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Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 30. März 1900.

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erste Seite
Nr. 87.
Morgenblatt.
103. Jahrgang. München, Freitag, 30. März 1900.


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Wöchentlich
12 Ausgaben.
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Direkter Bezug für
Deutschl. u. Oesterreich
monatlich M. 4. --,
ohne Beil. M. 3. --,
Ausland M. 5.60,
ohne Beil. M. 4.40.

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Allgemeine Zeitung.
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für die kleinspaltige
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Raum 25 Pfennig;
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kaufsanzeig. 20 Pf.;
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Redaktion und Expe-
dition befinden sich
Schwanthalerstr. 36
in München.


Berichte sind an die
Redaktion, Inserat-
aufträge an die Ex-
pedition franko ein-
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Abonnements für Berlin nimmt unsere dortige Filiale in der Leipzigerstraße 11 entgegen.
Abonnements für das Ausland
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Niederlande, Rumänien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien die dortigen Postämter; für den Orient
das k. k. Postamt in Wien oder Trieft; für Nordamerika F. W. Christern, E. Steiger u. Co., Gust.
E. Stechert, Westermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.

[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]

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Leipzigerstraße 11,
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Daube u. Co.
In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig. Chemnitz etc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenstraße 26) und S. Kornik (Kochstraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31bi&sr Faubourg Montmartre in Paris.

Verantwortlich für den politischen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menst, für den Handelstheil Ernst Barth, sämmtlich in München.
Druck und Verlag der Gesellschaft mit beschränkter Haftung "Verlag der Allgemeinen Zeitung" in München.



[Spaltenumbruch]
Deutsches Reich.
Reichsregierung.

Vor kurzem geschah an dieser
Stelle der Thatsache, daß das Reichsgericht in einem Preß-
prozeß den Ausdruck "Reichsregierung" als nicht korrekt
bezeichnete, mit dem Hinzufügen Erwähnung, Fürst Bis-
marck
habe im Gegensatz zu einer entsprechenden Be-
merkung des Abg. Dr. Lieber die "Existenz" einer Reichs-
regierung, wenn auch unter einem gewissen einschränkenden
Vorbehalt, nicht bestritten. Diese letztere Annahme nun
glauben die "Hamburger Nachrichten" bestätigen zu
können, während sie sich andrerseits gegen die von uns
aufgestellte Begründung der Bismarck'schen Auffassung
wenden, die u. a. betonte, von Seiten des der obersten
Reichsleitung unterstellten "Beamtenstabes" müßten die
Gedanken ausgehen und formulirt, innerhalb desselben
müßten die Interessen des Spezialressorts und der
Finanzen des Reichs gegeneinander abgewogen werden,
ehe die beschließenden Faktoren des Reichs, der Bundes-
rath und der Reichstag, zur Sache Stellung nehmen
könnten. Diese Begründung entspräche der Bismarck'schen
Auffassung nicht mehr, so meint das Hamburger Blatt,
um dann "auf Grund zahlreicher Gespräche seines Ver-
treters mit dem Fürsten Bismarck" festzustellen, daß Fürst
Bismarck das Vorhandensein einer "Reichsregierung", mit
anderen Worten: einer "kaiserlichen" Regierung, nur für
diejenigen Zweige der Verwaltung zugab, die sich in
den Händen des Reiches befinden, nicht aber für die
Gesetzgebung des Reiches. (Damit stimmt auch das
Citat der Allg. Ztg. insofern überein, als dort ebenfalls
nur von der Verwaltung, nicht von der Gesetzgebung des
Reiches die Rede ist.) Demgemäß habe sich Fürst Bismarck
stets mit Entschiedenheit gegen die namentlich unter Caprivi
nicht seltenen Versuche der offiziösen Presse, in Fragen
der Reichsgesetzgebung den Reichskanzler als "Repräsen-
tanten der Reichsregierung" auszuspielen, gewandt. Im
Frühjahr 1894 habe er sich in dieser Beziehung wie folgt
ausgesprochen:

"Verfassungsmäßig ist der Reichskanzler oberster Chef
der Reichsverwaltung und aller Aemter derselben, in der
Gesetzgebung aber hat er gar nichts zu sagen, soweit er nicht
als Bevollmächtigter der preußischen Staatsregierung spricht.
Wenn er diese Vollmacht nicht besitzt, sondern nur den Reichs-
kanzlerposten hat, dann steht ihm nichts als der formale
Vorsitz und die Geschäftsleitung im Bundesrath zu; in Fragen
der Gesetzgebung hat er zu schweigen. Der Mund auf diesem
Gebiet wird ihm erst geöffnet, wenn er als Bevollmächtigter
des preußischen Staatsministeriums spricht. In dieser Eigen-
schaft aber ist er nicht berechtigt, eine andere Meinung als
die des preußischen Staatsministeriums auszusprechen und er
muß entweder der Zustimmung seiner preußischen Kollegen,
wie das in den einfacheren Dingen regelmäßig der Fall sein
wird, ohne Rückfrage gewiß sein, oder er muß mit einem
Konclusum der Majorität des preußischen Staatsministeriums
im Bundesrath sitzen, resp. dort mit den übrigen deutschen
Regierungen in seiner Eigenschaft als preußischer Minister
des Auswärtigen, d. h. für deutsche Augelegenheiten ver-
[Spaltenumbruch] handeln. Wie kann man da (in Gesetzgebungsfragen) von
einer Reichsregierung überhaupt reden?

Als Träger derselben wird da, wo sich nicht wegen
Fehlens des Gedankens ein Wort zur rechten Zeit einstellt,
doch nur der Reichskanzler gedacht werden können ohne Hinzu-
rechnung seiner ihm untergebenen Reichsverwaltungsämter.
Die ganze legislative Bedeutung des Reichskanzlers steht und
fällt aber mit seiner Eigenschaft als Mitglied des preußischen
Staatsministeriums. Sobald er sich von diesem geschäftlich
trennt, dessen Instruktionen weder kennt noch einholt, sondern
dem Bundesrath und den deutschen Regierungen selbständig
als Reichskanzler gegenübertritt, ohne das preußische Staats-
ministerium hinter sich zu haben, verläßt er den Boden seiner
verfassungsmäßigen Kompetenz und würde, wenn ein Minister-
Verantwortlichkeitsgesetz auch nur in Preußen bestände, nach
Maßgabe desselben gerichtlich zur Verantwortung gezogen
werden können."


Die "Hamburger Nachrichten" fügen diesem Citat die
Worte hinzu:

"Wir legen aus verschiedenen Gründen
Werth darauf, auf dieses Zeugniß des Schöpfers des
Deutschen Reiches und seiner verfassungsmäßigen Einrich-
tungen jetzt zu rekurriren; namentlich geschieht es, um den
vielfach verbreiteten Aberglauben zu beseitigen, daß es in
der Gesetzgebung des Reiches eine Reichsregierung gebe.
in deren Angelegenheiten sich die Einzelstaaten nicht hinein-
zumischen hätten."

Demgegenüber wollen wir unsrerseits
zu erwähnen nicht unterlassen, daß uns bei der Abfassung
jener Betrachtung, auf die die "Hamb. Nachr." in solcher
Art eingehen, die Absicht völlig fern lag, "den vielfach
verbreiteten Aberglauben, daß es in der Gesetzgebung des
Reiches eine Reichsregierung gebe, in deren Angelegen-
heiten sich die Einzelstaaten nicht hineinzumischen hätten",
zu vertheidigen. Das Blatt hätte im Interesse der Klä-
rung der Sachlage und um Irrthümern von interessirter
Seite vorzubeugen, besser gethan, unsre Schlußbemerkung
nicht unter den Tisch fallen zu lassen, die da lautete:

"So verstanden wird, wie wir annahmen, auch die "Ger-
mania" sich mit dem Begriff einer "Reichsregierung" abfinden
können, denn derselben liegt nichts so fern, als die Absicht, den
Prärogativen des Reichstags und seinen Parteien eine Perle
aus der Krone zu brechen."

