Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848.[Spaltenumbruch]
habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein ganzes Friedrich Wilhelm." Eine zweite Cabinetsordre lautet: "Die bereits vor dem Erlasse Berlin, 20 März 1848.Friedrich Wilhelm." Frieden in Berlin! So beginnt ein Artikel der Spener- Berlin, 20 März, Abends. Die Stadt hat heute eine veränderte 𝛤 Berlin, 21 März. Gestern Morgen war der Palast des Prinzen [Spaltenumbruch]
habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein ganzes Friedrich Wilhelm.“ Eine zweite Cabinetsordre lautet: „Die bereits vor dem Erlaſſe Berlin, 20 März 1848.Friedrich Wilhelm.“ Frieden in Berlin! So beginnt ein Artikel der Spener- ⁑ Berlin, 20 März, Abends. Die Stadt hat heute eine veränderte 𝛤 Berlin, 21 März. Geſtern Morgen war der Palaſt des Prinzen <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <floatingText> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0003" n="1347"/><cb/> habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein <hi rendition="#g">ganzes</hi><lb/> Volk mit dieſem Vergeben umfaßt, und weil Ich die neu anbrechende<lb/> große Zukunft Unſeres Vaterlandes nicht durch ſchmerzliche Rückblicke<lb/> getrübt wiſſen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen die<lb/> wegen politiſcher oder durch die Preſſe verübten Vergehen und Verbre-<lb/> chen angeklagt oder verurtheilt worden ſind. 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Dieſe aber erklärten: nur dann für die Ruhe der Stadt<lb/> einſtehen zu könnnen wenn das Militär abziehen und Bürgergarde an<lb/> ſeine Stelle treten würde. Dieſe Wünſche wurden Sr. Maj. ſofort von<lb/> dem Hrn. v. Minutoli, in Begleitung von vier Bürgern, mitgetheilt.<lb/> Bald darauf trat Se. Maj. in Begleitung dieſer Deputation und des<lb/> Grafen v. Schwerin, Fürſten Lichnowsky und Grafen Arnim auf den<lb/> Perron des Schloſſes, und verkündete der harrenden Bürgerſchaft, wie<lb/> er damit übereinſtimme daß die Bürger ſich bewaffneten und das Mili-<lb/> tär ſich zurückziehen ſolle. Se. 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Als ſie durch die Königsſtraße zog, wurden Freudenſchüſſe abge-<lb/> feuert, und aus allen Fenſtern wehten weiße Tücher. Unter anhal-<lb/> tendem Freudenrufe zogen ſie nach dem Schloß. Bei dieſer Gelegen-<lb/> heit zog eine Menge Volkes in das Schloß, und hier eröffnete ſich eine<lb/> erhebende Scene, indem die ganze zahlreiche Verſammlung vor JJ. MM.<lb/> dem König und der Königin das Lied: „Nun danket Alle Gott“, abſang.<lb/> Abends war die Stadt erleuchtet.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">⁑ Berlin,</hi> 20 März, Abends.</dateline> <p>Die Stadt hat heute eine veränderte<lb/> Phyſiognomie angenommen. Der König und der ganze Hof hat ſich nach<lb/> Potsdam entfernt. Alles Militär iſt zurückgezogen, das Schloß und die<lb/> ganze Stadt ſind ausſchließlich den bewaffneten Bürgern anvertraut, die<lb/> in Civilkleidern und die Cigarre rauchend mit Soldatengewehren alle<lb/> Poſten inne haben. Bei ſeinem Abſchied ließ der König eine Proclama-<lb/> tion zurück die allgemeine Amneſtie verkündet und wonach alle politiſchen<lb/> Gefangenen, auch ſämmtliche Polen, freigelaſſen ſind. Von Seite des<lb/> Miniſters Arnim iſt noch kein Programm erſchienen. Das