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Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] wolle man in Deutschland derartige Dinge wenn sie wahr seien todtschwei-
gen, und zweitens, wenn sie nicht wahr seien, eine Entgegnung von zustän-
diger Stelle zu veranlassen. Wir willfahren diesem Wunsche. Sollte die
erwartete Gegenäußerung erfolgen, so wird sie -- das hoffen wir zuver-
sichtlich -- den strengen Beweis der Unrichtigkeit des Erzählten führen,
und bei dieser Gelegenheit wohl auch die vor einigen Wochen von einem
Franzosen in der "Times" erhobene und von uns abgedruckte Anklage wi-
derlegen, wonach, ebenfalls von Soldaten der deutschen Ostarmee, ein wehr-
loser Greis in die Flammen seines eigenen Hauses geworfen worden sei.
Der Berichterstatter der "Daily News" schreibt:

"Dijon, 26 Januar.... Seit der Nacht vom 23 d., wo die Preu-
ßen durch Ricciotti's Francs-Tireurs zurückgeworfen wurden, wobei jene
die Fahne des 61. Regiments verloren, haben wir nichts mehr von ihnen
gehört als daß heute morgen bei Daix einige ihrer Plänkler gesehen wur-
den. Gestern, während ich auf einen Schub Verwundeter wartete, die von
Daix kommend in dem allgemeinen Spital untergebracht werden sollten,
sagte mir einer der Träger: daß im innern Hofe der Leichnam eines Franc-
Tireur liege welcher lebendig verbrannt worden sei (who had
been burnt alive).
Ich gieng zu dem Secretär, bat um Erlaubniß die
Leiche zu sehen und gieng dann hin mit dem Lieutenant Davis und zwei
badischen Wundärzten. Von allem schaurigen was ich in diesen Tagen
gesehen war dieß das schaurigste. Der arme Bursche, seitdem als Capitän
einer Nicciotti'schen Compagnie erkannt, war an einen Baum gebunden ge-
wesen, die Spuren der Stricke waren noch an seinen Armen. Das Feuer
war zu seinen Füßen angezündet, und er war langsam
nach oben verbrannt worden.
Sein Rücken, welcher dem Baume
zugewandt gewesen, war nicht vom Feuer berührt, Nacken und Gesicht un-
verletzt, ein Theil seines rothen Plaidhemds hieng noch an ihm. Wahr-
scheinlich waren die Uebelthäter in ihrem ruchlosen Spiel gestört worden,
und war das Feuer erloschen bevor das Opfer todt war. Es fügte sich daß
der nämliche badische Wundarzt der den Leichnam besichtigte, mir am Abend
zugetheilt wurde um die wenigen in Daix zurückgebliebenen Preußen zu
pflegen. Er war in einem jammervollen Zustand des Entsetzens, doch
that er seine Pflicht, blieb die ganze Nacht in der Farm, und heute Morgens
brachte ich ihn und die Verwundeten nach Dijon zurück. ...... Ich fuhr
nach Hauteville hinaus, zu den Häusern wo die Angehörigen der
Saone- und Loire-Ambulanz ermordet worden waren.
Ich
fand eine sehr achtungswerthe Frau, Schwester des Maires von Hauteville,
und ihre Tochter zu Hause. Sie erzählten mir daß in der Nacht vom 21
bis 22 d. einige Aerzte und Krankenwärter ihr Haus als zeitweiliges Spi-
tal in Besitz genommen, die Flagge mit dem rothen Kreuz aufgehißt und,
nachdem sie all ihre Verwundeten besorgt, sich in die Küche gesetzt hätten
um auf die Speisen zu warten welche sie bereitete. Plötzlich stürzten die
Preußen herein. Ein Officier der Französisch sprach schwor daß sie Francs-
Tireurs versteckt halte. Sie ließ sie suchen; sie fanden keine. Dann
tödteten sie kalten Blutes den Oberarzt und einen an-
dern Arzt der zu entwischen suchte, und ließen vier von
den Krankenwärtern für todt auf dem Boden liegen.
Am
Morgen kamen die Soldaten zurück und beraubten die Todten und Ver-
wundeten. In dem nämlichen Hause wurde ein zwanzigjähriges Mädchen
durchs Herz geschossen, dieß jedoch durch Zufall. ...... 27 Januar.
Heute habe ich einige der Officiere von der Legion gesehen deren Aerzte in
Hauteville von den Preußen ermordet worden waren. Sie gehören nicht
der Vogesen-Armee an, sondern der 3. Legion der mobilisirten National-
garde der Saone et Loire. Am 21 d. hatten sie das Dorf mit zwei Batail-
lonen besetzt. Kaum waren die Vorposten gestellt, so erschien eine feind-
liche Cavalleriepatrouille; sie wurde zurückgeworfen. Eine halbe Stunde
später eine Infanteriepatrouille, deßgleichen. Gegen Abend aber wurden
sie auf drei Seiten von den Preußen angegriffen und sahen sich zum Rückzug
hinter das Dorf genöthigt. Die Aerzte und Wärter der Ambulanz blie-
ben auf ihren Posten in dem Hause das sie inmitten des Dorfes besetzt
hatten. Da drangen die Preußen ein, und griffen, nachdem das
Feuer auf beiden Seiten längst aufgehört hatte, die un-
bewaffnete Ambulanz an.