Schon hieraus geht hervor, daß es sich bei unsrer
Betrachtung lediglich darum handelte, die in der Nomen-
klatur der Verfassung nicht präzisirte Bezeichnung "Reichs-
regierung" davor zu schützen, daß sie als Zielobjekt für
solche parlamentarische und außerparlamentarische Angreifer
dient, die dem Reichskanzler eins am Zeuge flicken möchten.
Nichts aber lag uns so fern, als ein Versuch, aus der von
uns citirten Bismarck'schen Aeußerung die Thatsache
herauszulesen, daß es eine "Reichsregierung" als Ding an
sich gäbe, die eine gesetzgeberische Aktion auszuüben ver-
möge in dem Sinne wie jede Einzelregierung.

Gegen das Fleischeinfuhrverbot.

Während bereits verschiedent-
lich gemeldet wird, daß im konservativen Lager Stimmen
laut werden, die zur Nachgiebigkeit in Sachen des
Fleischbeschaugesetzes mahnen, dauert die Protest-
bewegung
gegen den § 14a des Kommissionsentwurfs
[Spaltenumbruch] nach wie vor an. Den zahlreichen Interessentengruppen,
die dem Reichskanzler Adressen und Resolutionen nach
dieser Richtung hin überreichten, gesellt sich neuerdings
auch der "Deutsch-russische Verein zur Pflege und
Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen" mit
nachstehender Eingabe:

"Der Deutsch-russische Verein zur Pflege und Förderung
der gegenseitigen Handelsbeziehungen, der in ca. 200 Einzel-
mitgliedern, worunter 21 Handelskammern und 7 große Ver-
bände, einen sehr großen Theil der mit Rußland in Ver-
bindung stehenden deutschen Industrie und des Handels
zwischen Rußland und Deutschland in sich verkörpert, erblickt
in einem Verbot der Einfuhr von Fleisch und Fleischwaaren
nach Deutschland, ganz abgesehen von den Folgen eines solchen
Verbots für die Lebenshaltung des kleineren Mittelstandes
und des Arbeiters, eine schwere Gefährdung der Fortdauer
des guten wirthschaftlichen Einvernehmens zwischen den beiden
Ländern. Die Lage der Landwirthschaft in Rußland
zwingt die russische Regierung der Viehzucht und
dem Export von thierischen Erzeugnissen,
insbe-
sondere auch von Fleisch ihre Förderung zutheil
werden zu lassen. Man hofft mit gutem Grund,
daß das russische Produkt dem überseeischen
Fleisch auf den europäischen Märkten mit Erfolg
Konkurrenz machen wird,
und man beansprucht einen
Antheil an der Deckung des Fleischbedarfs Deutschlands,
soweit dasselbe nicht in der Lage ist, selbst
den Bedarf zu decken.
Um so schwerer hat man
die Schwierigkeiten, welche seither schon der Einfuhr russischen
Fleisches in Deutschland entgegengestellt wurden, empfunden;
und es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein vollstän-
diges und dauerndes Verbot der Einfuhr von Fleisch die be-
vorstehenden Verhandlungen über die Gestaltung des Ver-
tragsverhältnisses ein Entgegenkommen Rußlands von vorn-
herein wesentlich erschweren würde. Das wäre aber sehr zu
beklagen, da Rußland ein äußerst wichtiges Absatzgebiet für
die Erzeugnisse unsrer Industrie ist, dessen Einschränkung oder
Verlust verhängnißvolle Folgen für die Wohlfahrt Deutsch-
lands nach sich ziehen müßte, die durch den etwaigen Gewinn,
welcher der deutschen Viehzucht aus dem Einfuhrverbot er-
wachsen könnte, nicht im entferntesten ausgeglichen würden.
Der ehrerbietigst unterzeichnete Deutsch-russische Verein hält
es demnach für seine Pflicht, Ew. Durchlaucht gehorsamst zu
bitten, dahin wirken zu wollen, daß ein Verbot der Einfuhr
von Fleisch und Fleischwaaren nicht erlassen werde."

Ob diese Argumentation in allen Theilen eine beson-
ders glückliche ist, wollen wir nicht näher untersuchen.
Unsres Erachtens thäte man gut daran, der wiederholten
Versicherung maßgebender Stellen, daß sie bei der Rege-
lung der schwebenden Frage nach Kräften bestrebt sein
würden, eine Gefährdung der Interessen des deutschen
Handels und der deutschen Industrie auszuschließen, einiges
Vertrauen entgegenzubringen. Ein Grund, dieser Ver-
sicherung zu mißtrauen, liegt unsres Erachtens wenigstens
nicht vor. Die allzu accentuirte Betonung des Interesses,
das Deutschland daran habe, das Ausland bei der Neu-
gestaltung der gegenseitigen Handelsbeziehungen in guter
Stimmung zu erhalten, reizt nur ohne zwingenden Grund
den agrarischen Widerspruchsgeist. Die erregten Debatten

[Spaltenumbruch]
Das Postfräulein.
Hochlandsroman von Arthur Achleitner.

(3)

(Nachdruck verboten.)
Zweites Kapitel.

Lina hat sich leicht zurechtgefunden im fremden Dorf;
der Doppeladler verrieth das Kaiserlich Königliche Postamt
augenblicklich, als das Fräulein in Sehweite gekommen
war. Recht einladend sieht die Stätte künftiger Wirksam-
keit nicht aus; ohne das Postschild wäre das Haus von
jedem anderen Bauernhaus nicht zu unterscheiden. Im
Unterbau gemauert, das obere Stockwerk von Holz, braun-
verwittert, winzige Fenster; Kleinvieh und Hühner um-
lagern den Besitz der postdienstuntauglich gewordenen
Unterbäuerin. Die Fenster haben eiserne Gitter, da wird
wohl die Postkanzlei sein. Schwalben fliegen im Flur ein
und aus, das einzige gute Zeichen beim Eintritt in den
Dienst heroben im Gebirg. Lina flüstert: "Schwalben
bringen ja Glück! Vielleicht auch mir!"

Ein kleiner Pintscher, der auf den ersten Blick ver-
wandtschaftliche Beziehungen zu einem Jagdhund verräth,
springt kläffend herbei, als Lina in den Flur tritt, und
wehrt, sich vor die Kanzleithür stellend, den Eingang.
Lina lacht fröhlich auf; der Pintscher ist also ein ärarischer
Beschützer der Staatspost und wird hoffentlich auch ferner-
hin die Postkasse wie das Leben des Postfräuleins tapfer
beschützen. "Bischt ein braves Hunderl!" belobt Lina den
Pintscher, der jetzt erst recht lärmt.

Nun humpelt eine alte Bäuerin aus einer Stube her-
bei, schlecht gekleidet, mit einer mächtigen Hornbrille be-
waffnet und darüber einen grünen Pappschirm, wie ihn
Augenkranke zu tragen pflegen. Die Bäuerin tastet mit
den Händen die Wand entlang und ruft: "Wer ischt da?
Die Kanzlei mach' ich heut nimmer auf!"

Lina kann ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken.
Am helllichten Tag die Post trotz vorgeschriebener Amts-
stunden geschlossen -- das sind ja reizende Zustände.

"Ich bin die neue Expeditorin Lina Kleingroß. Sind
Sie die Unterbäuerin?"

Beleidigt ruft das Weib: "Die Postmeisterin bin ich,
[Spaltenumbruch] verstanden? Und wenn du die neue Postfräuln bischt,
dann muß ich schon sagen, es wär mir lieber, wenn du nicht
gekommen wärst!"

"Recht freundlich! Warum denn, wenn man fragen
darf?"

"Ja, so eine Stadtjungfer, der 's Metzgerwagerl zu
schlecht ischt, die geht mir grad noch ab. Hat man so was
schon erlebt? Ein grad noblichtes Fuhrwerk zu schlecht!
Schau nur, daß du nicht noch zu Fuß zum Altar gehen
mußt, wenn einer so dumm ischt und ein ärarisches Hunger-
fräulein heirathet!"

