelshauptstadt zu einem zweiten Hamburg seiner
Herrschaft zu machen, und weil dadurch eine für England uner-
trägliche Lage geschaffen würde, so bestehe keine Aussicht, daß dieser
überspannte teutonische Machttraum jemals verwirklicht werde.
Echt britischer gespreizter Dünkel, dem schnell der Star gestochen
worden ist und der, wie wir zuverlässig vertrauen dürfen, in kurzer
Zeit noch weiter gebeugt werden wird. Denn von Antwerpen
weisen die deutschen Heeresmarschstraßen nach Ostende, Dünkirchen,
Calais, und wenn wir erst dort, in der Breite der Kanalfront, mit
unseren Mörsern größten Kalibers aufgezogen sind, dann wird man
in London erst voll die Wahrheit des Wortes Napoleons des Ersten
erkennen, der, als er die Festlandsperre gegen Großbritannien vor-
bereitete, Antwerpen eine geladene Pistole gegen das Herz Eng-
lands nannte.

Aber mitten im Kriegsgetümmel stellt uns offenbar die mit
Ausnahme unwichtiger Gebietsteile vollkommene Niederwerfung
Belgiens vor eine Befriedungs aufgabe wichtigster Art: eine
Brücke der Verständigung zwischen dem belgischen Volk und uns
zu bauen. Gewiß, wir sind als Eroberer ihm genaht, aber doch
nicht eigentlich als Feinde, wenn uns auch die schmähliche Be-
handlung unserer Volksgenossen schon vor dem Krieg und die
nachfolgenden Greueltaten der belgischen Franktireurs an unseren
Soldaten das Blut kochen machte! Der Einmarsch in das König-
reich war uns durch die hinterlistige und verräterische Politik der
Ententegenossenschaft aufgezwungen, und jetzt, wo das Ziel, deren
schwarze Pläne durch zuvorkommenden Stoß unwirksam zu machen,
erreicht ist, fühlen wir erst recht, daß unsere Truppen auf einem

Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch]
Die letzten Nachrichten.
Aus Weſten.

WTB. Großes Hauptquartier, 15. Okt., mittags.
(Amtlich.) Bei Antwerpen wurden im ganzen 4—5000 Gefan-
gene gemacht. Es iſt anzunehmen, daß in nächſter Zeit noch eine
große Zahl belgiſcher Soldaten, welche Zivilkleidung angezogen
haben, dingfeſt gemacht werden. Nach Mitteilungen des Konſuls
von Terneuzen ſind etwa 20,000 belgiſche Soldaten und 2000 Eng-
länder auf holländiſches Gebiet übergetreten, wo ſie entwaffnet wor-
den ſind. Ihre Flucht muß in großer Haſt vor ſich gegangen ſein.
Hierfür zeugen Maſſen weggeworfener Kleidungsſtücke, beſonders
von der engliſchen Royal-Naval-Diviſion.

Die Kriegsbeute in Antwerpen iſt groß. Mindeſtens 500
Geſchütze, eine Unmenge Munition, Maſſen von Sätteln, Voylachs,
ſehr viel Sanitätsmaterial, zahlreiche Kraftwagen, viele Lokomotiven
und Waggons, vier Millionen Kilogramm Getreide, viel Mehl, Koh-
len, Flachs, für 10 Millionen Mark Wolle, Kupfer und Silber im
Wert von etwa einer halben Million Mark, ein Panzereiſenbahnzug,
mehrere gefüllte Verpflegungszüge, große Viehbeſtände. Belgiſche
und engliſche Schiffe befanden ſich nicht mehr in Antwerpen. Die
bei Kriegsausbruch im Hafen von Antwerpen befindlichen 34 deut-
ſchen Dampfer und drei Segler ſind mit einer Ausnahme vorhanden;
jedoch ſind die Maſchinen unbrauchbar. Angebohrt und verſenkt
wurde nur die „Gneiſenau“ des Norddeutſchen Lloyd. Die große
Hafenſchleuſe iſt intakt, aber zunächſt durch mit Steinen beſchwerte
verſenkte Kähne nicht benutzbar. Die Hafenanlagen ſind unbeſchä-
digt, die Stadt Antwerpen hat wenig gelitten, die Bevölkerung ver-
hält ſich ruhig und ſcheint froh zu ſein, daß die Tage des Schreckens
zu Ende ſind, beſonders da der Pöbel bereits zu plündern begonnen
hatte.