Dr. Morin, der Oberarzt, erhielt zwei
Kugeln in den Kopf, ein Officier schoß ihn mit dem Revolver in die Brust,
und die Soldaten machten ihm mit dem Bajonnett den Garaus. Dr. Mil-
liard wurde außerhalb des Hauses ermordet während er zu entkommen ver-
suchte. Die Krankenwärter D'Heret, Champigny, Fleury, Legros und
Moine wurden von Officieren mit Revolvern beschossen. Die Mörder
nahmen die vier Pferde, das Material und selbst die zur Ambulanz gehöri-
gen chirurgischen Instrumente mit fort. Die Leichen der ermordeten
Aerzte sind ausgegraben und nach Dijon gebracht worden, die verwunde-
ten Wärter liegen in unsern Spitälern."

Soweit der Bericht des Correspondenten der "Daily News." In
einem uns aus Liverpool zukommenden Ausschnitt einer englischen Zeitung
lesen wir als Beisatz zu dem obigen Bericht die Worte: "Die letztere Ge-
schichte wird durch einen Lyoner Correspondenten des "Manchester Guar-
dian" bestätigt."



Der Krieg.

Gestern machte ich mir das Privatvergnügen
einer Wanderung zu allen den Sammelplätzen unserer prächtigen Gäste!
In Mitte der Stadt, nahe den "Zeitglocken," befindet sich das große
[Spaltenumbruch] "Kornhaus" -- bis 1831 nämlich gab es in jedem Amtsbezirk ein solches
Kornhaus, wo die Kornzehnten aufgespeichert wurden. Das Gebäude wird
zu mancherlei entsprechenden Zwecken gebraucht. So lag seit Beginn des
Krieges auf dem ersten Boden eine ungeheure Anzahl von Säcken voll Mehl,
Reis u. s. w. für die schweizerische Armee. Unter dem Gebäude befindet
sich der berühmte Weinkeller mit seinen riesigen Fässern, von einem Wein-
händler gepachtet, ähnlich den bekannten Rathskellern in Bremen u. a. Zu
ebener Erde ist eine hohe offene Halle, wo jeden Dienstag der Kornmarkt
stattfindet. Diese Halle ist jetzt mit Stroh belegt und bis zur halben Höhe
mit Tuch eingewandet, um die Lagernden möglichst zu schützen und besser
bewachen zu können. Außerhalb der Halle ist durch Palissaden ein Hof-
raum eingefriedet, wo die Rothhosen freie Luft schöpfen, und durch die Git-
ter etwa auch mit dem Publicum verkehren können, von welchem bald diese,
bald jene Gabe gespendet wird. In nächster Nähe steht die "wälsche" Kirche,
ebenfalls mit Galliern angefüllt. Von da begab ich mich zum Bahnhof,
wo sich, zwischen diesem und dem Bürgerspital, der Hauptstapelplatz für
die Reiterei befindet. Da sah ich wie Damen mit einem großen Zuber
Kaffee (mit Milch) unter die Hungernden traten und Samariterdienst ver-
richteten; andere theilten Aepfel und Brod aus. Dieses Corps sah wild
kriegerisch aus, Turcos und Zuaven, gut gekleidet, eben erst angelangt.
Die Cavallerie ist abgeschoben. Ein wirklich ekelhaftes Schauspiel
bot sich mir vor der Cavallerie-Caserne gege nüber dem Zuchthaus am
Arberger-Thor. Da stand auf dem Trottoir ein Trupp jener Unverbesser-
lichen, mit wahren Hallunkengesichtern, die in Thun so viel Unfug getrie-
ben hatten, und nun hiehergeschickt waren um wahr scheinlich zu Münsin-
gen untergebracht zu werden. Die sie bewachenden Berner Milizen vom
55. Bataillon waren sehr übel auf diese Kerle und ihre Wildheit zu spre-
chen, und ich selbst war Augenzeuge von dem zügellosen Gebahren einzelner.