Volk hat nur<lb/> noch die Wohnungen des verabſchiedeten Majors v. Preuß und des Hand-<lb/> ſchuhhändlers Wernike demolirt, weil dieſelben beſchuldigt waren in der<lb/> Nacht des 18ten Studenten, die aus ihren Fenſtern ſchoſſen, den Solda-<lb/> ten, von denen ſie niedergeſtochen wurden, verrathen zu haben. In der<lb/> Wohnung des erſtern wurde alles verbrannt, ſogar die vorgefundenen<lb/> Staatspapiere und Treſorſcheine nicht geraubt, ſondern ins Feuer ge-<lb/> worfen. Aus der Wohnung des letztern flogen die Handſchuhe wie Bögel<lb/> durch die Luft. Sonſt iſt nirgends ein Exceß verübt worden. Der prächtige<lb/> Palaſt des Prinzen von Preußen unter den Linden gegenüber dem Uni-<lb/><cb/> verſitätsgebäude ſollte geſtürmt werden, aber die Studenten retteten das<lb/> Schloß, indem ſie mit Kreide an die Thür ſchrieben „Nationaleigenthum“<lb/> und dreifarbige (ſchwarz-roth-goldne) Fahnen an Thor und ringsum auf<lb/> der Altane desſelben aufpflanzten. Dergleichen Fahnen wehen auch<lb/> überall unter den Linden. Auf dem Balcon des Univerſitätsgebäudes<lb/> wurde heute gegen Mittag eine Fahne mit dem Doppeladler aufgepflanzt,<lb/> und ein Lebehoch gebracht das kaum enden zu wollen ſchien. Referent<lb/> war dabei zugegen. Auch die meiſten Bürgergarden und das Volk tra-<lb/> gen die dreifarbige Cocarde, man trägt nur dieſe oder keine. Die Barri-<lb/> caden ſind verſchwunden; ich ſah Nachmittags viele Pfläſterer beſchäftigt<lb/> auch das Pflaſter herzuſtellen. Die Droſchken und Omnibus fahren<lb/> wieder durch die ganze Stadt. Die Zahl der Todten iſt noch nicht er-<lb/> mittelt. Man hat heute noch viele derſelben in die verſchiedenen Kirchen<lb/> getragen, alle mit Kränzen geſchmückt, und jedermann mußte vor ihnen<lb/> den Hut ziehen. Ueber das Begräbniß erfährt man noch nichts. Eine<lb/> Menge Verwundete liegen im Schloß und andern öffentlichen Gebäuden.<lb/> Der Verluſt der Soldaten, den einige übertrieben zu mehr als tau-<lb/> ſend Mann angeben, wird von beſonnenen Militärs und Aerzten zu<lb/> 4—500 angegeben, was auch wahrſcheinlich iſt, da allein 16,000 Mann<lb/> Infanterie im Gefecht waren. Ein pommer’ſches Regiment hat beſon-<lb/> dere Tapferkeit bewieſen. Von Seite des Volks werden einſtimmig die<lb/> Studenten wegen ihres Heldenmuths geprieſen. Beide Parteien zeigten<lb/> ſich des Ruhms preußiſcher Tapferkeit in gleichem Grade würdig. Er-<lb/> hebt man ſich über das Traurige eines Bürgerkriegs, ſo wird das Herz<lb/> mit Stolz erfüllt daß das Vaterland im Fall eines auswärtigen Kriegs<lb/> auf ſolche todverachtende Männer zählen kann, heute noch wie im Jahr<lb/> 1813. Auch iſt ſo viel edles Blut hier nicht umſonſt gefloſſen. Die<lb/> Umwälzung in Berlin hat den Anſchluß Preußens an die allgemeine<lb/> deutſche Bewegung beſchleunigt, und ohne Zweifel werden von hier aus<lb/> alsbald Schritte geſchehen um die allgemein erſehnte Bundesreform in einer<lb/> Weiſe zu Stande zu bringen die der großen deutſchen Nation würdig<lb/> iſt. — Zur richtigen Beurtheilung der hieſigen Ereigniſſe iſt es übrigens<lb/> durchaus nothwendig zu bemerken daß des Königs Nachgiebigkeit eine<lb/> freiwillige war. Die Soldaten waren nicht beſtegt, weßhalb ſie auch nur<lb/> mit knirſchendem Unmuth die Stadt verlaſſen haben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>&#x1D6E4; <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 21 März.</dateline> <p>Geſtern Morgen war der Palaſt des Prinzen<lb/> von Preußen in größter Gefahr. Eine Maſſe von mehreren Tauſenden<lb/> ſammelte ſich davor und wollte ihn anzünden. Redner ſtellten vor daß der<lb/> Palaſt nicht dem Prinzen mehr gehöre, ſondern der Nation, man ſchrieb mit<lb/> großen Buchſtaben auf vielen Stellen: „Eigenthum der Nation;“ man<lb/> ſtellte auch vor welche Schande es für das beldenmüthige Berlin ſeyn<lb/> würde wenn ſolche barbariſche That ausgeführt werde u. dgl. mehr;<lb/> allein die Menge behauptete, man müſſe dem Prinzen den Volkshaß<lb/> auf glänzende Weiſe zeigen. Da erklärten einige ſchlichte Männer daß<lb/> die königliche Bibliothek unrettbar verloren ſey wenn Feuer am Hotel<lb/> des Prinzen wäre, und ſogleich beruhigten ſich die Gemüther. Ein<lb/> Arbeiter ſammelte eine Gruppe um ſich und rief (ich hörte die Worte genau):<lb/> „Kinder, wenn die Bibliothek verbrennt, ſo haben wir keine Bücher, und<lb/> wenn wir keine Bücher haben, ſo haben wir keine Gelehrten, und wenn<lb/> wir keine Gelehrten haben, ſo haben wir gar nichts! Hoch lebe die Bi-<lb/> bliothek!“ Dieß und das Aufpflanzen der deutſchen Fahne auf dem Bal-<lb/> con half. Unſer Handwerkerverein hat bei der arbeitenden Claſſe einen<lb/> Grad von Intelligenz und Moral hervorgerufen der ſehr vielen Mit-<lb/> gliedern der nichtarbeitenden Claſſe, den Rentenproletariern, zu wün-<lb/> ſchen wäre. Wie groß die Moral bei den Arbeitern iſt zeigt glorreich<lb/> der 18 März. Nicht den geringſten Angriff auf Eigenthum und Si-<lb/> cherheit der Perſonen konnte man den Kämpfern zu Laſt legen, und<lb/> ſie waren ſo eiferſüchtig auf den Ruf ihrer Ehrlichkeit und Rechtlich-<lb/> keit daß ſie den geringſten Verdacht dagegen mit Energie beſeitigten.<lb/> Wenn Unſittlichkeit und Verbrechen an dieſem Tage die Stadt in Trauer und<lb/> Entrüſtung verſetzte, ſo waren ſie nicht auf dieſer Seite. Stündlich werden<lb/> mehr Züge der ehr- und geſetzloſeſten Handlungen bekannt, welche nicht<lb/> bloß von den Bauerlümmeln den Soldaten ausgeübt wurden, ſondern von<lb/> den Junkerlümmeln die befehligten, und ſolche Handlungen geſtatteten<lb/> und geboten. Man hat gefangene Kämpfer erſtochen, erſchoſſen, mit Kolben<lb/> erſchlagen, vom Boden und Dache auf die Straße geworfen, man hat<lb/> Kinder in der Wiege geſpießt und, was ich jedoch nicht verbürgen kann,<lb/> man ſoll auf dem Petriplatz einer ſchwangern Frau den Leib aufge-<lb/> ſchlitzt haben. Gewiß iſt es daß ſich viele dieſer tapfern Kriegsknechte<lb/> ihrer Mordthaten gerühmt haben. Die Erbitterung iſt aber auch ſo<lb/> groß daß ſich Officiere (die in der Aufregung nur „Bluthunde“ genannt<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1347/0003]
habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein ganzes
Volk mit dieſem Vergeben umfaßt, und weil Ich die neu anbrechende
große Zukunft Unſeres Vaterlandes nicht durch ſchmerzliche Rückblicke
getrübt wiſſen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen die
wegen politiſcher oder durch die Preſſe verübten Vergehen und Verbre-
chen angeklagt oder verurtheilt worden ſind. Mein Juſtizminiſter Uhden
iſt beauftragt dieſe Meine Amneſtie ſofort in Ausführung zu bringen.