Die Reſte der belgiſchen Armee haben bei Annäherung unſerer
Truppen Gent ſchleunigſt geräumt. Die belgiſche Regierung, mit
Ausnahme des Kriegsminiſters, ſoll ſich nach Le Havre begeben
haben.

Angriffe der Franzoſen in der Gegend von Albert wurden
unter erheblichen Verluſten für ſie abgewieſen; ſonſt im Weſten keine
Veränderungen.

16. Oktober. Auch Brügge und Oſtende ſind unſer.

Vom öſtlichen Kriegsſchauplatz.

WTB. Großes Hauptquartier, 15. Okt. Im Oſten iſt
der ruſſiſche, mit ſtarken Kräften unternommene Vorſtoß auf Oſt-
preußen
als geſcheitert anzuſehen. Der Angriff unſerer, in Polen
Schulter an Schulter mit dem öſterreichiſchen Heer kämpfenden Trup-
pen befindet ſich im Fortſchreiten. Unſere Truppen ſtehen vor War-
ſchau. Ein mit acht Armeekorps aus der Linie Iwangorod-War-
ſchau über die Weichſel unternommener ruſſiſcher Vorſtoß wurde
auf der ganzen Linie und unter ſchweren Verluſten für die Ruſſen
zurückgeworfen.

Die in ruſſiſchen Zeitungen verbreiteten Gerüchte über erbeutete
deutſche Geſchütze entbehren jeder Begründung.

W. Wien, 14. Okt., mittags. Amtlich wird gemeldet: In der
Linie Sary-Sombor-Medtyka ſind befeſtigte Stellungen des Feindes.
Unſere Truppen greifen an. Dieſe Kämpfe nehmen an Ausdehnung
zu. In den Karpathen nahmen wir Toronya nach viertägigem
Kampfe und verfolgten die Ruſſen gegen Wyskow. Kleinere erfolg-
reiche Gefechte mit zurückgehenden feindlichen Abteilungen fanden
auch im Viſſotale ſtatt.

Vorſicht! Spione!

Das Wolffſche Bureau verbreitet nachſtehende, der allgemeinen
Beachtung empfohlene Mahnung:

Schon in Friedenszeiten haben unſere Feinde alle Mittel ange-
wandt, um unſere militäriſchen Geheimniſſe zu erforſchen, jetzt aber
wird Deutſchland von Spionen geradezu überſchwemmt. Ueberall
im Inland arbeiten zahlreiche ruſſiſche, franzöſiſche und engliſche
Agenten, Männer wie Frauen, um ihre Auftraggeber zu unterrich-
ten. Sie kommen zu uns mit falſchen deutſchen Päſſen, oder als
Angehörige neutraler Staaten, Dänemarks, Schwedens, Hollands,
der Schweiz, hören und ſehen und berichten über das neutrale Aus-
land. Am ſchlimmſten treiben ſie es in der Nähe der Grenzen, aber
auch im Innern des Landes ſitzen ſie in den Städten, namentlich in
Feſtungen, Hafenplätzen, an wichtigen Eiſenbahnlinien. Daß uns
durch dieſe Leute ſchwerer Schaden zugefügt wird, braucht nicht erſt
bewieſen zu werden. Wie kann man dagegen kämpfen? Nur da-
[Spaltenumbruch] durch, daß jeder ſein Vaterland liebende Deutſche in dieſer Zeit der
Gefahr ſeine Mitwirkung nicht verſagt. Man achte auf jeden, der
ſich durch wiederholten oder längeren Aufenthalt auf Bahnhöfen
und in der Nähe von Kaſernen, Flugplätzen, Luftſchiffhallen oder
Werften verdächtig macht. Man beobachte aber auch ſelbſt Vorſicht
und Zurückhaltung in der Unterhaltung, ſowohl in der Oeffentlichkeit
(Eiſenbahn, Straßenbahn, Wirtshaus) als auch im eigenen Kreiſe.
Man ſei vorſichtig in der Mitteilung von Nachrichten von dem
Kriegsſchauplatz, aus Feldpoſtbriefen und bedenke, daß leichtfertige
Mitteilſamkeit das Leben der eigenen Angehörigen gefährden kann.
Jedes unvorſichtige Wort kann dem Feind nützen, uns aber unge-
zählte Opfer koſten und dadurch zu einer ſchweren Verſündigung
am Vaterlande werden. Darum nochmals Aufmerkſamkeit gegen-
über Verdächtigen und Zurückhaltung im Verkehr mit anderen!



