Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848.Nr. 85. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
25 März 1848.[Spaltenumbruch]
Graf Cesare Balbo über den Vertheidigungskrieg in Italien. * = Der Graf Cesare Balbo zu Turin, dessen Namen ich nur zu In der Napoleonischen Zeit und den derselben zunächst folgenden Zwei Bemerkungen müssen vorausgesandt werden. Der angreifende *) Geschrieben vor der Nachricht daß Graf C. Balbo an die Spitze des
Turiner Cabinets gestellt und Metternich aus dem Wiener Cabinet ent- fernt worden. Nr. 85. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
25 März 1848.[Spaltenumbruch]
Graf Ceſare Balbo über den Vertheidigungskrieg in Italien. * = Der Graf Ceſare Balbo zu Turin, deſſen Namen ich nur zu In der Napoleoniſchen Zeit und den derſelben zunächſt folgenden Zwei Bemerkungen müſſen vorausgeſandt werden. Der angreifende *) Geſchrieben vor der Nachricht daß Graf C. Balbo an die Spitze des
Turiner Cabinets geſtellt und Metternich aus dem Wiener Cabinet ent- fernt worden. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="volume"> <hi rendition="#b">Nr. 85.</hi> </titlePart> <cb/> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zur Allgemeinen Zeitung.</hi> </titlePart> </docTitle> <cb/> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">25 März 1848.</hi> </docDate> </docImprint> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Graf Ceſare Balbo über den Vertheidigungskrieg in<lb/> Italien.</hi> </hi> </head><lb/> <p>* = Der Graf Ceſare <hi rendition="#g">Balbo</hi> zu Turin, deſſen Namen ich nur zu<lb/> nennen brauche um an ſeine vortrefflichen Arbeiten auf dem Felde der<lb/> Geſchichte und der Philoſophie der Geſchichte zu erinnern,<note place="foot" n="*)">Geſchrieben vor der Nachricht daß Graf C. Balbo an die Spitze des<lb/> Turiner Cabinets geſtellt und Metternich aus dem Wiener Cabinet ent-<lb/> fernt worden.</note> welche um<lb/> ſo größern Anklang gefunden haben, je mehr neben dem wiſſenſchaft-<lb/> lichen Gehalt auch Herz und Gefinnung des Verfaſſers aus ihnen her-<lb/> vorleuchten, und je mehr ſie, ſtatt an einen beſchränkten Kreis, an die<lb/> Nation ſich wenden, hat vor einigen Monaten eine kleine Schrift über<lb/> den Krieg auf der pyrenäiſchen Halbinſel drucken laſſen unter dem<lb/> Titel: <hi rendition="#aq">„Studj sulla guerra d’indipendenza di Spagna e Portogallo,<lb/> scritti da un Ufficiale Italiano“</hi> (Turin 1847. 206 Seiten 12.). Des<lb/> Verfaſſers Vater, Prosper Balbo, der bekannte piemonteſiſche Staats-<lb/> miniſter, über welchen L. Cibrario in ſeiner neulich in dieſen Blättern<lb/> angezeigten Geſchichte von Turin ſich ſo ſchön äußert, war eine Zeitlang<lb/> Botſchafter in Spanien; ſein Sohn, damals in Militärdienſten, be-<lb/> gleitete ihn, und beſchäftigte ſich in den Jahren 1817 bis 18 mit Un-<lb/> terſuchungen über Wellingtons Kriegführung, deren Reſultate er in<lb/> den Studien aufzeichnete welche jetzt, nach dreißig Jahren, ans Licht<lb/> kommen. Es iſt keine Geſchichte des Feldzugs was wir hier vor uns<lb/> haben: der Verfaſſer ſagt in der Einleitung, er müſſe vorausſetzen daß<lb/> man die Facta wenigſtens aus irgendeiner einfachen Relation kenne,<lb/> und verweist auf die Hiſtoriker des großen Kampfes, auf die Welling-<lb/> ton-Depeſchen, auf Napier, auf Toreno, Schepeler, Foy, Suchet, auf<lb/> des Feldmarſchall-Lieutenants Vaccani ſchätzbares, in dieſen Blättern<lb/> ſchon genanntes Buch, welches den Antheil der italieniſchen Truppen<lb/> im franzöſiſchen Heer ſchildert. Es ſind Betrachtungen über die wich-<lb/> tigſten Facta vom militäriſchen Standpunkt aus, und