Und doch gab's auch für diese noch barmherzige Seelen, welche Brod und
Obst austheilten an die Danklosen. Beim Thore nun, wo jetzt eine Haupt-
wache hergestellt ist, fand ich einen dichten Knäuel von Rothhosen, Bürgern
und Milizen. Da kommt eine Droschke hergefahren, und eine Dame theilt
ganze Körbe voll Brod u. s. w. aus. Von hier weg gieng ich über die Eisenbahn-
Brücke hinaus auf das "Wylerfeld," wo ein Barackenlager gebaut wird,
und bereits eine Anzahl unserer "lieben Freunde" einquartiert ist. Auch
hier dasselbe Samaritergeschäft: eine Droschke mit Damen welche Kaffee
mit Brod und Käse spenden! Zur Bewachung dieser Schaaren hat die
Stadt nun eine Garnison von 1000 Mann (55er und 93er), deren Auf-
gabe gewiß kein Spaß ist, und die den Franzosen nichts weniger als gün-
stig sind, und leicht noch in den Fall kommen dürften mehr als nur den
Kolben zu gebrauchen. Viele einzelne freilich benehmen sich ganz ruhig
und bescheiden. Ich sprach mit vielen aus den verschiedensten Gegenden,
aus Bourges, Bordeaux, Nanzig, Chatellerault u. s. w. Ein Savoyarde,
dem ich ein Brödchen kaufte, meinte: sie wären wohl glücklicher wenn sie
keine Franzosen wären! Das bedenklichste was man überall hört, liest
und sieht, ist daß die Officiere sich um die Soldaten gar nicht kümmern,
sondern für sich ihrer Lust leben. Kein Wunder daß die Soldaten
über die Officiere allen Schimpf ausschütten. Und mit solchen Truppen
wollte Frankreich seinen Boden vertheidigen? Daß es in Zürich geistreiche
Leute gibt, weiß man in der innern Schweiz längst. Doch hätte man nie
es für möglich gehalten daß einem der Rath zu Sinne steigen könnte: wir
Schweizer sollten die Kranken und nun Kriegsunfähigen, oder besonders
das afrikanische Gesindel u. dgl., nach Frankreich zurück spediren! Das
klingt wenig gescheidter als der Plan des schweizerischen Officiers im
"Handelscourier:" mit 100,000 Mann über den Rhein zu gehen. Allen
denen aber die noch irgend mit den Franzosen sympathisiren, möchten wir
den Rath geben sich ein wenig in der Geschichte Frankreichs seit 300 Jahren
umzusehen, und namentlich die Religionsverfolgungen, welche die Huge-
notten noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu erdulden
hatten, und die Tragödie Jean Calas zu beherzigen. Eine Nation von
dem Naturell der Franzosen kann nur entweder durch eine Radicalreform
des ganzen Bildungswesens oder aber durch die eiserne Faust eines Despo-
ten gebändigt werden. Bismarck hat recht wenn er alle möglichen Garan-
tien fordert und die Gränzen stark verzäunt. Je mehr man Frankreich
schwächen kann, desto gesicherter ist die Ruhe Europa's, ja aller Welt.
Wenn irgendwo der Katholicismus, resp. die Hierarchie, gefährlich und
verderblich sich erwiesen hat, so gewiß in Frankreich. Die Früchte der
todten Symbolik und gleißnerischen Phantasterei liegen nun grell zu Tage.
Lerne man doch den Geist des Menschen achten! Dann erst kann das
Christenthum eine Wahrheit werden.

Montag 30 Januar lagen in und um Pontar-
lier 70--80,000 Mann; Mittwoch, 1 Febr., schlug das deutsche Heer noch
die Franzosen, am nächsten Samstag, 4 Febr., war der Uebertritt schon voll-
zogen, und heute nach acht Tagen haben wir ein schönes Stück Arbeit hin-
ter uns; denn 50,000 Franzosen sind entwaffnet, neu eingetheilt zu je 100

[Spaltenumbruch] wolle man in Deutſchland derartige Dinge wenn ſie wahr ſeien todtſchwei-
gen, und zweitens, wenn ſie nicht wahr ſeien, eine Entgegnung von zuſtän-
diger Stelle zu veranlaſſen. Wir willfahren dieſem Wunſche. Sollte die
erwartete Gegenäußerung erfolgen, ſo wird ſie — das hoffen wir zuver-
ſichtlich — den ſtrengen Beweis der Unrichtigkeit des Erzählten führen,
und bei dieſer Gelegenheit wohl auch die vor einigen Wochen von einem
Franzoſen in der „Times“ erhobene und von uns abgedruckte Anklage wi-
derlegen, wonach, ebenfalls von Soldaten der deutſchen Oſtarmee, ein wehr-
loſer Greis in die Flammen ſeines eigenen Hauſes geworfen worden ſei.
Der Berichterſtatter der „Daily News“ ſchreibt:

Dijon, 26 Januar.... Seit der Nacht vom 23 d., wo die Preu-
ßen durch Ricciotti’s Francs-Tireurs zurückgeworfen wurden, wobei jene
die Fahne des 61. Regiments verloren, haben wir nichts mehr von ihnen
gehört als daß heute morgen bei Daix einige ihrer Plänkler geſehen wur-
den. Geſtern, während ich auf einen Schub Verwundeter wartete, die von
Daix kommend in dem allgemeinen Spital untergebracht werden ſollten,
ſagte mir einer der Träger: daß im innern Hofe der Leichnam eines Franc-
Tireur liege welcher lebendig verbrannt worden ſei (who had
been burnt alive).
Ich gieng zu dem Secretär, bat um Erlaubniß die
Leiche zu ſehen und gieng dann hin mit dem Lieutenant Davis und zwei
badiſchen Wundärzten. Von allem ſchaurigen was ich in dieſen Tagen
geſehen war dieß das ſchaurigſte. Der arme Burſche, ſeitdem als Capitän
einer Nicciotti’ſchen Compagnie erkannt, war an einen Baum gebunden ge-
weſen, die Spuren der Stricke waren noch an ſeinen Armen. Das Feuer
war zu ſeinen Füßen angezündet, und er war langſam
nach oben verbrannt worden.