Deutſchland und Belgien nach Antwerpens Fall.

Mit Antwerpens Fall liegt ganz Belgien militäriſch wehrlos
zu Deutſchlands Füßen. Seitdem Karl V. erſtmals die Stadt nach
den Plänen von San Micheli zu einer Feſtung erſten Ranges aus-
bauen ließ, hat ſie ſtets eine maßgebliche Rolle in allen blutigen
Auseinanderſetzungen der weſteuropäiſchen Großmächte über ihre
Machtſtreitigkeiten geſpielt. Ihre geographiſche Lage macht ſie von
Natur zu einem ſolchen militärpolitiſchen Brennpunkt. Die breite
Fahrſtraße der Scheldemündung öffnet ihr den Verkehr nach der
Nordſee und dem Atlantiſchen Ozean in denkbar günſtiger, ge-
ſchützter Lage; ſchon eine Chronik aus der Zeit des großen Kaiſers
des heiligen römiſchen Reichs deutſcher Nation rühmt, daß an ihren
Ufern ſich Faktoreien von aller Herren Länder niedergelaſſen hätten.
Ihr überaus reiches Hinterland ſichert ihr nicht nur kommerziell
Gebiete von unverſieglicher Abſatz- und Zufuhrfähigkeit, ſondern
auch ſtrategiſch den Zufluß aller Kriegsmittel in jeder gewünſchten
Fülle. Antwerpen iſt das feſtländiſche London an
der Nordſee und ſeine Eroberung bedeutet da-
her den erſten großen Sleg Deutſchlands über
England: das iſt das wichtigſte Ergebnis der Er-
eigniſſe vom 9. Oktober,
wichtiger als alle ſonſtigen takti-
ſchen Vorteile auf dem weſtlichen Kampfplatz, die ſo klar zutage
liegen, daß ſie nicht näher erörtert zu werden brauchen. Und man
hat in der Themſeſtadt wohl erkannt, um was es ſich bei der Be-
rennung des Scheldeemporiums handelte, und daher in letzter
Stunde, aber natürlich viel zu ſpät, ſoviel Hilfstruppen und ſchwere
Geſchütze nach der „Tête de Flandre“ hinübergeworfen, als man
nur irgendwie vermochte. Noch ein paar Tage vor der Erſtür-
mung Antwerpens ſchrieb das mit jedem Tag des Kriegs auf tiefere
geiſtige und moraliſche Stufe ſinkende Hauptorakel der Harms-
worth-Hetzpreſſe, die Times, Deutſchland habe offenbar die Abſicht,
die belgiſche Handelshauptſtadt zu einem zweiten Hamburg ſeiner
Herrſchaft zu machen, und weil dadurch eine für England uner-
trägliche Lage geſchaffen würde, ſo beſtehe keine Ausſicht, daß dieſer
überſpannte teutoniſche Machttraum jemals verwirklicht werde.
Echt britiſcher geſpreizter Dünkel, dem ſchnell der Star geſtochen
worden iſt und der, wie wir zuverläſſig vertrauen dürfen, in kurzer
Zeit noch weiter gebeugt werden wird. Denn von Antwerpen
weiſen die deutſchen Heeresmarſchſtraßen nach Oſtende, Dünkirchen,
Calais, und wenn wir erſt dort, in der Breite der Kanalfront, mit
unſeren Mörſern größten Kalibers aufgezogen ſind, dann wird man
in London erſt voll die Wahrheit des Wortes Napoleons des Erſten
erkennen, der, als er die Feſtlandſperre gegen Großbritannien vor-
bereitete, Antwerpen eine geladene Piſtole gegen das Herz Eng-
lands nannte.