Friedrich Wilhelm.“
Eine zweite Cabinetsordre lautet:
„Die bereits vor dem Erlaſſe
vom 19 d. M. eingegangenen Entlaſſungsgeſuche der Juſtizminiſter v.
Savigny und Uhden, ſowie des Miniſters Grafen zu Stolberg, habe
Ich heute gleichfalls genehmigt. Zum Juſtizminiſter habe Ich den Dr.
der Rechte Bornemann ernannt, und den Präſidenten der Handels-
kammer, Camphauſen, zu Mir berufen um Mir fortan gleichfalls
als Miniſter zur Seite zu ſtehen. Die Directoren der beiden Miniſte-
rien werden dieſelben bis zur definitiven Beſetzung verwalten.
Berlin,
20 März 1848.Friedrich Wilhelm.“
Frieden in Berlin! So beginnt ein Artikel der Spener-
ſchen Zeitung vom 20 März. Nachmittags 2½ Uhr am 19 bewaff-
nete ſich mit Genehmigung des Königs die Bürgergarde. Die Bürger
bega ben ſich nach dem königl. Zeughauſe um dort Waffen und Montur
(Federhüte) zu empfangen. Die Einleitung zu dieſem wichtigen Ereig-
niß war folgende: Um Mittag hatte ſich abermals eine zahlreiche Bür-
gerverſammlung vor dem Schloſſe eingefunden. Der Polizeipräſident
v. Minutoli erſchien und erſuchte, Namens des Königs, die Bürger ſich
zu entfernen. Dieſe aber erklärten: nur dann für die Ruhe der Stadt
einſtehen zu könnnen wenn das Militär abziehen und Bürgergarde an
ſeine Stelle treten würde. Dieſe Wünſche wurden Sr. Maj. ſofort von
dem Hrn. v. Minutoli, in Begleitung von vier Bürgern, mitgetheilt.
Bald darauf trat Se. Maj. in Begleitung dieſer Deputation und des
Grafen v. Schwerin, Fürſten Lichnowsky und Grafen Arnim auf den
Perron des Schloſſes, und verkündete der harrenden Bürgerſchaft, wie
er damit übereinſtimme daß die Bürger ſich bewaffneten und das Mili-
tär ſich zurückziehen ſolle. Se. Maj. ſprach ungefähr folgendes: „Meine
Herren, ich habe die feſte Ueberzeugung gewonnen — ich habe die feſte
Uebezeugung gewonnen daß die Ruhe und Sicherheit der Stadt Berlin
ſowohl wie meiner Perſon am gewiſſeſten dem Schutze der Bürger Ber-
lins anvertraut wird, und habe daher befohlen daß den hieſigen Bür-
gern die dazu erforderlichen Waffen ausgeliefert werden.“ Dieſe Worte
wiederholte der Miniſterpräſident Graf v. Arnim, und fügte hinzu: die
obere Leitung dieſer Bürgerbewaffnung ſey dem Polizeipräſtdenten v. Mi-
nutoli anvertraut, der ſich in dieſen Tagen ſo großer Gefahr das Ver-
trauen und die Achtung der Bürgerſchaft erworben. Ein donnerndes
Hoch! war die Antwort. Nachmittags beſetzten die Bürger ohne alle
Abzeichen und lediglich mit Gewehren bewaſſnet alle Poſten. Um 6 Uhr
bezog die Schützengilde die Schloßwache, von der ſie das Militär ab-
löste. Als ſie durch die Königsſtraße zog, wurden Freudenſchüſſe abge-
feuert, und aus allen Fenſtern wehten weiße Tücher. Unter anhal-
tendem Freudenrufe zogen ſie nach dem Schloß. Bei dieſer Gelegen-
heit zog eine Menge Volkes in das Schloß, und hier eröffnete ſich eine
erhebende Scene, indem die ganze zahlreiche Verſammlung vor JJ. MM.
dem König und der Königin das Lied: „Nun danket Alle Gott“, abſang.