Lina lachte hellauf; solcher Empfang übertrifft alle
Erwartungen. In solchem Hause kann der Dienst noch
hübsch werden.

Die Bäuerin verlangt, mißtrauisch wie sie ist, eine
"Legimation".

"Zeig dein Dekret von der Direktion!"

"Das ischt in meiner Handtasche, die der Knecht herauf-
befördert haben wird. Wo ischt die Tasche?"

"Selle ischt in der Kanzlei, aber die Kanzlei mach' ich
heut nimmer auf."

"Postmeisterin, ich will Ihnen was sagen. Die Kanz-
lei muß von acht bis zwölf Uhr vormittags und von zwei
bis sechs Uhr nachmittags geöffnet sein. Ich übernehme
heute noch das Amt, -- solche Schlamperei im Dienst muß
sofort ein Ende nehmen. Geben Sie mir mein Handgepäck
heraus, zeigen Sie mir mein Zimmer und dann übergeben
Sie mir Amt, Geld und Dienst!"

"Frei schad ischt's, daß ich nichts mehr seh'! Dich freche
Person, möcht ich gern genau schauen. Hat man so was
schon gehört? Kaum im Haus, will so ein Ding mir, der
Postmeisterin, schon Vorschriften machen. Weißt was?
Ich hust auf jeden Kommissari, und nach einer Expeditorin
frag' ich keinen Pfifferling!"

"Das können Sie halten, wie Sie wollen. Ist mir
binnen einer halben Stunde das Amt nicht übergeben,
zieh' ich wieder ab, fahre nach Innsbruck und melde den
Vorfall der Direktion. Das Weitere werden Sie dann schon
erfahren!"

Zornig wirft das alte Weib den Kanzleischlüssel dem
[Spaltenumbruch] Postfräulein vor die Füße und schreit: "Mach was du
willst! Ich kümmere mich um gar nichts mehr."

"Halt, Postmeisterin! Bei der Uebergabe vom Postgeld
müssen Sie dabei sein. Haben Sie die Gelder abgezählt
und verrechnet?"

"Nix hab' ich, und nix thu' ich. Dazu bischt du da!"

Keifend entfernt sich die Bäuerin. Lina hebt den
Schlüssel auf und öffnet die Kanzleithür. Ein dumpfer,
modriger Geruch strömt ihr entgegen, das Gemach ist wohl
seit Monaten nicht gelüftet worden. Und in den Ecken
lagern Kartoffel- und Knoblauchhaufen. Die Kaiserlich
Königliche Postkanzlei scheint als Vorrathskammer zu
dienen. Ein wackliger Tisch mit kleinen Regalen zum
Brieffortiren, eine winzige Eisenkassette für die Amts-
gelder, ein Kasten und ein Bett nebst zwei wurmstichigen
Stühlen bilden die Einrichtung. Nicht einmal eine Uhr
ist vorhanden, dafür Bergstöcke und Sensen, Roßkummete,
Peitschenstiele und Mistgabeln. Ein feines Postamt.
Schade, daß dergleichen die Herren von der Direktion nicht
sehen! Lina schlägt die Hände über dem Kopf zusammen
bei Betrachtung dieser Ausstattung einer Postkanzlei. Der
Pintscher mochte wohl inzwischen eingesehen haben, daß
das Fräulein in die Stube gehöre; er geruhte das Kläffen
einzustellen, trippelte herein und war mit einem Satz im
ärarischen Dienstbett, wo er sich igelgleich zusammenrollte
und sich anschickte, den gewohnten Schlaf zu thun.

"Das geht denn doch zu weit!" rief Lina aus und
trieb den Hund mit Stockhieben aus dem Bett. Jetzt war
die Feindschaft fertig, und tiefbeleidigt verließ der Pintscher
das Amtslokal.

Das Postfräulein aber nahm die dringendste Arbeit
vor: die Uebernahme der Amtsgelder. Der Schlüssel zur
Kassette steckte im Schloß. Lina nahm das abgegriffene
Portefeuille heraus und zählte das Baargeld. Fünfund-
vierzig Gulden in Noten, ein Betrag, welcher diesem Post-
amt wahrlich angemessen erscheint. Dann ein Zettel: "Gut
für fünf Gulden, Postmeisterin." "Also ein Von für ent-
nommenes Baargeld, das ist auch nicht übel." Eine kleine
Holzschüssel enthält knapp zwei Gulden Scheidemünze.
Hierüber fertigt die Expeditorin ein Protokoll; dann forscht

Nr. 87.
Morgenblatt.
103. Jahrgang. München, Freitag, 30. März 1900.


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jährlich M. 36. —,
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Deutſchl. u. Oeſterreich
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pedition franko ein-
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Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen.
Abonnements für das Ausland
nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str., London; für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien,
Niederlande, Rumänien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien die dortigen Poſtämter; für den Orient
das k. k. Poſtamt in Wien oder Trieft; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt.
E. Stechert, Weſtermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.

[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]

Inſeratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße 36, in Berlin in unſerer Filiale,
Leipzigerſtraße 11,
ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln, Leipzig. Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg,
Wien, Peſt, London, Zürich, Baſel ꝛc. bei den Annoncenbureaux R. Moſſe, Haaſenſte in u. Vogler. G. L.
Daube u. Co.
In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig. Chemnitz ꝛc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtraße 26) und S. Kornik (Kochſtraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31bi&ſr Faubourg Montmartre in Paris.

Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſt, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München.
Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München.



[Spaltenumbruch]
Deutſches Reich.
Reichsregierung.

Vor kurzem geſchah an dieſer
Stelle der Thatſache, daß das Reichsgericht in einem Preß-
prozeß den Ausdruck „Reichsregierung“ als nicht korrekt
bezeichnete, mit dem Hinzufügen Erwähnung, Fürſt Bis-
marck
habe im Gegenſatz zu einer entſprechenden Be-
merkung des Abg. Dr. Lieber die „Exiſtenz“ einer Reichs-
regierung, wenn auch unter einem gewiſſen einſchränkenden
Vorbehalt, nicht beſtritten. Dieſe letztere Annahme nun
glauben die „Hamburger Nachrichten“ beſtätigen zu
können, während ſie ſich andrerſeits gegen die von uns
aufgeſtellte Begründung der Bismarck’ſchen Auffaſſung
wenden, die u. a. betonte, von Seiten des der oberſten
Reichsleitung unterſtellten „Beamtenſtabes“ müßten die
Gedanken ausgehen und formulirt, innerhalb desſelben
müßten die Intereſſen des Spezialreſſorts und der
Finanzen des Reichs gegeneinander abgewogen werden,
ehe die beſchließenden Faktoren des Reichs, der Bundes-
rath und der Reichstag, zur Sache Stellung nehmen
könnten. Dieſe Begründung entſpräche der Bismarck’ſchen
Auffaſſung nicht mehr, ſo meint das Hamburger Blatt,
um dann „auf Grund zahlreicher Geſpräche ſeines Ver-
treters mit dem Fürſten Bismarck“ feſtzuſtellen, daß Fürſt
Bismarck das Vorhandenſein einer „Reichsregierung“, mit
anderen Worten: einer „kaiſerlichen“ Regierung, nur für
diejenigen Zweige der Verwaltung zugab, die ſich in
den Händen des Reiches befinden, nicht aber für die
Geſetzgebung des Reiches. (Damit ſtimmt auch das
Citat der Allg. Ztg. inſofern überein, als dort ebenfalls
nur von der Verwaltung, nicht von der Geſetzgebung des
Reiches die Rede iſt.) Demgemäß habe ſich Fürſt Bismarck
ſtets mit Entſchiedenheit gegen die namentlich unter Caprivi
nicht ſeltenen Verſuche der offiziöſen Preſſe, in Fragen
der Reichsgeſetzgebung den Reichskanzler als „Repräſen-
tanten der Reichsregierung“ auszuſpielen, gewandt. Im
Frühjahr 1894 habe er ſich in dieſer Beziehung wie folgt
ausgeſprochen:

„Verfaſſungsmäßig iſt der Reichskanzler oberſter Chef
der Reichsverwaltung und aller Aemter derſelben, in der
Geſetzgebung aber hat er gar nichts zu ſagen, ſoweit er nicht
als Bevollmächtigter der preußiſchen Staatsregierung ſpricht.
Wenn er dieſe Vollmacht nicht beſitzt, ſondern nur den Reichs-
kanzlerpoſten hat, dann ſteht ihm nichts als der formale
Vorſitz und die Geſchäftsleitung im Bundesrath zu; in Fragen
der Geſetzgebung hat er zu ſchweigen. Der Mund auf dieſem
Gebiet wird ihm erſt geöffnet, wenn er als Bevollmächtigter
des preußiſchen Staatsminiſteriums ſpricht. In dieſer Eigen-
ſchaft aber iſt er nicht berechtigt, eine andere Meinung als
die des preußiſchen Staatsminiſteriums auszuſprechen und er
muß entweder der Zuſtimmung ſeiner preußiſchen Kollegen,
wie das in den einfacheren Dingen regelmäßig der Fall ſein
wird, ohne Rückfrage gewiß ſein, oder er muß mit einem
Koncluſum der Majorität des preußiſchen Staatsminiſteriums
im Bundesrath ſitzen, reſp. dort mit den übrigen deutſchen
Regierungen in ſeiner Eigenſchaft als preußiſcher Miniſter
des Auswärtigen, d. h. für deutſche Augelegenheiten ver-
[Spaltenumbruch] handeln. Wie kann man da (in Geſetzgebungsfragen) von
einer Reichsregierung überhaupt reden?

Als Träger derſelben wird da, wo ſich nicht wegen
Fehlens des Gedankens ein Wort zur rechten Zeit einſtellt,
doch nur der Reichskanzler gedacht werden können ohne Hinzu-
rechnung ſeiner ihm untergebenen Reichsverwaltungsämter.
Die ganze legislative Bedeutung des Reichskanzlers ſteht und
fällt aber mit ſeiner Eigenſchaft als Mitglied des preußiſchen
Staatsminiſteriums. Sobald er ſich von dieſem geſchäftlich
trennt, deſſen Inſtruktionen weder kennt noch einholt, ſondern
dem Bundesrath und den deutſchen Regierungen ſelbſtändig
als Reichskanzler gegenübertritt, ohne das preußiſche Staats-
miniſterium hinter ſich zu haben, verläßt er den Boden ſeiner
verfaſſungsmäßigen Kompetenz und würde, wenn ein Miniſter-
Verantwortlichkeitsgeſetz auch nur in Preußen beſtände, nach
Maßgabe desſelben gerichtlich zur Verantwortung gezogen
werden können.“


Die „Hamburger Nachrichten“ fügen dieſem Citat die
Worte hinzu:

„Wir legen aus verſchiedenen Gründen
Werth darauf, auf dieſes Zeugniß des Schöpfers des
Deutſchen Reiches und ſeiner verfaſſungsmäßigen Einrich-
tungen jetzt zu rekurriren; namentlich geſchieht es, um den
vielfach verbreiteten Aberglauben zu beſeitigen, daß es in
der Geſetzgebung des Reiches eine Reichsregierung gebe.
in deren Angelegenheiten ſich die Einzelſtaaten nicht hinein-
zumiſchen hätten.“

Demgegenüber wollen wir unſrerſeits
zu erwähnen nicht unterlaſſen, daß uns bei der Abfaſſung
jener Betrachtung, auf die die „Hamb. Nachr.“ in ſolcher
Art eingehen, die Abſicht völlig fern lag, „den vielfach
verbreiteten Aberglauben, daß es in der Geſetzgebung des
Reiches eine Reichsregierung gebe, in deren Angelegen-
heiten ſich die Einzelſtaaten nicht hineinzumiſchen hätten“,
zu vertheidigen. Das Blatt hätte im Intereſſe der Klä-
rung der Sachlage und um Irrthümern von intereſſirter
Seite vorzubeugen, beſſer gethan, unſre Schlußbemerkung
nicht unter den Tiſch fallen zu laſſen, die da lautete:

„So verſtanden wird, wie wir annahmen, auch die „Ger-
mania“ ſich mit dem Begriff einer „Reichsregierung“ abfinden
können, denn derſelben liegt nichts ſo fern, als die Abſicht, den
Prärogativen des Reichstags und ſeinen Parteien eine Perle
aus der Krone zu brechen.“

Schon hieraus geht hervor, daß es ſich bei unſrer
Betrachtung lediglich darum handelte, die in der Nomen-
klatur der Verfaſſung nicht präziſirte Bezeichnung „Reichs-
regierung“ davor zu ſchützen, daß ſie als Zielobjekt für
ſolche parlamentariſche und außerparlamentariſche Angreifer
dient, die dem Reichskanzler eins am Zeuge flicken möchten.
Nichts aber lag uns ſo fern, als ein Verſuch, aus der von
uns citirten Bismarck’ſchen Aeußerung die Thatſache
herauszuleſen, daß es eine „Reichsregierung“ als Ding an
ſich gäbe, die eine geſetzgeberiſche Aktion auszuüben ver-
möge in dem Sinne wie jede Einzelregierung.

Gegen das Fleiſcheinfuhrverbot.

Während bereits verſchiedent-
lich gemeldet wird, daß im konſervativen Lager Stimmen
laut werden, die zur Nachgiebigkeit in Sachen des
Fleiſchbeſchaugeſetzes mahnen, dauert die Proteſt-
bewegung
gegen den § 14a des Kommiſſionsentwurfs
[Spaltenumbruch] nach wie vor an. Den zahlreichen Intereſſentengruppen,
die dem Reichskanzler Adreſſen und Reſolutionen nach
dieſer Richtung hin überreichten, geſellt ſich neuerdings
auch der „Deutſch-ruſſiſche Verein zur Pflege und
Förderung der gegenſeitigen Handelsbeziehungen“ mit
nachſtehender Eingabe:

„Der Deutſch-ruſſiſche Verein zur Pflege und Förderung
der gegenſeitigen Handelsbeziehungen, der in ca. 200 Einzel-
mitgliedern, worunter 21 Handelskammern und 7 große Ver-
bände, einen ſehr großen Theil der mit Rußland in Ver-
bindung ſtehenden deutſchen Induſtrie und des Handels
zwiſchen Rußland und Deutſchland in ſich verkörpert, erblickt
in einem Verbot der Einfuhr von Fleiſch und Fleiſchwaaren
nach Deutſchland, ganz abgeſehen von den Folgen eines ſolchen
Verbots für die Lebenshaltung des kleineren Mittelſtandes
und des Arbeiters, eine ſchwere Gefährdung der Fortdauer
des guten wirthſchaftlichen Einvernehmens zwiſchen den beiden
Ländern. Die Lage der Landwirthſchaft in Rußland
zwingt die ruſſiſche Regierung der Viehzucht und
dem Export von thieriſchen Erzeugniſſen,
insbe-
ſondere auch von Fleiſch ihre Förderung zutheil
werden zu laſſen. Man hofft mit gutem Grund,
daß das ruſſiſche Produkt dem überſeeiſchen
Fleiſch auf den europäiſchen Märkten mit Erfolg
Konkurrenz machen wird,
und man beanſprucht einen
Antheil an der Deckung des Fleiſchbedarfs Deutſchlands,
ſoweit dasſelbe nicht in der Lage iſt, ſelbſt
den Bedarf zu decken.
Um ſo ſchwerer hat man
die Schwierigkeiten, welche ſeither ſchon der Einfuhr ruſſiſchen
Fleiſches in Deutſchland entgegengeſtellt wurden, empfunden;
und es kann kein Zweifel darüber beſtehen, daß ein vollſtän-
diges und dauerndes Verbot der Einfuhr von Fleiſch die be-
vorſtehenden Verhandlungen über die Geſtaltung des Ver-
tragsverhältniſſes ein Entgegenkommen Rußlands von vorn-
herein weſentlich erſchweren würde. Das wäre aber ſehr zu
beklagen, da Rußland ein äußerſt wichtiges Abſatzgebiet für
die Erzeugniſſe unſrer Induſtrie iſt, deſſen Einſchränkung oder
Verluſt verhängnißvolle Folgen für die Wohlfahrt Deutſch-
lands nach ſich ziehen müßte, die durch den etwaigen Gewinn,
welcher der deutſchen Viehzucht aus dem Einfuhrverbot er-
wachſen könnte, nicht im entfernteſten ausgeglichen würden.
Der ehrerbietigſt unterzeichnete Deutſch-ruſſiſche Verein hält
es demnach für ſeine Pflicht, Ew. Durchlaucht gehorſamſt zu
bitten, dahin wirken zu wollen, daß ein Verbot der Einfuhr
von Fleiſch und Fleiſchwaaren nicht erlaſſen werde.“