Aber mitten im Kriegsgetümmel ſtellt uns offenbar die mit
Ausnahme unwichtiger Gebietsteile vollkommene Niederwerfung
Belgiens vor eine Befriedungs aufgabe wichtigſter Art: eine
Brücke der Verſtändigung zwiſchen dem belgiſchen Volk und uns
zu bauen. Gewiß, wir ſind als Eroberer ihm genaht, aber doch
nicht eigentlich als Feinde, wenn uns auch die ſchmähliche Be-
handlung unſerer Volksgenoſſen ſchon vor dem Krieg und die
nachfolgenden Greueltaten der belgiſchen Franktireurs an unſeren
Soldaten das Blut kochen machte! Der Einmarſch in das König-
reich war uns durch die hinterliſtige und verräteriſche Politik der
Ententegenoſſenſchaft aufgezwungen, und jetzt, wo das Ziel, deren
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[612/0008] Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914. Die letzten Nachrichten. Aus Weſten. WTB. Großes Hauptquartier, 15. Okt., mittags. (Amtlich.) Bei Antwerpen wurden im ganzen 4—5000 Gefan- gene gemacht. Es iſt anzunehmen, daß in nächſter Zeit noch eine große Zahl belgiſcher Soldaten, welche Zivilkleidung angezogen haben, dingfeſt gemacht werden. Nach Mitteilungen des Konſuls von Terneuzen ſind etwa 20,000 belgiſche Soldaten und 2000 Eng- länder auf holländiſches Gebiet übergetreten, wo ſie entwaffnet wor- den ſind. Ihre Flucht muß in großer Haſt vor ſich gegangen ſein. Hierfür zeugen Maſſen weggeworfener Kleidungsſtücke, beſonders von der engliſchen Royal-Naval-Diviſion. Die Kriegsbeute in Antwerpen iſt groß. Mindeſtens 500 Geſchütze, eine Unmenge Munition, Maſſen von Sätteln, Voylachs, ſehr viel Sanitätsmaterial, zahlreiche Kraftwagen, viele Lokomotiven und Waggons, vier Millionen Kilogramm Getreide, viel Mehl, Koh- len, Flachs, für 10 Millionen Mark Wolle, Kupfer und Silber im Wert von etwa einer halben Million Mark, ein Panzereiſenbahnzug, mehrere gefüllte Verpflegungszüge, große Viehbeſtände. Belgiſche und engliſche Schiffe befanden ſich nicht mehr in Antwerpen. Die bei Kriegsausbruch im Hafen von Antwerpen befindlichen 34 deut- ſchen Dampfer und drei Segler ſind mit einer Ausnahme vorhanden; jedoch ſind die Maſchinen unbrauchbar. Angebohrt und verſenkt wurde nur die „Gneiſenau“ des Norddeutſchen Lloyd. Die große Hafenſchleuſe iſt intakt, aber zunächſt durch mit Steinen beſchwerte verſenkte Kähne nicht benutzbar. Die Hafenanlagen ſind unbeſchä- digt, die Stadt Antwerpen hat wenig gelitten, die Bevölkerung ver- hält ſich ruhig und ſcheint froh zu ſein, daß die Tage des Schreckens zu Ende ſind, beſonders da der Pöbel bereits zu plündern begonnen hatte. Die Reſte der belgiſchen Armee haben bei Annäherung unſerer Truppen Gent ſchleunigſt geräumt. Die belgiſche Regierung, mit Ausnahme des Kriegsminiſters, ſoll ſich nach Le Havre begeben haben. Angriffe der Franzoſen in der Gegend von Albert wurden unter erheblichen Verluſten für ſie abgewieſen; ſonſt im Weſten keine Veränderungen. 