bei jedem ein-<lb/> zelnen Factum finden ſich die allgemeinen Beziehungen erläutert und<lb/> Folgerungen ausgeführt; bei der Belagerung von Saragoſſa wird die<lb/> Kunſt der verlängerten Vertheidigung beſprochen, bei dem erſten Feld-<lb/> zug Wellingtons gegen Soult und Victor die Frage ob beim Invaſions-<lb/> kriege die Vertheilung der Streitmacht rathſam ſey, bei Wellingtons<lb/> Rückzug nach Portugal die Bedeutung der Hülfstruppen, bei der Ge-<lb/> ſchichte der Linien von Torres Vedras die Frage der Defenſiv-Poſitio-<lb/> nen, der Artillerie und der Kunſt des Rückzugs, bei Soults Angriffen<lb/> in den Pyrenäen die Aufgabe des Gebirgskrieges, und was deſſen mehr<lb/> iſt. Betrachtungen aber anderer Natur reihen ſich an, und in ihnen<lb/> müſſen wir den nächſten Anlaß zur Publication dieſer Jugendarbeit<lb/> ſuchen; aus der Geſchichte des Vertheidigungskrieges in Spanien und<lb/> Portugal zieht Balbo Folgerungen, entlehnt er Nutzanwendungen für<lb/> einen möglichen künftigen Krieg in Italien — einen Invaſionskrieg,<lb/> welchen italieniſche Heere zurückzudrängen haben würden. Dieſem Ge-<lb/> genſtand widmet der Verfaſſer längere und kürzere Excurſe wie verein-<lb/> zelte Bemerkungen; hierin wollen wir ihm einige Augenblicke folgen,<lb/> wo es angeht ſeine eignen Worte gebrauchend.</p><lb/> <cit> <quote>In der Napoleoniſchen Zeit und den derſelben zunächſt folgenden<lb/> Jahren, ſagt Balbo, waren beinahe alle, Militäre wie nicht Militäre,<lb/> von dem Glanz der Thaten des großen Feldherrn präoccupirt. In<lb/> jenem Zeitalter der Eroberungen ſtand der Eroberungskrieg beinahe<lb/> allein in Ehren; die Vertheidigung, mochte ſie noch ſo geſchickt erſon-<lb/> nen, ſo trefflich ausgeführt ſeyn, erſchien gewiſſermaßen als ſecundärer<lb/> Theil der Kriegskunft. In unſerer Zeit hingegen, wo der Angriff mit<lb/> Recht verabſcheut wird, wo Nationalität und Unabhängigkeit eine hohe<lb/> Geltung haben, ſteht jener Kampf, der dieſe rettet und erhält, mit<lb/> gleichem Recht obenan. Wo die Möglichkeit eines ſolchen Krieges,<lb/> eine nähere oder entferntere, gegeben iſt, kommt es vor allem auf das<lb/> Studium des Terrains an; dieß ſey gegenwärtig die Aufgabe des Ita-<lb/> lieners. Italien hat nur drei Nationen als Gränzſtaaten zu Lande,<lb/> der Theorie gemäß kann alſo von drei Seiten nur ein Angriff kommen,<lb/> von der Schweiz, von Frankreich, von Oeſterreich. Laſſen wir aber<lb/> die Angriffe von der Alpenſeite unberührt. Die Schweiz des 19ten<lb/> Jahrhunderts iſt von der des 16ten zu verſchieden, und kein Cardinal<lb/> von Sitten wird mehr die Cidgenoſſen gegen uns führen. Und Frankreich,<lb/><cb/> ſo ſchlimm auch einige ſeiner Journale ſich gebärden mögen, Frankreich<lb/> kann in keinem vorauszuſehenden Fall eine wirkliche Invaſion unter-<lb/> nehmen(?). So bleibt denn die dritte Macht allein. Ein Angriff von<lb/> ihr kann auf zwei Seiten geſchehen, weſtlich von der Seite des Teſſin,<lb/> ſüdlich von der Seite des Po, bei einem oder dem andern ſeiner drei<lb/> Uebergänge, bei Piacenza, Ferrara, Commacchio. Die Invaſion auf<lb/> der Teſſinſeite (nach Piemont) würde ſo manchen frühern vielfach be-<lb/> ſprochenen gleichen, daß es mir unnütz ſcheint darüber zu reden. In<lb/> Betreff der andern aber (gegen den Kirchenſtaat) halte ich eine Unter-<lb/> ſuchung für nützlich, und zwar 1) weil eine ſolche Unterſuchung die<lb/> Schwierigkeit des Angriffs, die Leichtigkeit der Vertheidigung an den<lb/> Tag bringt; 2) weil alle dabei gewinnen würden wenn ſie irgend dazu<lb/> beitragen könnte den Angriff abzuhalten; 3) weil die Vertheidigung,<lb/> im Fall eines ſolchen Angriffs, meiner Anſicht zufolge nicht vermöge<lb/> eines geheimen Operationsplanes, ſondern nur mittelſt Theilnahme der<lb/> geſammten Bevölkerung, und folglich der allgemeinen Zuſtimmung<lb/> geſchehen könnte. Die Unterſuchung wird unvollſtändig ſeyn, aber die<lb/> Kleineren müſſen beginnen, damit die Größeren vollenden.