Sein Rücken, welcher dem Baume
zugewandt geweſen, war nicht vom Feuer berührt, Nacken und Geſicht un-
verletzt, ein Theil ſeines rothen Plaidhemds hieng noch an ihm. Wahr-
ſcheinlich waren die Uebelthäter in ihrem ruchloſen Spiel geſtört worden,
und war das Feuer erloſchen bevor das Opfer todt war. Es fügte ſich daß
der nämliche badiſche Wundarzt der den Leichnam beſichtigte, mir am Abend
zugetheilt wurde um die wenigen in Daix zurückgebliebenen Preußen zu
pflegen. Er war in einem jammervollen Zuſtand des Entſetzens, doch
that er ſeine Pflicht, blieb die ganze Nacht in der Farm, und heute Morgens
brachte ich ihn und die Verwundeten nach Dijon zurück. ...... Ich fuhr
nach Hauteville hinaus, zu den Häuſern wo die Angehörigen der
Saône- und Loire-Ambulanz ermordet worden waren.
Ich
fand eine ſehr achtungswerthe Frau, Schweſter des Maires von Hauteville,
und ihre Tochter zu Hauſe. Sie erzählten mir daß in der Nacht vom 21
bis 22 d. einige Aerzte und Krankenwärter ihr Haus als zeitweiliges Spi-
tal in Beſitz genommen, die Flagge mit dem rothen Kreuz aufgehißt und,
nachdem ſie all ihre Verwundeten beſorgt, ſich in die Küche geſetzt hätten
um auf die Speiſen zu warten welche ſie bereitete. Plötzlich ſtürzten die
Preußen herein. Ein Officier der Franzöſiſch ſprach ſchwor daß ſie Francs-
Tireurs verſteckt halte. Sie ließ ſie ſuchen; ſie fanden keine. Dann
tödteten ſie kalten Blutes den Oberarzt und einen an-
dern Arzt der zu entwiſchen ſuchte, und ließen vier von
den Krankenwärtern für todt auf dem Boden liegen.
Am
Morgen kamen die Soldaten zurück und beraubten die Todten und Ver-
wundeten. In dem nämlichen Hauſe wurde ein zwanzigjähriges Mädchen
durchs Herz geſchoſſen, dieß jedoch durch Zufall. ...... 27 Januar.
Heute habe ich einige der Officiere von der Legion geſehen deren Aerzte in
Hauteville von den Preußen ermordet worden waren. Sie gehören nicht
der Vogeſen-Armee an, ſondern der 3. Legion der mobiliſirten National-
garde der Saône et Loire. Am 21 d. hatten ſie das Dorf mit zwei Batail-
lonen beſetzt. Kaum waren die Vorpoſten geſtellt, ſo erſchien eine feind-
liche Cavalleriepatrouille; ſie wurde zurückgeworfen. Eine halbe Stunde
ſpäter eine Infanteriepatrouille, deßgleichen. Gegen Abend aber wurden
ſie auf drei Seiten von den Preußen angegriffen und ſahen ſich zum Rückzug
hinter das Dorf genöthigt. Die Aerzte und Wärter der Ambulanz blie-
ben auf ihren Poſten in dem Hauſe das ſie inmitten des Dorfes beſetzt
hatten. Da drangen die Preußen ein, und griffen, nachdem das
Feuer auf beiden Seiten längſt aufgehört hatte, die un-
bewaffnete Ambulanz an.
Dr. Morin, der Oberarzt, erhielt zwei
Kugeln in den Kopf, ein Officier ſchoß ihn mit dem Revolver in die Bruſt,
und die Soldaten machten ihm mit dem Bajonnett den Garaus. Dr. Mil-
liard wurde außerhalb des Hauſes ermordet während er zu entkommen ver-
ſuchte. Die Krankenwärter D’Heret, Champigny, Fleury, Legros und
Moine wurden von Officieren mit Revolvern beſchoſſen. Die Mörder
nahmen die vier Pferde, das Material und ſelbſt die zur Ambulanz gehöri-
gen chirurgiſchen Inſtrumente mit fort. Die Leichen der ermordeten
Aerzte ſind ausgegraben und nach Dijon gebracht worden, die verwunde-
ten Wärter liegen in unſern Spitälern.“

Soweit der Bericht des Correſpondenten der „Daily News.“ In
einem uns aus Liverpool zukommenden Ausſchnitt einer engliſchen Zeitung
leſen wir als Beiſatz zu dem obigen Bericht die Worte: „Die letztere Ge-
ſchichte wird durch einen Lyoner Correſpondenten des „Mancheſter Guar-
dian“ beſtätigt.“



Der Krieg.

Geſtern machte ich mir das Privatvergnügen
einer Wanderung zu allen den Sammelplätzen unſerer prächtigen Gäſte!