16. Oktober. Auch Brügge und Oſtende ſind unſer. Vom öſtlichen Kriegsſchauplatz. WTB. Großes Hauptquartier, 15. Okt. Im Oſten iſt der ruſſiſche, mit ſtarken Kräften unternommene Vorſtoß auf Oſt- preußen als geſcheitert anzuſehen. Der Angriff unſerer, in Polen Schulter an Schulter mit dem öſterreichiſchen Heer kämpfenden Trup- pen befindet ſich im Fortſchreiten. Unſere Truppen ſtehen vor War- ſchau. Ein mit acht Armeekorps aus der Linie Iwangorod-War- ſchau über die Weichſel unternommener ruſſiſcher Vorſtoß wurde auf der ganzen Linie und unter ſchweren Verluſten für die Ruſſen zurückgeworfen. Die in ruſſiſchen Zeitungen verbreiteten Gerüchte über erbeutete deutſche Geſchütze entbehren jeder Begründung. W. Wien, 14. Okt., mittags. Amtlich wird gemeldet: In der Linie Sary-Sombor-Medtyka ſind befeſtigte Stellungen des Feindes. Unſere Truppen greifen an. Dieſe Kämpfe nehmen an Ausdehnung zu. In den Karpathen nahmen wir Toronya nach viertägigem Kampfe und verfolgten die Ruſſen gegen Wyskow. Kleinere erfolg- reiche Gefechte mit zurückgehenden feindlichen Abteilungen fanden auch im Viſſotale ſtatt. Vorſicht! Spione! Das Wolffſche Bureau verbreitet nachſtehende, der allgemeinen Beachtung empfohlene Mahnung: Schon in Friedenszeiten haben unſere Feinde alle Mittel ange- wandt, um unſere militäriſchen Geheimniſſe zu erforſchen, jetzt aber wird Deutſchland von Spionen geradezu überſchwemmt. Ueberall im Inland arbeiten zahlreiche ruſſiſche, franzöſiſche und engliſche Agenten, Männer wie Frauen, um ihre Auftraggeber zu unterrich- ten. Sie kommen zu uns mit falſchen deutſchen Päſſen, oder als Angehörige neutraler Staaten, Dänemarks, Schwedens, Hollands, der Schweiz, hören und ſehen und berichten über das neutrale Aus- land. Am ſchlimmſten treiben ſie es in der Nähe der Grenzen, aber auch im Innern des Landes ſitzen ſie in den Städten, namentlich in Feſtungen, Hafenplätzen, an wichtigen Eiſenbahnlinien. Daß uns durch dieſe Leute ſchwerer Schaden zugefügt wird, braucht nicht erſt bewieſen zu werden. Wie kann man dagegen kämpfen? Nur da- durch, daß jeder ſein Vaterland liebende Deutſche in dieſer Zeit der Gefahr ſeine Mitwirkung nicht verſagt. Man achte auf jeden, der ſich durch wiederholten oder längeren Aufenthalt auf Bahnhöfen und in der Nähe von Kaſernen, Flugplätzen, Luftſchiffhallen oder Werften verdächtig macht. Man beobachte aber auch ſelbſt Vorſicht und Zurückhaltung in der Unterhaltung, ſowohl in der Oeffentlichkeit (Eiſenbahn, Straßenbahn, Wirtshaus) als auch im eigenen Kreiſe. Man ſei vorſichtig in der Mitteilung von Nachrichten von dem Kriegsſchauplatz, aus Feldpoſtbriefen und bedenke, daß leichtfertige Mitteilſamkeit das Leben der eigenen Angehörigen gefährden kann. Jedes unvorſichtige Wort kann dem Feind nützen, uns aber unge- zählte Opfer koſten und dadurch zu einer ſchweren Verſündigung am Vaterlande werden. Darum nochmals Aufmerkſamkeit gegen- über Verdächtigen und Zurückhaltung im Verkehr mit anderen! Deutſchland und Belgien nach Antwerpens Fall. Mit Antwerpens Fall liegt ganz Belgien militäriſch wehrlos zu Deutſchlands Füßen. Seitdem Karl V. erſtmals die Stadt nach den Plänen von San Micheli zu einer Feſtung erſten Ranges aus- bauen ließ, hat ſie ſtets eine maßgebliche Rolle in allen blutigen Auseinanderſetzungen der weſteuropäiſchen Großmächte über ihre Machtſtreitigkeiten geſpielt. Ihre geographiſche Lage macht ſie von Natur zu einem ſolchen militärpolitiſchen Brennpunkt. Die breite Fahrſtraße der Scheldemündung öffnet ihr den Verkehr nach