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Zwei Bemerkungen müſſen vorausgeſandt werden. Der angreifende<lb/> Theil kann in keinem Fall mit ſeiner geſammten Macht über den Po<lb/> vorrücken. Er braucht ſeine Heere außerhalb Italiens; er braucht ſie<lb/> zur Sicherung der Lombardei und gegen den Weſten. Der Norden<lb/> Italiens, welches auch ſeine Haltung ſeyn möge, kann niemals für die<lb/> Landsleute im Centrum und Süden völlig unnütz ſeyn. Was dieſe<lb/> letzteren betrifft, ſo muß ich nothwendig vorausſetzen daß dieſelben, auf<lb/> welche Weiſe und mit welcher Ordnung es auch immer ſeyn möge,<lb/> ernſtlich und wahrhaft entſchloſſen ſind ſich zu ſchlagen. Denn wo dieſer<lb/> ernſte Entſchluß nicht beſteht, gibt es nicht Taktik, nicht Strategik,<lb/> nicht Kriegkunſt, wovon zu reden nicht durchaus nichtig und lächerlich<lb/> wäre. Ich kann an Colletta’s ſtrategiſche Diſſertationen über die Jahre<lb/> 1799, 1815, 1821 nicht ohne Lächeln denken. Seit jener Zeit iſt frei-<lb/> lich eine ganz neue Generation erwachſen, und dieſe ruft und ſchwört<lb/> ſie ſey anders, und wir glauben’s, und deßhalb ſchreiben wir, denn<lb/> ſonſt wäre alles Schreiben vergeblich. Unter dieſer Vorausſetzung be-<lb/> ginne ich denn mit der Erklärung daß in natürlichen und localen Be-<lb/> ziehungen in keinem Lande der Welt eine kriegeriſche Operation ſo<lb/> ſchwierig iſt wie von der Linie des Po aus eine Invaſion unſerer Halb-<lb/> inſel, welche lang und ſchmal, der Länge nach durch eine Gebirgskette<lb/> geſchieden, und auf beiden Gebirgsſeiten durch eine ſozuſagen ununter-<lb/> brochene Kette von Städten beſetzt iſt. Wenn unſere Vorfahren, wenn<lb/> unſere Zeitgenoſſen in den jüngſten Decennien dieſe Invaſionen nicht<lb/> zu hindern vermochten, ſo mag man dieß nach Belieben ihnen oder den<lb/> Zeiten, oder dem Schickſal, oder dem Verrath, oder jedem andern Um-<lb/> ſtand zuſchreiben, oder auch nicht: gewiß aber kann man’s der Localität<lb/> nicht beimeſſen, welche, wie kaum irgendeine, zur Vertheidigung wun-<lb/> derbar geeignet iſt. Wie man alſo der natürlichen und localen Ver-<lb/> hältniſſe je nach den verſchiedenen Graden der nationalen Vorkehrungen<lb/> und Rüſtungen ſich bedienen ſoll, das ſind die zu löſenden Fragen. Wo<lb/> wahrhafte Kämpfer ſtehen, da iſt die Löſung leicht. Nehmen wir nun<lb/> den <hi rendition="#g">erſten</hi> Fall an: ein italieniſches Heer, aus Truppen des Centrums<lb/> und des Südens der Halbinſel zuſammengeſetzt, gut geordnet und ge-<lb/> übt, welches man dem angreifenden Heer überlegen glauben dürfte —<lb/> für ein ſolches wäre es Schande die Päſſe zu öffnen, Städte und Volk<lb/> ſich ſelber zu überlaſſen, hinter dieſelben ſich zurückzuziehen. Ein ita-<lb/> lieniſches Heer unter ſolchen Vorausſetzungen müßte in der Nähe des<lb/> Po eine Schlacht wagen und Bologna nebſt den Straßen nach Toscana<lb/> und Romagna decken. Aber auch ein ſolches Heer könnte unterliegen<lb/> wenn es da wäre, und für jetzt gibt es gar kein ſolches, und Jahre und<lb/> Jahre können darüber hingehen bis es daſteht, und ſo müſſen wir den<lb/> Fall oder die Nothwendigkeit eines geordneten und den Feind in<lb/> Schranken haltenden Rückzugs von Bologna und Romagna nach dem<lb/> Süden betrachten. Dieß iſt der <hi rendition="#g">zweite</hi> Fall. Hier verändern ſich<lb/> aber all unſere natürlichen Vortheile in Nachtheil und Gefahren, iſt<lb/> nicht im voraus vom Feldherrn und Heer nicht bloß, ſondern auch von<lb/> Fürſten und Volk vorgeſorgt und eingerichtet. Das ſchlimme Beiſpiel<lb/> des Rückzugs König Joachims i. J. 1815, das noch weit ſchlimmere der<lb/> ſchlechten Vertheidigung i. J. 1821 haben durch neuere Erfahrung gezeigt<lb/> was die Kenntniß der Orte und alte Geſchichten längſt an die Hand<lb/></quote> </cit> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Nr. 85.