Abends war die Stadt erleuchtet.
⁑ Berlin, 20 März, Abends.Die Stadt hat heute eine veränderte
Phyſiognomie angenommen. Der König und der ganze Hof hat ſich nach
Potsdam entfernt. Alles Militär iſt zurückgezogen, das Schloß und die
ganze Stadt ſind ausſchließlich den bewaffneten Bürgern anvertraut, die
in Civilkleidern und die Cigarre rauchend mit Soldatengewehren alle
Poſten inne haben. Bei ſeinem Abſchied ließ der König eine Proclama-
tion zurück die allgemeine Amneſtie verkündet und wonach alle politiſchen
Gefangenen, auch ſämmtliche Polen, freigelaſſen ſind. Von Seite des
Miniſters Arnim iſt noch kein Programm erſchienen. Das Volk hat nur
noch die Wohnungen des verabſchiedeten Majors v. Preuß und des Hand-
ſchuhhändlers Wernike demolirt, weil dieſelben beſchuldigt waren in der
Nacht des 18ten Studenten, die aus ihren Fenſtern ſchoſſen, den Solda-
ten, von denen ſie niedergeſtochen wurden, verrathen zu haben. In der
Wohnung des erſtern wurde alles verbrannt, ſogar die vorgefundenen
Staatspapiere und Treſorſcheine nicht geraubt, ſondern ins Feuer ge-
worfen. Aus der Wohnung des letztern flogen die Handſchuhe wie Bögel
durch die Luft. Sonſt iſt nirgends ein Exceß verübt worden. Der prächtige
Palaſt des Prinzen von Preußen unter den Linden gegenüber dem Uni-
verſitätsgebäude ſollte geſtürmt werden, aber die Studenten retteten das
Schloß, indem ſie mit Kreide an die Thür ſchrieben „Nationaleigenthum“
und dreifarbige (ſchwarz-roth-goldne) Fahnen an Thor und ringsum auf
der Altane desſelben aufpflanzten. Dergleichen Fahnen wehen auch
überall unter den Linden. Auf dem Balcon des Univerſitätsgebäudes
wurde heute gegen Mittag eine Fahne mit dem Doppeladler aufgepflanzt,
und ein Lebehoch gebracht das kaum enden zu wollen ſchien. Referent
war dabei zugegen. Auch die meiſten Bürgergarden und das Volk tra-
gen die dreifarbige Cocarde, man trägt nur dieſe oder keine. Die Barri-
caden ſind verſchwunden; ich ſah Nachmittags viele Pfläſterer beſchäftigt
auch das Pflaſter herzuſtellen. Die Droſchken und Omnibus fahren
wieder durch die ganze Stadt. Die Zahl der Todten iſt noch nicht er-
mittelt. Man hat heute noch viele derſelben in die verſchiedenen Kirchen
getragen, alle mit Kränzen geſchmückt, und jedermann mußte vor ihnen
den Hut ziehen. Ueber das Begräbniß erfährt man noch nichts. Eine
Menge Verwundete liegen im Schloß und andern öffentlichen Gebäuden.
Der Verluſt der Soldaten, den einige übertrieben zu mehr als tau-
ſend Mann angeben, wird von beſonnenen Militärs und Aerzten zu
4—500 angegeben, was auch wahrſcheinlich iſt, da allein 16,000 Mann
Infanterie im Gefecht waren. Ein pommer’ſches Regiment hat beſon-
dere Tapferkeit bewieſen. Von Seite des Volks werden einſtimmig die
Studenten wegen ihres Heldenmuths geprieſen. Beide Parteien zeigten
ſich des Ruhms preußiſcher Tapferkeit in gleichem Grade würdig. Er-
hebt man ſich über das Traurige eines Bürgerkriegs, ſo wird das Herz
mit Stolz erfüllt daß das Vaterland im Fall eines auswärtigen Kriegs
auf ſolche todverachtende Männer zählen kann, heute noch wie im Jahr
1813. Auch iſt ſo viel edles Blut hier nicht umſonſt gefloſſen. Die
Umwälzung in Berlin hat den Anſchluß Preußens an die allgemeine
deutſche Bewegung beſchleunigt, und ohne Zweifel werden von hier aus
alsbald Schritte geſchehen um die allgemein erſehnte Bundesreform in einer
Weiſe zu Stande zu bringen die der großen deutſchen Nation würdig
iſt. — Zur richtigen Beurtheilung der hieſigen Ereigniſſe iſt es übrigens
durchaus nothwendig zu bemerken daß des Königs Nachgiebigkeit eine
freiwillige war. Die Soldaten waren nicht beſtegt, weßhalb ſie auch nur
mit knirſchendem Unmuth die Stadt verlaſſen haben.
𝛤 Berlin, 21 März.Geſtern Morgen war der Palaſt des Prinzen
von Preußen in größter Gefahr. Eine Maſſe von mehreren Tauſenden
ſammelte ſich davor und wollte ihn anzünden. Redner ſtellten vor daß der
Palaſt nicht dem Prinzen mehr gehöre, ſondern der Nation, man ſchrieb mit
großen Buchſtaben auf vielen Stellen: „Eigenthum der Nation;“ man
ſtellte auch vor welche Schande es für das beldenmüthige Berlin ſeyn
würde wenn ſolche barbariſche That ausgeführt werde u. dgl. mehr;
allein die Menge behauptete, man müſſe dem Prinzen den Volkshaß
auf glänzende Weiſe zeigen. Da erklärten einige ſchlichte Männer daß
die königliche Bibliothek unrettbar verloren ſey wenn Feuer am Hotel
des Prinzen wäre, und ſogleich beruhigten ſich die Gemüther. Ein
Arbeiter ſammelte eine Gruppe um ſich und rief (ich hörte die Worte genau):
„Kinder, wenn die Bibliothek verbrennt, ſo haben wir keine Bücher, und
wenn wir keine Bücher haben, ſo haben wir keine Gelehrten, und wenn
wir keine Gelehrten haben, ſo haben wir gar nichts! Hoch lebe die Bi-
bliothek!“ Dieß und das Aufpflanzen der deutſchen Fahne auf dem Bal-
con half. Unſer Handwerkerverein hat bei der arbeitenden Claſſe einen
Grad von Intelligenz und Moral hervorgerufen der ſehr vielen Mit-
gliedern der nichtarbeitenden Claſſe, den Rentenproletariern, zu wün-
ſchen wäre. Wie groß die Moral bei den Arbeitern iſt zeigt glorreich
der 18 März. Nicht den geringſten Angriff auf Eigenthum und Si-
cherheit der Perſonen konnte man den Kämpfern zu Laſt legen, und
ſie waren ſo eiferſüchtig auf den Ruf ihrer Ehrlichkeit und Rechtlich-
keit daß ſie den geringſten Verdacht dagegen mit Energie beſeitigten.
Wenn Unſittlichkeit und Verbrechen an dieſem Tage die Stadt in Trauer und
Entrüſtung verſetzte, ſo waren ſie nicht auf dieſer Seite. Stündlich werden
mehr Züge der ehr- und geſetzloſeſten Handlungen bekannt, welche nicht
bloß von den Bauerlümmeln den Soldaten ausgeübt wurden, ſondern von
den Junkerlümmeln die befehligten, und ſolche Handlungen geſtatteten
und geboten. Man hat gefangene Kämpfer erſtochen, erſchoſſen, mit Kolben
erſchlagen, vom Boden und Dache auf die Straße geworfen, man hat
Kinder in der Wiege geſpießt und, was ich jedoch nicht verbürgen kann,
man ſoll auf dem Petriplatz einer ſchwangern Frau den Leib aufge-
ſchlitzt haben. Gewiß iſt es daß ſich viele dieſer tapfern Kriegsknechte
ihrer Mordthaten gerühmt haben. Die Erbitterung iſt aber auch ſo
groß daß ſich Officiere (die in der Aufregung nur „Bluthunde“ genannt
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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