der Nordſee und dem Atlantiſchen Ozean in denkbar günſtiger, ge- ſchützter Lage; ſchon eine Chronik aus der Zeit des großen Kaiſers des heiligen römiſchen Reichs deutſcher Nation rühmt, daß an ihren Ufern ſich Faktoreien von aller Herren Länder niedergelaſſen hätten. Ihr überaus reiches Hinterland ſichert ihr nicht nur kommerziell Gebiete von unverſieglicher Abſatz- und Zufuhrfähigkeit, ſondern auch ſtrategiſch den Zufluß aller Kriegsmittel in jeder gewünſchten Fülle. Antwerpen iſt das feſtländiſche London an der Nordſee und ſeine Eroberung bedeutet da- her den erſten großen Sleg Deutſchlands über England: das iſt das wichtigſte Ergebnis der Er- eigniſſe vom 9. Oktober, wichtiger als alle ſonſtigen takti- ſchen Vorteile auf dem weſtlichen Kampfplatz, die ſo klar zutage liegen, daß ſie nicht näher erörtert zu werden brauchen. Und man hat in der Themſeſtadt wohl erkannt, um was es ſich bei der Be- rennung des Scheldeemporiums handelte, und daher in letzter Stunde, aber natürlich viel zu ſpät, ſoviel Hilfstruppen und ſchwere Geſchütze nach der „Tête de Flandre“ hinübergeworfen, als man nur irgendwie vermochte. Noch ein paar Tage vor der Erſtür- mung Antwerpens ſchrieb das mit jedem Tag des Kriegs auf tiefere geiſtige und moraliſche Stufe ſinkende Hauptorakel der Harms- worth-Hetzpreſſe, die Times, Deutſchland habe offenbar die Abſicht, die belgiſche Handelshauptſtadt zu einem zweiten Hamburg ſeiner Herrſchaft zu machen, und weil dadurch eine für England uner- trägliche Lage geſchaffen würde, ſo beſtehe keine Ausſicht, daß dieſer überſpannte teutoniſche Machttraum jemals verwirklicht werde. Echt britiſcher geſpreizter Dünkel, dem ſchnell der Star geſtochen worden iſt und der, wie wir zuverläſſig vertrauen dürfen, in kurzer Zeit noch weiter gebeugt werden wird. Denn von Antwerpen weiſen die deutſchen Heeresmarſchſtraßen nach Oſtende, Dünkirchen, Calais, und wenn wir erſt dort, in der Breite der Kanalfront, mit unſeren Mörſern größten Kalibers aufgezogen ſind, dann wird man in London erſt voll die Wahrheit des Wortes Napoleons des Erſten erkennen, der, als er die Feſtlandſperre gegen Großbritannien vor- bereitete, Antwerpen eine geladene Piſtole gegen das Herz Eng- lands nannte. Aber mitten im Kriegsgetümmel ſtellt uns offenbar die mit Ausnahme unwichtiger Gebietsteile vollkommene Niederwerfung Belgiens vor eine Befriedungs aufgabe wichtigſter Art: eine Brücke der Verſtändigung zwiſchen dem belgiſchen Volk und uns zu bauen. Gewiß, wir ſind als Eroberer ihm genaht, aber doch nicht eigentlich als Feinde, wenn uns auch die ſchmähliche Be- handlung unſerer Volksgenoſſen ſchon vor dem Krieg und die nachfolgenden Greueltaten der belgiſchen Franktireurs an unſeren Soldaten das Blut kochen machte! Der Einmarſch in das König- reich war uns durch die hinterliſtige und verräteriſche Politik der Ententegenoſſenſchaft aufgezwungen, und jetzt, wo das Ziel, deren ſchwarze Pläne durch zuvorkommenden Stoß unwirkſam zu machen, erreicht iſt, fühlen wir erſt recht, daß unſere Truppen auf einem

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 42, 17. Oktober 1914, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine42_1914/8>, abgerufen am 11.06.2024.