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
25 März 1848.
Graf Ceſare Balbo über den Vertheidigungskrieg in
Italien.
* = Der Graf Ceſare Balbo zu Turin, deſſen Namen ich nur zu
nennen brauche um an ſeine vortrefflichen Arbeiten auf dem Felde der
Geſchichte und der Philoſophie der Geſchichte zu erinnern, *) welche um
ſo größern Anklang gefunden haben, je mehr neben dem wiſſenſchaft-
lichen Gehalt auch Herz und Gefinnung des Verfaſſers aus ihnen her-
vorleuchten, und je mehr ſie, ſtatt an einen beſchränkten Kreis, an die
Nation ſich wenden, hat vor einigen Monaten eine kleine Schrift über
den Krieg auf der pyrenäiſchen Halbinſel drucken laſſen unter dem
Titel: „Studj sulla guerra d’indipendenza di Spagna e Portogallo,
scritti da un Ufficiale Italiano“ (Turin 1847. 206 Seiten 12.). Des
Verfaſſers Vater, Prosper Balbo, der bekannte piemonteſiſche Staats-
miniſter, über welchen L. Cibrario in ſeiner neulich in dieſen Blättern
angezeigten Geſchichte von Turin ſich ſo ſchön äußert, war eine Zeitlang
Botſchafter in Spanien; ſein Sohn, damals in Militärdienſten, be-
gleitete ihn, und beſchäftigte ſich in den Jahren 1817 bis 18 mit Un-
terſuchungen über Wellingtons Kriegführung, deren Reſultate er in
den Studien aufzeichnete welche jetzt, nach dreißig Jahren, ans Licht
kommen. Es iſt keine Geſchichte des Feldzugs was wir hier vor uns
haben: der Verfaſſer ſagt in der Einleitung, er müſſe vorausſetzen daß
man die Facta wenigſtens aus irgendeiner einfachen Relation kenne,
und verweist auf die Hiſtoriker des großen Kampfes, auf die Welling-
ton-Depeſchen, auf Napier, auf Toreno, Schepeler, Foy, Suchet, auf
des Feldmarſchall-Lieutenants Vaccani ſchätzbares, in dieſen Blättern
ſchon genanntes Buch, welches den Antheil der italieniſchen Truppen
im franzöſiſchen Heer ſchildert. Es ſind Betrachtungen über die wich-
tigſten Facta vom militäriſchen Standpunkt aus, und bei jedem ein-
zelnen Factum finden ſich die allgemeinen Beziehungen erläutert und
Folgerungen ausgeführt; bei der Belagerung von Saragoſſa wird die
Kunſt der verlängerten Vertheidigung beſprochen, bei dem erſten Feld-
zug Wellingtons gegen Soult und Victor die Frage ob beim Invaſions-
kriege die Vertheilung der Streitmacht rathſam ſey, bei Wellingtons
Rückzug nach Portugal die Bedeutung der Hülfstruppen, bei der Ge-
ſchichte der Linien von Torres Vedras die Frage der Defenſiv-Poſitio-
nen, der Artillerie und der Kunſt des Rückzugs, bei Soults Angriffen
in den Pyrenäen die Aufgabe des Gebirgskrieges, und was deſſen mehr
iſt. Betrachtungen aber anderer Natur reihen ſich an, und in ihnen
müſſen wir den nächſten Anlaß zur Publication dieſer Jugendarbeit
ſuchen; aus der Geſchichte des Vertheidigungskrieges in Spanien und
Portugal zieht Balbo Folgerungen, entlehnt er Nutzanwendungen für
einen möglichen künftigen Krieg in Italien — einen Invaſionskrieg,
welchen italieniſche Heere zurückzudrängen haben würden. Dieſem Ge-
genſtand widmet der Verfaſſer längere und kürzere Excurſe wie verein-
zelte Bemerkungen; hierin wollen wir ihm einige Augenblicke folgen,
wo es angeht ſeine eignen Worte gebrauchend.