Ob dieſe Argumentation in allen Theilen eine beſon-
ders glückliche iſt, wollen wir nicht näher unterſuchen.
Unſres Erachtens thäte man gut daran, der wiederholten
Verſicherung maßgebender Stellen, daß ſie bei der Rege-
lung der ſchwebenden Frage nach Kräften beſtrebt ſein
würden, eine Gefährdung der Intereſſen des deutſchen
Handels und der deutſchen Induſtrie auszuſchließen, einiges
Vertrauen entgegenzubringen. Ein Grund, dieſer Ver-
ſicherung zu mißtrauen, liegt unſres Erachtens wenigſtens
nicht vor. Die allzu accentuirte Betonung des Intereſſes,
das Deutſchland daran habe, das Ausland bei der Neu-
geſtaltung der gegenſeitigen Handelsbeziehungen in guter
Stimmung zu erhalten, reizt nur ohne zwingenden Grund
den agrariſchen Widerſpruchsgeiſt. Die erregten Debatten

[Spaltenumbruch]
Das Poſtfräulein.
Hochlandsroman von Arthur Achleitner.

(3)

(Nachdruck verboten.)
Zweites Kapitel.

Lina hat ſich leicht zurechtgefunden im fremden Dorf;
der Doppeladler verrieth das Kaiſerlich Königliche Poſtamt
augenblicklich, als das Fräulein in Sehweite gekommen
war. Recht einladend ſieht die Stätte künftiger Wirkſam-
keit nicht aus; ohne das Poſtſchild wäre das Haus von
jedem anderen Bauernhaus nicht zu unterſcheiden. Im
Unterbau gemauert, das obere Stockwerk von Holz, braun-
verwittert, winzige Fenſter; Kleinvieh und Hühner um-
lagern den Beſitz der poſtdienſtuntauglich gewordenen
Unterbäuerin. Die Fenſter haben eiſerne Gitter, da wird
wohl die Poſtkanzlei ſein. Schwalben fliegen im Flur ein
und aus, das einzige gute Zeichen beim Eintritt in den
Dienſt heroben im Gebirg. Lina flüſtert: „Schwalben
bringen ja Glück! Vielleicht auch mir!“

Ein kleiner Pintſcher, der auf den erſten Blick ver-
wandtſchaftliche Beziehungen zu einem Jagdhund verräth,
ſpringt kläffend herbei, als Lina in den Flur tritt, und
wehrt, ſich vor die Kanzleithür ſtellend, den Eingang.
Lina lacht fröhlich auf; der Pintſcher iſt alſo ein ärariſcher
Beſchützer der Staatspoſt und wird hoffentlich auch ferner-
hin die Poſtkaſſe wie das Leben des Poſtfräuleins tapfer
beſchützen. „Biſcht ein braves Hunderl!“ belobt Lina den
Pintſcher, der jetzt erſt recht lärmt.

Nun humpelt eine alte Bäuerin aus einer Stube her-
bei, ſchlecht gekleidet, mit einer mächtigen Hornbrille be-
waffnet und darüber einen grünen Pappſchirm, wie ihn
Augenkranke zu tragen pflegen. Die Bäuerin taſtet mit
den Händen die Wand entlang und ruft: „Wer iſcht da?
Die Kanzlei mach’ ich heut nimmer auf!“

Lina kann ein ſpöttiſches Lächeln nicht unterdrücken.
Am helllichten Tag die Poſt trotz vorgeſchriebener Amts-
ſtunden geſchloſſen — das ſind ja reizende Zuſtände.

„Ich bin die neue Expeditorin Lina Kleingroß. Sind
Sie die Unterbäuerin?“

Beleidigt ruft das Weib: „Die Poſtmeiſterin bin ich,
[Spaltenumbruch] verſtanden? Und wenn du die neue Poſtfräuln biſcht,
dann muß ich ſchon ſagen, es wär mir lieber, wenn du nicht
gekommen wärſt!“

„Recht freundlich! Warum denn, wenn man fragen
darf?“

„Ja, ſo eine Stadtjungfer, der ’s Metzgerwagerl zu
ſchlecht iſcht, die geht mir grad noch ab. Hat man ſo was
ſchon erlebt? Ein grad noblichtes Fuhrwerk zu ſchlecht!
Schau nur, daß du nicht noch zu Fuß zum Altar gehen
mußt, wenn einer ſo dumm iſcht und ein ärariſches Hunger-
fräulein heirathet!“

Lina lachte hellauf; ſolcher Empfang übertrifft alle
Erwartungen. In ſolchem Hauſe kann der Dienſt noch
hübſch werden.

Die Bäuerin verlangt, mißtrauiſch wie ſie iſt, eine
„Legimation“.

„Zeig dein Dekret von der Direktion!“

„Das iſcht in meiner Handtaſche, die der Knecht herauf-
befördert haben wird. Wo iſcht die Taſche?“

„Selle iſcht in der Kanzlei, aber die Kanzlei mach’ ich
heut nimmer auf.“

„Poſtmeiſterin, ich will Ihnen was ſagen. Die Kanz-
lei muß von acht bis zwölf Uhr vormittags und von zwei
bis ſechs Uhr nachmittags geöffnet ſein. Ich übernehme
heute noch das Amt, — ſolche Schlamperei im Dienſt muß
ſofort ein Ende nehmen. Geben Sie mir mein Handgepäck
heraus, zeigen Sie mir mein Zimmer und dann übergeben
Sie mir Amt, Geld und Dienſt!“

„Frei ſchad iſcht’s, daß ich nichts mehr ſeh’! Dich freche
Perſon, möcht ich gern genau ſchauen. Hat man ſo was
ſchon gehört? Kaum im Haus, will ſo ein Ding mir, der
Poſtmeiſterin, ſchon Vorſchriften machen. Weißt was?
Ich huſt auf jeden Kommiſſari, und nach einer Expeditorin
frag’ ich keinen Pfifferling!“

„Das können Sie halten, wie Sie wollen. Iſt mir
binnen einer halben Stunde das Amt nicht übergeben,
zieh’ ich wieder ab, fahre nach Innsbruck und melde den
Vorfall der Direktion. Das Weitere werden Sie dann ſchon
erfahren!“

Zornig wirft das alte Weib den Kanzleiſchlüſſel dem
[Spaltenumbruch] Poſtfräulein vor die Füße und ſchreit: „Mach was du
willſt! Ich kümmere mich um gar nichts mehr.“

„Halt, Poſtmeiſterin! Bei der Uebergabe vom Poſtgeld
müſſen Sie dabei ſein. Haben Sie die Gelder abgezählt
und verrechnet?“

„Nix hab’ ich, und nix thu’ ich. Dazu biſcht du da!“

Keifend entfernt ſich die Bäuerin. Lina hebt den
Schlüſſel auf und öffnet die Kanzleithür. Ein dumpfer,
modriger Geruch ſtrömt ihr entgegen, das Gemach iſt wohl
ſeit Monaten nicht gelüftet worden. Und in den Ecken
lagern Kartoffel- und Knoblauchhaufen. Die Kaiſerlich
Königliche Poſtkanzlei ſcheint als Vorrathskammer zu
dienen. Ein wackliger Tiſch mit kleinen Regalen zum
Brieffortiren, eine winzige Eiſenkaſſette für die Amts-
gelder, ein Kaſten und ein Bett nebſt zwei wurmſtichigen
Stühlen bilden die Einrichtung. Nicht einmal eine Uhr
iſt vorhanden, dafür Bergſtöcke und Senſen, Roßkummete,
Peitſchenſtiele und Miſtgabeln. Ein feines Poſtamt.
Schade, daß dergleichen die Herren von der Direktion nicht
ſehen! Lina ſchlägt die Hände über dem Kopf zuſammen
bei Betrachtung dieſer Ausſtattung einer Poſtkanzlei. Der
Pintſcher mochte wohl inzwiſchen eingeſehen haben, daß
das Fräulein in die Stube gehöre; er geruhte das Kläffen
einzuſtellen, trippelte herein und war mit einem Satz im
ärariſchen Dienſtbett, wo er ſich igelgleich zuſammenrollte
und ſich anſchickte, den gewohnten Schlaf zu thun.