In Mitte der Stadt, nahe den „Zeitglocken,“ befindet ſich das große
[Spaltenumbruch] „Kornhaus“ — bis 1831 nämlich gab es in jedem Amtsbezirk ein ſolches
Kornhaus, wo die Kornzehnten aufgeſpeichert wurden. Das Gebäude wird
zu mancherlei entſprechenden Zwecken gebraucht. So lag ſeit Beginn des
Krieges auf dem erſten Boden eine ungeheure Anzahl von Säcken voll Mehl,
Reis u. ſ. w. für die ſchweizeriſche Armee. Unter dem Gebäude befindet
ſich der berühmte Weinkeller mit ſeinen rieſigen Fäſſern, von einem Wein-
händler gepachtet, ähnlich den bekannten Rathskellern in Bremen u. a. Zu
ebener Erde iſt eine hohe offene Halle, wo jeden Dienſtag der Kornmarkt
ſtattfindet. Dieſe Halle iſt jetzt mit Stroh belegt und bis zur halben Höhe
mit Tuch eingewandet, um die Lagernden möglichſt zu ſchützen und beſſer
bewachen zu können. Außerhalb der Halle iſt durch Paliſſaden ein Hof-
raum eingefriedet, wo die Rothhoſen freie Luft ſchöpfen, und durch die Git-
ter etwa auch mit dem Publicum verkehren können, von welchem bald dieſe,
bald jene Gabe geſpendet wird. In nächſter Nähe ſteht die „wälſche“ Kirche,
ebenfalls mit Galliern angefüllt. Von da begab ich mich zum Bahnhof,
wo ſich, zwiſchen dieſem und dem Bürgerſpital, der Hauptſtapelplatz für
die Reiterei befindet. Da ſah ich wie Damen mit einem großen Zuber
Kaffee (mit Milch) unter die Hungernden traten und Samariterdienſt ver-
richteten; andere theilten Aepfel und Brod aus. Dieſes Corps ſah wild
kriegeriſch aus, Turcos und Zuaven, gut gekleidet, eben erſt angelangt.
Die Cavallerie iſt abgeſchoben. Ein wirklich ekelhaftes Schauſpiel
bot ſich mir vor der Cavallerie-Caſerne gege nüber dem Zuchthaus am
Arberger-Thor. Da ſtand auf dem Trottoir ein Trupp jener Unverbeſſer-
lichen, mit wahren Hallunkengeſichtern, die in Thun ſo viel Unfug getrie-
ben hatten, und nun hiehergeſchickt waren um wahr ſcheinlich zu Münſin-
gen untergebracht zu werden. Die ſie bewachenden Berner Milizen vom
55. Bataillon waren ſehr übel auf dieſe Kerle und ihre Wildheit zu ſpre-
chen, und ich ſelbſt war Augenzeuge von dem zügelloſen Gebahren einzelner.
Und doch gab’s auch für dieſe noch barmherzige Seelen, welche Brod und
Obſt austheilten an die Dankloſen. Beim Thore nun, wo jetzt eine Haupt-
wache hergeſtellt iſt, fand ich einen dichten Knäuel von Rothhoſen, Bürgern
und Milizen. Da kommt eine Droſchke hergefahren, und eine Dame theilt
ganze Körbe voll Brod u. ſ. w. aus. Von hier weg gieng ich über die Eiſenbahn-
Brücke hinaus auf das „Wylerfeld,“ wo ein Barackenlager gebaut wird,
und bereits eine Anzahl unſerer „lieben Freunde“ einquartiert iſt. Auch
hier dasſelbe Samaritergeſchäft: eine Droſchke mit Damen welche Kaffee
mit Brod und Käſe ſpenden! Zur Bewachung dieſer Schaaren hat die
Stadt nun eine Garniſon von 1000 Mann (55er und 93er), deren Auf-
gabe gewiß kein Spaß iſt, und die den Franzoſen nichts weniger als gün-
ſtig ſind, und leicht noch in den Fall kommen dürften mehr als nur den
Kolben zu gebrauchen. Viele einzelne freilich benehmen ſich ganz ruhig
und beſcheiden. Ich ſprach mit vielen aus den verſchiedenſten Gegenden,
aus Bourges, Bordeaux, Nanzig, Chatellerault u. ſ. w. Ein Savoyarde,
dem ich ein Brödchen kaufte, meinte: ſie wären wohl glücklicher wenn ſie
keine Franzoſen wären! Das bedenklichſte was man überall hört, liest
und ſieht, iſt daß die Officiere ſich um die Soldaten gar nicht kümmern,
ſondern für ſich ihrer Luſt leben. Kein Wunder daß die Soldaten
über die Officiere allen Schimpf ausſchütten. Und mit ſolchen Truppen
wollte Frankreich ſeinen Boden vertheidigen? Daß es in Zürich geiſtreiche
Leute gibt, weiß man in der innern Schweiz längſt. Doch hätte man nie
es für möglich gehalten daß einem der Rath zu Sinne ſteigen könnte: wir
Schweizer ſollten die Kranken und nun Kriegsunfähigen, oder beſonders
das afrikaniſche Geſindel u. dgl., nach Frankreich zurück ſpediren! Das
klingt wenig geſcheidter als der Plan des ſchweizeriſchen Officiers im
„Handelscourier:“ mit 100,000 Mann über den Rhein zu gehen. Allen
denen aber die noch irgend mit den Franzoſen ſympathiſiren, möchten wir
den Rath geben ſich ein wenig in der Geſchichte Frankreichs ſeit 300 Jahren
umzuſehen, und namentlich die Religionsverfolgungen, welche die Huge-
notten noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu erdulden
hatten, und die Tragödie Jean Calas zu beherzigen. Eine Nation von
dem Naturell der Franzoſen kann nur entweder durch eine Radicalreform
des ganzen Bildungsweſens oder aber durch die eiſerne Fauſt eines Deſpo-
ten gebändigt werden. Bismarck hat recht wenn er alle möglichen Garan-
tien fordert und die Gränzen ſtark verzäunt. Je mehr man Frankreich
ſchwächen kann, deſto geſicherter iſt die Ruhe Europa’s, ja aller Welt.
Wenn irgendwo der Katholicismus, reſp. die Hierarchie, gefährlich und
verderblich ſich erwieſen hat, ſo gewiß in Frankreich. Die Früchte der
todten Symbolik und gleißneriſchen Phantaſterei liegen nun grell zu Tage.
Lerne man doch den Geiſt des Menſchen achten! Dann erſt kann das
Chriſtenthum eine Wahrheit werden.

Montag 30 Januar lagen in und um Pontar-
lier 70—80,000 Mann; Mittwoch, 1 Febr., ſchlug das deutſche Heer noch
die Franzoſen, am nächſten Samſtag, 4 Febr., war der Uebertritt ſchon voll-
zogen, und heute nach acht Tagen haben wir ein ſchönes Stück Arbeit hin-
ter uns; denn 50,000 Franzoſen ſind entwaffnet, neu eingetheilt zu je 100

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[778/0018] wolle man in Deutſchland derartige Dinge wenn ſie wahr ſeien todtſchwei- gen, und zweitens, wenn ſie nicht wahr ſeien, eine Entgegnung von zuſtän- diger Stelle zu veranlaſſen. Wir willfahren dieſem Wunſche. Sollte die erwartete Gegenäußerung erfolgen, ſo wird ſie — das hoffen wir zuver- ſichtlich — den ſtrengen Beweis der Unrichtigkeit des Erzählten führen, und bei dieſer Gelegenheit wohl auch die vor einigen Wochen von einem Franzoſen in der „Times“ erhobene und von uns abgedruckte Anklage wi- derlegen, wonach, ebenfalls von Soldaten der deutſchen Oſtarmee, ein wehr- loſer Greis in die Flammen ſeines eigenen Hauſes geworfen worden ſei. Der Berichterſtatter der „Daily News“ ſchreibt: „Dijon, 26 Januar.... Seit der Nacht vom 23 d., wo die Preu- ßen durch Ricciotti’s Francs-Tireurs zurückgeworfen wurden, wobei jene die Fahne des 61. Regiments verloren, haben wir nichts mehr von ihnen gehört als daß heute morgen bei Daix einige ihrer Plänkler geſehen wur- den. Geſtern, während ich auf einen Schub Verwundeter wartete, die von Daix kommend in dem allgemeinen Spital untergebracht werden ſollten, ſagte mir einer der Träger: daß im innern Hofe der Leichnam eines Franc- Tireur liege welcher lebendig verbrannt worden ſei (who had been burnt alive). Ich gieng zu dem Secretär, bat um Erlaubniß die Leiche zu ſehen und gieng dann hin mit dem Lieutenant Davis und zwei badiſchen Wundärzten. Von allem ſchaurigen was ich in dieſen Tagen geſehen war dieß das ſchaurigſte. Der arme Burſche, ſeitdem als Capitän einer Nicciotti’ſchen Compagnie erkannt, war an einen Baum gebunden ge- weſen, die Spuren der Stricke waren noch an ſeinen Armen. Das Feuer war zu ſeinen Füßen angezündet, und er war langſam nach oben verbrannt worden. Sein Rücken, welcher dem Baume zugewandt geweſen, war nicht vom Feuer berührt, Nacken und Geſicht un- verletzt, ein Theil ſeines rothen Plaidhemds hieng noch an ihm. Wahr- ſcheinlich waren die Uebelthäter in ihrem ruchloſen Spiel geſtört worden, und war das Feuer erloſchen bevor das Opfer todt war. Es fügte ſich daß der nämliche badiſche Wundarzt der den Leichnam beſichtigte, mir am Abend zugetheilt wurde um die wenigen in Daix zurückgebliebenen Preußen zu pflegen. Er war in einem jammervollen Zuſtand des Entſetzens, doch that er ſeine Pflicht, blieb die ganze Nacht in der Farm, und heute Morgens brachte ich ihn und die Verwundeten nach Dijon zurück. ...... Ich fuhr nach Hauteville hinaus, zu den Häuſern wo die Angehörigen der Saône- und Loire-Ambulanz ermordet worden waren. Ich fand eine ſehr achtungswerthe Frau, Schweſter des Maires von Hauteville, und ihre Tochter zu Hauſe. Sie erzählten mir daß in der Nacht vom 21 bis 22 d. einige Aerzte und Krankenwärter ihr Haus als zeitweiliges Spi- tal in Beſitz genommen, die Flagge mit dem rothen Kreuz aufgehißt und, nachdem ſie all ihre Verwundeten beſorgt, ſich in die Küche geſetzt hätten um auf die Speiſen zu warten welche ſie bereitete. Plötzlich ſtürzten die Preußen herein. Ein Officier der Franzöſiſch ſprach ſchwor daß ſie Francs- Tireurs verſteckt halte. Sie ließ ſie ſuchen; ſie fanden keine. Dann tödteten ſie kalten Blutes den Oberarzt und einen an- dern Arzt der zu entwiſchen ſuchte, und ließen vier von den Krankenwärtern für todt auf dem Boden liegen. Am Morgen kamen die Soldaten zurück und beraubten die Todten und Ver- wundeten. In dem nämlichen Hauſe wurde ein zwanzigjähriges Mädchen durchs Herz geſchoſſen, dieß jedoch durch Zufall. ...... 