In der Napoleoniſchen Zeit und den derſelben zunächſt folgenden
Jahren, ſagt Balbo, waren beinahe alle, Militäre wie nicht Militäre,
von dem Glanz der Thaten des großen Feldherrn präoccupirt. In
jenem Zeitalter der Eroberungen ſtand der Eroberungskrieg beinahe
allein in Ehren; die Vertheidigung, mochte ſie noch ſo geſchickt erſon-
nen, ſo trefflich ausgeführt ſeyn, erſchien gewiſſermaßen als ſecundärer
Theil der Kriegskunft. In unſerer Zeit hingegen, wo der Angriff mit
Recht verabſcheut wird, wo Nationalität und Unabhängigkeit eine hohe
Geltung haben, ſteht jener Kampf, der dieſe rettet und erhält, mit
gleichem Recht obenan. Wo die Möglichkeit eines ſolchen Krieges,
eine nähere oder entferntere, gegeben iſt, kommt es vor allem auf das
Studium des Terrains an; dieß ſey gegenwärtig die Aufgabe des Ita-
lieners. Italien hat nur drei Nationen als Gränzſtaaten zu Lande,
der Theorie gemäß kann alſo von drei Seiten nur ein Angriff kommen,
von der Schweiz, von Frankreich, von Oeſterreich. Laſſen wir aber
die Angriffe von der Alpenſeite unberührt. Die Schweiz des 19ten
Jahrhunderts iſt von der des 16ten zu verſchieden, und kein Cardinal
von Sitten wird mehr die Cidgenoſſen gegen uns führen. Und Frankreich,
ſo ſchlimm auch einige ſeiner Journale ſich gebärden mögen, Frankreich
kann in keinem vorauszuſehenden Fall eine wirkliche Invaſion unter-
nehmen(?). So bleibt denn die dritte Macht allein. Ein Angriff von
ihr kann auf zwei Seiten geſchehen, weſtlich von der Seite des Teſſin,
ſüdlich von der Seite des Po, bei einem oder dem andern ſeiner drei
Uebergänge, bei Piacenza, Ferrara, Commacchio. Die Invaſion auf
der Teſſinſeite (nach Piemont) würde ſo manchen frühern vielfach be-
ſprochenen gleichen, daß es mir unnütz ſcheint darüber zu reden. In
Betreff der andern aber (gegen den Kirchenſtaat) halte ich eine Unter-
ſuchung für nützlich, und zwar 1) weil eine ſolche Unterſuchung die
Schwierigkeit des Angriffs, die Leichtigkeit der Vertheidigung an den
Tag bringt; 2) weil alle dabei gewinnen würden wenn ſie irgend dazu
beitragen könnte den Angriff abzuhalten; 3) weil die Vertheidigung,
im Fall eines ſolchen Angriffs, meiner Anſicht zufolge nicht vermöge
eines geheimen Operationsplanes, ſondern nur mittelſt Theilnahme der
geſammten Bevölkerung, und folglich der allgemeinen Zuſtimmung
geſchehen könnte. Die Unterſuchung wird unvollſtändig ſeyn, aber die
Kleineren müſſen beginnen, damit die Größeren vollenden.