„Das geht denn doch zu weit!“ rief Lina aus und
trieb den Hund mit Stockhieben aus dem Bett. Jetzt war
die Feindſchaft fertig, und tiefbeleidigt verließ der Pintſcher
das Amtslokal.

Das Poſtfräulein aber nahm die dringendſte Arbeit
vor: die Uebernahme der Amtsgelder. Der Schlüſſel zur
Kaſſette ſteckte im Schloß. Lina nahm das abgegriffene
Portefeuille heraus und zählte das Baargeld. Fünfund-
vierzig Gulden in Noten, ein Betrag, welcher dieſem Poſt-
amt wahrlich angemeſſen erſcheint. Dann ein Zettel: „Gut
für fünf Gulden, Poſtmeiſterin.“ „Alſo ein Von für ent-
nommenes Baargeld, das iſt auch nicht übel.“ Eine kleine
Holzſchüſſel enthält knapp zwei Gulden Scheidemünze.
Hierüber fertigt die Expeditorin ein Protokoll; dann forſcht

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(Nachdruck verboten.)</note><lb/> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Zweites Kapitel.</hi> </hi> </head><lb/>
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Unterbäuerin. Die Fen&#x017F;ter haben ei&#x017F;erne Gitter, da wird<lb/>
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Augenkranke zu tragen pflegen. Die Bäuerin ta&#x017F;tet mit<lb/>
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Po&#x017F;tfräulein vor die Füße und &#x017F;chreit: &#x201E;Mach was du<lb/>
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Königliche Po&#x017F;tkanzlei &#x017F;cheint als Vorrathskammer zu<lb/>
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Stühlen bilden die Einrichtung. Nicht einmal eine Uhr<lb/>
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&#x017F;ehen! Lina &#x017F;chlägt die Hände über dem Kopf zu&#x017F;ammen<lb/>
bei Betrachtung die&#x017F;er Aus&#x017F;tattung einer Po&#x017F;tkanzlei. Der<lb/>
Pint&#x017F;cher mochte wohl inzwi&#x017F;chen einge&#x017F;ehen haben, daß<lb/>
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trieb den Hund mit Stockhieben aus dem Bett. Jetzt war<lb/>
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[0001] Nr. 87. Morgenblatt. 103. Jahrgang. München, Freitag, 30. März 1900. Wöchentlich 12 Ausgaben. Bezugspreiſe: Durch die Poſtämter: jährlich M. 36. —, ohne Beil. M. 18. — (viertelj. M. 9. —, ohne Beil. M. 4.50); in München b. d Ex- pedition od. d. Depots monatlich M. 2. —, ohne Beil. M. 1.20. Zuſtellg. mtl. 50 Pf. Direkter Bezug für Deutſchl. u. Oeſterreich monatlich M. 4. —, ohne Beil. M. 3. —, Ausland M. 5.60, ohne Beil. M. 4.40. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis für die kleinſpaltige Kolonelzeile od. deren Raum 25 Pfennig; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; lokale Ver- kaufsanzeig. 20 Pf.; Stellengeſuche 15 Pf. Redaktion und Expe- dition befinden ſich Schwanthalerſtr. 36 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko ein- zuſenden. Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str., London; für Frankreich, Portugal und Spanien A. 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Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſt, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München. Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München. Deutſches Reich. Reichsregierung. München, 29. März.Vor kurzem geſchah an dieſer Stelle der Thatſache, daß das Reichsgericht in einem Preß- prozeß den Ausdruck „Reichsregierung“ als nicht korrekt bezeichnete, mit dem Hinzufügen Erwähnung, Fürſt Bis- marck habe im Gegenſatz zu einer entſprechenden Be- merkung des Abg. Dr. Lieber die „Exiſtenz“ einer Reichs- regierung, wenn auch unter einem gewiſſen einſchränkenden Vorbehalt, nicht beſtritten. Dieſe letztere Annahme nun glauben die „Hamburger Nachrichten“ beſtätigen zu können, während ſie ſich andrerſeits gegen die von uns aufgeſtellte Begründung der Bismarck’ſchen Auffaſſung wenden, die u. a. betonte, von Seiten des der oberſten Reichsleitung unterſtellten „Beamtenſtabes“ müßten die Gedanken ausgehen und formulirt, innerhalb desſelben müßten die Intereſſen des Spezialreſſorts und der Finanzen des Reichs gegeneinander abgewogen werden, ehe die beſchließenden Faktoren des Reichs, der Bundes- rath und der Reichstag, zur Sache Stellung nehmen könnten. Dieſe Begründung entſpräche der Bismarck’ſchen Auffaſſung nicht mehr, ſo meint das Hamburger Blatt, um dann „auf Grund zahlreicher Geſpräche ſeines Ver- treters mit dem Fürſten Bismarck“ feſtzuſtellen, daß Fürſt Bismarck das Vorhandenſein einer „Reichsregierung“, mit anderen Worten: einer „kaiſerlichen“ Regierung, nur für diejenigen Zweige der Verwaltung zugab, die ſich in den Händen des Reiches befinden, nicht aber für die Geſetzgebung des Reiches. (Damit ſtimmt auch das Citat der Allg. Ztg. inſofern überein, als dort ebenfalls nur von der Verwaltung, nicht von der Geſetzgebung des Reiches die Rede iſt.) Demgemäß habe ſich Fürſt Bismarck ſtets mit Entſchiedenheit gegen die namentlich unter Caprivi nicht ſeltenen Verſuche der offiziöſen Preſſe, in Fragen der Reichsgeſetzgebung den Reichskanzler als „Repräſen- tanten der Reichsregierung“ auszuſpielen, gewandt. Im Frühjahr 1894 habe er ſich in dieſer Beziehung wie folgt ausgeſprochen: „Verfaſſungsmäßig iſt der Reichskanzler oberſter Chef der Reichsverwaltung und aller Aemter derſelben, in der Geſetzgebung aber hat er gar nichts zu ſagen, ſoweit er nicht als Bevollmächtigter der preußiſchen Staatsregierung ſpricht. Wenn er dieſe Vollmacht nicht beſitzt, ſondern nur den Reichs- kanzlerpoſten hat, dann ſteht ihm nichts als der formale Vorſitz und die Geſchäftsleitung im Bundesrath zu; in Fragen der Geſetzgebung hat er zu ſchweigen. Der Mund auf dieſem Gebiet wird ihm erſt geöffnet, wenn er als Bevollmächtigter des preußiſchen Staatsminiſteriums ſpricht. In dieſer Eigen- ſchaft aber iſt er nicht berechtigt, eine andere Meinung als die des preußiſchen Staatsminiſteriums auszuſprechen und er muß entweder der Zuſtimmung ſeiner preußiſchen Kollegen, wie das in den einfacheren Dingen regelmäßig der Fall ſein wird, ohne Rückfrage gewiß ſein, oder er muß mit einem Koncluſum der Majorität des preußiſchen Staatsminiſteriums im Bundesrath ſitzen, reſp. dort mit den übrigen deutſchen Regierungen in ſeiner Eigenſchaft als preußiſcher Miniſter des Auswärtigen, d. h. für deutſche Augelegenheiten ver- handeln. Wie kann man da (in Geſetzgebungsfragen) von einer Reichsregierung überhaupt reden? Als Träger derſelben wird da, wo ſich nicht wegen Fehlens des Gedankens ein Wort zur rechten Zeit einſtellt, doch nur der Reichskanzler gedacht werden können ohne Hinzu- rechnung ſeiner ihm untergebenen Reichsverwaltungsämter. Die ganze legislative Bedeutung des Reichskanzlers ſteht und fällt aber mit ſeiner Eigenſchaft als Mitglied des preußiſchen Staatsminiſteriums. Sobald er ſich von dieſem geſchäftlich trennt, deſſen Inſtruktionen weder kennt noch einholt, ſondern dem Bundesrath und den deutſchen Regierungen ſelbſtändig als Reichskanzler gegenübertritt, ohne das preußiſche Staats- miniſterium hinter ſich zu haben, verläßt er den Boden ſeiner verfaſſungsmäßigen Kompetenz und würde, wenn ein Miniſter- Verantwortlichkeitsgeſetz auch nur in Preußen beſtände, nach Maßgabe desſelben gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden können.“ Die „Hamburger Nachrichten“ fügen dieſem Citat die Worte hinzu: „Wir legen aus verſchiedenen Gründen Werth darauf, auf dieſes Zeugniß des Schöpfers des Deutſchen Reiches und ſeiner verfaſſungsmäßigen Einrich- tungen jetzt zu rekurriren; namentlich geſchieht es, um den vielfach verbreiteten Aberglauben zu beſeitigen, daß es in der Geſetzgebung des Reiches eine Reichsregierung gebe. in deren Angelegenheiten ſich die Einzelſtaaten nicht hinein- zumiſchen hätten.“Demgegenüber wollen wir unſrerſeits zu erwähnen nicht unterlaſſen, daß uns bei der Abfaſſung jener Betrachtung, auf die die „Hamb. Nachr.“ in ſolcher Art eingehen, die Abſicht völlig fern lag, „den vielfach verbreiteten Aberglauben, daß es in der Geſetzgebung des Reiches eine Reichsregierung gebe, in deren Angelegen- heiten ſich die Einzelſtaaten nicht hineinzumiſchen hätten“, zu vertheidigen. Das Blatt hätte im Intereſſe der Klä- rung der Sachlage und um Irrthümern von intereſſirter Seite vorzubeugen, beſſer gethan, unſre Schlußbemerkung nicht unter den Tiſch fallen zu laſſen, die da lautete: „So verſtanden wird, wie wir annahmen, auch die „Ger- mania“ ſich mit dem Begriff einer „Reichsregierung“ abfinden können, denn derſelben liegt nichts ſo fern, als die Abſicht, den Prärogativen des Reichstags und ſeinen Parteien eine Perle aus der Krone zu brechen.“ Schon hieraus geht hervor, daß es ſich bei unſrer Betrachtung lediglich darum handelte, die in der Nomen- klatur der Verfaſſung nicht präziſirte Bezeichnung „Reichs- regierung“ davor zu ſchützen, daß ſie als Zielobjekt für ſolche parlamentariſche und außerparlamentariſche Angreifer dient, die dem Reichskanzler eins am Zeuge flicken möchten. Nichts aber lag uns ſo fern, als ein Verſuch, aus der von uns citirten Bismarck’ſchen Aeußerung die Thatſache herauszuleſen, daß es eine „Reichsregierung“ als Ding an ſich gäbe, die eine geſetzgeberiſche Aktion auszuüben ver- möge in dem Sinne wie jede Einzelregierung. Gegen das Fleiſcheinfuhrverbot. * Berlin, 28. März.Während bereits verſchiedent- lich gemeldet wird, daß im konſervativen Lager Stimmen laut werden, die zur Nachgiebigkeit in Sachen des Fleiſchbeſchaugeſetzes mahnen, dauert die Proteſt- bewegung gegen den § 14a des Kommiſſionsentwurfs nach wie vor an. Den zahlreichen Intereſſentengruppen, die dem Reichskanzler Adreſſen und Reſolutionen nach dieſer Richtung hin überreichten, geſellt ſich neuerdings auch der „Deutſch-ruſſiſche Verein zur Pflege und Förderung der gegenſeitigen Handelsbeziehungen“ mit nachſtehender Eingabe: „Der Deutſch-ruſſiſche Verein zur Pflege und Förderung der gegenſeitigen Handelsbeziehungen, der in ca. 200 Einzel- mitgliedern, worunter 21 Handelskammern und 7 große Ver- bände, einen ſehr großen Theil der mit Rußland in Ver- bindung ſtehenden deutſchen Induſtrie und des Handels zwiſchen Rußland und Deutſchland in ſich verkörpert, erblickt in einem Verbot der Einfuhr von Fleiſch und Fleiſchwaaren nach Deutſchland, ganz abgeſehen von den Folgen eines ſolchen Verbots für die Lebenshaltung des kleineren Mittelſtandes und des Arbeiters, eine ſchwere Gefährdung der Fortdauer des guten wirthſchaftlichen Einvernehmens zwiſchen den beiden Ländern. Die Lage der Landwirthſchaft in Rußland zwingt die ruſſiſche Regierung der Viehzucht und dem Export von thieriſchen Erzeugniſſen, insbe- ſondere auch von Fleiſch ihre Förderung zutheil werden zu laſſen. Man hofft mit gutem Grund, daß das ruſſiſche Produkt dem überſeeiſchen Fleiſch auf den europäiſchen Märkten mit Erfolg Konkurrenz machen wird, und man beanſprucht einen Antheil an der Deckung des Fleiſchbedarfs Deutſchlands, ſoweit dasſelbe nicht in der Lage iſt, ſelbſt den Bedarf zu decken. Um ſo ſchwerer hat man die Schwierigkeiten, welche ſeither ſchon der Einfuhr ruſſiſchen Fleiſches in Deutſchland entgegengeſtellt wurden, empfunden; und es kann kein Zweifel darüber beſtehen, daß ein vollſtän- diges und dauerndes Verbot der Einfuhr von Fleiſch die be- vorſtehenden Verhandlungen über die Geſtaltung des Ver- tragsverhältniſſes ein Entgegenkommen Rußlands von vorn- herein weſentlich erſchweren würde. Das wäre aber ſehr zu beklagen, da Rußland ein äußerſt wichtiges Abſatzgebiet für die Erzeugniſſe unſrer Induſtrie iſt, deſſen Einſchränkung oder Verluſt verhängnißvolle Folgen für die Wohlfahrt Deutſch- lands nach ſich ziehen müßte, die durch den etwaigen Gewinn, welcher der deutſchen Viehzucht aus dem Einfuhrverbot er- wachſen könnte, nicht im entfernteſten ausgeglichen würden. Der ehrerbietigſt unterzeichnete Deutſch-ruſſiſche Verein hält es demnach für ſeine Pflicht, Ew. Durchlaucht gehorſamſt zu bitten, dahin wirken zu wollen, daß ein Verbot der Einfuhr von Fleiſch und Fleiſchwaaren nicht erlaſſen werde.“ Ob dieſe Argumentation in allen Theilen eine beſon- ders glückliche iſt, wollen wir nicht näher unterſuchen. Unſres Erachtens thäte man gut daran, der wiederholten Verſicherung maßgebender Stellen, daß ſie bei der Rege- lung der ſchwebenden Frage nach Kräften beſtrebt ſein würden, eine Gefährdung der Intereſſen des deutſchen Handels und der deutſchen Induſtrie auszuſchließen, einiges Vertrauen entgegenzubringen. Ein Grund, dieſer Ver- ſicherung zu mißtrauen, liegt unſres Erachtens wenigſtens nicht vor. Die allzu accentuirte Betonung des Intereſſes, das Deutſchland daran habe, das Ausland bei der Neu- geſtaltung der gegenſeitigen Handelsbeziehungen in guter Stimmung zu erhalten, reizt nur ohne zwingenden Grund den agrariſchen Widerſpruchsgeiſt. Die erregten Debatten Das Poſtfräulein. Hochlandsroman von Arthur Achleitner. (3) (Nachdruck verboten.) Zweites Kapitel. Lina hat ſich leicht zurechtgefunden im fremden Dorf; der Doppeladler verrieth das Kaiſerlich Königliche Poſtamt augenblicklich, als das Fräulein in Sehweite gekommen war. Recht einladend ſieht die Stätte künftiger Wirkſam- keit nicht aus; ohne das Poſtſchild wäre das Haus von jedem anderen Bauernhaus nicht zu unterſcheiden. Im Unterbau gemauert, das obere Stockwerk von Holz, braun- verwittert, winzige Fenſter; Kleinvieh und Hühner um- lagern den Beſitz der poſtdienſtuntauglich gewordenen Unterbäuerin. Die Fenſter haben eiſerne Gitter, da wird wohl die Poſtkanzlei ſein. Schwalben fliegen im Flur ein und aus, das einzige gute Zeichen beim Eintritt in den Dienſt heroben im Gebirg. Lina flüſtert: „Schwalben bringen ja Glück! Vielleicht auch mir!“ Ein kleiner Pintſcher, der auf den erſten Blick ver- wandtſchaftliche Beziehungen zu einem Jagdhund verräth, ſpringt kläffend herbei, als Lina in den Flur tritt, und wehrt, ſich vor die Kanzleithür ſtellend, den Eingang. Lina lacht fröhlich auf; der Pintſcher iſt alſo ein ärariſcher Beſchützer der Staatspoſt und wird hoffentlich auch ferner- hin die Poſtkaſſe wie das Leben des Poſtfräuleins tapfer beſchützen. „Biſcht ein braves Hunderl!“ belobt Lina den Pintſcher, der jetzt erſt recht lärmt. Nun humpelt eine alte Bäuerin aus einer Stube her- bei, ſchlecht gekleidet, mit einer mächtigen Hornbrille be- waffnet und darüber einen grünen Pappſchirm, wie ihn Augenkranke zu tragen pflegen. Die Bäuerin taſtet mit den Händen die Wand entlang und ruft: „Wer iſcht da? Die Kanzlei mach’ ich heut nimmer auf!“ Lina kann ein ſpöttiſches Lächeln nicht unterdrücken. Am helllichten Tag die Poſt trotz vorgeſchriebener Amts- ſtunden geſchloſſen — das ſind ja reizende Zuſtände. „Ich bin die neue Expeditorin Lina Kleingroß. Sind Sie die Unterbäuerin?“ Beleidigt ruft das Weib: „Die Poſtmeiſterin bin ich, verſtanden? Und wenn du die neue Poſtfräuln biſcht, dann muß ich ſchon ſagen, es wär mir lieber, wenn du nicht gekommen wärſt!“ „Recht freundlich! Warum denn, wenn man fragen darf?“ „Ja, ſo eine Stadtjungfer, der ’s Metzgerwagerl zu ſchlecht iſcht, die geht mir grad noch ab. Hat man ſo was ſchon erlebt? Ein grad noblichtes Fuhrwerk zu ſchlecht! Schau nur, daß du nicht noch zu Fuß zum Altar gehen mußt, wenn einer ſo dumm iſcht und ein ärariſches Hunger- fräulein heirathet!“ Lina lachte hellauf; ſolcher Empfang übertrifft alle Erwartungen. In ſolchem Hauſe kann der Dienſt noch hübſch werden. Die Bäuerin verlangt, mißtrauiſch wie ſie iſt, eine „Legimation“. „Zeig dein Dekret von der Direktion!“ „Das iſcht in meiner Handtaſche, die der Knecht herauf- befördert haben wird. Wo iſcht die Taſche?“ „Selle iſcht in der Kanzlei, aber die Kanzlei mach’ ich heut nimmer auf.“ „Poſtmeiſterin, ich will Ihnen was ſagen. Die Kanz- lei muß von acht bis zwölf Uhr vormittags und von zwei bis ſechs Uhr nachmittags geöffnet ſein. Ich übernehme heute noch das Amt, — ſolche Schlamperei im Dienſt muß ſofort ein Ende nehmen. Geben Sie mir mein Handgepäck heraus, zeigen Sie mir mein Zimmer und dann übergeben Sie mir Amt, Geld und Dienſt!“ „Frei ſchad iſcht’s, daß ich nichts mehr ſeh’! Dich freche Perſon, möcht ich gern genau ſchauen. Hat man ſo was ſchon gehört? Kaum im Haus, will ſo ein Ding mir, der Poſtmeiſterin, ſchon Vorſchriften machen. Weißt was? Ich huſt auf jeden Kommiſſari, und nach einer Expeditorin frag’ ich keinen Pfifferling!“ „Das können Sie halten, wie Sie wollen. Iſt mir binnen einer halben Stunde das Amt nicht übergeben, zieh’ ich wieder ab, fahre nach Innsbruck und melde den Vorfall der Direktion. Das Weitere werden Sie dann ſchon erfahren!“ Zornig wirft das alte Weib den Kanzleiſchlüſſel dem Poſtfräulein vor die Füße und ſchreit: „Mach was du willſt! Ich kümmere mich um gar nichts mehr.“ „Halt, Poſtmeiſterin! Bei der Uebergabe vom Poſtgeld müſſen Sie dabei ſein. Haben Sie die Gelder abgezählt und verrechnet?“ „Nix hab’ ich, und nix thu’ ich. Dazu biſcht du da!“ Keifend entfernt ſich die Bäuerin. Lina hebt den Schlüſſel auf und öffnet die Kanzleithür. Ein dumpfer, modriger Geruch ſtrömt ihr entgegen, das Gemach iſt wohl ſeit Monaten nicht gelüftet worden. Und in den Ecken lagern Kartoffel- und Knoblauchhaufen. Die Kaiſerlich Königliche Poſtkanzlei ſcheint als Vorrathskammer zu dienen. Ein wackliger Tiſch mit kleinen Regalen zum Brieffortiren, eine winzige Eiſenkaſſette für die Amts- gelder, ein Kaſten und ein Bett nebſt zwei wurmſtichigen Stühlen bilden die Einrichtung. Nicht einmal eine Uhr iſt vorhanden, dafür Bergſtöcke und Senſen, Roßkummete, Peitſchenſtiele und Miſtgabeln. Ein feines Poſtamt. Schade, daß dergleichen die Herren von der Direktion nicht ſehen! Lina ſchlägt die Hände über dem Kopf zuſammen bei Betrachtung dieſer Ausſtattung einer Poſtkanzlei. Der Pintſcher mochte wohl inzwiſchen eingeſehen haben, daß das Fräulein in die Stube gehöre; er geruhte das Kläffen einzuſtellen, trippelte herein und war mit einem Satz im ärariſchen Dienſtbett, wo er ſich igelgleich zuſammenrollte und ſich anſchickte, den gewohnten Schlaf zu thun. „Das geht denn doch zu weit!“ rief Lina aus und trieb den Hund mit Stockhieben aus dem Bett. Jetzt war die Feindſchaft fertig, und tiefbeleidigt verließ der Pintſcher das Amtslokal. Das Poſtfräulein aber nahm die dringendſte Arbeit vor: die Uebernahme der Amtsgelder. Der Schlüſſel zur Kaſſette ſteckte im Schloß. Lina nahm das abgegriffene Portefeuille heraus und zählte das Baargeld. Fünfund- vierzig Gulden in Noten, ein Betrag, welcher dieſem Poſt- amt wahrlich angemeſſen erſcheint. Dann ein Zettel: „Gut für fünf Gulden, Poſtmeiſterin.“ „Alſo ein Von für ent- nommenes Baargeld, das iſt auch nicht übel.“ Eine kleine Holzſchüſſel enthält knapp zwei Gulden Scheidemünze. Hierüber fertigt die Expeditorin ein Protokoll; dann forſcht

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 30. März 1900, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine87_1900/1>, abgerufen am 15.05.2024.