27 Januar. Heute habe ich einige der Officiere von der Legion geſehen deren Aerzte in Hauteville von den Preußen ermordet worden waren. Sie gehören nicht der Vogeſen-Armee an, ſondern der 3. Legion der mobiliſirten National- garde der Saône et Loire. Am 21 d. hatten ſie das Dorf mit zwei Batail- lonen beſetzt. Kaum waren die Vorpoſten geſtellt, ſo erſchien eine feind- liche Cavalleriepatrouille; ſie wurde zurückgeworfen. Eine halbe Stunde ſpäter eine Infanteriepatrouille, deßgleichen. Gegen Abend aber wurden ſie auf drei Seiten von den Preußen angegriffen und ſahen ſich zum Rückzug hinter das Dorf genöthigt. Die Aerzte und Wärter der Ambulanz blie- ben auf ihren Poſten in dem Hauſe das ſie inmitten des Dorfes beſetzt hatten. Da drangen die Preußen ein, und griffen, nachdem das Feuer auf beiden Seiten längſt aufgehört hatte, die un- bewaffnete Ambulanz an. Dr. Morin, der Oberarzt, erhielt zwei Kugeln in den Kopf, ein Officier ſchoß ihn mit dem Revolver in die Bruſt, und die Soldaten machten ihm mit dem Bajonnett den Garaus. Dr. Mil- liard wurde außerhalb des Hauſes ermordet während er zu entkommen ver- ſuchte. Die Krankenwärter D’Heret, Champigny, Fleury, Legros und Moine wurden von Officieren mit Revolvern beſchoſſen. Die Mörder nahmen die vier Pferde, das Material und ſelbſt die zur Ambulanz gehöri- gen chirurgiſchen Inſtrumente mit fort. Die Leichen der ermordeten Aerzte ſind ausgegraben und nach Dijon gebracht worden, die verwunde- ten Wärter liegen in unſern Spitälern.“ Soweit der Bericht des Correſpondenten der „Daily News.“ In einem uns aus Liverpool zukommenden Ausſchnitt einer engliſchen Zeitung leſen wir als Beiſatz zu dem obigen Bericht die Worte: „Die letztere Ge- ſchichte wird durch einen Lyoner Correſpondenten des „Mancheſter Guar- dian“ beſtätigt.“ Der Krieg. -r- Bern, 11 Febr. Geſtern machte ich mir das Privatvergnügen einer Wanderung zu allen den Sammelplätzen unſerer prächtigen Gäſte! In Mitte der Stadt, nahe den „Zeitglocken,“ befindet ſich das große „Kornhaus“ — bis 1831 nämlich gab es in jedem Amtsbezirk ein ſolches Kornhaus, wo die Kornzehnten aufgeſpeichert wurden. Das Gebäude wird zu mancherlei entſprechenden Zwecken gebraucht. So lag ſeit Beginn des Krieges auf dem erſten Boden eine ungeheure Anzahl von Säcken voll Mehl, Reis u. ſ. w. für die ſchweizeriſche Armee. Unter dem Gebäude befindet ſich der berühmte Weinkeller mit ſeinen rieſigen Fäſſern, von einem Wein- händler gepachtet, ähnlich den bekannten Rathskellern in Bremen u. a. Zu ebener Erde iſt eine hohe offene Halle, wo jeden Dienſtag der Kornmarkt ſtattfindet. Dieſe Halle iſt jetzt mit Stroh belegt und bis zur halben Höhe mit Tuch eingewandet, um die Lagernden möglichſt zu ſchützen und beſſer bewachen zu können. Außerhalb der Halle iſt durch Paliſſaden ein Hof- raum eingefriedet, wo die Rothhoſen freie Luft ſchöpfen, und durch die Git- ter etwa auch mit dem Publicum verkehren können, von welchem bald dieſe, bald jene Gabe geſpendet wird. In nächſter Nähe ſteht die „wälſche“ Kirche, ebenfalls mit Galliern angefüllt. Von da begab ich mich zum Bahnhof, wo ſich, zwiſchen dieſem und dem Bürgerſpital, der Hauptſtapelplatz für die Reiterei befindet. Da ſah ich wie Damen mit einem großen Zuber Kaffee (mit Milch) unter die Hungernden traten und Samariterdienſt ver- richteten; andere theilten Aepfel und Brod aus. Dieſes Corps ſah wild kriegeriſch aus, Turcos und Zuaven, gut gekleidet, eben erſt angelangt. Die Cavallerie iſt abgeſchoben. Ein wirklich ekelhaftes Schauſpiel bot ſich mir vor der