Zwei Bemerkungen müſſen vorausgeſandt werden. Der angreifende
Theil kann in keinem Fall mit ſeiner geſammten Macht über den Po
vorrücken. Er braucht ſeine Heere außerhalb Italiens; er braucht ſie
zur Sicherung der Lombardei und gegen den Weſten. Der Norden
Italiens, welches auch ſeine Haltung ſeyn möge, kann niemals für die
Landsleute im Centrum und Süden völlig unnütz ſeyn. Was dieſe
letzteren betrifft, ſo muß ich nothwendig vorausſetzen daß dieſelben, auf
welche Weiſe und mit welcher Ordnung es auch immer ſeyn möge,
ernſtlich und wahrhaft entſchloſſen ſind ſich zu ſchlagen. Denn wo dieſer
ernſte Entſchluß nicht beſteht, gibt es nicht Taktik, nicht Strategik,
nicht Kriegkunſt, wovon zu reden nicht durchaus nichtig und lächerlich
wäre. Ich kann an Colletta’s ſtrategiſche Diſſertationen über die Jahre
1799, 1815, 1821 nicht ohne Lächeln denken. Seit jener Zeit iſt frei-
lich eine ganz neue Generation erwachſen, und dieſe ruft und ſchwört
ſie ſey anders, und wir glauben’s, und deßhalb ſchreiben wir, denn
ſonſt wäre alles Schreiben vergeblich. Unter dieſer Vorausſetzung be-
ginne ich denn mit der Erklärung daß in natürlichen und localen Be-
ziehungen in keinem Lande der Welt eine kriegeriſche Operation ſo
ſchwierig iſt wie von der Linie des Po aus eine Invaſion unſerer Halb-
inſel, welche lang und ſchmal, der Länge nach durch eine Gebirgskette
geſchieden, und auf beiden Gebirgsſeiten durch eine ſozuſagen ununter-
brochene Kette von Städten beſetzt iſt. Wenn unſere Vorfahren, wenn
unſere Zeitgenoſſen in den jüngſten Decennien dieſe Invaſionen nicht
zu hindern vermochten, ſo mag man dieß nach Belieben ihnen oder den
Zeiten, oder dem Schickſal, oder dem Verrath, oder jedem andern Um-
ſtand zuſchreiben, oder auch nicht: gewiß aber kann man’s der Localität
nicht beimeſſen, welche, wie kaum irgendeine, zur Vertheidigung wun-
derbar geeignet iſt. Wie man alſo der natürlichen und localen Ver-
hältniſſe je nach den verſchiedenen Graden der nationalen Vorkehrungen
und Rüſtungen ſich bedienen ſoll, das ſind die zu löſenden Fragen. Wo
wahrhafte Kämpfer ſtehen, da iſt die Löſung leicht. Nehmen wir nun
den erſten Fall an: ein italieniſches Heer, aus Truppen des Centrums
und des Südens der Halbinſel zuſammengeſetzt, gut geordnet und ge-
übt, welches man dem angreifenden Heer überlegen glauben dürfte —
für ein ſolches wäre es Schande die Päſſe zu öffnen, Städte und Volk
ſich ſelber zu überlaſſen, hinter dieſelben ſich zurückzuziehen. Ein ita-
lieniſches Heer unter ſolchen Vorausſetzungen müßte in der Nähe des
Po eine Schlacht wagen und Bologna nebſt den Straßen nach Toscana
und Romagna decken. Aber auch ein ſolches Heer könnte unterliegen
wenn es da wäre, und für jetzt gibt es gar kein ſolches, und Jahre und
Jahre können darüber hingehen bis es daſteht, und ſo müſſen wir den
Fall oder die Nothwendigkeit eines geordneten und den Feind in
Schranken haltenden Rückzugs von Bologna und Romagna nach dem
Süden betrachten. Dieß iſt der zweite Fall. Hier verändern ſich
aber all unſere natürlichen Vortheile in Nachtheil und Gefahren, iſt
nicht im voraus vom Feldherrn und Heer nicht bloß, ſondern auch von
Fürſten und Volk vorgeſorgt und eingerichtet. Das ſchlimme Beiſpiel
des Rückzugs König Joachims i. J. 1815, das noch weit ſchlimmere der
ſchlechten Vertheidigung i. J. 1821 haben durch neuere Erfahrung gezeigt
was die Kenntniß der Orte und alte Geſchichten längſt an die Hand
*) Geſchrieben vor der Nachricht daß Graf C. Balbo an die Spitze des
Turiner Cabinets geſtellt und Metternich aus dem Wiener Cabinet ent-
fernt worden.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |