Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848.[Spaltenumbruch]
Das Verlangen nach einem deutschen Parlament, bisher nur Einkommensteuern und Landescasse zur Unterstützung Karlsruhe, 9 März.der Arbeiter. Der Antrag den der Abg. Trefurt heute Von der Concurrenz in allen Nahrungs- und Erwerbs- zweigen des bürgerlichen Lebens, Es ist nicht sowohl der Jnhalt als der Gegenstand dieser kleinen Wir sind mit dem Verfasser einverstanden dahin daß in der gegen- Jst nun mit dem Gesammtertrage des Bodens eine sichere Unter- [Spaltenumbruch]
Das Verlangen nach einem deutſchen Parlament, bisher nur Einkommenſteuern und Landescaſſe zur Unterſtützung Karlsruhe, 9 März.der Arbeiter. Der Antrag den der Abg. Trefurt heute Von der Concurrenz in allen Nahrungs- und Erwerbs- zweigen des bürgerlichen Lebens, ⦻ Es iſt nicht ſowohl der Jnhalt als der Gegenſtand dieſer kleinen Wir ſind mit dem Verfaſſer einverſtanden dahin daß in der gegen- Jſt nun mit dem Geſammtertrage des Bodens eine ſichere Unter- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <pb facs="#f0010" n="1194"/> <cb/> <p>Das Verlangen nach einem deutſchen Parlament, bisher nur<lb/> wunſchweiſe von der Oppoſition in einzelnen Kammern und in der<lb/> Preſſe ausgeſprochen, wird von der ganzen Nation ſo laut und ein-<lb/> dringlich bevorwortet daß die Erfüllung nicht mehr vorenthalten wer-<lb/> den kann. Neben den Vertretern der einzelnen Regierungen am Bun-<lb/> destage müſſen die Vertreter der einzelnen ſtändiſchen Körper Deutſch-<lb/> lands mindeſtens mit berathender Stimme ſtehen. Wir verlangen<lb/> keine Nationalrepräſentation in dem Sinne daß jedes Hunderttauſend<lb/> Deutſcher ſeinen Vertreter nach Frankfurt ſchickt, ſolche Hinwegſetzung<lb/> über die beſtehenden Formen der Vertretung und der ſtaatlichen Exi-<lb/> ſtenzen im allgemeinen erträgt ein hiſtoriſch erwachſener Zuſtand, wie<lb/> der unſerige heute iſt, nicht, ohne zu revolutionären Umwälzungen zu<lb/> führen. Aber wir verlangen für die Geſammtheit des Volks, wie ſie<lb/> in den Staaten zergliedert, einen Sammelplatz von dem die Entſchei-<lb/> dung über die wichtigſten geiſtigen und ideellen Nationalanliegen aus-<lb/> ſtrömt. 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Er begann: <cit><quote>„Laſſen Sie mich,<lb/> meine Herren, einen Antrag ſtellen welcher, in mir hervorgerufen<lb/> durch die beklagenswerthen Verirrungen ſo mancher aus der unbemit-<lb/> telten Claſſe unſerer Mitbürger, mir das wirkſamſte und zugleich wür-<lb/> digſte Mittel ſcheint dergleichen für die Zukunft zu beſeitigen. Jch<lb/> theile vollkommen die Mißbilligung und gerechte Entrüſtung mit welcher<lb/> mehrere Redner ſich gegen jede Verletzung der Geſetze, gegen Störun-<lb/> gen des Eigenthums und Mißhandlung von Perſonen ausgeſprochen<lb/> haben; aber, meine Herren, in Zeiten ſo ungeheurer Aufregung wäre<lb/> es eine ungerechte Härte gegen unſere nothleidenden Brüder, wenn<lb/> wir nur mittelſt Berufung der Polizei und der ſtrafenden Gerechtigkeit<lb/> ſie zu beruhigen verſuchen wollten; es wäre eine Täuſchung wenn wir<lb/> glaubten daß bloße Vertröſtungen auf Gewerbeordnung, Aenderung<lb/> des Steuerſyſtems, Errichtung einer Bank, Organiſtrung der Arbeit<lb/> und dergleichen hier zur Befriedigung gereichen; in einer Zeit wo das<lb/> Bedürfniß und die hochgeſteigerte Unzufriedenheit ſo mächtig drängt,<lb/> da gilt es zu handeln und raſch zu handeln, die Beſitzenden mögen<lb/> den Beſitzloſen nicht mit leeren Händen entgegengehen; ſie mögen in<lb/> einer großen Zeit nicht kleinherzig ſeyn, ſondern freiwillig und groß-<lb/> müthig einen Theil ihres Ueberfluſſes an ihre beſitzloſen Brüder abtre-<lb/> ten, und damit ihre Liebe für Ordnung und Geſetz befeſtigen. Meine<lb/> Herren! der badiſchen Kammer iſt der Ruhm in Erringung neuer<lb/> langentbehrter politiſcher Rechte für das Volk die vorderſte geweſen zu<lb/> ſeyn; ihr werde auch die Ehre in Ergreifung des erſten und eines freien<lb/> Volkes würdigſten Mittels zu Entfernung aller anarchiſchen Verirrun-<lb/> gen allen deutſchen Stämmen vorangegangen zu ſeyn, und unterſtützen<lb/> Sie meinen Antrag auf Errichtung einer Landescaſſe zur Unterſtützung<lb/> der Arbeiter aller Claſſen einſchließlich der Ackerbauer. Die Haupt-<lb/> punkte eines deßfalls zu erbittenden Geſetzes ſind folgende: ſofortige<lb/> freiwillige außerordentliche Beſteuerung alles Einkommens über 500 fl.<lb/> mit nicht weniger als <formula notation="TeX">\frac{1}{20}</formula> des Jahresbetrags, und bei mehr als 2000 fl.<lb/><formula notation="TeX">\frac{1}{10}</formula> des Jahresbetrags mit folgender Ausführung: <hi rendition="#aq">a.</hi> Vor allem im<lb/> Ständeſaal, dann in jeder Gemeinde des Landes werden Liſten aufgelegt<lb/> wo jeder ſein Jahreseinkommen fatirt und den in Monatsraten einzuzah-<lb/> lenden Betrag ſeiner freiwilligen Steuer beſtimmt. <hi rendition="#aq">b.</hi> Wer ſein Einkom-<lb/> men in auffallend zu niederer Weiſe angibt, muß ſich auf Anordnung der<lb/> Steuercommiſſion einer Vermögensunterſuchung unterwerfen, und wird,<lb/> wenn man ihn der Untreue ſchuldig findet, durch Veröffentlichung der Ver-<lb/> achtung ſeiner Mitbürger überlaſſen. <hi rendition="#aq">c.</hi> Die Steuercommiſſion beſteht an<lb/> jedem Ort aus dem Gemeinderath und zehn Beigeordneten, welche von<lb/> der zur ſtändiſchen Wahl berechtigten Einwohnerſchaft ganz wie die ſtän-<lb/> diſchen Wahlmänner gewählt werden. <hi rendition="#aq">d.</hi> Das auf dieſem Wege zu-<lb/> ſammengebrachte Capital wird in eine Landeskaſſe zur Unterſtützung<lb/> der Arbeiter angeſammelt, welche von einer unter unmittelbarer Lei-<lb/> tung des Finanzminiſters ſtehenden Commiſſion unter Controle des<lb/><cb/> ſtändiſchen Ausſchuſſes, der dazu ein ſtändiſches Mitglied delegirt,<lb/> verwaltet wird. <hi rendition="#aq">e.</hi> Die nächſten Zwecke der Caſſe ſind <hi rendition="#i">α.</hi> Unter-<lb/> ſtützung unbemittelter Handwerker mit unverzinslichen Anlehen gegen<lb/> einfache Sicherheit; <hi rendition="#i">β.</hi> Errichtung von Arbeitsanſtalten zur Beſchäf-<lb/> tigung und Ernährung aller arbeitsfähigen Armen; <hi rendition="#i">γ.</hi> Beiträge an<lb/> die Gemeinden zur Unterſtützung ihrer arbeitsunfähigen Armen.<lb/><hi rendition="#aq">f.</hi> Entfernter Zweck iſt Unterſtützung der Auswanderer. <hi rendition="#aq">g.</hi> Wenn<lb/> nach einem Jahre der Stand der Caſſe es fordert, ſo wird eine<lb/> nochmalige Jahresſteuer durch neue Einzeichnung herbeigeſchafft. <hi rendition="#aq">h.</hi><lb/> Jhre nachhaltige Dotation erhält die Caſſe durch eine erkleckliche<lb/> Erbſchaftsſteuer, womit alle Erbſchaften, die nicht an Deſcendenten,<lb/> Aſcendenten oder Geſchwiſter gehen, je nach der Nähe des Verwandt-<lb/> ſchaftsgrades, mehr oder weniger ſtark belegt werden.“</quote></cit> (Der Antrag<lb/> fand von allen Seiten die lebhafteſte Unterſtützung.)</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head><hi rendition="#g">Von der Concurrenz in allen Nahrungs- und Erwerbs-<lb/> zweigen des bürgerlichen Lebens</hi>, </head> <byline><hi rendition="#g">von</hi><hi rendition="#aq">Dr.</hi> K. <hi rendition="#g">Vollgraff</hi>,<lb/> ordentlichem Profeſſor der Rechte in Marburg.</byline><lb/> <p>⦻ Es iſt nicht ſowohl der Jnhalt als der Gegenſtand dieſer kleinen<lb/> Schrift der uns zur Beſprechung auffordert. Wir finden in derſelben<lb/> altbackene Wahrheit und friſchen Jrrthum, verjährte Anſichten und<lb/> neue Hypotheſen, geſunde Gedanken und wunderliche Träumereien,<lb/> menſchenfreundlichen guten Willen und überpolizeiliche Härte und Un-<lb/> barmherzigkeit in bunteſter Miſchung durcheinander gewürfelt. Der<lb/> Verfaſſer glaubt die alleinige Urſache der zunehmenden Maſſenarmuth<lb/> in der übergroßen Concurrenz der Arbeitskräfte gefunden zu haben<lb/> welche in Handel und Gewerbe, im Ackerbau, in den gelehrten Fächern,<lb/> auf den Bahnen des Staatsdienſtes, kurz wie er auf dem Titel und an<lb/> vielen Stellen ſeines Buches ſagt, in allen Nahrungs- und Erwerbs-<lb/> zweigen des bürgerlichen Lebens ohne Ausnahme obwalte. Sind alle<lb/> bürgerlichen Gewerbe ohne Ausnahme überſetzt, ſo ſollte man meinen<lb/> es müſſe überhaupt eine zu große Bevölkerung vorhanden ſeyn; der<lb/> Verfaſſer iſt indeſſen nicht dieſer Anſicht. „Die bisher geſchilderte über-<lb/> mäßige Concurrenz, ſagt er, iſt keine Folge einer etwaigen Uebervölke-<lb/> rung, ſondern ein Zuſtand den man eine widernatürliche Verſchiebung,<lb/> Austheilung und Verminderung der menſchlichen Arbeit, und ſonach<lb/> des Vermögens nennen kann, iſt die Urſache wodurch eine größere<lb/> Menge als ſeyn ſollte weniger beſchäftigt iſt als ſonſt, und damit ver-<lb/> armt, während aller Reichthum in wenige Hände gelangt iſt, und dieſe<lb/> nun die Herrſchaft des Geldes dahin mißbrauchen daß ſie damit nicht<lb/> Menſchenhände, ſondern Maſchinenkräfte in Thätigkeit ſetzen.“ Dieſen<lb/> Worten liegt eine mehr geahnte als begriffene Wahrheit zum Grunde,<lb/> und der Verfaſſer geſteht damit, ohne es eigentlich zu wiſſen und zu<lb/> wollen, daß das Uebel dem er abhelfen möchte, noch andere und tiefere<lb/> Wurzeln hat als die einzig von ihm angeklagte Concurrenz. Dieß Wort<lb/> iſt überdieß eine ſehr unvollkommene Bezeichnung der Sache die damit<lb/> gemeint iſt, wie ſich unten herausſtellen wird.</p><lb/> <p>Wir ſind mit dem Verfaſſer einverſtanden dahin daß in der gegen-<lb/> wärtigen Lage der Dinge von eigentlicher Uebervölkerung in Deutſchland<lb/> noch nicht die Rede ſeyn kann. Uebervölkerung im ſtrengen Sinne des<lb/> Wortes iſt erſt dann vorhanden wenn das Land das Volk mit ſeinen<lb/> eigenen Hülfsmitteln nicht mehr zu ernähren vermag. Deutſchland<lb/> aber erzeugt unzweifelhaft Nahrungsmittel und Rohſtoffe genug um<lb/> ſeine 40 Millionen Bewohner zu ſpeiſen, zu kleiden und ihnen Dach<lb/> und Fach zu geben. Getreide, Kartoffeln, Fleiſch, Wein, Flachs,<lb/> Hanf, Wolle, Holz — kurz die zur Befriedigung der nothwendigen<lb/> Lebensbedürfniſſe erforderlichen Erzeugniſſe des Bodens bleiben in ihrer<lb/> Geſammtmaſſe ſicherlich nicht unter dem Geſammterforderniß. Wir<lb/> haben keine ſtatiſtiſchen Nachweiſe über den Durchſchnittsertrag des<lb/> deutſchen Bodens an Früchten aller Art zur Hand; wir befürchten aber<lb/> keinen Widerſpruch, wenn wir behaupten daß dieſer Ertrag hinteicht um<lb/> das ganze Volk zu ſättigen und zu kleiden, um ſo mehr als der Hunger und<lb/> die Entblößung ja auch thatſächlich noch immer zu den Ausnahmsfällen<lb/> gehören, wenn ſie auch leider nur gar zu oft durch Almoſen oder durch<lb/> außerordentliche Opfer des Staates geſtillt und bedeckt werden müſſen.</p><lb/> <p>Jſt nun mit dem Geſammtertrage des Bodens eine ſichere Unter-<lb/> lage für die materielle Exiſtenz des Volkes gegeben, ſo kann es nicht<lb/> als eine unmögliche Aufgabe betrachtet werden jedem Mitgliede des<lb/> Volkes einen billigen Antheil an jener Maſſe zu verſchaffen. 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Das Verlangen nach einem deutſchen Parlament, bisher nur
wunſchweiſe von der Oppoſition in einzelnen Kammern und in der
Preſſe ausgeſprochen, wird von der ganzen Nation ſo laut und ein-
dringlich bevorwortet daß die Erfüllung nicht mehr vorenthalten wer-
den kann. Neben den Vertretern der einzelnen Regierungen am Bun-
destage müſſen die Vertreter der einzelnen ſtändiſchen Körper Deutſch-
lands mindeſtens mit berathender Stimme ſtehen. Wir verlangen
keine Nationalrepräſentation in dem Sinne daß jedes Hunderttauſend
Deutſcher ſeinen Vertreter nach Frankfurt ſchickt, ſolche Hinwegſetzung
über die beſtehenden Formen der Vertretung und der ſtaatlichen Exi-
ſtenzen im allgemeinen erträgt ein hiſtoriſch erwachſener Zuſtand, wie
der unſerige heute iſt, nicht, ohne zu revolutionären Umwälzungen zu
führen. Aber wir verlangen für die Geſammtheit des Volks, wie ſie
in den Staaten zergliedert, einen Sammelplatz von dem die Entſchei-
dung über die wichtigſten geiſtigen und ideellen Nationalanliegen aus-
ſtrömt. Die Handels- und Gewerbsangelegenheit wird einen wichti-
gen Theil der Thätigkeit eines deutſchen Parlaments bilden, und nicht
bloß gründlicher und unparteiiſcher, ſondern auch dem Volksintereſſe
entſprechender gelöst werden als auf den Zollconferenzen, wenn ſie
vor der letzten Beſchlußfaſſung das Stadium einer Debatte durchläuft
an der ſich die Vertreter aller deutſchen Volksſtämme betheiligen.
Einkommenſteuern und Landescaſſe zur Unterſtützung
der Arbeiter.
Karlsruhe, 9 März.
Der Antrag den der Abg. Trefurt heute
ſtellte, war ſo wichtig und doch nebſt der Einleitung ſo kurz gehalten
daß wir ihn vollſtändig mittheilen. Er begann: „Laſſen Sie mich,
meine Herren, einen Antrag ſtellen welcher, in mir hervorgerufen
durch die beklagenswerthen Verirrungen ſo mancher aus der unbemit-
telten Claſſe unſerer Mitbürger, mir das wirkſamſte und zugleich wür-
digſte Mittel ſcheint dergleichen für die Zukunft zu beſeitigen. Jch
theile vollkommen die Mißbilligung und gerechte Entrüſtung mit welcher
mehrere Redner ſich gegen jede Verletzung der Geſetze, gegen Störun-
gen des Eigenthums und Mißhandlung von Perſonen ausgeſprochen
haben; aber, meine Herren, in Zeiten ſo ungeheurer Aufregung wäre
es eine ungerechte Härte gegen unſere nothleidenden Brüder, wenn
wir nur mittelſt Berufung der Polizei und der ſtrafenden Gerechtigkeit
ſie zu beruhigen verſuchen wollten; es wäre eine Täuſchung wenn wir
glaubten daß bloße Vertröſtungen auf Gewerbeordnung, Aenderung
des Steuerſyſtems, Errichtung einer Bank, Organiſtrung der Arbeit
und dergleichen hier zur Befriedigung gereichen; in einer Zeit wo das
Bedürfniß und die hochgeſteigerte Unzufriedenheit ſo mächtig drängt,
da gilt es zu handeln und raſch zu handeln, die Beſitzenden mögen
den Beſitzloſen nicht mit leeren Händen entgegengehen; ſie mögen in
einer großen Zeit nicht kleinherzig ſeyn, ſondern freiwillig und groß-
müthig einen Theil ihres Ueberfluſſes an ihre beſitzloſen Brüder abtre-
ten, und damit ihre Liebe für Ordnung und Geſetz befeſtigen. Meine
Herren! der badiſchen Kammer iſt der Ruhm in Erringung neuer
langentbehrter politiſcher Rechte für das Volk die vorderſte geweſen zu
ſeyn; ihr werde auch die Ehre in Ergreifung des erſten und eines freien
Volkes würdigſten Mittels zu Entfernung aller anarchiſchen Verirrun-
gen allen deutſchen Stämmen vorangegangen zu ſeyn, und unterſtützen
Sie meinen Antrag auf Errichtung einer Landescaſſe zur Unterſtützung
der Arbeiter aller Claſſen einſchließlich der Ackerbauer. Die Haupt-
punkte eines deßfalls zu erbittenden Geſetzes ſind folgende: ſofortige
freiwillige außerordentliche Beſteuerung alles Einkommens über 500 fl.
mit nicht weniger als [FORMEL] des Jahresbetrags, und bei mehr als 2000 fl.
[FORMEL] des Jahresbetrags mit folgender Ausführung: a. Vor allem im
Ständeſaal, dann in jeder Gemeinde des Landes werden Liſten aufgelegt
wo jeder ſein Jahreseinkommen fatirt und den in Monatsraten einzuzah-
lenden Betrag ſeiner freiwilligen Steuer beſtimmt. b. Wer ſein Einkom-
men in auffallend zu niederer Weiſe angibt, muß ſich auf Anordnung der
Steuercommiſſion einer Vermögensunterſuchung unterwerfen, und wird,
wenn man ihn der Untreue ſchuldig findet, durch Veröffentlichung der Ver-
achtung ſeiner Mitbürger überlaſſen. c. Die Steuercommiſſion beſteht an
jedem Ort aus dem Gemeinderath und zehn Beigeordneten, welche von
der zur ſtändiſchen Wahl berechtigten Einwohnerſchaft ganz wie die ſtän-
diſchen Wahlmänner gewählt werden. d. Das auf dieſem Wege zu-
ſammengebrachte Capital wird in eine Landeskaſſe zur Unterſtützung
der Arbeiter angeſammelt, welche von einer unter unmittelbarer Lei-
tung des Finanzminiſters ſtehenden Commiſſion unter Controle des
ſtändiſchen Ausſchuſſes, der dazu ein ſtändiſches Mitglied delegirt,
verwaltet wird. e. Die nächſten Zwecke der Caſſe ſind α. Unter-
ſtützung unbemittelter Handwerker mit unverzinslichen Anlehen gegen
einfache Sicherheit; β. Errichtung von Arbeitsanſtalten zur Beſchäf-
tigung und Ernährung aller arbeitsfähigen Armen; γ. Beiträge an
die Gemeinden zur Unterſtützung ihrer arbeitsunfähigen Armen.
f. Entfernter Zweck iſt Unterſtützung der Auswanderer. g. Wenn
nach einem Jahre der Stand der Caſſe es fordert, ſo wird eine
nochmalige Jahresſteuer durch neue Einzeichnung herbeigeſchafft. h.
Jhre nachhaltige Dotation erhält die Caſſe durch eine erkleckliche
Erbſchaftsſteuer, womit alle Erbſchaften, die nicht an Deſcendenten,
Aſcendenten oder Geſchwiſter gehen, je nach der Nähe des Verwandt-
ſchaftsgrades, mehr oder weniger ſtark belegt werden.“ (Der Antrag
fand von allen Seiten die lebhafteſte Unterſtützung.)
Von der Concurrenz in allen Nahrungs- und Erwerbs-
zweigen des bürgerlichen Lebens, von Dr. K. Vollgraff,
ordentlichem Profeſſor der Rechte in Marburg.
⦻ Es iſt nicht ſowohl der Jnhalt als der Gegenſtand dieſer kleinen
Schrift der uns zur Beſprechung auffordert. Wir finden in derſelben
altbackene Wahrheit und friſchen Jrrthum, verjährte Anſichten und
neue Hypotheſen, geſunde Gedanken und wunderliche Träumereien,
menſchenfreundlichen guten Willen und überpolizeiliche Härte und Un-
barmherzigkeit in bunteſter Miſchung durcheinander gewürfelt. Der
Verfaſſer glaubt die alleinige Urſache der zunehmenden Maſſenarmuth
in der übergroßen Concurrenz der Arbeitskräfte gefunden zu haben
welche in Handel und Gewerbe, im Ackerbau, in den gelehrten Fächern,
auf den Bahnen des Staatsdienſtes, kurz wie er auf dem Titel und an
vielen Stellen ſeines Buches ſagt, in allen Nahrungs- und Erwerbs-
zweigen des bürgerlichen Lebens ohne Ausnahme obwalte. Sind alle
bürgerlichen Gewerbe ohne Ausnahme überſetzt, ſo ſollte man meinen
es müſſe überhaupt eine zu große Bevölkerung vorhanden ſeyn; der
Verfaſſer iſt indeſſen nicht dieſer Anſicht. „Die bisher geſchilderte über-
mäßige Concurrenz, ſagt er, iſt keine Folge einer etwaigen Uebervölke-
rung, ſondern ein Zuſtand den man eine widernatürliche Verſchiebung,
Austheilung und Verminderung der menſchlichen Arbeit, und ſonach
des Vermögens nennen kann, iſt die Urſache wodurch eine größere
Menge als ſeyn ſollte weniger beſchäftigt iſt als ſonſt, und damit ver-
armt, während aller Reichthum in wenige Hände gelangt iſt, und dieſe
nun die Herrſchaft des Geldes dahin mißbrauchen daß ſie damit nicht
Menſchenhände, ſondern Maſchinenkräfte in Thätigkeit ſetzen.“ Dieſen
Worten liegt eine mehr geahnte als begriffene Wahrheit zum Grunde,
und der Verfaſſer geſteht damit, ohne es eigentlich zu wiſſen und zu
wollen, daß das Uebel dem er abhelfen möchte, noch andere und tiefere
Wurzeln hat als die einzig von ihm angeklagte Concurrenz. Dieß Wort
iſt überdieß eine ſehr unvollkommene Bezeichnung der Sache die damit
gemeint iſt, wie ſich unten herausſtellen wird.
Wir ſind mit dem Verfaſſer einverſtanden dahin daß in der gegen-
wärtigen Lage der Dinge von eigentlicher Uebervölkerung in Deutſchland
noch nicht die Rede ſeyn kann. Uebervölkerung im ſtrengen Sinne des
Wortes iſt erſt dann vorhanden wenn das Land das Volk mit ſeinen
eigenen Hülfsmitteln nicht mehr zu ernähren vermag. Deutſchland
aber erzeugt unzweifelhaft Nahrungsmittel und Rohſtoffe genug um
ſeine 40 Millionen Bewohner zu ſpeiſen, zu kleiden und ihnen Dach
und Fach zu geben. Getreide, Kartoffeln, Fleiſch, Wein, Flachs,
Hanf, Wolle, Holz — kurz die zur Befriedigung der nothwendigen
Lebensbedürfniſſe erforderlichen Erzeugniſſe des Bodens bleiben in ihrer
Geſammtmaſſe ſicherlich nicht unter dem Geſammterforderniß. Wir
haben keine ſtatiſtiſchen Nachweiſe über den Durchſchnittsertrag des
deutſchen Bodens an Früchten aller Art zur Hand; wir befürchten aber
keinen Widerſpruch, wenn wir behaupten daß dieſer Ertrag hinteicht um
das ganze Volk zu ſättigen und zu kleiden, um ſo mehr als der Hunger und
die Entblößung ja auch thatſächlich noch immer zu den Ausnahmsfällen
gehören, wenn ſie auch leider nur gar zu oft durch Almoſen oder durch
außerordentliche Opfer des Staates geſtillt und bedeckt werden müſſen.
Jſt nun mit dem Geſammtertrage des Bodens eine ſichere Unter-
lage für die materielle Exiſtenz des Volkes gegeben, ſo kann es nicht
als eine unmögliche Aufgabe betrachtet werden jedem Mitgliede des
Volkes einen billigen Antheil an jener Maſſe zu verſchaffen. Unter
jener Vorausſetzung wird die Arbeitskraft eines jeden arbeitsfähigen
Menſchen, wenn gehörig verwendet, immer ſo viel und mehr werth ſeyn
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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