Cavallerie-Caſerne gege nüber dem Zuchthaus am Arberger-Thor. Da ſtand auf dem Trottoir ein Trupp jener Unverbeſſer- lichen, mit wahren Hallunkengeſichtern, die in Thun ſo viel Unfug getrie- ben hatten, und nun hiehergeſchickt waren um wahr ſcheinlich zu Münſin- gen untergebracht zu werden. Die ſie bewachenden Berner Milizen vom 55. Bataillon waren ſehr übel auf dieſe Kerle und ihre Wildheit zu ſpre- chen, und ich ſelbſt war Augenzeuge von dem zügelloſen Gebahren einzelner. Und doch gab’s auch für dieſe noch barmherzige Seelen, welche Brod und Obſt austheilten an die Dankloſen. Beim Thore nun, wo jetzt eine Haupt- wache hergeſtellt iſt, fand ich einen dichten Knäuel von Rothhoſen, Bürgern und Milizen. Da kommt eine Droſchke hergefahren, und eine Dame theilt ganze Körbe voll Brod u. ſ. w. aus. Von hier weg gieng ich über die Eiſenbahn- Brücke hinaus auf das „Wylerfeld,“ wo ein Barackenlager gebaut wird, und bereits eine Anzahl unſerer „lieben Freunde“ einquartiert iſt. Auch hier dasſelbe Samaritergeſchäft: eine Droſchke mit Damen welche Kaffee mit Brod und Käſe ſpenden! Zur Bewachung dieſer Schaaren hat die Stadt nun eine Garniſon von 1000 Mann (55er und 93er), deren Auf- gabe gewiß kein Spaß iſt, und die den Franzoſen nichts weniger als gün- ſtig ſind, und leicht noch in den Fall kommen dürften mehr als nur den Kolben zu gebrauchen. Viele einzelne freilich benehmen ſich ganz ruhig und beſcheiden. Ich ſprach mit vielen aus den verſchiedenſten Gegenden, aus Bourges, Bordeaux, Nanzig, Chatellerault u. ſ. w. Ein Savoyarde, dem ich ein Brödchen kaufte, meinte: ſie wären wohl glücklicher wenn ſie keine Franzoſen wären! Das bedenklichſte was man überall hört, liest und ſieht, iſt daß die Officiere ſich um die Soldaten gar nicht kümmern, ſondern für ſich ihrer Luſt leben. Kein Wunder daß die Soldaten über die Officiere allen Schimpf ausſchütten. Und mit ſolchen Truppen wollte Frankreich ſeinen Boden vertheidigen? Daß es in Zürich geiſtreiche Leute gibt, weiß man in der innern Schweiz längſt. Doch hätte man nie es für möglich gehalten daß einem der Rath zu Sinne ſteigen könnte: wir Schweizer ſollten die Kranken und nun Kriegsunfähigen, oder beſonders das afrikaniſche Geſindel u. dgl., nach Frankreich zurück ſpediren! Das klingt wenig geſcheidter als der Plan des ſchweizeriſchen Officiers im „Handelscourier:“ mit 100,000 Mann über den Rhein zu gehen. Allen denen aber die noch irgend mit den Franzoſen ſympathiſiren, möchten wir den Rath geben ſich ein wenig in der Geſchichte Frankreichs ſeit 300 Jahren umzuſehen, und namentlich die Religionsverfolgungen, welche die Huge- notten noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu erdulden hatten, und die Tragödie Jean Calas zu beherzigen. Eine Nation von dem Naturell der Franzoſen kann nur entweder durch eine Radicalreform des ganzen Bildungsweſens oder aber durch die eiſerne Fauſt eines Deſpo- ten gebändigt werden. Bismarck hat recht wenn er alle möglichen Garan- tien fordert und die Gränzen ſtark verzäunt. Je mehr man Frankreich ſchwächen kann, deſto geſicherter iſt die Ruhe Europa’s, ja aller Welt. Wenn irgendwo der Katholicismus, reſp. die Hierarchie, gefährlich und verderblich ſich erwieſen hat, ſo gewiß in Frankreich. Die Früchte der todten Symbolik und gleißneriſchen Phantaſterei liegen nun grell zu Tage. Lerne man doch den Geiſt des Menſchen achten! Dann erſt kann das Chriſtenthum eine Wahrheit werden. ÷ Zürich, 11 Febr. Montag 30 Januar lagen in und um Pontar- lier 70—80,000 Mann; Mittwoch, 1 Febr., ſchlug das deutſche Heer noch die Franzoſen, am nächſten Samſtag, 4 Febr., war der Uebertritt ſchon voll- zogen, und heute nach acht Tagen haben wir ein ſchönes Stück Arbeit hin- ter uns; denn 50,000 Franzoſen ſind entwaffnet, neu eingetheilt zu je 100

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine46_1871/18>, abgerufen am 01.06.2024.